Freitag, 30. Dezember 2011
Johannes 8,58: Schweizer Käse, Schlümpfe, W.E. Coyote, ein Mangel an Grammatik, M.C. Escher und "Ich bin"
Die große Mehrheit derer, die sich als Christen bezeichnen, glauben daran, dass Gott eine Dreieinigkeit ist bzw. dass Jesus Gott ist. Außerdem glauben sie daran, dass die Bibel Grundlage der christlichen Lehre ist. Und das ist ein wenig seltsam, da in der Bibel nirgendwo steht, dass Gott eine Dreieinigkeit ist1. Wie lösen sie das Problem?

Beweistext mit logischem Argument
Mit Beweistexten. Das sind (in diesem Fall) Bibeltexte, die (nach der Vorstellung derer, die sie verwenden) ausschließlich so verstanden werden können, dass Gott dreieinig ist, auch wenn das nicht wortwörtlich so dasteht. An dieser Form des Beweises ist grundsätzlich nichts auszusetzen. Sie hat dennoch einen Haken: Beweistexte funktionieren nur mit einem Argument, einer Reihe von logisch miteinander verbundenen zusätzlichen Aussagen. Ohne diese Aussagen funktioniert das ganze nicht, denn ohne das Argument sagt der Text nicht aus, was als Lehre gewünscht wird.

Beweistext mit Denkfehler
Und im Fall der Dreieinigkeit ist Johannes 8,58 solch ein Text. In den meisten Übersetzungen lautet der zentrale Satz ähnlich wie in der Neuen Genfer Übersetzung: "Ich versichere euch: Bevor Abraham geboren wurde, bin ich." Der Satz klingt einigermaßen seltsam, da er im deutschen grammatisch nicht korrekt ist. Allerdings will ich heute wagen, mich weniger auf die griechische Grammatik als vielmehr auf den Textzusammenhang zu stützen. Ich bin mir dabei bewusst, dass das nicht klappen kann, aber ich will sehen, wie weit es mir gelingt, bevor ich den Vorsatz verletze.

Das trinitarische Argument in Quellen

Der Satz "Ich versichere euch: Bevor Abraham geboren wurde, bin ich." sagt so wie er da steht gar nichts darüber aus, ob Jesus Gott ist oder ob Gott dreieinig ist. Ganz im Gegenteil, Jesus vergleicht seine Existenz mit der Abrahams. Gott kommt in dem Satz überhaupt nicht vor. Daher wollen wir sehen, welche Argumente von freundlichen Trinitariern dazu geliefert werden, um Gott aus einer Aussage zu extrahieren, in der er gar nicht drin steht.

Ein Kritiker der Zeugen Jehovas behauptet z.B. hier:
Auf die Frage der Juden: "Du bist noch nicht fünfzig Jahre alt und hast Abraham gesehen?", antwortet Jesus (V.58): "Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ehe Abraham war, bin ich (egô eimi)." Für diese Aussage wollten ihn die Juden steinigen (V.59). Obwohl "egô eimi" grammatikalisch nicht zwingend mit "ich bin" (historisches Präsens) übersetzt werden muss, zeigen drei gewichtige Hinweise, dass Jesus mehr gemeint hat, als nur dass er zeitlich gesehen vor Abraham existiert habe. Dafür spricht erstens der starke Gegensatz zwischen Abrahams genesthai (ingressiver Aorist) und sein eigenes eimi, der uns an Joh 1,1-18 erinnert, wo deutlich wurde, dass alles "geworden ist" (egeneto) im Gegensatz zu dem Logos, der immer "war" (ên ). Außerdem setzt die Tatsache, dass die Juden Jesus steinigen wollten voraus, dass sie aus seiner Aussage einen blasphemischen Selbstanspruch auf Gottheit vernommen haben. Drittens, wie Carson bemerkt hat, gibt es eine sehr starke linguistische Parallele zwischen dem, was Jesus hier gesagt hat und Jes 40-55; (vgl. u.a. 41,4: "Ich, Jahwe - mit den Ersten und den Letzten - ich bin derselbe [MT: ´anij hu´ ; LXX: egô eimi ]"). Aus diesen Gründen ist es sehr wahrscheinlich, dass Jesus hier auf den Namen Jahwe anspielt.
Auch andere benutzen diesen Text, um zu beweisen, dass Jesus Gott ist:
Johannes 8,58 :
"Jesus sprach zu ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ehe Abraham war, bin ich! "

Er sagt hier nicht nur aus, daß er schon vor Abraham existierte, denn er benutzt noch eine ungewöhnliche Formulierung. Mit dem Ausdruck "Bin ich" konnten die Juden etwas anfangen. Sie wußten sofort, was er damit sagen wollte. Denn als Mose beim brennenden Dornbusch nach Gottes Namen fragte, da sagte Gott zu ihm "Ich bin der Ich bin" - es handelt sich hier also um eine Gottesbezeichnung. Jesus bezeichnet sich selbst als Gott und die Juden haben das auch genauso verstanden, denn in Joh.8,59 heben sie dann Steine auf, um ihn wegen dieser vermeintlichen Gotteslästerung zu steinigen.
Ähnliches kann man der Mac-Arthur-Studienbibel in den Anmerkungen zu Johannes 8,58.59 entnehmen:
Hier gab sich Jesus selbst als Jahwe zu erkennen, d.h. als der Herr des ATs. Diesem Ausdruck liegen Bibelstellen zugrunde wie 2.Mo 3,14; 5.Mo 32,39; Jes 41,4; 43,10, wo Gott sich als der ewige präexistente Gott erklärt, der sich den Juden im AT selbst offenbart [...]
Die Juden verstanden Jesu Anspruch und handelten nach 3Mo 24,16, wo gesagt wird, dass jeder gesteinigt werden soll, der den Namen Gottes lästert.
Und der Kommentar der Neuen Jerusalemer Bibel besagt:
Der Anspruch Jesu auf eine göttliche Daseinsweise ist für die Juden eine Gotteslästerung, auf der die Strafe der Steinigung stand.
Ähnliches kann man dem Kommentar zum jüdischen Neuen Testament1b von David H. Stern entnehmen:
Dies [ist] Jeschuas eindeutigste Selbstaussage[] über sein göttliches Wesen. [...] Den Judäern war durchaus bewusst, welchen Anspruch Jeschua hier erhob, denn sie griffen sofort nach Steinen, um ihn wegen Gotteslästerung zu töten (V.59).
Wenn wir diese Argumente betrachten, dann fällt auf, dass sie sehr unterschiedlich sind; einige berufen sich auf Parallelen zu Texten des AT, einige berufen sich auf Präexistenz (keine Käsesorte!) und einige auf die griechische Grammatik. Es fällt jetzt mir zu, hier den größten gemeinsammen Nenner zu finden2, um zu sehen, ob er ungleich null ist.

Das trinitarische Argument: Die Essenz

Wenn man genau hinschaut, dann enthalten alle Argumente zu Johannes 8,58 drei Kernaussagen, die stimmen müssen, um aus diesem Text die Gottheit herauszudestillieren:

Steht das Argument auf festem Boden oder hängt es in der Luft?
1. Jesus hatte einen Anspruch auf Gottheit erhoben. Wenn Jesus nicht in irgendeiner Form behauptet hatte, dass er Gott ist, nun, dann stolpert das Argument bereits und liegt auf der Nase, bevor überhaupt der erste Argumentationsschritt gemacht wurde. Denn wenn Jesus etwas anderes hatte sagen wollen, dann bauen alle weiteren Argumentationsschritte auf einem nichtexistierenden Fundament auf; und das bewirkt, dass das gesamte Gedankengebäude bei der geringsten Erschütterung in sich zusammenfällt.

