Freitag, 3. Februar 2012
[1] Malawi und Mexiko: Das Problem
Es ist kein Geheimnis, dass Zeugen Jehovas im Internet intensiv kritisiert werden, weil sie in den sechziger und siebziger Jahren in Malawi das Opfer von Repressionen wurden.

Genau, du liest korrekt: kritisiert wird nicht die Regierung, die seine Einwohner ermordete, folterte, vergewaltigte und vertrieb, oder falls doch dann lediglich in einem Nebensatz, bevor man zur eigentlichen Kritik kommt: die Leitung der Zeugen Jehovas, die (angeblich!) ihre Gläubigen in eine Opferrolle drängte und daher für das Geschehen mit verantwortlich sein soll. Einige Kritiker gehen sogar so weit, der Leitung der Zeugen die "alleinige Verantwortung" für Verfolgung und Tod der Gläubigen anzulasten. Ich will heute versuchen, genau darzustellen, welche Fragen in diesem Zusammenhang interessant sind. Demnächst geht es dann weiter mit der Beantwortung der Fragen.

Malawi
(Bildquelle: wikimedia)
Einige, die diesen Vorwurf machen, deuten dann an, dass der Grund für dieses Verhalten in einer rassistischen Einstellung der leitenden Körperschaft (so wird die geistliche Leitung der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas genannt) zu suchen ist- es wird unterstellt, dass afrikanische Gläubige für sie "weniger wert" gewesen seien.

Andere deuten an, dass die leitende Körperschaft es sich in Amerika gut gehen ließ und die Situation in Malawi absichtlich auf dem Rücken der Gläubigen eskalieren ließ, um dann die Opfer für eigene Propagandazwecke zu nutzen. Der leitenden Körperschaft wird vorgeworfen, dass sie mit ein wenig gutem Willen ohne Probleme eine Konfliktlösung hätte finden können, die es den Gläubigen erlaubt hätte, einerseits mit gutem Gewissen als Christen zu leben, andererseits aber auch in gutem Einvernehmen mit der Regierung auszukommen.

Andere gehen in ihrer Kritik weiter und werfen der leitenden Körperschaft eine dreiste Doppelmoral vor, da sie angeblich in Malawi viel strengere und unnachgiebigere Maßstäbe anwendete als in anderen Fällen, die (angeblich) vergleichbar waren. Als "Paradebeispiel" dient hier in den meisten Fällen das Vorgehen der Zeugen Jehovas in der Frage der Wehrdienstverweigerung und anderer Probleme mit dem Staat in Mexiko, die zur gleichen Zeit aktuell war wie die Verfolgung in Malawi. Angeblich hat die leitende Körperschaft hier nämlich einen ganz anderen Maßstab zur Beurteilung der Lage benutzt als in Malawi. Die "Handlungsanweisungen" an die Gläubigen in den Mexiko spiegeln angeblich diese andersartigen Beurteilung wieder.

Es wird unterstellt, dass die "biblische Begründung", die die leitende Körperschaft für ihre "Handlungsanweisungen" in den genannten Fällen gab, einfach nur vorgeschoben waren; in Wirklichkeit sollen ganz andere Interessen (nämlich Macht und Geld) die Entscheidungen der leitenden Körperschaft beeinflussen, während die "biblischen Begründungen" sich diesen Interessen unterordnen, und anders lauten, je nachdem, welche sonstigen Interessen gerade für "die da oben" wichtig sind. Mit anderen Worten: Man darf nicht glauben, was man im Wachtturm liest, weil das, was man dort findet einfach nur ein Manipulationsversuch der "Führung" ist.

Eine ganze Reihe ehemaliger Zeugen Jehovas äußert sich im Internet hierüber und gibt an, dass diese Kritik in ihnen Zweifel daran weckte, dass Zeugen Jehovas wirklich christlich handeln und für viele war diese Frage der Knackpunkt, der sie dazu brachte, sich von den Zeugen Jehovas zu trennen.

