Dienstag, 17. Januar 2012
[Jesus = Michael] Die Antike
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Ich war bisher der Meinung, dass die Idee, Jesus mit Michael zu identifizieren, zuerst während der Reformation belegbar ist.

Nun habe ich hier und hier einen Hinweis gefunden, dass diese Verbindung bereits im zweiten Jahrhundert gemacht wurde.

Im Hirte des Hermas Gleichnisse 8.3.2-3 kann man lesen:
„Höre“, versetzte er; „dieser große Baum, der Ebenen und Berge und die ganze Erde überdeckt, bedeutet das Gesetz Gottes, das für die ganze Welt gegeben ist. Dies Gesetz aber ist der Sohn Gottes, der bis an die Grenzen der Erde verkündet worden ist. Die Völker in seinem Schatten sind die, welche seine Botschaft hörten und an ihn glaubten. Der große und herrliche Engel ist Michael, der Gewalt hat über dieses Volk und dasselbe beherrscht. Denn dieser ist es, der sein Gesetz in die Herzen der Gläubigen gelegt hat; und denen er es gegeben hat, bei denen schaut er nach, ob sie es gehalten haben.
Dieser Text legt eine Identifizierung von Jesus mit Michael nahe. Denn entweder Jesus ist Michael; und dann kann er genau aus diesem Grund "das Gesetz"="den Sohn Gottes" (Jesus) in die Herzen der Gläubigen legen und hätte aus diesem Grund Gewalt über das Volk der Gläubigen.

Oder aber Michael müsste unabhängig von Jesus im Auftrag Gottes Gewalt über die Gläubigen haben. Nun ist es aber eine ausdrückliche Lehrmeinung der Christen, dass Jesus "alle Gewalt" im Himmel und der Erde innehat. Es ist kaum anzunehmen, dass der Hirte des Hermas dieser Meinung widersprechen wollte. Damit haben wir aber eine sichere Identifizierung Jesu mit Michael, die weitaus älter ist, als alle bisher genannten Belege.

Hierzu ist auch folgendes Zitat interessant, dass ich in einem der Links oben fand:
"Paul contrasts with this [the promulgation of the OT by angels] the new Law communicated by the Word himself (Gal. 3:20; Heb. 2:3). In Hermas this function is performed by Michael. This name must therefore be regarded as a name of the Word"

A History of Early Christian Doctrine: The Theology of Jewish Christianity (Jean Danielou), S. 124

meine Übersetzung:

Paulus stellt diesem [die Übermittlung des AT durch die Engel] das neue Gesetz entgegen, das vom WORT selbst übermittelt wird (Gal 3,20; Heb 2,3). In Hermas wird diese Funktion von Michael übernommen. Dieser Name muss daher als ein Name des WORTs angesehen werden.
Nur um Missverständnissen vorzubeugen: Ich meine natürlich nicht, dass der Hirte des Hermas in irgendeiner Weise dem "Neuen Testament" gleichgesetzt werden kann; ich denke auch nicht, dass diese Schrift irgendwie maßgebend für christliche Lehren ist. Ich zitiere ihn hier ausschließlich als Beleg dafür, wie einige Christen des zweiten Jahrhunderts über diese Frage dachten.

[Nachtrag]: Hier findet man mehrere andere Zitate der "Kirchenväter", die belegen, dass Jesus als oberster Engel angesehen wurde; er wird hier zwar nicht Michael genannt, aber die Beschreibungen sind verblüffend ähnlich zu dem, was wir über Michael wissen.

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