Dienstag, 16. März 2010
Wenn Gott kein Gott ist... Johannes 20,28
(nachdem ich das fertig geschrieben habe, muss ich zugeben, dass dieser Artikel wieder viel zu lang geworden ist. Sorry!)

Ein Kritiker der Zeugen Jehovas hält den Text Johannes 20,28 für "brisant" und kommt zu dem Schluss:
[Es] folgt aus Joh 20:28 sogar auch noch, daß ich Jesus als meinen Gott bezeichnen kann. Mehr noch: Jesus hat diesen Glauben des Thomas gelobt und als Vorbild hingestellt und uns damit klargestellt, daß auch wir das tun sollen. Er fordert damit auch Dich (egal ob Zeuge Jehovas oder nicht-Zeuge Jehovas) auf, es Thomas gleichzutun und Jesus als deinen Herrn und deinen Gott anzuerkennen. Ich hoffe und bete, daß auch Du dies erkennst.
Nun, ich versuche mal den Text aus Johannes 20,28 zu verstehen, indem ich die Aussagen der Bibel (insbesondere des Johannesevangeliums) hierzu verwende.

Allerdings muss ich vorab etwas klarstellen: Man kann nicht einfach nehmen, was Johannes schrieb, und es als Antwort auf die Frage sehen: Ist Jesus eine Person des dreieinigen Gottes. Das hat den einfachen Grund, dass Johannes als Judenchrist Ende des ersten Jahrhunderts schrieb, während die Dreieinigkeit erstmals über 250 Jahre später auf dem Konzil von Konstantinopel als Lehre formuliert wurde. Johannes schrieb in Begriffen, die Trinitariern fremd waren, die aber von Juden und Judenchristen (und teilweise auch von Heiden) geläufig waren.

Ich will daher untersuchen, welche Begriffe Johannes verwendet, wie sie verwendet werden und zu welchem Ergebnis das führt, wenn es um Johannes 20,28 geht.

Zur besseren Erinnerung hier der gesamte Kontext:
24 Thomas aber, einer von den Zwölfen, genannt Zwilling, war nicht bei ihnen, als Jesus kam. 25 Da sagten die anderen Jünger zu ihm: Wir haben den Herrn gesehen. Er aber sprach zu ihnen: Wenn ich nicht in seinen Händen das Mal der Nägel sehe und meine Finger in das Mal der Nägel lege und lege meine Hand in seine Seite, so werde ich nicht glauben. 26 Und nach acht Tagen waren seine Jünger wieder drinnen und Thomas bei ihnen. Da kommt Jesus, als die Türen verschlossen waren, und trat in die Mitte und sprach: Friede euch! 27 Dann spricht er zu Thomas: Reiche deinen Finger her und sieh meine Hände, und reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig! 28 Thomas antwortete und sprach zu ihm: Mein Herr und mein Gott!29 Jesus spricht zu ihm: Weil du mich gesehen hast, hast du geglaubt. Glückselig sind, die nicht gesehen und doch geglaubt haben!

30 Auch viele andere Zeichen hat nun zwar Jesus vor den Jüngern getan, die nicht in diesem Buch geschrieben sind. 31 Diese aber sind geschrieben, damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, und damit ihr durch den Glauben Leben habt in seinem Namen.

Der direkte Kontext

Zu welcher Schlussfolgerung will Johannes uns mit seinem Bericht führen? Er schreibt: "Diese aber sind geschrieben, damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes". Johannes hätte schreiben können: "Dies habe ich geschrieben, um zu zeigen, dass Jesus Gott ist". Das tat er nicht.

Was meinte denn Johannes als er Jesus als den "Sohn Gottes" bezeichnete? Da die Dreieinigkeitslehre im ersten Jahrhundert vollkommen unbekannt war, konnte er sich nicht auf die zweite Person eines dreieinigen Gottes beziehen, ohne das näher zu erklären. Sehen wir zuerst, wie er den Ausdruck benutzte:
Johannes
1,49: du bist der Sohn Gottes, du bist der König Israels

5,19: Der Sohn kann nichts von sich selbst tun, außer was er den Vater tun sieht

5,23: Wer den Sohn nicht ehrt, ehrt den Vater nicht, der ihn gesandt hat.

