Dienstag, 23. März 2010
Johannes 1,18
Johannes 1,18 ist bekannt dafür, dass der Text schwer zu verstehen und zu übersetzen ist. Das hat mehrere Gründe: es schon mal strittig, ob Johannes "Gott" oder "Sohn" schrieb, es ist schwer zu klären, was genau "monogenes" bedeuten soll und es gibt seit einigen Jahren die Frage, ob "monogenes" als Attribut oder als Apposition zu verstehen ist.

Ich will mich auf die letzte Frage beschränken, muss aber auch die ersten zwei Punkte ansprechen.. In dieser Kritik an Zeugen Jehovas heißt es hierzu:
Der eingeborene Gott (monogenês theos).

[...]Wie ist dieser Ausdruck im Deutschen wiederzugeben? Es gibt zwei Möglichkeiten monogenês zu übersetzen, entweder als Adjektiv oder als Substantiv. Die adjektivische Bedeutung von monogenês ist hier unwahrscheinlich, da überall wo es als Adjektiv in den johanneischen Schriften vorkommt, das Bezugswort definiert ist (Joh 3,16.18; 1Joh 4,9). Zweitens, die Übersetzung würde "der einzige Gott" lauten, was theologisch nicht haltbar ist (vgl. 3.1.1) und in großer Spannung zu "der in des Vaters Schoß ist" stehen würde. Daher ist es hier angemessener, die substantivische Bedeutung vorzuziehen. Da monogenês aber ausschließlich eine Bezeichnung des Sohnes Gottes ist, sollte man annehmen, dass es (als Substantiv) für ho monogenês hyios stehen würde. Theos fungiert dann (natürlicherweise nach einem Substantiv) als Apposition. Die Übersetzung von monogenês theos würde dann lauten: [Der] einzige [Sohn], [der (selber)] Gott [ist]".
Wo liegt das Problem? Viele Bibelübersetzer meinen, dass das Adjektiv "monogenes", dass Luther mit "eingeboren" übersetzte (und das heutzutage meist mit "einzig" wiedergegeben wird, aber auch "einzigartig" oder "einziggezeugt" bedeuten kann) nicht als Attribut von "Gott" verwendet wird (="der einzigartige Gott") sondern als Substantiv benutzt wird (="der einzige, der Gott ist"). Während die Attribut-Übersetzung ohne große Probleme mit dem Verständnis der Zeugen Jehovas harmonisiert, kann die zweite Variante kaum anders als trinitarisch verstanden werden.

Vorab ein paar Erklärungen zur Grammatik: Ein Attribut ist ein Adjektiv, dass ein Substantiv näher erklärt (z.B.: "das ERKLÄRTE Substantiv"); eine Apposition ist eine Reihung von Substantiven, die sich auf das gleiche beziehen (z.B. der Mensch, der Erdenbürger ....).

Wenn ich mir die Begründung für die Übersetzung von "monogenes" als Substantiv anschaue, dann sehe ich mehrere Probleme:

1) Die Behauptung: "Die adjektivische Bedeutung von monogenês ist hier unwahrscheinlich, da überall wo es als Adjektiv in den johanneischen Schriften vorkommt, das Bezugswort definiert ist " wirft erst mal die Frage auf, was das miteinander zu tun hat? Hängt die Frage, ob ein Adjektiv als Attribut oder als Substantiv anzusehen ist, davon ab, ob das benachbarte Substantiv einen Artikel hat? Da das Johannesevangelium NUR Beispiele mit Artikel enthält, kann man das hier schlecht beurteilen. Aber das Lukas-Evangelium enthält in 7,12 und 8,42 genau derartige Beispiele. Und hier übersetzt jeder ganz selbstverständlich "monogenes" als Attribut.

Da außer dem strittigen Fall im Johannes-Evangelium keine Beispiele von "monogenes" mit Substantiv ohne Artikel vorkommen, kann man nicht sagen, wie Johannes solch eine Wortkombination verwendet hätte. Niemand hat aber bisher einen Anhaltspunkt geliefert, dass Johannes das anders versteht als z.B. Lukas. Anscheinend beschränt sich unsere Quelle auf Johannes, um alle Gegenbeispiele zu eliminieren, was natürlich nicht in Ordnung ist. Was wir lernen: andere Autoren im NT benutzen "monogenes" als Attribut mit einem artikellosen Substantiv.