Die Quellen

All das ist für mich Anlass, mich einmal näher mit dem Thema zu beschäftigen. Wenn die geschilderten Kritikpunkte halbwegs korrekt sein sollten, dann ist der einzelne Zeuge Jehovas in ständiger Gefahr, durch die Manipulation seiner "Führer" in Lebensgefahr zu kommen. Wenn andererseits die Vorwürfe falsch sein sollten, dann ist es gut möglich, dass in Wirklichkeit eine große Zahl ehemaliger Zeugen Jehovas durch haltlose Kritik manipuliert wurde, ihren früheren Glaubensbrüdern (insbesondere der leitenden Körperschaft) zu misstrauen. Es besteht also die Möglichkeit, dass die Kritik in dieser Frage ein gezielter Versuch ist, Mitglieder der Zeugen Jehovas zu verunsichern und sie emotionell und gedanklich aus der Glaubensgemeinschaft zu lösen.

Wenn man also die Frage zuspitzen will, dann kann man sie so formulieren: Wer versucht hier zu manipulieren, die leitende Körperschaft der Zeugen Jehovas oder die Kritiker?

Aus dieser Frage ergibt sich gleich das erste Problem: Auf welche Quellen soll man sich stützen? Denn je nach Ergebnis der Untersuchung ergibt sich ja, dass man einem Teil der Quellen gar nicht vertrauen kann; überspitzt formuliert: entweder der Wachtturm lügt oder die kritischen Berichte im Internet. Wenn man aber diese Berichte benutzt, um sich ein Bild zu machen, dann besteht die Gefahr, dass man sich von einer der Seiten manipulieren lässt und daher die Darstellung der anderen Seite als unglaubwürdig verwirft, ohne dass man eine entsprechende Grundlage dafür hat.

Glücklicherweise sind wir heutzutage in der glücklichen Lage, dass das Internet uns jede Menge Berichte ins Haus liefert, bei denen wir davon ausgehen können, dass sie in unserer Fragestellung keine Position vertreten und daher auch nicht uns versuchen, für oder gegen die Zeugen Jehovas zu manipulieren. Ich habe folgende Quellen gefunden, die ich erst einmal vorstellen will.

Auf der Seite der Menschenrechtsorganisation Humans Right Watch konnte ich einen Bericht aus dem Jahr 1989 finden, der das Land und die Lage gegen Ende der Ära Banda beschreibt aber auch auf die Entwicklungen der vorhergehenden Zeit eingeht.

Banknote mit Bild von Präsident Banda
Richard Carver hat das Buch "Where silence rules: the suppression of dissent in Malawi" ("Wo das Schweigen herrscht: Die Unterdrückung von Abweichung in Malawi") im Jahr 1990 ebenfalls für Human Rights Watch geschrieben. In diesem Buch wird die politische Entwicklung Malawis seit Ende der Kolonialherrschaft beschrieben sowie die Herrschaftsstrukturen, die Präsident Banda über knapp dreißig Jahre verwendete, um seine Herrschaft zu sichern. Das Buch hat den weiteren Vorteil dass es zu einer Zeit geschrieben wurde, als die Vorgänge noch im wesentlichen aktuell waren; daher enthält es eine große Menge Fallbeispiele, die es ermöglichen, sich ein Bild vom Leben im damaligen Malawi zu machen. Der Hintergrund des Autors sorgt dafür, dass Menschenrechte und ihre Verletzung einen prominenten Platz in diesem Werk einnehmen. Da die behandelten Themen sehr wichtig für meine Fragestellungen sind, werde ich mich im folgenden häufig auf dieses Buch beziehen.

Ein weiteres interessantes Buch zum Thema trägt den Titel: "Political culture and nationalism in Malawi: building Kwacha" ("Politische Kultur und Nationalismus in Malawi: Der Aufbau von Kwacha"); es wurde von Joey Powers im Jahr 2010 geschrieben. Aufgrund des Erscheinungsdatums ist das Buch im wesentlichen auf Archive und auf Erinnerungen gestützt. Der Schwerpunkt des Buches liegt hier mehr auf den internen Geschehnissen der Malawi Congress Party, die in den sechziger Jahren dazu führten, dass Banda seine Herrschaft etablieren konnte. Obwohl ich hier auch einiges interessante finden konnte, liegt der Schwerpunkt des Buches also bei Vorgängen, die nicht ganz so wichtig für unsere Frage sind: Die Verfolgung der Zeugen Jehovas begann erst, nachdem Bandas Herrschaft gesichert war.