11,27: ich glaube, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt kommen soll

20,31: damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes
Im Johannesevangelium bezieht sich "Sohn Gottes" nach diesen Texten auf zwei Sachverhalte, die miteinander verbunden sind: Zum einen war der Sohn Gottes der Christus, der verheißene König Israels, der das Reich Gottes aufrichten sollte. In diesem Sinne ist der Ausdruck aus verschiedenen Texten entlehnt, in denen Israels Könige so bezeichnet werden, z.B. Psalm 2, wo der König Judas in Vers 2 als Christus/Gesalbter bezeichnet wird und in Vers 6 als Sohn Gottes. Ein ähnliches Beispiel finden wir in 2.Samuel 7,14. Im Johannesevangelium wird genau diese Bedeutung mehrmals aufgegriffen, so in 1,19; 11,27; 20,31. Wenn also jemand als "Sohn Gottes" identifiziert wurde, dann war für jeden Juden klar, dass dieser den Anspruch erhob, der Messias zu sein, der von Gott gesandte Befreier und König Israels.

Hierbei wollen wir uns erinnern, dass "Christus" nicht ein zweiter Name Jesu ist, sondern ein Titel, der in der Bibel öfter für die Hohenpriester und Könige Israels verwendet wird. Wenn wir in der Bibel "gesalbter" lesen, steht dort im hebräischen Text "Messias" und in der griechischen Übersetzung "Christus". Wenn ein Jude Jesus als Christus bezeichnete, dann nicht, weil er ihn für eine Person des dreieinigen Gottes hielt, sondern weil er ihn für den rechtmäßigen König Israels hielt.

Zum anderen war der (erstgeborene) Sohn in der patriarchalischen Gesellschaft immer auch der Stellvertreter seines Vaters, der im Auftrag seines Vaters Geschäfte erledigte. Hierbei vertrat der Sohn die Interessen des Vaters, er war ein Treuhänder und Stellvertreter. In diesem Sinn wird der Sohn z.B. im Gleichnis von den Weingärtnern in Matthäus 21 vorgestellt. Jesus selbst bezieht sich in Johannes 5,19-23 eindeutig auf diese Bedeutung. Als Sohn Gottes war er Treuhänder seines Vaters, er vertrat Gottes Interessen vor dem Volk Israel. Als guter Treuhänder konnte er natürlich "nichts aus sich selbst tun", er musste aufgrund seiner Stellung sich auf das beschränken, was Gott ihm aufgetragen hatte.

Jesus selbst wie im Johannesevangelium wiederholt auf diesen Sachverhalt hin; hier einige Beispiele aus dem fünften Kapitel des Johannesevangeliums:
18 Darum nun suchten die Juden noch mehr, ihn zu töten, weil er nicht allein den Sabbat aufhob, sondern auch Gott seinen eigenen Vater nannte und sich so selbst Gott gleich machte. 19 Da antwortete Jesus und sprach zu ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Der Sohn kann nichts von sich selbst tun, außer was er den Vater tun sieht; denn was der tut, das tut ebenso auch der Sohn. 20 Denn der Vater hat den Sohn lieb und zeigt ihm alles, was er selbst tut; und er wird ihm größere Werke als diese zeigen, damit ihr euch wundert. 21 Denn wie der Vater die Toten auferweckt und lebendig macht, so macht auch der Sohn lebendig, welche er will. 22 Denn der Vater richtet auch niemand, sondern das ganze Gericht hat er dem Sohn gegeben, 23 damit alle den Sohn ehren, wie sie den Vater ehren. Wer den Sohn nicht ehrt, ehrt den Vater nicht, der ihn gesandt hat. 24 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat ewiges Leben und kommt nicht ins Gericht, sondern er ist aus dem Tod in das Leben übergegangen. 25 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, dass die Stunde kommt und jetzt da ist, wo die Toten die Stimme des Sohnes Gottes hören werden, und die sie gehört haben, werden leben. 26 Denn wie der Vater Leben in sich selbst hat, so hat er auch dem Sohn gegeben, Leben zu haben in sich selbst; 27 und er hat ihm Vollmacht gegeben, Gericht zu halten, weil er des Menschen Sohn ist. 28 Wundert euch darüber nicht, denn es kommt die Stunde, in der alle, die in den Gräbern sind, seine Stimme hören 29 und hervorkommen werden; die das Gute getan haben zur Auferstehung des Lebens, die aber das Böse verübt haben zur Auferstehung des Gerichts.

