Dienstag, 11. Oktober 2011
Α + Ω = Gott
Beweist Offenbarung 22,13, dass Jesus Gott ist?
Dieser Text wird öfter benutzt, um zu zeigen, dass Jesus Gott ist. Die dahinter stehende Argumentation wird auf dieser Seite wie folgt zusammengefasst:
Oder vergleiche Offenbarung 1,8 mit Offenbarung 22,13. Alpha und Omega sind der erste und letzte Buchstabe des griechischen Alphabets. Diesen Titel gebraucht in Offenbarung 1,8 "der Herr, Gott, der ist und der war und der kommt, der Allmächtige". Diesen Titel gebraucht in Offenbarung 1,8 "der Herr, Gott, der ist und der war und der kommt, der Allmächtige". In Offenbarung 22,13 wird aber genau der gleiche Titel von Jesus gebraucht, vgl. im selben Kontext Offenbarung 22,16: "Ich, Jesus, habe...."
Auch evangelische Kirchengemeinden unterstützen den zentralen Punkt dieses Argumentes:
Alpha und Omega sind der erste und der letzte Buchstabe des griechischen Alphabets. „Ich bin das A und das O, der Erste und der Letzte, der Anfang und das Ende" sagt Jesus von sich (Offenbarung 22,13) im Buch der Offenbarung des Johannes.
Daher stelle ich einfach mal die Frage: wie stichhaltig sind diese Behauptungen? Behauptet Jesus von sich selbst, dass er "das Alpha und das Omega"1 sei? Setzt er sich damit Gott gleich? Oder gibt es noch eine sinnvollere Erklärung?

Schauen wir uns als erstes die angeführten Bibeltexte in der Elberfelder Bibel an:
Offenbarung 1,8: Ich bin das Alpha und das Omega, spricht der Herr, Gott, der ist und der war und der kommt, der Allmächtige.

Offenbarung 22,13: Ich bin das Alpha und das Omega, der Erste und der Letzte, der Anfang und das Ende.
Vorab eine kleine Anmerkung: Satzzeichen wie z.B. das Anführungszeichen gehören nicht zum griechischen Grundtext der Bibel sondern wurden bzw. werden von Bearbeitern und Übersetzern nach ihrem jeweiligen Textverständnis als Hilfe für die Leser hinzugefügt. Aus den Satzzeichen kann man daher nicht ablesen, was der ursprüngliche Autor gemeint hat, sondern wie der entsprechende Übersetzer den Text versteht. Meist ist es sehr wahrscheinlich, dass der Übersetzer richtig "geraten" hat, da die griechische Grammatik nur ein Verständnis und damit eine Zeichensetzung erlaubt. Es gibt aber einige Stellen, wo dies nicht so einfach ist. Offenbarung 22 gehört hierzu.

Verständnisfalle Übersetzung

Im obigen Text fällt zu erst einmal auf, dass in 1,8 ausdrücklich gesagt wurde, dass Gott das "Alpha und Omega" ist2, während in 22,13 kein Name mit diesem Titel verbunden ist. Woher also weiß man, dass Jesus derjenige ist, der diese Worte äußert? Wenn man Bibeln wie die "Gute Nachricht", die "Neue Genfer Übersetzung" oder Hoffnung für alle liest, dann scheint der Fall klar zu sein. Schauen wir uns den Text einmal im Kontext ab Vers 10 an:
HfA: Dann sagte Jesus zu mir: "Halte die prophetischen Worte nicht geheim, die du aufgeschrieben hast, denn bald wird alles in Erfüllung gehen. Wer dennoch weiter Unrecht tun will, der soll es tun. Wer mit Schuld beladen bleiben will, der soll es bleiben. Doch wer ein Leben führt, wie es Gott gefällt, der soll weiterhin so leben. Und wer Gott gehört, der soll bei ihm bleiben. Macht euch bereit! Ich komme schnell und unerwartet und werde jedem den verdienten Lohn geben. Ich bin der Erste und der Letzte, der Anfang und das Ziel, das A und das O.

NGÜ: Weiter sagte der Engel zu mir: »Versiegle dieses Buch nicht! Halte seine prophetische Botschaft nicht geheim! Denn was hier angekündigt ist, wird sich bald erfüllen. Wer Unrecht tut, mag weiter unrecht tun, und wer an Unreinheit Gefallen hat, mag sich weiter verunreinigen. Wer aber so handelt, wie es recht ist, soll weiterhin das Rechte tun, und wer ein geheiligtes Leben führt, soll weiterhin so leben, wie es Gott gefällt.« »Ja, ich komme bald«, ´sagt Jesus,` »und bringe jedem den Lohn mit, den er für sein Tun verdient hat. Ich bin das A und das O, der Erste und der Letzte, der Ursprung und das Ziel ´aller Dinge`.«

