Montag, 21. März 2011
1.Mose 1,2 - entgeistert?
Ein Kritiker der NWÜ ist mit der Wiedergabe von 1.Mose 1,2 nicht einverstanden:
Im hebräischen Urtext steht "ruach elohim", "Geist Gottes" und die NWÜ übersetzt dies an anderen Stellen auch genau so. 1. Mose 1:2 ist der einzige Vers in der ganzen Bibel, an dem die NWÜ zu der Umschreibung "wirksame Kraft Gottes" greift. [...] der "ruach elohim" ist in der Bibel immer der "Geist Gottes"
Zum Vergleich der Vers in der NWÜ und der EB:
NWÜ: Die Erde nun erwies sich als formlos und öde, und Finsternis war auf der Oberfläche der Wassertiefe; und Gottes wirksame Kraft bewegte sich hin und her über der Oberfläche der Wasser.

EB: Und die Erde war wüst und leer, und Finsternis war über der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte über dem Wasser
(Fußnote zu "Geist": "Das hebr. Wort ruach kann auch Hauch, Wind bedeuten.")
Wo sieht unser Kritiker das Problem bei dieser Wiedergabe?
Meiner Meinung nach gibt es aber zwei wichtige Gründe für diese Sonderbehandlung von 1. Mose 1:2 und beide hängen sehr eng mit der (irrigen) Ansicht der Zeugen Jehovas über den Heiligen Geist zusammen. Ihrer Meinung nach ist der Heilige Geist eben keine Person, sondern nur eine unpersönliche Kraft.
Wollen wir einmal sehen, ob diese Gründe wirklich stichhaltig sind.

Beweistext - Wofür?

Unser Kritiker hat einen Grund für die "verfälschte" Wiedergabe gefunden:
1. Mose 1:2 gehört zu den gängigen Beweistexten für die Dreieinigkeit
Es gibt eine Reihe von Texten, die von den Vertretern der Dreieinigkeitslehre häufig angeführt werden, um die Lehre von der Dreieinigkeit aus der Bibel heraus aufzuzeigen. Eine ganze Reihe dieser Texte werden in der NWÜ abweichend übersetzt und 1. Mose 1:2 gehört dazu. Dieser Vers ist deshalb interessant, weil hier alle drei Personen der Dreieinigkeit gemeinsam vorkommen. Gott schafft die Welt dadurch, dass er spricht (Vers 3: "Und Gott sprach", Jesus ist nach Joh 1 das Wort Gottes) und der Heilige Geist ist mit daran beteiligt (Vers 2). Von daher überrascht es nicht, dass "ruach elohim" gerade hier abweichend übersetzt wird.
Das erste Problem hierbei ist, dass eigentlich niemand die Dreieinigkeit ausgerechnet mit diesem Vers beweisen will, eine Suche bei Google liefert Fehlanzeige; meine Nachschlagewerke zu Hause desgleichen. Man muss erhebliche gedankliche Klimmzüge machen (so wie im eben zitierten Abschnitt), um überhaupt einen Bezug zur Dreieinigkeit zu sehen oder anders gesagt: Der Text an sich beweist nichts zum Thema Dreieinigkeit.

Wenn wir uns den Vers anschauen, sagt der Vers (so wie er von unserem Kritiker verstanden wird) nichts weiter aus, als dass der heilige Geist während der Schöpfung aktiv war. Das sehen aber Zeugen Jehovas genau so. Zu den eigentlich wichtigen Fragen für die Dreieinigkeitslehre findet man in 1.Mose 1,2 nichts: weder wird hier erklärt, dass der heilige Geist eine Person ist noch, dass er Gott ist, noch, dass er gleich ewig und göttlich wie die anderen angeblichen Personen der Dreieinigkeit ist.

Selbst, wenn man also zugesteht, dass in 1.Mose 1,2ff der Vater, der Sohn und der heilige Geist genannt werden, dann folgt in keiner Weise, dass es sich um einen dreieinigen Gott handelt. Ganz nebenbei verändern Zeugen Jehovas auch andere Stellen nicht, an denen die drei ohne Frage ganz deutlich vorkommen, wie z.B. Matthäus 28,19.20. Wenn sie also dort keinen Bedarf zur "Manipulation" sehen, warum dann ausgerechnet an einer Stelle, die so wenig aussagt, dass niemand (außer unserem Kritiker) sie als Beweistext verwenden würde? Mir scheint es wahrscheinlicher, dass hier der Wunsch (zur Diskreditierung der NWÜ) Vater des Gedankens war.

Und es kommt (für unseren Kritiker) noch schlimmer: nicht nur, dass niemand hier einen Beweis für die Dreieinigkeit sieht, es gibt sogar Trinitarier, die ihm direkt widersprechen, so z.B. die Dominikanermönche, die die Neue Jerusalemer Bibel herausgeben:
Kommentar der Neuen Jerusalemer Bibel: Gottes Geist BJ1: "Sturmwind Gottes". Es geht nicht um den Heiligen Geist und dessen Wirken bei der Schöpfung. [...]
Wenn man nicht annehmen will, dass Dominikanermönche eigentlich Krypto-Zeugen-Jehovas sind, dann bleibt nur der Schluss, dass es legitime und klare Gründe geben muss, um zu dieser Schlussfolgerung zu kommen.