Dabei erscheint es mir natürlich verdächtig, dass die verschiedenen Kommentare vollkommen unterschiedliche Grundlagen dafür sehen, dass Jesus diesen Anspruch erhebt. Es ist ein Unterschied, ob Jesus die (im Original) völlig anderen Worte aus 2.Mose 3,14 benutzt oder die Worte aus Jesaja 43,10 oder den Anspruch auf ewige Präexistenz. Wieso konnten die verschiedenen Theologen sich nicht auf ein Argument einigen? Ich als hinterlistiger Antitrinitarier bin geneigt zu glauben, dass es daran liegt, dass keiner der Vorschläge wirklich beweist, dass Jesus von sich behauptet hat, göttlich oder Gott selbst zu sein.

Es scheint, dass die meisten Kommentatoren sich dieser Schwäche bewusst sind, denn sie geben sich nicht damit zufrieden zu sagen, Jesus hat hier einen Anspruch auf Göttlichkeit erhoben, sie fügen noch weitere Argumentationsschritte hinzu, um diese Idee als das einzig mögliche Verständnis dieses Satzes zu kennzeichnen. Das spricht dafür, dass sie diesem Argumentationsschritt nicht ausreichend trauen.

Und daher werden wir klären, was genau Jesus sagen wollte. Aufgrund der vielen verschiedenen Behauptungen darüber, was er sagen wollte, ist das ein relativ aufwendiges Unternehmen, weswegen ich es an den Schluss verschieben will (und weil ich mir nicht den Spaß verderben will, die folgenden Argumente auch noch zu zerpflücken, denn das wäre überflüssig, wenn der erste Schritt nicht funktioniert).

2. Die Juden3 hatten Jesus richtig verstanden. Ganz egal, was Jesus gemeint hatte, wenn die Juden nicht erfassten, was er meinte, dann kann ihre Reaktion keine Rückschlüsse darauf zulassen, was Jesus sagen wollte. Ex falso quodlibet. Deswegen ist es unabdingbar, dass Jesus nicht nur einen trinitarischen Anspruch erhob, sondern dass die Juden diesen Anspruch auch so mitgekriegt hatten.

Hinterlistiger Antitrinitarier beim Zerpflücken eines Arguments (Ähnlichkeiten mit dem Autor dieses Artikels sind nur oberflächlich)
Die meisten Komentatoren scheinen sich auch hier wieder der Schwäche des Argumentes bewusst zu sein, denn dieses Argument wird mit einem weiteren gestützt:

3. Der Grund für die versuchte Steinigung war Jesu Anspruch auf Gottheit. Falls dein Hobby das Aufspüren und Sammeln von Zirkelschlüssen ist, kannst du hier ein schönes Exemplar deiner Sammlung hinzufügen. Besonders schön drückt das nämlich einer der obigen Kommentare aus: "Außerdem setzt die Tatsache, dass die Juden Jesus steinigen wollten voraus, dass sie aus seiner Aussage einen blasphemischen Selbstanspruch auf Gottheit vernommen haben."

Ja genau! Um zu der Schlussfolgerung zu gelangen, dass Jesus einen Anspruch auf Gottheit erhoben hat, setzt dieses Argument das voraus, was es beweisen will. Seufz²!3a

Aber ich will an dieser Stelle nicht aufhören; es ist zwar so, dass man normalerweise einen Zirkelschluss nur verwendet, wenn man kein logisches Argument zur Verfügung hat, aber auch ein Zirkelschluss kann (zufällig) eine korrekte Schlussfolgerung enthalten, nämlich dann, wenn "der blasphemische Anspruch auf Gottheit" die einzige Möglichkeit ist, die die Juden dazu bringen konnte, Steine aufzuheben und zu versuchen, Jesus zu töten. Denn in diesem Fall (und nur in diesem Fall) kann man das Argument umkehren und den Zirkelschluss auflösen. Daher will ich genau mit dieser Frage anfangen: Welche Gründe könnten die Leute in Johannes 8,59 gehabt haben, Jesus zu töten?

Das Tatmotiv

Wenn man die o.g. Argumente betrachtet, könnte man den Eindruck gewinnen, dass Jesus eine theologische Diskussion führte und plötzlich eines seiner Argumente dazu führte, dass alle den unwiderstehlichen Drang fühlten, ihn zu steinigen, weil Jesus etwas gotteslästerliches sagte. Dieser Eindruck ist aber falsch.

Ein Zirkelschluss hat keinen echten Anfang und den zusätzlichen Vorteil, dass man garantiert immer beim gewünschten Ergebnis vorbeikommt. Der Nachteil: Man kommt nie am Kühlschrank vorbei und man muss schwere Inkonsistenzen in der logischen Struktur in Kauf nehmen
Der Satz aus Johannes 8,58 ist Bestandteil der Diskussionien, die Jesus anlässlich eines Laubhüttenfestes im Tempel in Jerusalem führte. Den Bericht über diese Diskussionen kann man in Johannes 7,10-8,59 finden (Dabei muss man beachten, dass 7,53-8,11 später in den Text eingefügt wurden. In den alten Manuskripten schließt 8,12 direkt an 7,52 an). Was sagte Jesus gleich zu Beginn dieser Diskussionen? "Warum wollt ihr mich töten?" (7,19.25, und noch einmal in 8,40) Also bereits mehrere Tage bevor Jesus die Worte aus Johannes 8,58 äußerte, wollten ihn seine Gegner umbringen. Nach Kapitel 7,32.44 gab es auch bereits fehlgeschlagene Versuche, ihn (mit diesem Ziel) festzunehmen.

Daher müssen wir weniger einen triftigen Grund suchen, Jesus zu steinigen, sondern mehr einen Vorwand, der erlaubte, die bereits gefällte Entscheidung, Jesus zu töten, mit einem Mäntelchen der Rechtsstaatlichkeit notdürftig zu bedecken.

Um zu zeigen, dass ich mir das nicht aus den Fingern sauge, will ich auf den Talmud verweisen, in dem die traditionellen jüdischen Vorschriften zum Steinigen gesammelt sind. Wenn wir uns den Abschnitt Sanhedrin, 42b-45b anschauen, finden wir folgende Vorschriften, die offensichtlich im Falle Jesu nicht beachtet wurden4:
  • Der Angeklagte musste von einem Gericht verurteilt werden
  • Es waren mindestens zwei Zeugen notwendig
  • Das Gericht war verpflichtet, alles zu versuchen, den Angeklagten zu entlasten
  • Die Urteilsvollstreckung musste außerhalb der Stadt vollstreckt werden
  • Ein Herold musste unmittelbar vor der Urteilsvollstreckung noch Entlastungszeugen suchen
Keiner dieser Punkte lag vor, als Jesu Gegner Steine aufhoben. Daher entsprach der Steinigungsversuch nicht jüdischem Recht. Man kann also nicht einmal darauf bestehen, dass der Grund der Steinigung in einem Rechtsverstoß gegen die Torah bestand. Es handelte sich um einen versuchten Lynchmord; hierbei reicht als Ursache natürlich jeder Vorwand, der genügend an die Emotionen des Mobs appelliert. Welche Möglichkeiten gab es? Schauen wir uns einige an:

Ein falscher Prophet?

