Mittwoch, 14. Juli 2010
"Wärmer, wärmer, heiß" oder "ganz kalt"?
Richard Dawkins hat ein gewisses Talent dafür, Beispiele zu bringen, die auf den ersten Blick wie Veranschaulichungen intelligenzfreier Vorgänge aussehen, aber in Wirklichkeit auf Intelligenz und Wissen beruhen. In seinem Buch "Der Gotteswahn "bringt Dawkins auf Seite 169f folgendes Beispiel:
Eine andere beliebte Metapher für extreme Unwahrscheinlichkeit ist das Zahlenschloss in einem Banktresor. [...] Stellen wir uns einmal ein minderwertiges Zahlenschloss vor, dass nach und nach kleine Anhaltspunkte liefert - die Entsprechung zu zu den "Wärmer, wärmer"-Rufen von Kindern beim Topfschlagen oder Ostereiersuchen mir verbundenen Augen. [...] Das Zahlenschloss des Lebendigen ist eine "Wärmer, kälter, wieder wärmer"-Ostereiersuchmaschine.
Nach diesem Beispiel wäre die natürliche Selektion ein Vorgang, der jedem Lebewesen "wärmer" oder "kälter" zuruft, je nachdem, ob er.... ja je nach nach dem was eigentlich? Da Dawkins sein Beispiel in einem Abschnitt zur Entstehung komplexer Organe gibt, nehme ich vernünftigerweise an, dass die Selektion bei der Entstehung komplexer Organe sozusagen "wärmer" ruft, wenn ein Organismus näher dran ist, das entsprechende Organ zu perfektionieren oder zum funktionieren zu kriegen. Das Kind mit der Augenbinde ist sozusagen das Lebewesen (besser gesagt: die Gruppe von Lebewesen), dass sich durch Mutationen verändert und der Topf wäre dann das komplexe Organ.

Ein grundlegendes Problem hierbei ist die Gleichsetzung von "Selektion" mit jemandem, der "wärmer" oder "kälter" rufen kann. Gemäß der verbreiteten Definition (die Dawkins ebenfalls wiederholt benutzt) kennt die Selektion kein "Ziel", auf das sie zusteuert. Aber durch das "wärmer"-Rufen wird ja ein Ziel angegeben. Kann die Selektion denn auf ein Ziel zusteuern, dass sie nicht kennt?

Selektion kann definitionsgemäß nur angeben, ob ein Organismus angepasst ist an die jeweiligen Bedingungen. Wenn es in einer Gruppe Organismen Unterschiede gibt, dann wird die Selektion die Organismen "bevorzugen", die besser angepasst an die jeweilige Situation sind. Das müssen nicht die sein, die komplizierter gebaut sind: Einfachheit kann genauso gut ein Vorteil sein. Damit ruft aber die Selektion "wärmer" oder "kälter" überhaupt nicht in Bezug auf die Frage, ob der Organismus komplkexer ist sondern ob er angepasster ist.

Das kann man mit jemandem vergleichen, der beim Topfschlagen in Abhängigkeit davon "wärmer" ruft, ob das Kind näher an einer Ameise ist, die zufällig über den Boden krabbelt, nicht ob es näher am Topf ist. WENN rein zufällig die Ameise zum Topf läuft, sind die Rufe hilfreich, wenn die Ameise woanders hingeht, dann nicht.

Genauso wenig kann die Selektion mit Sicherheit "sagen", ob eine Mutation ein Schritt zu einem komplexen Organ oder ähnlichem ist. Sollte "rein zufällig" jeder Schritt zu einem komplexen Organ einen Selektionsvorteil bedeuten, dann kann das so sein. Aber es gibt viele Selektionsvorteile, die ohne Zuwachs an Komlexität funktionieren, bzw. häufig sogar davon wegführen. Wer sich also auf die Selektion verlässt, der wird beim Topfschlagen wenig Chancen haben.

Die andere Alternative wäre natürlich, der Selektion die Fähigkeit zuzugestehen, dass sie bereits im Voraus weiß, was es zu entwickeln gilt und dementsprechend "wärmer" zu rufen. Aber woher soll ein blinder Naturvorgang solch ein Vorauswissen haben? Also: keine gute Idee.

Eine weitere Möglichkeit besteht darin, dass Dawkins meint, die Selektion würde "wärmer" oder "kälter" wirklich nur in Übereinstimmung mit dem DERZEITIGEN Selektionsvorteil rufen. Dann aber wären wir wieder bei dem Beispiel jemandes, der gar nicht angibt, wo der Topf steht, sondern wo die Ameise ist. Damit wird die Möglichkeit den Topf zufällig mit verbundenen Augen zu finden durch den Zufall ersetzt, mit verbundenen Augen einer Ameise zu folgen und zu hoffen, dass sie zum Topf läuft. Also: eine noch dümmere Idee!

Dawkins Beispiel hapert also daran, dass einem blinden Naturvorgang die Fähigkeit zugesprochen wird, etwas im Voraus zu wissen, er hätte dementsprechend die Möglichkeit vorauszuplanen, genau das will Dawkins aber doch eigentlich widerlegen!

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