Dienstag, 26. Januar 2010
Von Haus zu Haus - Apostelgeschichte 20,20
Zeugen Jehovas sind dafür bekannt, dass sie an (fast) alle Türen klopfen oder dort klingeln. Sie selber nennen dies "von-Haus-zu-Haus"-gehen nach einem Ausdruck, der in der Neuen-Welt-Übersetzung in Apostelgeschichte 5,42; 20,20 zu finden ist. Das wird u.a. von D. Hellmund in seinem Aufsatz in dem "Materialdienst des ezw" vom Januar 2006 kritisiert als 'peinliche Eintragung von Ausdrücken, die dem internen Sprachgebrauch entsprechen'. Ist dem so?
Häufig endet das Predigen von Haus zu Haus an der Wechselsprechanlage

Was sagen andere Bibelübersetzungen?

Andere englische Bibelübersetzungen benutzen interessanterweise den gleichen Ausdruck bereits seit Jahrhunderten. Schon in der King-James-Bibel ging Paulus "from house to house". Auch moderne Übersetzungen wie die NIV, TNIV, NIRV benutzen hier den gleichen Ausdruck. Deutsche Bibeln hingegen benutzen seit jeher den Ausdruck "in den Häusern" oder ähnlich.

Mit anderen Worten, der Verdacht, dass die NWÜ hier abweichend übersetzt, kann im Englischen gar nicht aufkommen, da sich die die NWT hier in guter Gesellschaft vieler "Mainstream"-Übersetzungen befindet. Von daher liegt hier eher ein Gegensatz zwischen deutscher und englischer Übersetzungstradition vor als in Bezug darauf, ob dieser Ausdruck von Zeugen Jehovas in die Bibel hineingedichtet wurde.

Interessanterweise geben die NGÜ und NL in einer Fußnote zu Apostelgeschichte 5,42 ebenfalls die alternative Übersetzungsmöglichkeit "von Haus zu Haus" an. Die Zürcher Bibel gibt Apostelgeschichte 20,20 ebenfalls mit "von Haus zu Haus" wieder. Im "exegetischen Wörterbuch zum Neuen Testament", 2. Ausgabe, Band 2, Spalte 625 wird der gleiche Ausdruck mit "Haus für Haus" wiedergegeben. Auch das bestätigt, dass es sich bei diesem Ausdruck offensichtlich nicht um eine Erfindung von Zeugen Jehovas handeln kann.

Weitere Beispiele findet man inzwischen in den Kommentaren unten, die bereits Beispiele aus dem 18. Jahrhundert enthalten. Vielen Dank für das eifrige heraussuchen.

Was ist der Hintergrund?

Warum wird dieser Ausdruck so unterschiedlich übersetzt? Das hat den einfachen Grund, dass im griechischen Grundtext nicht der Ausdruck "en oikois" steht, den man einfach mit "in [den] Häusern" übersetzen kann, sondern die Ausdrücke "kat' oikon" (Singular) bzw. "kat'oikous" (Plural). Dieser Ausdruck wird meist distributiv verwendet (d.h. "verteilend"). Im deutschen gibt es keine entsprechende sprachliche Kategorie, daher müssen wir diesen Sinn umschreiben.

Hierzu ein paar Beispiele aus anderen Bibelübersetzungen mit der gleichen grammatischen Konstruktion:

Lukas 8,1: nacheinander Städte und Dörfer, von Stadt zu Stadt und von Dorf zu Dorf

Matthäus 24,7: an vielen verschiedenen Orten, hier und dort, an einem Ort nach dem anderen

Apostelgeschichte 27,5: [die Küste von] Zilizien und Pamphilien entlang, d.h. an einem Küstenabschnitt nach dem anderen entlang

Apostelgeschichte 15,21: in allen Städten, überall (hierfür kann der Singular verwendet werden, da der distributive Sinn klar macht, dass viele Städte gemeint sind), in jeder Stadt

Diese Beispiele machen klar, dass die dieser griechische Ausdruck eine Bedeutungskomponente enthält, die im deutschen umschrieben werden muss: es ist die Rede von vielen Einzelelementen einer Gruppe oder eines größeren ganzen, die jeweils einzeln angesprochen werden.