Nach 5.Mose 18,20-22 sollte jeder zum Tode verurteilt werden, der den Anspruch erhebt, ein Prophet Gottes zu sein, wenn er im Namen Gottes etwas falsches verkündigt.

Beide Kriterien passen zu dem vorliegenden Fall: Jesus hat unmittelbar und wiederholt den Anspruch erhoben, im Namen Gottes zu sprechen. Schauen wir uns folgende Beispiele an:
  • 7,16: Meine Lehre stammt nicht von mir, sondern von dem, der mich gesandt hat.
  • 7,28: ich bin nicht in meinem eigenen Namen gekommen, sondern er, der mich gesandt hat, bürgt für die Wahrheit.
  • 8,16: der Vater, der mich gesandt hat.
  • 8,18: der Vater, der mich gesandt hat, legt über mich Zeugnis ab.
  • 8,26: der mich gesandt hat, bürgt für die Wahrheit
  • 8,28: Ihr werdet erkennen, dass ich nichts im eigenen Namen tue, sondern nur das sage, was mich der Vater gelehrt hat.
  • 8,40: der euch die Wahrheit verkündet hat, die Wahrheit, die ich von Gott gehört habe.
  • 8,42: denn von Gott bin ich ausgegangen und gekommen. Ich bin nicht in meinem eigenen Namen gekommen, sondern er hat mich gesandt.
Diese Aufstellung macht klar, dass Jesus ganz offen den Anspruch erhob, ein Prophet zu sein, jemand, der im Namen Gottes redet. Und unmittelbar bevor Jesus die Worte aus Vers 58 äußerte, wurde Jesus vorgeworfen, dass Abraham ihn niemals gesehen haben konnte; denn Jesus war noch keine 50 Jahre alt, während Abraham bereits seit vielen Jahrhunderten tot war.

Jesu Antwort, dass er bereits vor Abrahams Geburt existiert hatte, konnte als Vorwand dafür dienen zu sagen, dass Jesus im Namen Gottes etwas falsches gesagt hatte. Denn es schien allen klar zu sein, dass Jesus nicht so alt gewesen sein konnte. Und damit hatte er nach Ansicht von seinen Gegnern im Namen Gottes ein Wort gesprochen, dass falsch war, womit er das Merkmal eines falschen Propheten aus 5.Mose 18 erfüllte. Dazu war es nicht erforderlich, dass Jesus einen "Anspruch auf Göttlichkeit" erhob.

Samariter und Dämonen

Aber es gibt noch mehr Gründe, Jesus zu steinigen. Wer heute die Worte aus Johannes 8,48.52 liest, ist geneigt, sie falsch zu verstehen. Dort wird Jesus der Vorwurf gemacht, von einem Dämonen besessen und ein Samariter zu sein. Während wir mit "Samariter" heute das Gleichnis vom barmherzigen Samariter verbinden, hört sich der Vorwurf mit dem Dämon an wie "du hast einen an der Waffel!" Und beides ist irreführend.

Echte Samariter im Jahr 1905
Nach Johannes 8,20 fand die Diskussion in der Schatzkammer des Tempels statt, die sich wiederum im sogenannten Vorhof der Frauen befand (siehe Darstellung weiter unten). Nach 3.Mose 15,31 wurde ein Mensch, der rituell unrein war und in den Tempel kam (außer dem Vorhof der Heiden), mit dem Tode bestraft. Obwohl es kein direktes Gebot gab, dass einen Besessenen als unrein bezeichnete, war dies doch ein möglicher Vorwand, dass die Anwesenheit eines Besessenen den Tempel entweihte.

Außerdem kann man Besessenheit darauf zurückführen, dass jemand Spiritist war, diese Verbindung ist offensichtlich. Und nach 3.Mose 20,27 und 5.Mose 18,10-12 war das wiederum ein Verbrechen, auf das die Todesstrafe stand. Der Vorwurf: "Du hast einen Dämon!" war also auch ein Versuch, einen Vorwand zu finden, um Jesus töten zu können.

Ähnlich war es mit dem Vorwurf: "Du bist ein Samariter!" Das war kein Vorwurf, der Jesus der Barmherzigkeit anklagte. Interessant ist, was wir in den "jüdischen Altertümern" Abschnitt XVIII.2.2 des Flavius Josephus finden. Nach der dortigen Beschreibung schlichen sich Samariter ca. zwanzig Jahre vor Jesu Auftreten in den Tempel und verunreinigten diesen absichtlich mit Leichenteilen. Aus der Schilderung kann man schließen, dass Samariter im Tempel offenbar nicht erlaubt waren (sonst hätten sie sich nicht einschleichen müssen) und außerdem waren sie von diesem Zeitpunkt an dafür bekannt, dass sie versuchten, den Tempel zu entweihen.

Außerdem war allgemein bekannt, dass Jesus ein Jude aus Galiläa war. Wer ihm vorwarf, ein Samariter zu sein, warf ihm automatisch Abtrünnigkeit vom jüdischen Glauben vor. Auch das war ein Vorwand, der genügte, um jemanden zu steinigen, der in den Tempel kam. Als Jahrzehnte später ein Lynchmob versuchte Paulus im Tempel umzubringen, lautete einer der Vorwürfe nach Apostelgeschichte 21,28 ebenfalls auf Abtrünnigkeit; und der Vorwurf endete auch dort mit einem Mordversuch an Paulus.

Das vorhergehende ist eine Möglichkeit und ich kann nicht beanspruchen, dass es mit 100%er Sicherheit so gewesen sein muss. Im Zusammenhang mit Jesu Anspruch, als Vertreter Gottes zu reden, ergeben diese Vorwürfe aber in anderer Hinsicht einen offensichtlichen Versuch, Jesus als falschen Propheten darzustellen.

Es ist klar, dass ein Prophet Gottes vom heiligen Geist geleitet wird. Das schließt aus, dass derselbe Mensch gleichzeitig von einem Dämonen besessen sein kann. Wer also Jesus vorwarf, besessen zu sein, warf ihm gleichzeitig vor, dass sein Anspruch im Namen Gottes zu reden falsch sein muss, da ein Besessener nicht Gottes Prophet sein kann.

Und natürlich musste ein Prophet Israelit sein. Die Bibel enthält keine Beispiele, wo Jehova seinem Volk eine Botschaft durch einen Nicht-Israeliten übermitteln lässt. Wenn Jesus als Samariter bezeichnet wird, wird wiederum bestritten, dass er ein echter Prophet sein kann. Wie Kapitel 7,52 bestritt die jüdische Elite sogar, dass ein Prophet aus Galiläa kommen könne (was zwar offensichtlich falsch ist, da nach 2.Könige 14,25 Jona aus Gath-Hepher in Galiläa stammte), obwohl sie das nur "im engeren Kreise" laut aussprachen. Offensichtlich konnte nach ihrer Meinung ein Prophet noch viel weniger aus Samaria stammen. Wenn also ein Samariter behauptete, von Gott gesandt zu sein, dann musste es sich nach Meinung der jüdischen Elite offensichtlich um einen falschen Propheten handeln.