30 Ich kann nichts von mir selbst tun; so wie ich höre, richte ich, und mein Gericht ist gerecht, denn ich suche nicht meinen Willen, sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat. 31 Wenn ich von mir selbst zeuge, so ist mein Zeugnis nicht wahr. 32 Ein anderer ist es, der von mir zeugt, und ich weiß, dass das Zeugnis wahr ist, das er von mir zeugt. 33 Ihr habt zu Johannes gesandt, und er hat der Wahrheit Zeugnis gegeben. 34 Ich aber nehme nicht Zeugnis von einem Menschen an, sondern dies sage ich, damit ihr gerettet werdet. 35 Jener war die brennende und scheinende Lampe; ihr aber wolltet für eine Zeit in seinem Licht fröhlich sein5. 36 Ich aber habe das Zeugnis, das größer ist als das des Johannes; denn die Werke, die der Vater mir gegeben hat, dass ich sie vollende, die Werke selbst, die ich tue, zeugen von mir, dass der Vater mich gesandt hat. 37 Und der Vater, der mich gesandt hat, er selbst hat Zeugnis von mir gegeben. Ihr habt weder jemals seine Stimme gehört noch seine Gestalt gesehen, 38 und sein Wort habt ihr nicht bleibend in euch; denn dem, den er gesandt hat, dem glaubt ihr nicht. 39 Ihr erforscht die Schriften, denn ihr meint, in ihnen ewiges Leben zu haben, und sie sind es, die von mir zeugen; 40 und ihr wollt nicht zu mir kommen, damit ihr Leben habt. 41 Ich nehme nicht Ehre von Menschen; 42 sondern ich kenne euch, dass ihr die Liebe Gottes nicht in euch habt. 43 Ich bin in dem Namen meines Vaters gekommen, und ihr nehmt mich nicht auf; wenn ein anderer in seinem eigenen Namen kommt, den werdet ihr aufnehmen.
Man kann es kaum deutlicher sagen, als Jesus es hier tat: er war von Gott gesandt, deswegen sprach und handelte er im Namen Gottes und hatte die Vollmacht Gottes.

Wieso meinten die Juden, dass Jesus sich Gott gleich machte? Weil er Jehova seinen Vater nannte. Sie meinten, dass Jesus sich hier zum Stellvertreter Gottes machte und damit die Autorität Gottes beanspruchte, ohne von Gott beauftragt zu sein. Wenn man sich den oben zitierten Abschnitt durchliest, stellt man fest, dass Jesu Argumentation genau auf diesen Vorwurf antwortet. Er zeigt nicht, dass er die Person eines dreieinigen Gottes ist, sondern dass er Beweise dafür präsentieren kann, dass er von Gott bevollmächtigt wurde.

Diese beiden o.g. Bedeutungen des Ausdrucks "Sohn Gottes" kann man natürlich nicht 100% trennen. Der messianische König war natürlich auch als Herrscher Israels ein Treuhänder Gottes, der ihm treu sein musste. Johannes' eigene Worte zeigen, dass er den Ausdruck "Sohn Gottes" in genau dieser Weise verwendete: Jesus ist der von Gott gesandte Befreier, der Messias, der König Israels, der als Gottes Stellvertreter und Treuhänder genau den Willen Gottes ausführt und übermittelt.

Wieso "Sohn Gottes" = "Gott"

Damit erhebt sich genau die nächste Frage: Wenn es "nur" (aus Sicht der Trinitarier) darum geht, zu zeigen, dass Jesus der Messias ist, wieso kann dann Thomas mit Recht sagen, dass er "Gott" ist? Schauen wir, was Jesus selber dazu im gleichen Evangelium sagt.
33 Die Juden antworteten ihm: Wegen eines guten Werkes steinigen wir dich nicht, sondern wegen Lästerung, und weil du, der du ein Mensch bist, dich selbst zu Gott machst. 34 Jesus antwortete ihnen: Steht nicht in eurem Gesetz geschrieben: "Ich habe gesagt: Ihr seid Götter"? 35 Wenn er jene Götter nannte, an die das Wort Gottes erging - und die Schrift kann nicht aufgelöst werden -, 36 sagt ihr von dem, den der Vater geheiligt und in die Welt gesandt hat: Du lästerst, weil ich sagte: Ich bin Gottes Sohn? 37 Wenn ich nicht die Werke meines Vaters tue, so glaubt mir nicht! 38 Wenn ich sie aber tue, so glaubt den Werken, wenn ihr auch mir nicht glaubt, damit ihr erkennt und versteht, dass der Vater in mir ist und ich in dem Vater!
Was passiert hier? Jesus bezieht sich auf Psalm 82, in dem steht, dass Gott selbst zu anderen sagt: "Ihr seid Götter". Nach dem Kontext sind hier höchstwahrscheinlich die (untreuen) Richter und Fürsten des Volkes Israel gemeint. Wieso bezeichnet Jehova (und Jesus) sie als "Götter"? Mit Sicherheit nicht, weil sie eine "göttliche Natur" besitzen oder Anteil am "göttlichen Wesen" haben.