Und damit ist klar, dass die Übersetzung "von Haus zu Haus" einen Versuch darstellt, diesen Sinn im deutschen zu umschreiben. Und es kann natürlich sein, dass es möglich ist, eine andere oder bessere Umschreibung zu finden. Allerdings begnügen sich die meisten damit, das ganze Problem komplett zu ignorieren.

Und was ist mit Apostelgeschichte 2,46?

Hier gibt die NWÜ den griechischen Ausdruck "kat' oikon" mit "in Privathäusern" wieder. In der Fußnote heißt es dazu:
Od.: „von Haus zu Haus“. Gr.: kat’ óikon. Siehe 5:42, Fn. („Haus“).
Offensichtlich weisen die Übersetzer darauf hin, dass hier im griechischen der gleiche Ausdruck vorkommt. Sie haben sich aber entschlossen, diesen Ausdruck hier anders zu übersetzen; warum?

Wie bereits gesagt, hat der griechische Ausdruck keine direkte deutsche Entsprechung und muss daher umschrieben werden. Derartige Umschreibungen sind naturgemäß vom Kontext abhängig. Während man bei "predigen" den Ausdruck "von Haus zu Haus" problemlos verwenden kann, ist dies beim "Mahlzeiten einnehmen" aufgrund des Kontextes nicht möglich. Eine ähnlich Unterscheidung macht die Zürcher Bibel, die Apostelgeschichte 20,20 mit "von Haus zu Haus" wiedergibt, 5,42 mit "zu Hause" und 2,46 mit "in ihren Häusern". Es handelt sich also offensichtlich nicht um eine einmalige Entscheidung, die nur von der NWÜ so getroffen wurde.

Und was ist mit Lukas 10,7?

Ich habe bereits den Einwand gehört, dass das oben beschriebene Verständnis Lukas 10,7 widersprechen würde, wo es heißt: "Geht nicht aus einem Haus in ein anderes!"

Nachforschen, wer es darin verdient
Dieser Ausspruch ist Teil einer Rede Jesu, die mehrmals in den Evangelien überliefert ist: in Matthäus 10, Markus 6, Lukas 9,10. Hier gibt erklärt Jesus seinen Jüngern jeweils, wie sie die gute Botschaft (das "Evangelium") in Galiläa verkünden sollen.

Wichtig in diesem Kontext ist Matthäus 10,11: "Wenn ihr aber in eine Stadt oder in ein Dorf einkehrt, so forscht, wer darin würdig ist; und dort bleibt, bis ihr weggeht!". Dieser Text macht klar, dass die Verkündigung in zwei Etappen vorgehen sollte: Zuerst sollten die Jünger in einem Dorf "nachforschen", wer die gute Botschaft annehmen will. Erst dann soll man sich zu diesem begeben und dort bleiben. Wenn man die verschiedenen Berichte vergleicht, ist klar, dass der Ausspruch in Lukas 10,7 sich auf die zweite Phase bezieht, die Jünger sollten niemanden mehr allein lassen, der die gute Botschaft annehmen will.

Wenn man nicht aufgenommen wird, den Staub von den Füßen schütteln
Naturgemäß erforderte die erste Phase, das "nachforschen", dass die Jünger mit einer möglichst großen Anzahl der Einwohner sprachen, wie hätten sie sonst herauskriegen können, "wer würdig ist"? Zeugen Jehovas wenden diese Texte heute sinngemäß an: Zuerst forschen wir nach, wo wir Menschen finden, die die gute Botschaft annehmen. Und wenn wir sie gefunden haben, dann bleiben wir zwar nicht ununterbrochen bei ihnen (das wäre in unserer heutigen Gesellschaft kaum sinnvoll), aber wir besuchen diese Menschen erneut, um sie weiter mit der guten Botschaft vertraut zu machen.