2) Die Behauptung: "die Übersetzung würde 'der einzige Gott' lauten, was theologisch nicht haltbar ist " setzt bereits die Korrektheit der Dreieinigkeit voraus. Wie kürzlich beschrieben ist das aber eine Annahme, die nicht gut zu den übrigen Aussagen im Johannesevangelium und in der übrigen Bibel passt.

Die Frage, ob "monogenes" unbedingt mit "einzig" übersetzt werden muss, will ich hier ma auslassen.

3) Die Behauptung: "Daher ist es hier angemessener, die substantivische Bedeutung vorzuziehen." enthält eine Lücke, die man nur schwer erkennt, wenn man keine tiefergehenden grammatischen Kenntnisse hat: Benutzt denn im NT IRGENDEIN Autor jemals ein Adjektiv als Substantiv, wenn es vor einem artikellosen Substantiv steht und grammatisch auch als Attribut aufgefasst werden könnte?

Meine Antwort lautet: nirgendwo ist mir im altgriechischen jemals solch eine Stelle über den Weg gelaufen. Professor B. Ehrman anscheinend auch nicht. Hier wird er dafür kritisiert. In dieser Kritik (von D. Wallace, selber Professor für Theologie und Autor mindestens eines bekanntwen Lehrbuchs für das Altgriechische) werden jede Menge Bibelstellen angeführt, die angeblich eben solche Beispiele sind für das, was ich nicht finden konnte.

Hierbei habe ich wieder eins meiner üblichen Probleme: Ehrman formuliert sehr ungenau die grammatischen Randbedingungen, wenn er (nach der o.g. Seite zitiert) sagt (meine Übersetzungen im folgenden):
when is an adjective ever used substantivally when it immediately precedes a noun of the same inflection? No Greek reader would construe such a construction as a string of substantives, and no Greek writer would create such an inconcinnity. To the best of my knowledge, no one has cited anything analogous outside of this passage.

Wann wird ein Adjektiv jemals substantivisch benutzt, wenn es unmittelbar vor einem kongruenten Substantiv steht? Kein griechischer Leser würde eine derartige Konstruktion als aufeinander folgende Substantive verstehen und kein griechischer Autor würde solch eine Inkongruenz schaffen. So weit ich weiß, hat niemand irgend etwas vergleichbares außerhalb dieses Textes angeführt.
So weit, so schön. Nach dem Kontext denke ich, dass Ehrman das richtige im Sinn hatte, nämlich den Gegensatz zwischen Attribut und Apposition, aufgrund seiner Ausdrucksweise ist es aber möglich, ihn hier auch so zu verstehen, dass er andere grammatische Phänomene einschließt: Aufzählung, adverbiell benutzte Adjektive und die Kombination von Subjekt und Prädikatsnomen.

Wallace setzt hier mit seiner Kritik an und gibt Beispiele an, wo ein Adjektiv unmittelbar vor einem kongruenten Substantiv steht (dort die Kategorie 2, bei Kategorie 1 erschließt sich mir nicht, was die Beispiele bringen sollen, da sie eben nicht gleich sind zu Johannes 1,18). Ich will diese Beispiele kurz untersuchen:

Johannes 6,70: Und von euch ist einer ein Teufel.

Wallace selbst erkennt, dass es sich hierbei um Subjekt und Prädikatsnomen handelt und nicht um eine Apposition. Denn natürlich käme niemand auf den Gedanken hier zu übersetzen: "Unter euch ist der eine, der (ein) Teufel ist." Damit ist klar, dass dieses Beispiel nicht parallel zu Joh 1,18 ist.