Daher dienten beide Vorwürfe auf jeden Fall dazu, Jesus als falschen Propheten hinzustellen; und das war ein Grund, ihn zu steinigen.

Der Ort des Geschehens
Im Vordergrund der Vorhof der Frauen, die Schatzkammer, in der Jesus predigte, befand sich in einem der angrenzenden Räume.

Autorität und Steinigung

Wenn wir uns die Diskussion in Johannes 8 anschauen, dann sehen wir, dass sie sich doch sehr stark um Abraham drehte. Das erste mal wurde er im Vers 33 erwähnt. Aus welchem Grund? Jesu Gegner wollten zeigen, dass es nicht nötig war, auf ihn zu hören, da die jüdische Elite ihre Autorität daher bezog, dass sie Nachkommen Abrahams waren.

Da Abraham der Stammvater aller Israeliten war, vermittelte er die höchste religiöse Autorität und die jüdische Elite in Jesu Tagen stützte ihren Autoritätsanspruch darauf, Abrahams Kinder zu sein. Die Behauptung, dass sie nicht Abrahams Kinder seien, kam daher einem Angriff auf ihre Autorität gleich. Und der Anspruch, älter als Abraham zu sein, bedeutete, dass Jesus für sich selber eine höhere Autorität als Abraham in Anspruch nahm und sich damit auch eine höhere Autorität als die jüdische Elite.

Wenn man sich das folgende anschaut, dann kann man sehen, auf welche Weise die Diskussion sich immer weiter zuspitzte; Jesus sprach seinen Gegner das Recht ab, sich auf Abraham beziehen, da sie nicht nach seinem Vorbild handelten. Das war ein direkter Angriff auf die Autorität der jüdischen Elite, da Jesus damit sagte: Ich spreche euch das Recht ab, sich auf Abraham zu berufen und damit die Quelle eurer Autorität. Zumindest haben Jesu Gegner das so verstanden, denn sie stellten sofort Jesu Autorität in Frage "Stehst du etwa über Abraham unserem Vorvater?" Jesus musste wahrheitsgemäß antworten, dass das so ist, ansonsten hätte er ja seinen Auftrag von Gott geleugnet.

Damit stellte sich Jesus aber (zurecht, da er ja der Messias war, der Führer des jüdischen Volkes) über jede religiöse jüdische Autorität. Jesu Worte in Johannes 8,58 waren also nicht nur eine Behauptung, die den Vorwand lieferte, ihn als falschen Propheten hinzurichten, sondern auch ein direkter Angriff auf die Autorität der jüdischen Elite.

Nach Johannes 11,48ff reichte es den Priestern und Pharisäern, dass Jesus unabhängig von der Autorität der jüdischen Elite agierte, um seinen Tode zu beschließen, da er als Bedrohung für den Status Quo angesehen wurde. Und genau dieser Punkt war auch in unserem Abschnitt der Streitpunkt. Jesu Anspruch auf die höchste religiöse Autorität unter den Juden, konnte also ebenfalls als Vorwand dafür dienen, ihn umzubringen.
Daher gab es (aus Sicht von Jesu Gegnern) genügend Gründe, ihn zu töten, ohne dass Jesus dafür einen "blasphemischen Anspruch auf Göttlichkeit" erheben musste. Damit ist eine der drei Grundlagen des trinitarischen Arguments in Johannes 8,58 schon einmal als nicht existent entlarvt. Weiter geht es mit der zweiten Argumentationsgrundlage.

"Ich nix verstehn!"

Die zweite Grundlage unseres trinitarischen Arguments bestand darin, dass Jesu Gegner ihn korrekt verstanden hatten. Natürlich kann heute niemand mehr in die Köpfe derjenigen blicken, die damals Jesus steinigen wollten. Woher können wir denn sagen, ob Jesus korrekt verstanden wurde? Die Verse 58 und 59 sagen an sich nichts darüber aus, ob die Juden Jesu Worte verstanden oder nicht.

Der Kontext kann uns ein paar Hinweise liefern, ob Jesus hier verstanden wurde. Wir können untersuchen, ob in der restlichen Diskussion Jesus verstanden wurde oder nicht. Das Ergebnis kann uns einen Hinweis darauf liefern, wie wahrscheinlich es ist, dass die Juden Jesus im Vers 58 verstanden. Ich will mich dabei auf das Kapitel 8 beschränken:
  • 8,19: Da sprachen sie zu ihm: Wo ist dein Vater?
    Offensichtlich hatten sie nicht verstanden, dass Jesus hiervon Gott redete, ansonsten hätten sie die Frage wohl kaum so gestellt.
  • 8,22: Da sagten die Juden: Er will sich doch nicht selbst töten, dass er spricht: Wohin ich gehe, könnt ihr nicht hinkommen?
    Auch hier hatten sie nicht verstanden, wovon Jesus redete, die Vermutung eines Selbstmordes war möglicherweise Wunschdenken, hatte aber nichts mit Jesu Absichten zu tun.
  • 8,25: Da sprachen sie zu ihm: Wer bist du?
    Jesus hatte bereits mehrmals darauf hingewiesen, dass er ein Prophet war, aber sie wollten/konnten das nicht verstehen.
  • 8,27: Sie erkannten nicht, dass er von dem Vater zu ihnen sprach.
    Eine unmissverständliche Aussage
  • 8,33: Sie antworteten ihm: Wir sind Abrahams Nachkommenschaft und sind nie jemandes Sklaven gewesen. Wie sagst du: Ihr sollt frei werden?
    Sie verstehen nicht, von welcher Art Freiheit Jesus spricht.
  • 8,39: Sie antworteten und sprachen zu ihm: Abraham ist unser Vater.
    8,41: Sie sprachen nun zu ihm: Wir sind nicht durch Hurerei geboren; wir haben einen Vater, Gott.
    Sie benötigten drei Anläufe, um zu verstehen, was Jesus ihnen vorwarf. Dies ist übrigens der einzige Punkt, wo man mit einiger Sicherheit sagen kann, dass sie Jesus (am Ende) verstanden hatten.
  • 8,48: Die Juden antworteten und sprachen zu ihm: Sagen wir nicht recht, dass du ein Samariter bist und einen Dämon hast?
    8,52: Die Juden sprachen nun zu ihm: Jetzt erkennen wir, dass du einen Dämon hast.
    Diese Vorwürfe sind offensichtlich falsch und beruhen darauf, dass sie Jesus missverstehen (wollen).
  • 8,53: Was machst du aus dir selbst?
    Diese Frage zeigt, dass bis dahin nichts, was Jesus sagte, verstanden wurde.
  • 8,57: Da sprachen die Juden zu ihm: Du bist noch nicht fünfzig Jahre alt und hast Abraham gesehen?
    Auch diese Frage entspringt einem Missverständnis. Jesus hatte gar nicht behauptet, Abraham gesehen zu haben.
Diese Aufzählung zeigt klar, dass die Juden, mit denen Jesus diskutierte, zu praktisch jedem Zeitpunkt der Diskussion Jesus missverstanden. Man könnte sogar sagen, dass sie ihn nicht verstehen wollten; Jesus bezog sich auf Dinge, die ihnen eigentlich bekannt sein mussten.

Natürlich beweist das an sich nicht, dass sie -die selben Leute, die während der gesamten Diskussion keine Ahnung hatten- nicht doch plötzlich eine Erleuchtung hatten und verstanden, was Jesus wollte. Es wird dadurch aber höchst unwahrscheinlich.