GN: Dann sagte Jesus zu mir: »Du darfst das Buch, in dem diese prophetischen Worte stehen, nicht für später versiegeln; denn die Zeit ihrer Erfüllung ist nahe. Wer Unrecht tut, mag es weiterhin tun. Wer den Schmutz liebt, mag sich weiter beschmutzen. Wer aber recht handelt, soll auch weiterhin recht handeln. Und wer heilig ist, soll weiter nach Heiligkeit streben. Gebt Acht, ich komme bald, und euren Lohn bringe ich mit. Jeder empfängt das, was seinen Taten entspricht. Ich bin das A und das O, der Erste und der Letzte, der Anfang und das Ende.
Ist damit alles klar? Nein! Denn man sieht hier deutlich, dass die unterschiedlichen Übersetzungen "Jesus" an unterschiedlichen Stellen zu stehen haben; eine Übersetzung schreibt sogar "der Engel", wo die anderen "Jesus" zu stehen haben (siehe farbige Markierungen oben). Der Grund dafür ist einfach: im griechischen Grundtext steht dort nicht "Jesus" sondern einfach "er". Die Übersetzer haben dort "Jesus" hinzugefügt. Zwei der Übersetzungen (GN, HfA) machen diese Einfügung für den Leser nicht einmal kenntlich. Und es ist natürlich möglich, dass die Übersetzer hier etwas falsch verstanden haben. Daher können wir den Wortlaut dieser Übersetzungen hier nicht als Beweis verwenden, da wir ansonsten das, was die Internetseite oben beweisen will, einfach als richtig vorausgesetzt würde, denn die Übersetzer fügen "Jesus" ja deshalb ein, da sie von der Richtigkeit der Dreieinigkeit überzeugt sind; das könnte dann aber kein gültiger Beweis dafür sein, dass Jesus Gott ist, da dies bereits Grundlage der Übersetzungsentscheidung war.

Denn der Bibeltext sagt nicht ausdrücklich, wer hier spricht, sondern überlässt es dem Leser, dies selbst herauszufinden. Erst wenn wir also einen unabhängigen Hinweis fänden, könnten wir annehmen, das hier wirklich Jesus sprechen muss. Wenn wir hingegen einen Hinweis fänden, dass in Vers 13 jemand anders als Jesus redet, dann kann der Text kein Beweis für die Dreieinigkeit oder die Gottheit Jesu sein.

Offenbarung 22,16 als Beweis?

Daher wird in der zu Anfang zitierten Internetseite auch Offenbarung 22,16 verwendet, um nachzuweisen, dass Jesus in Vers 13 derjenige ist, der redet. Schauen wir uns dies einmal in der Elberfelder Bibel an:
Ich bin das Alpha und das Omega, der Erste und der Letzte, der Anfang und das Ende. Glückselig, die ihre Kleider waschen, damit sie ein Anrecht am Baum des Lebens haben und durch die Tore in die Stadt hineingehen! Draußen sind die Hunde und die Zauberer und die Unzüchtigen und die Mörder und die Götzendiener und jeder, der die Lüge liebt und tut. Ich, Jesus, habe meinen Engel gesandt, euch diese Dinge für die Gemeinden zu bezeugen. Ich bin die Wurzel und das Geschlecht Davids, der glänzende Morgenstern.
Es ist klar, dass Jesus an der Stelle redet, wo "Ich, Jesus..." vorkommt. Was ist aber mit dem Teil davor? Redet dort auch Jesus oder jemand anders? Es gibt zwei Hinweise (oder drei, je nachdem, wie man zählt), die darauf hinweisen, dass von Vers 13 bis 15 (und möglicherweise bereits ab Vers 10) Gott selber redet. Der erste Hinweis betrifft die Selbstidentifizierung des "Alpha und Omega", der zweite die Benutzung des Wortes "ich" in der Offenbarung.

Wie bereits oben gezeigt, wird in Offenbarung 1,8 Gott (der Vater) als das "Alpha und Omega" identifiziert, während im Kontext Jesus als weitere, getrennte Person vorgestellt wird; wenn also im weiteren Text vom "Alpha und Omega" die Rede ist, dann ist es natürlich, dieses mit Gott zu identifizieren und nicht mit Jesus, es sei denn, man würde einen besonderen Hinweis finden, dass Jesus gemeint sein muss. Gibt es derartige Hinweise?

Ausdrücke, die eine Identifizierung erlauben

Schauen wir uns die Verse 13-15 genauer an: Der Sprecher identifiziert sich als "Anfang und Ende", eine Bezeichnung, die nur noch ein weiteres mal in Offenbarung vorkommt, und in Offenbarung 21,6 auf den, "der auf dem Thron sitzt", bezogen wird, was nach dem Zusammenhang von Offenbarung 21 Gott sein muss und nicht Jesus. Außerhalb der Offenbarung kommt dieser Ausdruck in der Bibel nicht vor. Also identifiziert dieser Ausdruck alleine "das Alpha und das Omega" zusätzlich als Gott.