Inzwischen habe ich das seltsame Argument gehört, dass es bei dem "Nachforschen, wer es verdient" in Wirklichkeit nicht darum geht, Menschen zu finden, "die es verdienen", die gute Botschaft zu hören, sondern dass es darum ginge, Menschen zu finden, die es verdienen, dass man bei ihnen schläft. Mit Verlaub gesagt ist das ein seltsames Argument. Jesus sprach ausdrücklich davon, wie man die gute Botschaft verkünden sollte, daher sollte man annehmen, dass er auch hier davon redet.

Außerdem würde es Jesu Argumentation widersprechen, wenn man annimmt, dass es um das suchen einer Unterkunft geht. Jesus machte klar, dass die Jünger während des Predigens sich um alltägliche Bedürfnisse nicht kümmern sollten, da diese von denen befriedigt werden, die auf die gute Botschaft hören. Unterkunft gehört aber genau zu diesen alltäglichen Bedürfnissen. Daher erfordert der Kontext, dass davon die Rede ist, diejenigen zu suchen, die die Botschaft hören wollen.

Diejenigen, die das Gegenteil behaupten, haben leider kein Argument gebracht, daher kann ich nicht einmal sagen, wie genau sie auf diese Idee gekommen sind. Wenn du also überzeugt bist, dass es darum ging, nach einer Unterkunft zu forschen, dann bringe die passenden Argumente doch einfach in einem Kommentar unter diesem Artikel. Danke!

Also widerspricht Lukas 10,7 in keiner Weise Apostelgeschichte 5,42 und 20,20, die sich ebenfalls darauf beziehen, dass Christen Menschen suchen, die die gute Botschaft annehmen.

Und zum Abschluss das ganze in einer Gegenüberstellung:

Matthäus 10,5-15 Markus 6,8-11 Lukas 9,3-5 Lukas 10,2-7
11 In welche Stadt oder welches Dorf ihr auch hineingeht, Wo immer ihr in ein Haus eintretet, Doch wo immer ihr in ein Haus eintretet, 5 Wo immer ihr in ein Haus eintretet,
da forscht nach, wer [es] darin verdient,


und haltet euch dort auf, bis ihr weggeht. dort haltet euch auf, bis ihr von jenem Ort auszieht. dort bleibt, und von dort geht aus. 7 Bleibt also in jenem Haus, eßt und trinkt, was sie bereitstellen, denn der Arbeiter ist seines Lohnes würdig.
12 Wenn ihr in das Haus eintretet, so grüßt die Hausgenossen; 13 und wenn das Haus [es] verdient, so komme der Frieden darauf, den ihr ihm wünscht; wenn [es] ihn aber nicht verdient, so kehre euer Frieden auf euch zurück.

da sagt zuerst: ‚Friede sei mit diesem Hause!‘ 6 Und wenn dort ein Freund des Friedens ist, so wird euer Frieden auf ihm ruhen, wenn aber nicht, wird er zu euch zurückkehren.



Zieht nicht von einem Haus in ein anderes um.
14 Wo jemand euch nicht aufnimmt noch auf eure Worte hört, da schüttelt den Staub von euren Füßen, wenn ihr aus jenem Haus oder jener Stadt hinausgeht.
11 Und wo immer ein Ort euch nicht aufnehmen noch auf euch hören wird, da schüttelt, wenn ihr von dort auszieht, den Schmutz ab, der unter euren Füßen ist, ihnen zu einem Zeugnis.“ 5 Und wo immer man euch nicht aufnimmt, da schüttelt den Staub von euren Füßen, wenn ihr aus jener Stadt hinausgeht, zum Zeugnis gegen sie.“

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