Hörte wesentlich besser zu als Jesu Gegner: Wilson
Und genau deshalb kann das ganze nicht als Argument für "einen göttlichen Anspruch" Jesu dienen. Es ist ja durchaus möglich und wahrscheinlich, dass die Juden auch an dieser Stelle Jesus missverstehen wollten, genau so wie sie es während der gesamten Diskussion taten. Es besteht also die Möglichkeit, dass die Juden Jesus steinigen wollten, weil sie nicht verstanden, was er sagen wollte. Und in dem Fall kann ihr Steinigungsversuch nicht als Hinweis dafür dienen, was Jesus gemeint haben könnte.

Dafür wäre erst einmal ein weiteres Argument erforderlich, dass zeigt, warum die Juden im Vers 58 Jesus plötzlich korrekt verstehen. Solch ein Argument bringt aber niemand vor, und es kann auch nicht vorgebracht werden, da es im Text nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür gibt, dass Jesu Gegner genau an dieser Stelle von plötzlichem Verständnis übermannt wurden. Alles spricht dafür, dass sie weiterhin im Dunkeln tappten, so wie im ganzen achten Kapitel und weitgehend in allen Diskussionen in allen Evangelien.

Solange es aber dieses zusätzliche Argument nicht gibt, setzen die Trinitarier auch hier wieder einfach voraus, was sie beweisen wollen, nämlich, dass die Juden Jesus wegen der Dreieinigkeitslehre töten wollten. Damit haben wir wiederum einen Zirkelschluss.

Was konnten die Juden überhaupt verstehen?

Das ist eine wesentliche Frage! Denn wenn ein Jude im ersten Jahrhundert nicht im Traum von selbst auf die Idee gekommen wäre, dass ein Mensch Gott ist, dann hätte es mehr bedurft als einer Andeutung, deren geheimen Sinn man" richtig verstehn" muss; es wäre vielmehr eine ausdrückliche Aussage vonnöten gewesen, damit er überhaupt auf den Gedanken hätte kommen können.

Und wie wir wissen, gab es damals noch keine Dreieinigkeitslehre; diese wurde erst im vierten Jahrhundert formuliert - nach einem Jahrhundert schwerster philosophischer Debatten und politischer Kämpfe. Im ersten Jahrhundert gab es kein Konzept von drei göttlichen Personen in einem Gott und auch kein Konzept von einer göttlichen und menschlichen Natur Jesu. Auch denjenigen, die später diese Lehren formulierten, waren sie nicht offensichtlich. Vielmehr waren Jahrzehnte intensiven Nachdenkens erforderlich, um diese Ideen so zu formulieren, dass sie nicht sofort in einem logischen Schiffbruch endeten.

Damit mich niemand falsch versteht: Ich will nicht sagen, dass Jesus keine Dreieinigkeit lehren konnte, weil noch niemand etwas davon gehört hatte; das wäre ein dummes Argument. Viel mehr ist es so, dass kein Jude von selbst auf den Gedanken einer Dreieinigkeit hätte kommen können, weil er eine Andeutung hierzu hörte. Vielmehr wäre eine ausdrückliche Erklärung notwendig gewesen, damit ein Jude des ersten Jahrhunderts auf diese Idee hätte kommen können. Der Gedanke war im so fremd wie im 19. Jahrhundert die Idee der allgemeinen Relativitätstheorie.

Außerdem zeigt der Verlauf der Diskussion, dass Jesus die Gedanken seiner Zuhörer in eine vollkommen andere Richtung lenken wollte: Wie wir bereits gesehen hatten, erhob er wiederholt und ausdrücklich den Anspruch, von Gott gesandt zu sein und in seinem Namen zu reden. Daher war auch ein wesentlicher Streitpunkt in der Diskussion, ob er ein wahrer oder ein falscher Prophet ist, wie wir bereits oben gesehen haben.

Allen Juden (und Jesus Christus, siehe Markus 12,29) war hierbei die Aussage bekannt: "Jehova ist unser Gott; Jehova ist EINER". Diese Aussage, die eine der Grundlagen des jüdischen Glaubens bildet, schließt aus, dass es mehr als eine göttliche Person geben kann (es sei denn, man setzt bereits eine ausformulierte Dreieinigkeitslehre voraus, aber die soll ja hier erst bewiesen werden; und die Juden im ersten Jahrhundert hatten davon noch nichts gehört). Und Jesus sagte in Johannes 8,54 dazu ausdrücklich, dass der Vater (der ihn sandte) derjenige ist, von dem die Juden sagen, er sei ihr Gott. Und damit schließt sich Jesus ausdrücklich aus der Kategorie "allmächtiger Gott" aus.

Wie das? Jesus sagt ausdrücklich, dass sein Vater der Gott Israels ist und er ein Gesandter dieses Gottes ist. Und nach 5.Mose 6,4 war diese Gott ja EINER! Um Jesus noch in die Kategorie "wahrer Gott" hineinbringen zu können, muss man entweder annehmen, dass Jesus behauptete, dass der Gott Israels nur ein Teil des wahren Gottes ist (das geht aber nicht, da Jesus selbst in Johannes 17,3 ausdrücklich sagt, dass der Vater der "allein wahre Gott ist") oder aber dass Jesus selbst keine Ahnung hatte, wovon er redete (Aber dann können wir seine Worte nicht als Beweis verwenden).

Wir dringen langsam zum Kern der Angelegenheit vor
Außerdem wurde die Frage nach Jesu Identität in der Diskussion wiederholt gestellt (im Vers 25 und 53 des achten Kapitels), und Jesu Antwort auf diese direkten Fragen wies nie darauf hin, dass er einen "göttlichen Anspruch" erhob, sondern er bezeichnete sich als Gesandten Gottes, er wies sogar darauf hin, dass der, der ihn sandte, Gott ist. Die Juden verstanden diesen Anspruch Jesu sehr gut als Hinweis darauf, dass Jesus sich als Prophet Gottes bezeichnete, und wollten dies wie oben gezeigt ausnutzen, um ihn als falschen Propheten zu töten. Die Frage aber, die Jesus in 8,58 beantwortete, bezog sich aber nicht auf seine Identität, sondern auf sein Alter.

Damit müsste man aber unterstellen, dass Jesus in der Diskussion versucht hatte, seine Gegner zu täuschen, wenn man glauben will, dass er in Johannes 8,58 "einen göttlichen Anspruch" erhoben hat. Denn auf die direkte Frage: "Wer bist du?" antwortete er etwas, was jeden seiner damaligen Zuhörer davon überzeugen musste, dass er nicht Gott sein kann. Hat Jesus also versucht, die Juden zu belügen (während er ihnen immer wieder versicherte: "Ich rede die Wahrheit") und er hat sich im Vers 58 bloß verplappert? Das erscheint mir -gelinde gesagt- unwahrscheinlich und darüber hinaus lästerlich; falls ein Trinitarier dies behauptet, wäre es sogar Gotteslästerung! Und ein Argument, dass eine Gotteslästerung benötigt, um Jesu "göttlichen Anspruch" zu beweisen, ist offensichtlich absurd.

