Donnerstag, 5. August 2010
Auge als Fehlentwicklung??
Hilfe, ich habe eine inverse Netzhaut:o) Nein im Ernst: jeder Mensch hat eine. Das bedeutet nichts weiter, als dass das Licht erst mal die Schicht mit Nervenzellen und Blutgefäßen durchqueren muss, bevor es die Lichtrezeptoren trifft. Und viele Befürworter der Evolution sehen darin einen "Beweis", dass das Auge nicht von einem intelligenten Schöpfer stammen kann, z.B. hier im Jahre 2009:
„Nehmen Sie nur unsere Augen – das ist eine völlig blödsinnige Konstruktion“, sagt der Medizinforscher Detlev Ganten vom Stiftungsrat der Charité in Berlin. Der Mensch ist das Resultat von 3,5 Milliarden Jahren Evolution. Bei manchen Abzweigungen, die zum Menschen führten, waren die Vorbedingungen nicht mehr zu ändern. Dies führte bei den Sehorganen der Wirbeltiere inklusive des Menschen zu einem seltsamen Konstrukt: dem inversen Auge. Bei uns liegen die lichtempfindlichen Zellen, die Stäbchen und Zapfen, ganz hinten im Auge. Davor jedoch – also zwischen dem, was man sehen möchte, und den Lichtrezeptoren – liegt ein dickes Paket von Nervenzellen: ein Nervennetz, das die Signale verarbeitet, und eines, das die Daten ins Gehirn leitet.

Davor wiederum liegen die Blutgefäße, die die Neuronen mit Blut versorgen. Mehrere Zelllagen und eine gefärbte Flüssigkeit behindern also den Lichtfluss und werfen Schatten auf die Netzhaut. [...]. In der Praxis merken wir das nicht, da das Gehirn den wahrscheinlichen Bildinhalt errechnet. „Trotzdem ist das ein Konstruktionsfehler“, sagt der Evolutionsmediziner Randolph Nesse von der University of Michigan.

[Hervorhebungen von mir]
Das Problem bei der Behauptung ist, sie stimmt nicht! Es gibt keine Zelllagen, die den Lichfluss hemmen, obwohl dass Licht durch die genannten Lagen durch muss. Wieso dass? Weil die Müllerzellen als Lichtleiter dienen, die das Licht sehr effektiv an den Nerven vorbei leiten. Das ist seit spätestens 2007 bekannt. Die Forscher bezeichnen den Mechanismus übrigens als "ingeniously designed", wobei sie allerdings nicht auf die Frage der Evolution eingehen. Der oben zitierte Wissenschaftler hat also seine Hausaufgaben nicht gemacht oder aber bewusst seine Leser in die Irre geführt.

Wieso ist das wichtig? Es zeigt, dass Behauptungen der Art: "in der Natur ist folgendes suboptimal konstruiert" mit Skepsis angesehen werden dürfen, da weitere Forschungen durchaus zeigen können, dass das, was auf den ersten Blich suboptimal ist, in Wirklichkeit eine technische Meisterleistung darstellt, die wir noch gar nicht verstanden haben, da sie uns selbstverständlich vorkommt.

Es ist sehr einfach zu behaupten: dies oder das sei nicht optimal, aber es ist sehr schwer, dies in der Realität nachzuweisen bzw. zu widerlegen. Die vernünftige Frage, wenn man mit der Behauptung konfrontiert wird: "Organ X ist nicht optimal konstruiert, diese Alternative würde Problem Y umgehen, wurde aber aus stammesgeschichtlichen Gründen nicht benutzt": Würde die vorgeschlagene Variante in der Realität überhaupt funktionieren? Könnte solch ein Tier (von der Befruchtung bis ins hohe Alter) so existieren? Würden andere Körperfunktionen beeinträchtigt? Solange dies nicht nachgewiesen ist, sind Behauptungen über "suboptimales Design" nämlich diskussionswürdig!

Wer weiteres zum Thema "Auge" lesen will, findet hier einen Ausgangspunkt.

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