Mittwoch, 28. Juli 2010
Dawkins Airlines (I):
Startklar?
Im Kapitel 4 seines Buches "Der Gotteswahn" will Richard Dawkins zeigen, 'warum es mit ziemlicher Sicherheit keinen Gott gibt'. Dazu bedient er sich eines Argumentes, dass er als ultimatives-Boeing-747-Gambit bezeichnet (eine englische Erläuterung, und eine kurze deutsche Zusammenfassung). Der Name lehnt sich an eine Anekdote an, in der Fred Hoyle folgende Bemerkung nachgesagt wird:
Die Wahrscheinlichkeit, dass Leben auf der Erde entsteht, ist nicht größer als die, dass ein Wirbelsturm, der über einen Schrottplatz fegt, rein zufällig eine Boeing 747 zusammenbaut.
Dawkins meint, dass er als Atheist das gerne akzeptieren kann, weil er zeigen kann, dass "Gott" als Alternativhypothese noch unwahrscheinlicher ist.

Ich will sehen, ob es Dawkins gelingt, diesen Nachweis zu führen. Zuerst daher einmal das Argument, wie er es selbst auf Seite 157 beschreibt:
Das Gebilde, das man durch die Berufung auf einen Gestalter erklären will, mag noch so unwahrscheinlich sein, der Gestalter ist es mindestens ebenso. Gott ist die höchste Form der Boeing 747.
Das ganze ist natürlich etwas kurz und damit ohne weitere Hilfe unverständlich. Am Ende des Kapitels auf Seite 222f fasst er sein Argument wie folgt zusammen:
1. Eine der größten Herausforderungen für den menschlichen Geist war über viel Jahrhunderte hinweg die Frage, wie im Universum der komplexe, unwahrscheinliche Anschein von gezielter Gestaltung entstehen konnte.

2. Es ist eine natürliche Versuchung, den Anschein von Gestaltung auf tatsächliche Gestaltung zurückzuführen. Bei Produkten der Menschen, beispielsweise einer Uhr, war der Gestalter tatsächlich ein intelligenter Ingenieur. Man ist leicht versucht, die gleiche Logik auch auf ein Auge, oder einen Flügel, eine Spinne oder einen Menschen anzuwenden.

3. Diese Versuchung führt in die Irre, denn die Gestalterhypothese wirft sofort die umfassendere Frage auf, wer den Gestalter gestaltet hat. Das Problem, von dem wir ausgegangen waren, betraf die Erklärung der statistischen Unwahrscheinlichkeit. Zu diesem Zweck etwas noch unwahrscheinlicheres zu postulieren, ist offenkundig keine Lösung. Wir brauchen keinen "Himmelshaken", sondern eine "Kran-Konstruktion", denn nur der Kran kann die Aufgabe erfüllen, von etwas einfachem auszugehen und dann allmählich auf plausible Weise eine ansonsten unwahrscheinliche Komplexität aufzubauen.

4. Der genialste und leistungsfähigste "Kran", den man bisher entdeckt hat, ist die darwinistische Evolution durch natürliche Selektion. Darwin und seine Nachfolger haben uns gezeigt, wie Lebewesen mit ihrer ungeheuren statistischen Unwahrscheinlichkeit und ihrer scheinbaren Gestaltung sich langsam und allmählich aus einfachen Anfängen heraus entwickelt haben. Heute können wir mit Sicherheit sagen, dass die Illusion der gezielten Gestaltung von Lebewesen ganu das ist: eine Illusion.

5. Einen entsprechenden "Kran" für die Physik kennen wir nicht. Im Prinzip könnte eine Art Multiversumstheorie in der Physik die gleiche Erklärungsarbeit leisten wie der Darwinismus in der Biologie. Auf den ersten Blick ist eine solche Erklärung weniger befriedigend als die biologische Version des Darwinismus, weil sie größere Anforderungen an den Zufall stellt. Aber wegen des anthropischen Prinzips dürfen wir viel mehr Zufall postulieren, als es unserer begrenzten menschlichen Intuition angenehm erscheint.