Aber sie haben stellvertretend die göttliche Autorität inne, als Richter für das Volk Gottes zu amten. Ihre "Gottheit" ist eine funktionelle, denn der Text macht klar, dass die angesprochenen genauso wie andere Menschen sterben. Anders gesagt, sie sind Repräsentanten Gottes und werden daher auch mit diesem Titel angesprochen.

Auch an anderen Stelle der Bibel gibt es ähnliche Beispiele:
2.Mose 4,16: [Aaron] soll dein [Mose] Mund sein und du sollst für ihn Gott sein.
2.Mose 7,1 Der HERR sprach zu Mose: Siehe, ich habe dich zum Gott gesetzt für den Pharao,
Richter 13,21f: Damals erkannte Manoach, dass es der Engel des HERRN war, 22 und sprach zu seiner Frau: Wir müssen des Todes sterben, weil wir Gott gesehen haben.
Psalm 45,7 Gott [=der König in Jerusalem], dein Thron bleibt immer und ewig;
(in diesem Fall lässt der Text auch andere Verständnismöglichkeiten zu, aber die trinitarische Interpretation von Hebräer 1,8 erfordert dieses Verständnis)
Nach diesen Beispielen können Engel, Propheten und Könige als Gott bezeichnet werden, weil sie als Stellvertreter Jehovas auftreten. Da Jesus DER Prophet und DER König ist, der von Gott eingesetzt wurde, kann man ihn mit gleichem Recht als "Gott" bezeichnen als die o.g. Beispiele. Allerdings wird Jesus dadurch genauso wenig Gott, wie z.B. Moses Teil der Dreieinigkeit wurde, als Jehova ihn zum Gott für Pharao einsetzte.

Wahrer Gott, falscher Gott und Repräsentanten-Gott

Was ist aber mit dem oft angeführten "strengen Monotheismus" der Juden? Angeblich bedeutet er, dass es nur einen wahren Gott gibt, und alle anderen, die "Gott" genannt werden, sind falsche Götter.

Interessanterweise findet man in der Elberfelder Bibel nirgendwo den Ausdruck "falscher Gott". Andere Übersetzungen enthalten diesen Ausdruck zwar sporadisch, aber kommt nicht im Urtext vor. Dort findet man nur Ausdrücke wie z.B. "solche, die keine Götter sind".

In Bezug auf das "Gott-Sein" macht das Johannes-Evangelium einen wichtigen Unterschied zwischen Jehova und Jesus:
Johannes 17,1-3: Vater, [...] dass sie dich, den allein wahren Gott, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen.
Jehova, der Vater, ist der allein wahre Gott. Das allein schließt natürlich bereits aus, das andere ebenfalls "wahrer Gott" sind.

Allerdings ist es für unser Sprachgefühl natürlich so, dass das Gegenteil von "wahr" "falsch" ist. Wenn also Jesus als Gott bezeichnet wird, und nicht wahrer Gott ist, wieso ist er dann kein falscher Gott?

Die Antwort können wir im Hebräerbrief finden, in dem dem das gleiche Wort "wahr" verwendet wird und ein interessanter Gegensatz aufgezeigt wird:
Hebräer 8,2: des wahrhaftigen Zeltes
Hebräer 8,5: dem Abbild und Schatten der himmlischen Dinge
Das hier verwendete "wahrhaftig" ist das gleiche Wort wie in Johannes 17,3. Das Gegenteil im griechischen ist aber nicht "falsch" sondern "Abbild". Daraus kann man entnehmen, das im altgriechischen "wahr" den Bedeutung "original" mitklingen hat.

Und so gibt es ein "Original"-Zelt im Himmel und eine Kopie hier auf der Erde. Und genauso gibt es den "Original"-Gott (von dem es nur einen geben kann) und es gibt "Abbilder" dieses Gottes, vor allem und am deutlichsten natürlich Jesus, der nach Hebräer 1,3 "der Abdruck des göttlichen Wesens" ist und nach Kolosser 1,5 "das Abbild des unsichtbaren Gottes".

Fazit

Die eingangs zitierte Seite hat recht, dass man Jesus seinen Gott nennen kann; sie liegt aber völlig daneben, wenn sie meint, dass Jesus deswegen wahrer Gott ist. Jesus ist das ultimative Abbild Gottes, dass uns das Wesen Jehovas genau zeigt. Deswegen nehme ich seine Worte ernst: "Du sollst den Herrn, deinen Gott, anbeten und ihm allein dienen". Und genau das missachten diejenigen, die Jesus als wahren Gott ansehen und ihm Anbetung und Gottesdienst darbringen.

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