Außerdem habe ich noch folgende Quellen gefunden, die zwar nur wenige Details beitragen, die ich aber trotzdem wenigstens nennen will: Natürlich enthält der Wachtturm und Erwachet! eine Menge von Artikeln zum Thema, insbesondere auch aus der Zeit, als Zeugen Jehovas in Malawi verfolgt wurde. Allerdings hat es wenig Sinn, sich auf Quellen zu stützen, deren Glaubwürdigkeit gerade erst geprüft werden soll. Daher werde ich Wachtturm-Artikel (wenn überhaupt) lediglich benutzen, um festzustellen, was Zeugen Jehovas zu bestimmten Fragen sagen. Damit will ich auf keinen Fall sagen, dass diese Artikel irgendwie unglaubwürdig sind (sie enthalten mit die besten Informationen über die Vorgänge in Malawi, die es gibt), sondern dass sie für die hier gestellten Fragen nicht als Autorität benutzt werden können, da die Personen in Frage gestellt sind, die hinter der Zeitschrift stehen.

Da ich an dieser stelle der einzige bin, der bereits weiß, zu welchem Ergebnis ich kommen werde, habe ich auch gute Gründe, die Vorwürfe der Kritiker nicht zu verlinken. Im Laufe dieses und der folgenden Artikel werde ich diese Gründe dann nach und nach erläutern, wenn die zugrunde liegenden Fakten dargelegt sind.

Die Fragestellung

Nun ist es an der Zeit, dass ich meine eigentliche Fragestellung formuliere. Die erste wichtige Frage lautet: Mit was für einem Staat haben wir es überhaupt zu tun? Worin lag das Problem, das Ursache für die Verfolgung der Zeugen Jehovas war? Hätten Zeugen Jehovas dieses Problem umgehen können, ohne an ihren Prinzipien etwas zu ändern? Wie sieht die Angelegenheit aus säkularer Sicht aus? War die Verfolgung der Zeugen Jehovas gerechtfertigt? Haben Zeugen Jehovas sinnlos aufgrund eigener Dummheit gelitten oder muss man das Versagen an anderer Stelle suchen? Wenn das geklärt ist, kann man beurteilen, wer Schuld hatte an der Verfolgung und ob die leitende Körperschaft sich hier an die eigenen Grundsätze hielt oder nicht.

Hierzu gehört es dann auch, dass ich mir Gedanken darüber mache, in welche (weltanschauliche) Ecke man sich stellen muss, wenn man Zeugen Jehovas in dieser Frage kritisieren bzw. verteidigen will. Interessant dabei ist insbesondere, dass man sich eindeutig in Bezug auf die Menschen- und Freiheitsrechte positionieren muss, wenn man Position bezieht in der Malawi-Frage. Meines Wissens hat sich diese Frage noch niemand im Internet gestellt.

Der nächste Fragenkomplex betrifft den Vergleich zwischen dem, was die leitende Körperschaft der Zeugen Jehovas in Malawi und in Mexiko machte. Die erste Frage lautet natürlich, was sie genau in Mexiko taten und wie die Situation im Lande war. Das wird nicht so einfach, da die Quellenlage hier leider nicht so gut ist. Deswegen muss ich wahrscheinlich auch einige "parteiische Quellen" etwas genauer analysieren. Danach muss ich klären, ob die Situation in Mexiko mit der in Malawi vergleichbar war und wenn ja, wie. Außerdem ist wichtig, welche Glaubensgrundsätze in den jeweiligen Situationen zum Tragen kamen, ob diese in beiden Situationen unterschiedlich ausgelegt wurden und ob die leitende Körperschaft gegen diese Grundsätze verstieß.

Auch hier ist wieder am Ende die Frage interessant, wie man sich zu Menschen- und Freiheitsrechten positionieren muss, um eine bestimmte Position in unserer Frage glaubwürdig vertreten zu können.

[Fortsetzung]

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