Weiterhin benutzt der Redner in Offenbarung 22,13 den Ausdruck "der erste und der letzte", um sich selbst zu bezeichnen. Dieser Ausdruck wird in ähnlicher Form in Offenbarung 1,17 und 2,8 für Jesus benutzt. Im Unterschied zu Offenbarung 22 benutzt Jesus diese Worte, um auf seinen Tod und seine Auferstehung hinzuweisen, während sie in Offenbarung 22,13 als Erklärung zu "Alpha und Omega benutzt werden. Der Ausdruck "der erste und der letzte" kommt im Buch Jesaja noch dreimal vor, nämlich in Jesaja 41,4; 44,6; 48,123a. Hier bezeichnet er Gott, Jehova, den Vater Jesu. Dies wird besonders im Kontext von 48,12 deutlich, da dort gesagt wird, dass es sich um den Gott Israels handelt, womit nicht Jesus gemeint sein kann. Daher kann man diesen Ausdruck nicht verwenden, um in Offenbarung 22,13 den Sprecher zu identifizieren.

Weiterhin sagt in Offenbarung 22,12 der Sprecher von sich: "Siehe, ich komme bald und mein Lohn mit mir, um einem jeden zu vergelten, wie sein Werk ist." In Offenbarung wird sowohl von Gott als auch von Jesus gesagt, dass sie kommen würden3. Daher kann auch dieser Ausdruck nicht verwendet werden, um den Sprecher zu identifizieren. Der Ausdruck "vergelten nach ihrem Werk" wird allerdings in der Bibel häufiger verwendet und zwar von Gott, Jehova. Wir finden diesen Ausdruck in Psalm 28,4; 62,13; Jeremia 25,14; Klagelieder, 3,64; Römer 2,5.64.

Demnach weisen zwei der Ausdrücke aus Offenbarung 22,12.13 eindeutig auf Jehova, während zwei weitere sowohl Gott als auch Jesus bezeichnen können. In der Gesamtheit weist das natürlich darauf hin, dass hier Gott gemeint sein muss und nicht Jesus.

"Ich, Jesus ..."

Einen zweiten Hinweis können wir der Benutzung des Wortes "ich" in direkter Rede in der Offenbarung entnehmen. In der Offenbarung kommt drei mal die Wendung "ich + Eigenname" vor, und zwar neben 22,16 ("ich, Jesus...") in 1,9 ("ich, Johannes...") und 22,8 ("ich, Johannes..."). Interessanterweise wird diese Wendung jedes mal benutzt, wenn der Redner wechselt, ohne dass dies aus dem Wortlaut sofort eindeutig hervorgeht. Demnach handelt es sich hierbei um ein Stilmittel, das hilft, den Rednerwechsel in einem Text zu identifizieren, der keine Satzzeichen kennt. Und daher kann man davon ausgehen, dass auch in Offenbarung 22,16 der Ausdruck "ich, Jesus..." auf einen Wechsel des Sprechers hinweist, und dann muss vorher natürlich jemand anders gesprochen haben, nämlich Gott.

Fazit

Wenn man also Offenbarung 22,13 in seinem Kontext liest, dann gibt es keinen Grund, die Identifizierung vom "Alpha und Omega" mit Gott, die in Offenbarung 1,8 vorgenommen wurde, hier zurückzuweisen. Alles, was gesagt wird, passt hierzu. Die Idee, dass Jesus hier spricht, lässt die oben angesprochenen Punkte unerklärt: Es werden Ausdrücke verwendet, die sonst nie von Jesus verwendet werden wie "Anfang und Ende" oder "der jedem nach seinem Werk vergilt", der Ausdruck "Alpha und Omega" wird sonst auch nicht für Jesus benutzt und der Ausdruck "ich, Jesus..." weist darauf hin, dass in den Versen vorher eben nicht Jesus sondern ein anderer sprach.

Falls also jemand meint, mit diesem Text erklären zu können, dann sollte er erst einmal eine gute Erklärung hierfür finden. Leider passiert das in meiner Erfahrung nicht; stattdessen wird immer wieder versucht, von genau diesen Punkten abzulenken.
1 Alpha und Omega sind der erste und letzte Buchstabe im griechischen Alphabet.

2 Offenbarung 1,4.5 zeigt auch im Kontext von Vers 8, dass "der ist und der war und der kommt" nicht Jesus Christus ist. Da im Vers 8 "das Alpha und das Omega" der gleiche ist, der im Vers 4 bereits erwähnt wurde, kann es sich nicht um Jesus handeln, da dieser im Vers 5-7 ausdrücklich als zusätzliche Person neben dem, "der ist und der war und der kommt" genannt wird.

3 Von Gott wird dies z.B. in Offenbarung 1,8 gesagt.

3a Eine Erklärung, dass "Jehova" im AT und "Jesus" im NT zwei unterschiedliche Personen sind, habe ich in diesen Artikeln gegeben: Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4.

4 In 2.Timotheus 2,14 wird der "Herr" als derjenige identifiziert, der vergilt, dieser Ausdruck kann sich auf Jesus und Jehova beziehen und kann daher ebenfalls nicht zur Identifizierung herangezogen werden. Dieser Text bezieht sich außerdem im Gegensatz zu den o.g. nicht auf "jeden" oder "alle", denen vergolten wird, sondern auf eine Einzelperson.

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