Zum Kern der Sache

Alles, was wir bisher besprochen hatte, betraf Punkte, die das zentrale trinitarische Argument zu Johannes 8,58 unterstützen sollten. Jetzt kommen wir zum eigentlichen Kern der Sache selbst: Was hat Jesus eigentlich genau behaupten wollen? Denn falls er wirklich behaupten wollte, Gott zu sein, ist es im Endeffekt egal, ob seine Gegner ihn verstanden und ob das der Grund war, dass sie ihn steinigen wollten. Zwar haben wir gerade gesehen, dass Jesus auf die direkte Frage, wer er denn sei, keinen Anspruch erhob, Gott zu sein. Aber vielleicht hatte Jesus es sich ja im Laufe der Diskussion anders überlegt, nachdem er zweimal "leugnete" Gott zu sein und hat dann doch endlich die Wahrheit gesagt?

Wenn wir uns die eingangs genannten Argumente anschauen, dann werden drei Möglichkeiten genannt, wie Jesus hier einen göttlichen Anspruch erhoben haben könnte:
  1. Er hat sich als ewig präexistent bezeichnet
  2. Er hat die gleichen Worte benutzt wie Gott in 2.Mose 3,14
  3. Er hat die gleichen Worte benutzt wie Gott in Jesaja 41,1; 43,10 oder 5.Mose 32,39.
Diese Punkte wollen wir uns der Reihe anschauen, um zu sehen, ob sie einen "göötlichen Anspruch" Jesu enthalten.

Präexistenz

Fangen wir mit der Präexistenz an. Wenn wir uns die trinitarischen Beahuptungen vom Anfang des Artikels in den Sinn rufen, dann konnten wir dort lesen5:
Dafür spricht erstens der starke Gegensatz zwischen Abrahams genesthai (ingressiver Aorist) und sein eigenes eimi, der uns an Joh 1,1-18 erinnert, wo deutlich wurde, dass alles "geworden ist" (egeneto) im Gegensatz zu dem Logos, der immer "war" (ên ).
Die trinitarische Lehre, dass Jesus als göttliche Person bereits ewig existierte, bevor er auf die Erde kam, wird als Präexistenz bezeichnet.

Kann man das denn aus Johannes 8,58 herleiten? Nun Jesus sagt unumstritten aus, dass er bereits länger existiert, als Abrahams Geburt her ist. Bedeutet das aber, dass er ewig und damit als göttliche Person existiert haben muss?

Nein, es gibt vieles, was länger existert als Abrahams Geburt her ist, ohne dass man auf die Idee käme, es müsse sich um eine ewig existierende Person des dreieinigen Gottes handeln: die Erde, das Universum, die Engel, Satan, die Zahl "5", die Erbsünde, Steuerbehörden, etc. Wenn aber so vieles so lange existieren kann, ohne Gott zu sein, dann kann auch Jesus so lange existiert haben, ohne Gott zu sein. Denn was die Engel können, kann Jesus schon lange.

Um also die trinitarische Präexistenz Jesu zu beweisen, wäre noch ein Hinweis erforderlich, dass Jesus nicht nur lange, sondern ewig existiert hat. Wenn man sich den Vers 58 anschaut, enthält er aber keinen direkten Hinweis.

In dem obigen Argument wird hierfür auf Johannes 1,1-18 verwiesen, wo dieser Hinweis enthalten sein soll. Nun würde es zu weit führen, diesen Text hier auch noch ausführlich zu besprechen, aber das müssen wir hier auch nicht. Denn mit diesem Schachzug im o.g. Argument wird Johannes 8,58 als "Beweistext" für die Dreieinigkeit unbrauchbar: Genau der entscheidende, zentrale Punkt, der für das trinitarische Argument erforderlich ist, ist in Johannes 8,58 damit überhaupt nicht mehr vorhanden. Die ewige Präexistenz, die Jesu Göttlichkeit beweisen soll, wird hier gar nicht gelehrt, sondern muss aus einer anderen Stelle besorgt werden, bevor man sie hier auch "wiederfinden" kann.

Präexistenz
Das ist ein Phänomen, dass ich bei Beweistexten für die Dreieinigkeit immer wieder feststelle. Solange man von weitem schaut, kann man irgendwie annehmen, dass der Text etwas trinitarisches aussagen könnte. Sobald man aber dem zugehörigen Argument bis zur eigentlichen Kernaussage folgen will, stellt man kurz vor dem Ziel immer wieder fest, dass es nicht mehr weitergeht und das man für den zentralen Punkt, der das ganze Argument stützt, erst einmal einen anderen Text prüfen muss.

Und wenn man dann bei diesem anderen Text das Spiel von vorne anfängt und dem Argument zu dem neuen Vers zu Ende folgen will, passiert wieder das gleiche: Kurz vor dem entscheidenden Punkt wird man wieder an eine andere Stelle verwiesen.

Das Spiel kann man entweder solange treiben, bis man an einen Punkt kommt, wo es keinen neuen Text mehr gibt, sondern eine einfache Behauptung: "Das ist so" (das ist dann die Stelle, wo der Trinitarier angefangen hat, seine Lehre in die Bibel "hineinzulesen") oder aber man kommt irgendwann wieder bei genau dem Vers an, bei dem als ursprünglichen Beweistext gestartet ist. Trinitarier hoffen anscheinend, dass man an diesem Punkt bereits so erschöpft ist, dass man nicht mehr mitkriegt, sich in einem galktischen Kreis gedreht zu haben, und endlich das akzeptiert, was nach trinitarischer Sicht "offensichtlich so sein muss". Aus diesem Grund sind längere Diskussionen zur biblischen Grundlage der Dreieinigkeit meist unergiebig. Bevor wir also damit anfangen, gehen wir schnell weiter zum nächsten Argument.

2.Mose 3,14

In den o.g. trinitarischen Argumenten wurde u.a. behauptet6:
Mit dem Ausdruck "Bin ich" konnten die Juden etwas anfangen. Sie wußten sofort, was er damit sagen wollte. Denn als Mose beim brennenden Dornbusch nach Gottes Namen fragte, da sagte Gott zu ihm "Ich bin der Ich bin" - es handelt sich hier also um eine Gottesbezeichnung. Jesus bezeichnet sich selbst als Gott...

Hier gab sich Jesus selbst als Jahwe zu erkennen, d.h. als der Herr des ATs. Diesem Ausdruck liegen Bibelstellen zugrunde wie 2.Mo 3,14;...
Das Argument lautet also hier: Jesus benutzt die Worte "ich bin". Das klingt so wie die Worte, die Gott am Berg Sinai benutzte ("Sage ihnen: 'Ich bin' hat mich gesandt"), um sich selbst zu bezeichnen. Und (so das Argument) wenn man sich mit den gleichen Worten beschreibt wie Gott, dann behauptet man, Gott zu sein.

Dieses Argument enthält einige mehr oder weniger offensichtliche Probleme. Wenn wir uns Johannes 9,9 anschauen, dann benutzt dort ein ehemals blinder Bettler, der von Jesus geheilt wurde, die gleichen Worte "Ich bin" wie dieser in 8,58, ohne dass irgend jemand darin einen "göttlichen Anspruch" vermutet hätte oder versucht hätte, ihn zu steinigen. Im Griechischen lauten die Worte exakt gleich wie in Johannes 8,58 "ego eimi".

Es wäre auch eigentlich seltsam, zu vermuten, dass die Worte "ich bin" jemanden dem Verdacht aussetzen sollten, Gott zu sein, denn sie gehören wohl in jeder Sprache zu den geläufigsten Worten. Jeder Mensch muss diesen Ausdruck fast täglich benutzen, wenn er mit seinen Mitmenschen kommuniziert.