Auch andere Übersetzungen sehen dies ähnlich:
Buber und Rosenzweig: Die Erde aber war Irrsal und Wirrsal.
Finsternis über Urwirbels Antlitz.
Braus Gottes schwingend über dem Antlitz der Wasser

Fußnote der Guten Nachricht (Ausgabe 1982): Ein gewaltiger Sturm brauste über das Wasser.

BigS: Da war die Erde Chaos und Wüste, Dunkelheit war da angesichts der Urflut, und Gottes Geistkraft bewegte sich angesichts der Wasser.
Nun sind nicht alle dieser Übersetzungen "rechtgläubig" vom Standpunkt unseres Kritikers aus, aber zumindest die Gute Nachricht wurde von trinitarischen Protestanten herausgegeben.

Ich will daher jetzt aufhören, dieses tote Pferd noch weiter zu treten und wende mich daher den nächsten Vorwürfen zu:
Wenn die Diskussion an der Haustür dann auf den Heiligen Geist kommt, dann sind die ersten Verse der Bibel ein Abschnitt, den auch die Menschen noch kennen, die ansonsten niht regelmäßig die Bibel lesen, und ein Zeuge Jehovas kann dann sagen "in meiner Bibel steht das anders, sehen Sie mal, wenn man das richtig übersetzt, dann ist Gottes Geist keine Person sondern nur eine unpersönliche wirksame Kraft."
Abgesehen davon, dass ich niemanden kenne, der so argumentiert, benutzen Zeugen Jehovas viel lieber andere Texte, die wesentlich eindeutiger sind und nicht von der verwendeten Übersetzung abhängen, wie z.B. Apostelgeschichte 2,4.17.18, in denen erklärt wird, dass der heilige Geist "ausgegossen" wird und dass die Leute mit ihm "erfüllt" werden. Das ist natürlich viel einfacher, als über die genaue Bedeutung eines hebräischen Wortes zu diskutieren. Und damit weiter zum nächsten Pferd:
Die Schöpfung ist eine der zentralen Aussagen der Bibel und so wundert es nicht, dass dieser Vers in den Schriften der Zeugen Jehovas häufig zitiert wird. Dadurch, dass hier die (falsche) Lehre der Zeugen Jehovas direkt in den Bibeltext hineingeschrieben wurde, kann der Wachtturm diese Lehre nun mit einem Bibeltext "beweisen".
Diese Aussage ist so ziemlich in allen ihren Teilen falsch; unser Kritiker bietet drei Stellen an, die im Verlauf von über einem Jahrzehnt geschrieben wurden. Das ist wohl kaum "häufig".

Zweitens übersieht er, dass in einer Stelle nicht der Vers, sondern die erklärende Fußnote angeführt wurde. Damit wird der Leser geradezu auf die Übersetzungsproblematik gestoßen, anstatt ihm "vorzugaukeln", er hätte es hier mit einem klaren Beweis zu tun.

Drittens übersieht er, dass es in den zitierten Beispielen nicht darum geht zu beweisen, dass der heilige Geist kein Teil der Dreieinigkeit ist, sondern um beiläufige Erwähnungen.

Und wieso die Übersetzung?

Am Ende will ich noch kurz erklären, warum die Übersetzung der NWÜ sinnvoll ist. Das hebräische Wort "ruach", dass hier übersetzt wird, wird benutzt, um etwas zu bezeichnen, was mit den Sinnen nicht unmittelbar fassbar ist, aber trotzdem eine erkennbare Wirkung hervorruft. Dazu gehören Dinge wie Wind, was auch immer dafür sorgt, dass Lebewesen leben, was auch immer dafür sorgt, dass Menschen denken und fühlen.

Wenn man nun den "Geist Gottes" mit diesen Dingen vergleicht, dann ist klar, dass der "Geist Gottes" das ist, womit Gott in unserer Welt wirkt und das kann man natürlich mit seiner "wirksamen Kraft" umschreiben. Die oben zitierten Bibelübersetzungen haben dies offensichtlich ähnlich gesehen.


1 "BJ" bedeutet Bible de Jérusalem, die französische Originalausgabe der Jerusalemer Bibel, deren (abweichende) Wiedergaben häufig in den Anmerkungen der deutschen Ausgabe zu finden sind. Da der deutsche Text der Jerusalemer Bibel ohne Änderungen aus der Einheitsübersetzung übernommen wird, können die spezifischen Eigenheiten der BJ nicht in den Haupttext einfließen.

Nachtrag

Jede Menge Zitate aus englischer Fachliteratur zu diesem Vers

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