Römer 1,30: Verleumder, Gotteshasser, Gewalttäter, Hochmütige, Prahler, Erfinder böser Dinge, den Eltern Ungehorsame,

Einige der angeführten Worte sind Adjektive (Gotteshasser, Hochmütige, ungehorsame), aber handelt sich klar um eine Aufzählung, nicht um eine Apposition. Niemand würde hier parallel zu Joh 1,18 übersetzen: "Verleumder, die Gotteshasser sind, die ... sind ..." Daher gibt es auch hier keine echte Parallele zu Johannes 1,18, nur die ungenaue Forderung von Ehrman wurde erfüllt.

Galater 3,9: dem gläubigen Abraham

Hier liegt anscheinend ein Übersetzungsproblem im Englischen vor; im deutschen (und altgriechischen) gibt es kein Problem damit, "gläubig" als Attribut zu verstehen. Nur im Englischen scheint das nicht zu funktionieren, aber das ist deswegen keine Parallele zu Joh 1,18

Epheser 2,20: wobei Christus Jesus selbst Eckstein ist.

Im Griechischen haben wir hier einen sog. absoluten Genitiv, eine Konstruktion, bei der das Verb ein Partizip im Genitiv ist, das Subjekt (und evtl. das Prädikatsnomen) im Genitiv stehen. Es ist offensichtlich, dass die Worte Subjekt und Prädikatsnomen sind und damit wieder keine Parallele zu unserem Text.

1. Timotheus 1,9; 2.Timotheus 3,2 und Titus 1,10 sowie die weiter unten angeführten Lukas 14,13 und 18,11 enthalten weitere Aufzählungen, für die das gleiche gilt wie für Römer 1,30

1.Petrus 1,1: an die auserwählten Fremdlinge

dieser Ausdruck hört sich zwar im deutschen (und englischen?) ungewohnt an und wird daher gerne anders wiedergegeben, es gibt aber keinen Grund, "auserwählt" hier nicht als Attribut anzusehen. Wenn es anders ÜBERSETZT wird, dann ist das eine Frage des Sprachstils, nicht der Grammatik.

2.Petrus 2,5: Noah, den Prediger der Gerechtigkeit, als achten neben sieben anderen

Hier haben wir wieder ein Übersetzungsproblem: anscheinend konnte im griechischen der Ausdruck "der achte" im Sinne von "mit sieben anderen" benutzt werden. In 2.Makkabäer 5,27 gibt es eine sprachlich ähnlich Stelle, wo "der zehnte" im Sinne von "mit 9 anderen" benutzt wird. Dies ergibt im griechischen wiederum ein wunderschönes Attribut, dass aber im deutschen und englischen nicht übersetzbar ist.

Apostelgeschichte 2,5: Juden, gottesfürchtige Männer

Auch hier haben wir ein Übersetzungsproblem anstatt einer Parallele zu Johannes 1,18: im griechischen wurde die Nationalität üblicherweise mit einem Adjektiv angegeben. Abgesehen von meinem (deutschen!) Sprachgefühl spricht nichts dagegen, dies mit "jüdischen gottesfürchtigen Männern" zu übersetzen.

Zusammenfassend können wir sagen, dass alle Beispiele, die zu Johannes 1,18 eine grammatische Parallele haben sollen, in Wirklichkeit entscheidende Unterschiede aufweisen:

Entweder es handelt sich im griechischen DOCH um Attribute, die aber aus anderen Gründen schlecht ins deutsche oder englische übersetzbar sind, oder es handelt sich um Aufzählungen oder um Prädikatsnomen.

Damit bleibt es bei meinem eingangs genannten Problem: es gibt zu der vorgeschlagenen Übersetzung von Johannes 1,18 keinerlei grammatische Parallele.

Natürlich ist es theoretisch möglich, dass eine grammatische Konstruktion nur einmal in einem Buch auftritt, aber wir haben im griechischen nicht nur die Bibel sondern buchstäblich hunderte von Büchern; trotzdem hat noch niemand ein paralleles Beispiel gefunden.

Die Begründung, warum Johannes 1,18 lauten soll: "der einzige Sohn, der Gott ist", stützt sich damit ausschließlich auf die theologischen Ansichten der Übersetzer, und das obwohl es eine Alternative gibt, die grammatisch problemlos ist.

Und das war nur eins von den Übersetzungsproblemen an dieser Stelle. Ich will schnell aufhören, bevor ich noch mehr schreibe....

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