Der Berg Sinai, an dem Gott dem Mose im brennenden Dornbusch erschien.
(Quelle: Wikimedia)
Außerdem gibt es mit der Gleichsetzung Johannes 8,58= 2.Mose 3,14 ein noch größeres Problem: Die Ähnlichkeit besteht nur im Deutschen, bzw. den modernen Übersetzungen. Im Griechischen werden in diesen beiden Texten jeweils andere Worte benutzt! Dies zeigt sehr schön die "Septuaginta Deutsch", die sich bemüht die Septuaginta (die griechische Version des AT, die allgemein benutzt wurde, als Johannes sein Evangeium schrieb) wortwörtlich ins deutsche zu übersetzen; sie benutzt hier nicht die allgemein bekannten Worte "ich bin" sondern vielmehr den Ausdruck "der Seiende", der im griechischen komplett anders lautet als "ich bin".

Auch im hebräischen kann nicht das gleiche Wort verwendet worden sein. Um wie versprochen hier nicht zu sehr die Grammatik zu vertiefen, will ich nur darauf hinweisen, dass das hebräische Wort "ehjeh", das Jehova im Dornbusch verwendete, sich in der gesamten hebräischen Bibel niemals auf Sachverhalte in der Vergangenheit bezieht. Meist bezieht es sich auf die Zukunft (und wird dann häufig mit "ich werde sein" oder "ich will sein" übersetzt) oder auf irgendwelche "gedachten Möglichkeiten", die wir im deutschen meist mit dem Konjunktiv ausdrücken (und wird dann gerne mit "ich wäre" oder "ich sei" übersetzt). Nun bezog sich Jesus in Johannes 8,58 eindeutig auf einen Sachverhalt in der Vergangenheit. Daher kann er hier nicht die Form "ehjeh" verwendet haben. Und darum verwenden hebräische Übersetzungen des Johannesevangeliums an dieser Stelle auch normalerweise nicht "ehjeh". Hier habe ich im Internet eine Übersetzung gefunden, die die Form "hajiti" benutzt, die allgemein mit "ich war" übersetzt wird. Bisher habe ich keine hebräische Übersetzung gesehen, die hier "ehjeh" schreiben würde. Sollte irgend jemand eine hebräische Übersetzung finden, die in Johannes 8,58 das Wort "ehjeh" benutzt, dann hinterlasse bitte einen Kommentar.

Die Ähnlichkeit besteht also nur in der (deutschen) Übersetzung. Mit anderen Worten: Vor Luther konnte man anhand von Johannes 8,58 also gar nicht erkennen, dass dieser Text die Gottheit Jesu beweist.

Stop mal, da kann etwas nicht stimmen. Weder Jesus noch die Juden sprachen deutsch oder hatten eine moderne Übersetzung zur Verfügung. Alles, was sie hatten, zeigte ganz klar, dass Jesus andere Worte benutzte als Gott in 2.Mose 3,14. Damit kann Jesus sich nicht mit seinen Worten als der Gott aus 2.Mose 3,14identifiziert haben. Und das haben wir (fast) ganz ohne Grammatik festgestellt!

Am Schluss noch angemerkt: Auch Ruth benutzt das Wort "ehjeh" in Ruth 2,13 und dutzende anderer Personen an vielen anderen Stellen des AT ebenfalls. Wer nicht sagen will, dass sie alle damit einen "göttlichen Anspruch" erhoben (was natürlich absurd ist), kann auch Jesu Worte nicht so ansehen, ohne dass er sich in einen Widerspruch verwickelt.

Ani hu!

Kommen wir nun zum letzten Versuch, Jesus Worte als "Anspruch auf Gottheit" zu verstehen. In den o.g. Kommentaren finden wir folgende Hinweise:
Drittens, wie Carson bemerkt hat, gibt es eine sehr starke linguistische Parallele zwischen dem, was Jesus hier gesagt hat und Jes 40-55; (vgl. u.a. 41,4: "Ich, Jahwe - mit den Ersten und den Letzten - ich bin derselbe [MT: ´anij hu´ ; LXX: egô eimi ]"). Aus diesen Gründen ist es sehr wahrscheinlich, dass Jesus hier auf den Namen Jahwe anspielt.

Hier gab sich Jesus selbst als Jahwe zu erkennen, d.h. als der Herr des ATs. Diesem Ausdruck liegen Bibelstellen zugrunde wie[...] 5.Mo 32,39; Jes 41,4; 43,10, wo Gott sich als der ewige präexistente Gott erklärt, der sich den Juden im AT selbst offenbart
In allen hier genannten Versen bezeichnet sich Jehova selbst mit den hebräischen Worten "ani hu", die im deutschen ebenfalls mit "ich bin" wiedergegeben werden, obwohl es sich um vollkommen andere Worte handelt als in 2.Mose 3,14. Offensichtlich kann aber höchstens eine dieser Gleichsetzungen funktionieren; denn wenn Jesu Worte denen in Jesaja 41,4 gleichen, können sie nicht denen in 2.Mose 3,14 gleichen und umgekehrt.

Diese Gleichsetzung funktioniert auch nicht, aber aus etwas anderen Gründen als im vorherigen Abschnitt. Denn hier ist es tatsächlich so, dass die Worte in Johannes 8,58 im griechischen gleich lauten wie die Worte, die Gott nach der Septuaginta in den genannten Versen benutzt, nämlich "ego eimi". In den angegebenen Septuaginta-Texten dienen diese Worte als Wiedergabe des hebräischen Ausdrucks "Ani hu", der wortwörtlich "ich er" bedeutet, und in dem Sinne "ich bin er/es" benutzt wird. Und theoretisch könnte man Jesu Worte aus Johannes 8,58 sogar mit "ani hu" ins hebräische zurück übersetzen, obwohl ich auf die schnelle jetzt keine Übersetzung gefunden habe, die dies tatsächlich macht.

Allerdings bedeutet das nicht, dass diese Worte unbedingt einen göttlichen Anspruch enthalten. Denn wir können uns denken, dass auch diese Worte sehr alltäglich sind. Nicht nur Gott benutzt sie, sondern auch Menschen. Z.B. benutzt David genau diese Worte in 1.Chronika 21,17, wo sie sowohl im hebräischen Text als auch in der Septuaginta genau so lauten wie die Worte Gottes in Jesaja 41,4 und den anderen angegebenen Texten. Niemand zieht daraus den Schluss, dass David hier einen göttlichen Anspruch erhebt. Und wenn das bei David so ist, dann kann das bei Jesus nicht anders sein, es sei denn wir wollen annehmen, dass für Jesus andere grammatische Regeln gelten als für andere Leute.

Auch der bereits oben erwähnte Bettler aus Johannes 9,9 sagt in der hebräischen Übersetzung, die ich oben verlinkte, "ani hu", auch wieder ohne dass irgend jemand einen "göttlichen Anspruch" vermutet. Die einzig mögliche Schlussfolgerung ist, dass die Worte "ego eimi" bzw. "ani hu" ganz alltägliche Worte waren, die jeder benutzen konnte, vom Bettler bis zu Gott.