6.Wir sollten die Hoffnung nicht aufgeben, dass auch in der Physik noch ein besserer "Kran" gefunden wird, der ebenso leistungsfähig ist, wie der Darwinismus in der Biologie. Indes, selbst wenn ein völlig befriedigender, dem biologischen ebenbürtiger "Kran" noch fehlt, sind die relativ schwachen heutigen Kräne der Physik in Verbindung mit dem anthropischen Prinzip ganz offenkundig besser als die Himmelshaken-Hypothese von einem intelligenten Gestalter, die ich selbst widerlegt habe.
Diese These erläutert Dawkins in einem ganzen Kapitel auf über fünfzig Seiten. Ich will (nacheinander) die grundlegenden Elemente seiner Argumentation nachvollziehen.

Gott und Unwahrscheinlichkeit

Ein wesentlicher Bestandteil der Argumentation besteht darin, dass ein Schöpfer unwahrscheinlicher sein muss als das von ihm geschaffene. Dawkins führt dies auf Seite 166 wie folgt aus:
[die intelligente Gestaltung] ist für das Rätsel der statistischen Unwahrscheinlichkeit keine Lösung. Und je größer die Unwahrscheinlichkeit, desto unplausibler wird die intelligente Gestaltung. Bei genauer Betrachtung führt die These von der intelligenten Gestaltung nur zu einer Verdoppelung des Problems, denn, um es noch einmal zu sagen, der Gestalter [...] wirft sofort die weitergehende Frage nach seiner eigenen Entstehung auf. Ein Etwas, das etwas so unwahrscheinliches wie die Pfeifenwinde (oder ein Universum) intelligent gestalten kann, muss noch unwahrscheinlicher sein als die Pfeifenwinde.
Ich will an dieser Stelle so tun, als würde ich diese Argumentation akzeptieren (obwohl ich das in mehreren Punkten nicht tue) und sehen, ob das zur Schlussfolgerung führt: Gott ist so unwahrscheinlich, dass er als Erklärung nicht sinnvoll ist. Dabei muss ich ein paar Annahmen ernst nehmen, die eindeutig meiner Weltsicht widersprechen. Aber ein Nachweis, dass ein Argument IN SICH unschlüssig ist, ist besser, als wenn man erst einmal an den Prämissen eines Argumentes "herummäkelt".

Dawkins übersieht bei diesem Argument einen Punkt, den er in anderem Zusammenhang kennt: dass (Un-)Wahrscheinlichkeit alleine nicht so viel bedeutet. Wenn es um die zufällige Entstehung des Lebens geht, dann weiß er (Seite 193):
[...]so gelangen wir für die Zahl der Planeten, die im Universum zur Verfügung stehen, zu einer vorsichtigen Schätzung von einer Milliarde Milliarden. [...] Angenommen, [die spontane Entstehung von Leben] ist so unwahrscheinlich, dass [sie] sich nur auf einem unter einer Milliarde Planeten ereignet. [...] Und doch, selbst bei einer derart absurd geringen Wahrscheinlichkeit wäre immer noch auf einer Milliarde Planeten Leben entstanden
Dawkins ist sich also bewusst, dass die Wahrscheinlichkeit EINES Ereignisses nicht ausschlaggebend ist; viel wichtiger ist die Frage: wie viele Versuche stehen zur Verfügung. Dembski nannte dies probabilistische Ressourcen. Wichtig neben der Wahrscheinlichkeit ist außerdem, wie viele Versuche zur Verfügung stehen und wie viele mögliche Treffer es gibt. Ein Beispiel: Die Wahrscheinlichkeit mit einem normalen Würfel zehnmal hintereinander eine "6" zu würfeln ist ungefähr 1,65x10-8 oder 1 zu 60 Millionen. Wenn ich aber hunderttausend mal versuchen darf, zehn mal zu würfeln, dann wird das ganze natürlich wahrscheinlicher Und wenn ich dann die möglichen Treffer vermehre, indem ich nur noch irgendeine Reihe von zehn gleichen Würfen verlange (also z.B. zehnmal die "1" oder die "2" ...), dann wird das ganze noch sechsmal wahrscheinlicher. Ich habe dann eine Wahrscheinlichkeit von ca. 1/100. Wenn ich also oft genug versuchen darf, dann werden auch unwahrscheinliche Ereignisse wahrscheinlich.

