Mittwoch, 3. November 2010
[Update 2]Wie viel Ahnung haben die Volksvertreter von unseren Verfassungsrechten?
Zumindest manchmal keine:
Bericht hier

Die Grünen sagen:
Die Anerkennung sei kein einklagbarer Verwaltungsakt sondern eine Parlamentsentscheidung.
Jeder halbwegs informierte Mensch weiß natürlich, dass die Anerkennung Teil des Grundrechts auf Religionsfreiheit ist, wie das Bundesverfassungsgericht entschied und als solches natürlich einklagbar. Ansonsten könnte jedes Grundrecht ja einfach dadurch aufgehoben werden, dass seine Gewährung von einer Parlamentsentscheidung abhängig gemacht wird. Das wollten die "Väter des Grundgesetzes" natürlich unterbinden, um nicht wieder zu den Zuständen von vor 1945 zurückzukehren, bei denen "Grundrechte" ein Gnadenakt der Herrschenden waren. Es wäre doch schön, wenn das nicht immer vergessen würde.
Die Grünen wollen nach den Worten ihres rechtspolitischen Sprechers Horst Frehe Fachleute wie zum Beispiel Sektenbeauftragte befragen, die über den Inhalt und die Art und Weise dieser Religion Auskunft geben können.
Und hier wollen die Grünen wieder so eine Art Staatskirche einführen, bei der die Großkirchen Mitspracherecht bei der Anerkennung anderer Religionsgemeinschaften bekommen. Das widerspricht natürlich Artikel 140GG.
Ferne wollen sie Menschen anhören, die von den Zeugen Jehovas ausgeschlossen wurden.
Warum bitte keine Menschen, die Zeugen Jehovas sind? Wie bereits das OVG Berlin feststellte, hat es wenig Sinn, ehemalige Mitglieder zu befragen, wenn man das 'drumherum' nicht genau kennt und die Äußerungen nicht anhand objektiver Kriterien kritisch überprüft. Das haben die Grünen aber anscheinend nicht eingeplant; damit ist dieser Schritt überflüssig weil sinnlos.
Ärzte sollen Auskunft geben, welche Folgen bestimmte Regeln der Religionsgemeinschaft haben können. Die Zeugen Jehovas verbieten ihren Mitgliedern unter anderem Bluttransfusionen anzunehmen.
Wie hieß das noch? "Freie Wahl der Behandlung"? Gilt natürlich nicht für Zeugen Jehovas, wenn es nach den Grünen geht.
Im September hatten die Zeugen Jehovas Bürgerschaftspräsident Christian Weber (SPD) per Anwalt aufgefordert, die Anerkennung schnell über die Bühne zu bringen.
Drei Jahre nach Antragstellung ist "schnell" natürlich nicht mehr der korrekte Begriff....

Armes Grundgesetz.
Hinweis: Heute gab es eine Sitzung des Bremer Rechtsausschusses zum Thema:
Tagesordnung Punkt 3

[Update]Die Grünen haben sich mit ihrem Vorschlag auch noch durchgesetzt:
Bericht hier

ein zusätzliche Detail:
Die Grünen wollen ... Fachleute - wie zum Beispiel Sektenbeauftragte - befragen, die über den Inhalt und die Art und Weise dieser Religion Auskunft geben können.
Also nicht nur, dass die Kirchen jetzt bei der "Zulassung" anderer Religionen mitsprechen können, es soll auch noch eine (nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts) unzulässige Beurteilung der Glaubenslehre stattfinden. Ich merke immer mehr, dass Grundgesetz und Verfassungsrechte für die Parteien und Fraktionen immer mehr zum optionalen Detail werden.

Da wir ja hoffen, dass zumindest die Gerichte weiterhin Achtung vor diesen Gesetzen und Rechten haben, wird dies zu einer Verzögerung der Anerkennung führen, während das Ansehen des Grundgesetzes einen weiteren Schlag erleiden wird.

Und noch ein Detail von hier:
Abgeordnete der SPD, der Grünen und der CDU haben allerdings Bedenken und zweifeln etwa an der Toleranzfähigkeit und der Loyalität der Vereinigung gegenüber dem Staat.
"Toleranzfähigkeit" ist natürlich Politikersprache und bedeutet wahrscheinlich so viel wie "passt uns nicht". Und wenn die Mitglieder des "Rechtsauschusses" auch nur so viel Ahnung vom Recht hätten wie ich, wüssten sie, dass das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich entschieden hat, dass Loyalität gegenüber dem Staat kein Erfordernis für die Anerkennung ist. Aber wieso sollte sich der "Rechtsausschuss" schon für Urteile des Verfassungsgerichts interessieren? [/sarkasmus]

grün: Zeugen Jehovas anerkannt
rot: Zeugen Jehovas (noch) nicht anerkannt
(Stand 01.11.2010)

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