Jetzt sehen wir auch, warum die trinitarischen Argumente sich nicht ausschließlich auf diese Worte konzentrieren dürfen: Die Worte selber sagen nichts aus, was nicht genau so gut ein Bettler auf der Straße über sich sagen könnte. Aus diesem Grund wird so gerne auf die gewalttätige Reaktion der Juden verwiesen; denn diese Reaktion kann (wenn man den Kontext ausblendet) dann als Hinweis gedeutet werden, dass Jesu Worte eine zusätzliche geheimnisvolle Bedeutung haben müssen. Wie wir allerdings weiter oben schon gesehen haben, liefert der Kontext bereits ausreichend Gründe, die gewalttätige Reaktion zu erklären, ohne dass man dafür auf irgendeinen Hintersinn in den Worten Jesu spekulieren muss.

Fazit

Zusammenfassend kann man also sehen, dass es keinen Grund gibt, in Johannes 8,58 einen "Anspruch auf Gottheit" zu sehen. Jesu Gegner hatten bereits seit längerer Zeit vor, ihn umzubringen, sie suchten während der gesamten Diskussion nach Vorwänden dafür und fanden schließlich einen darin, dass sie ihm unterstellten, ein falscher Prophet zu sein, da er im Namen Gottes etwas sagte, was sie als "offensichtlich falsch" ansahen.

Das Argument nach betrachten aller Details
Bei dem Versuch, Jesus zu steinigen, wurden sämtliche Vorschriften der jüdischen Tradition außer Acht gelassen, was darauf hinweist, dass es nicht um eine echte Verletzung des jüdischen Gesetzes ging. Vielmehr zeigt der Kontext, dass die jüdische Elite sich durch Jesus in ihrem Anspruch auf Autorität angegriffen sah.

Die Juden hatten anscheinend an keiner Stelle der Diskussion vor zu verstehen, was Jesus ihnen sagen wollte, daher ist die Annahme unbegründet, dass sie ausgerechnet im Vers 58 den "verborgenen Sinn" der Worte Jesu verstanden hätten.

Und Jesu Worte enthalten weder den Anspruch, bereits ewig zu existieren, noch gleichen seine Worte denen aus 2.Mose 3,14. Auch die Ähnlichkeit zu den Worten aus Jesaja 43,10 etc. beruht auf Worten, die jeder Bettler auf der Straße von sich benutzen konnte, ohne dass irgend jemand etwas dabei seltsam fand. Stattdessen leugnete Jesus auf die direkte Frage, wer er sei, Gott zu sein, und bezeichnete sich viel mehr als dessen Gesandter.

Dabei habe ich ganz nebenher noch gelernt, dass beim Laubhüttenfest im ersten Jahrhundert der Brauch bestand, nachts mit vier riesigen Leuchtern den Tempel zu erleuchten und in einer feierlichen Prozession Wasser aus einer Quelle zum Altar im Tempel zu bringen. Darauf bezog sich anscheinend Jesus, als er während des Festes sagte: "Ich bin das Licht der Welt" (8,12) und "wenn jemand dürstet, komme er zu mir und trinke" (7,37). Leider habe ich die Quellen wieder verbummelt.

Im Endeffekt ist aber klar, dass jeder einzelne Schritt des trinitarischen Arguments zu Johannes 8,58 nicht funktionieren kann. Und ich kann sagen, dass es absolut nicht erforderlich ist, sich auf die NWÜ zu stützen, um das zu sehen, denn ich habe in diesem ganzen Artikel kein einziges mal davon Gebrauch machen müssen. Diejenigen, die hier aber einen trinitarischen Beweistext vermuten, werfen häufig Zeugen Jehovas vor, "ihre Bibel" hier bewusst gefälscht zu haben, um den Beweis für Jesu Göttlichkeit zu unterschlagen. Aber dass das nicht stimmt kann man wirklich nur zeigen, wenn man sich in die Grammatik vertieft, und wird daher auf ein andermal verschoben.
1 Einige umgehen diese Problem sehr einfach, indem sie einen entsprechenden Satz in 1.Johannes 5,7 einfügen (das sogenannte Comma Johanneum); aber das ist natürlich geschummelt.

1b Der Ausdrück "jüdisches neues Testament" ist dabei etwas irreführend. Es handelt sich um eine Version, die von einem messianischen Juden erstellt wurde, einer Gruppe von Juden, die den Baptisten nahesteht. Daher wird man zur Identität Christi kaum etwas finden, was der Meinung der Mehrheit der Juden entspricht.

2 Fürchte dich nicht, oh Leser! Das ist metaphorisch gemeint, dieser Artikel enthält keine Mathevermittlungswaffen (englisch: weapons of math instruction).

3 Ich sollte vielleicht klarstellen, was ich meine, wenn ich hier von "den Juden" spreche; angesichts der deutschen Gesschichte führt diese Wortwahl bei vielen (zurecht) zu Bauchschmerzen. Im Johannesevangelium sind mit "den Juden" häufig und insbesondere an der besprochenen Stelle nicht allgemein Menschen gemeint, die nach der Abstammung oder der kulturellen Identität zum jüdischen Volk gehören, sondern es sind insbesondere die weltanschaulichen Gegner Jesu aus der jüdischen Elite seiner Tage gemeint. Und faul wie ich bin, übernehme ich diesen Wortgebrauch, um nicht ständig erklären zu müssen, was gemeint ist.

3a Im Gegensatz dazu sagt ein Bibelkommentar:
Barrett, Charles K.: Das Evangelium nach Johannes Göttingen 1990, S.355

Die Steinigung war die Strafe für Gotteslästerung (Lev 24,16; Sanh 7,4); aber dies bedeutet nicht, daß Jesus behauptet hatte, er sei Gott.
4 Außerdem kann man diesem Abschnitt des Talmud entnehmen, dass eine jüdische Steinigung (im Gegensatz zu einer heutigen islamischen) nicht das Ziel hatte, dem Verurteilten Schmerzen zuzufügen oder ihn stundenlang zu Tode zu quälen: Es bestand die Verpflichtung, dem Verurteilten vor der Urteilsvollstreckung Wein mit Betäubungsmittel zu geben (was offensichtlich zeigt, dass nicht die Absicht bestand, Schmerzen zuzufügen, vergleiche Markus 15,23, wo Jesus solch einen Wein ablehnt) und die Urteilsvollstreckung erfolgte auf eine Weise, die dafür sorgte, dass der Verurteilte fast immer sofort starb, d.h. ohne längere Zeit, in der er Schmerzen leiden konnte.

5 Ähnliche Ideen kann man in folgendem Bibelkommentar finden:
Barrett, Charles K.: Das Evangelium nach Johannes Göttingen 1990, S.355

Der Sinn ist folgender: Ehe Abraham wurde, war ich in Ewigkeit, ebenso wie ich jetzt bin und ewig sein werde. Vgl. Thomasevangelium 19: Selig ist, wer war, bevor er wurde. Vgl. Ps 90,2.
Auch hier gibt es leider keinen weitergehenden Hinweis darauf, wie man auf diese Idee kommt.

An dieser Stelle vielen Dank für die Übersendung des Links!

6 Der bereits zitierte Bibelkommentar behauptet allerdings das Gegenteil:
Barrett, Charles K.: Das Evangelium nach Johannes Göttingen 1990, S.355

Lindars lehnt hier zurecht die Vermutung einer Anspielung auf Ex [2.Mose] 3,14 ab.

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