Das ist ein entscheidender Fehler in Dawkins' Argument, da er genau diese Rechnung nicht macht, wenn es um die "Wahrscheinlichkeit Gottes" geht. Daher will ich dies für ihn mal nachvollziehen; sein Argument lautet so:

p(Gott) < p(Schöpfung)

Wir müssen aber die Anzahl der Versuche m und die Anzahl der Treffermöglichkeiten n einrechnen:

mG x nG x p(Gott) < mS x nS x p(Schöpfung)

wobei gilt:
p: Wahrscheinlichkeit
mG: Anzahl der Versuche zur spontanen Entstehung Gottes (wie oft?)
nG: Anzahl der verschiedenen Möglichkeiten zur Entstehung Gottes (wie viele verschiedenen möglichen Götter?)
mS: Anzahl der Versuche zur spontanen Entstehung der verschiedenen Lebensformen (wie oft konnte der Zufall "versuchen" eine Lebensform zu "produzieren"?)
nS: Anzahl der verschiedenen Möglichkeiten zur Entstehung von Lebensformen (also wie viele mögliche Lebensformen gibt es?)

(Und ja, ich weiß, dass dies nur näherungsweise gilt, solange p << 1)

Dies funktioniert aber nur dann, wenn gilt:


mG x nG < mS x nS x p(Schöpfung) / p(Gott)

Wenn also mG x nG groß genug ist, dann stimmt die Ungleichung nicht mehr und das ganze Argument ist futsch.

Was heißt das auf deutsch? Dass man zwingend nachschauen muss, wie groß die Anzahl der möglichen Versuche und der möglichen Treffer ist. Bei Lebewesen ist das noch prinzipiell möglich: wir könnten theoretisch abschätzen, wie viele mögliche Arten von Leben es im Universum geben könnte und wie viele Versuche zur spontanen Entstehung es geben könnte. Die Frage, wie viele mögliche Wege es gibt, Gott spontan entstehen zu lassen und wie viele Versuche dazu, ist gelinde gesagt, ziemlich unbekannt.

Dawkins hat diese Frage nicht angesprochen. Er scheint also davon ausgegangen zu sein, dass m,n jeweils gleich groß sind, bzw. dass
mG x nG kleiner ist als
mS x nS . Können wir aber davon ausgehen? Wohl kaum. Die spontane Entstehung irdischen Lebens muss zwangsläufig IN unserem Universum ablaufen, die "Entstehung eines Schöpfergottes" zwangsläufig außerhalb des Universums, dass er erst nach seiner "Entstehung" erschaffen wird. Und damit kann man absolut nicht sagen, ob die "Wahrscheinlichkeit Gottes" im Vergleich zur "Wahrscheinlichkeit der Schöpfung" größer oder kleiner ist. Falls es wesentlich mehr mögliche Versuche für Gott außerhalb des Universums als mögliche Versuche für Lebewesen innerhalb des Universums, dann ist Gott wahrscheinlicher als die Schöpfung unabhängig davon, wie groß die einzelne Wahrscheinlichkeit ist.

Wie gesagt, eigentlich akzeptiere ich das ganze Argument nicht, aber ist doch schön zu sehen, dass ich mich darüber gar nicht streiten muss, da das Argument nicht in sich schlüssig ist.

Ich denke aber, dass dies nicht das einzige Problem an Dawkins' Argument ist. Dazu mehr in meinem (irgenwann demnächst) folgenden Beitrag.

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