Dienstag, 25. September 2012
"Junk-DNA" evolviert zu etwas nützlichem
DNA-Modell
Quelle: Wikipedia
Nein, nicht wie du jetzt denkst;o)

Die DNA hat sich nicht im geringsten geändert. Aber unser Wissen darüber, was los ist, schreitet munter voran und entwickelt sich. Richard Dawkins behauptete noch 2009 folgendes:
[...]it is a remarkable fact that the greater part (95 per cent in the case of humans) of the genome might as well not be there, for all the difference it makes.

[...] es ist eine bemerkenswerte Tatsache, dass der größte Teil (beim Menschen 95%) des Genoms genauso gut nicht da sein könnten, ohne dass es einen Unterschied macht.

(The Greatest Show on Earth, Richard Dawkins, 2009, S.233; Übersetzung und Hervorhebungen von mir)
In einem Artikel in nature wird jetzt erläutert, dass für mindestens 80,4% des menschlichen Genoms eine Funktion gefunden wurde. Damit ist die "bemerkenswerte Tatsache" nach nur drei Jahren bereits ein Irrtum.

Glücklicherweise (oder leider, je nach Sichtweise) hat Dawkins nicht direkt behauptet, dass die 95% nutzloser DNA ein Beweis für die "Tatsache der Evolution" sind (obwohl der Zusammenhang den Leser stark in die Richtung weist), sonst wäre ich jetzt gezwungen, seine Schlussfolgerung auseinander zu nehmen.

Wie in den abschließenden Bemerkungen des Nature-Artikels erklärt wird, ist die Suche noch nicht abgeschlossen, da u.a. 147 Zelltypen untersucht wurden (wikipedia gibt die Gesamtzahl der menschlichen Zelltypen nach unterschiedlichen Quellen mit 210 bis 411 an), und auch in anderen Fragen nur ein Teil des theoretisch zur Verfügung stehenden Materials gesichtet wurden. Ich erwarte daher, dass in Zukunft für den größeren Teil der restlichen knapp 20% ebenfalls noch eine Funktion gefunden werden wird.

Es ist übrigens nicht so, dass die Forschung in den letzten drei Jahren eine erstaunliche Kehrtwende gemacht hätte; stattdessen deutete sich dies schon seit längerem an. In den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts fanden die Forscher heraus, dass DNA Aminosäuren und damit Proteine codieren kann und zogen den Schluss, dass dies die Aufgabe der DNA sei; viele von un s dürften das auch so im Bio-Unterricht gelernt haben. Überraschenderweise stellte sich aber kurz danach heraus, dass (die von Dawkins erwähnten) rund 95% der DNA keine Proteine kodieren.

Diese Entdeckung hätte man auf zwei Weisen deuten können: Man hätte annehmen können, dass die DNA noch weitere Funktionen hat außer dem kodieren von Proteinen und dann die entsprechenden Funktionen suchen können; dann wäre das Auffinden neuer Funktionen keine Überraschung gewesen. Oder man hätte annehmen können, dass die 95% "genetischer Müll" sind (das ist die Bedeutung von Junk DNA), den die Evolution beim Entwickeln der der Organismen zurückgelassen hat; wer so denkt, der sucht natürlich nicht nach zusätzlichen Funktionen und ist überrascht, wenn dann doch welche auftauchen. 1972 wurde hierfür der Ausdruck "Junk-DNA" geprägt.

Ein großer Teil der Wissenschaftler scheint sich für die zweite Hypothese entschieden zu haben, weswegen diese Idee bis heute noch in vielen Köpfen von Nicht-Fachleuten herumspukt. Aber in den letzten Jahren konnte man riesige Mengen von Fachliteratur finden, die ständig neue Funktionen für diese "Junk-DNA" fanden (und noch finden, z.B. hier), weswegen man sie heute gerne "Non-Coding DNA" nennt, da "Junk" eine offensichtlich irreführende Bezeichnung ist. Ein Autor in Scientific American geht so weit zu sagen, dass die Bezeichnung "Junk DNA" den wissenschaftlichen Fortschritt gehemmt hat:
Although very catchy, the term "junk DNA" repelled mainstream researchers from studying noncoding genetic material for many years. After all, who would like to dig through genomic garbage?

Obwohl der Ausdruck "Junk DNA" sehr eingängig ist, hat er Mainstream-Forscher viele Jahre davon abgehalten, nichtkodierende DNA zu untersuchen. Wer wollte schließlich in genetischen Abfallhaufen herumwühlen? (meine Übersetzung)
Das hat aber eine ganze Reihe bekannter und prominenter "Evolutions-Propheten" nicht daran gehindert, daran festzuhalten, dass "Junk DNA" in der einen oder anderen Form ein Beweis gegen eine Schöpfung sei. So schreibt z.B. PZ Myers im Jahre 2010 in seinem Blog:
Junk DNA is still junk

Creationists [...] detest the idea of junk DNA — that the gods would scatter wasteful garbage throughout our precious genome by intent was unthinkable, so any hint that it might actually do something useful is enthusiastically siezed upon as evidence of purposeful design.

Well, score one for the more cautious scientists, and give the creationists another big fat zero...

Junk DNA ist immer noch Müll

Kreationisten verabscheuen die Idee der Junk DNA — es war undenkbar, dass die Götter absichtlich sinnlosen Abfall in unserem wertvollen Genom verteilen; daher stürzen sie sich auf jeden Hinweis, dass sie etwas tatsächlich etwas sinnvolles tut, als Hinweis auf zielgerichtetes Design.

Nun, es steht eins zu null für die vorsichtigeren Wissenschaftler gegen die Kreationisten
Und Richard Dawkins schreibt in dem gleichen Buch, dass ich oben schon zitierte über Pseudogene (eine besondere Art "Junk-DNA"):
What pseudogenes are useful for is embarrasing creationists. It stretches even their creative ingenuity to make up a convincing reason why an intelligent designer should have created a pseudogene -a gene that does absolutely nothing and gives every appearance of being a superannuated version of a gene that used to do something- unless he was deliberately setting out to fool us.
Pseudogene sind nützlich, um Kreationisten1 zu blamieren. Es überfordert selbst ihren kreativen Einfallsreichtum, sich einen überzeugenden Grund auszudenken, warum eine intelligenter Designer ein Pseudogen hätte erschaffen sollen -ein Gen, dass absolut nichts tut und in jeder Hinsicht den Anschein erweckt, die überalterte Version eines Gens zu sein, dass etwas tut- außer, dass er absichtlich versucht, uns hinter das Licht zu führen.

(The Greatest Show on Earth, Richard Dawkins, 2009, S.232; Übersetzung von mir)
Natürlich widersprechen auch dieser Aussage neuere Forschungsergebnisse, wie z.B. dieses, die auch für "Pseudo"-Gene Funktionen entdecken.

Und nebenbei gesagt, habe ich keine größeren Probleme damit, die Idee, dass es für einige Teile der DNA keine Funktion gibt, mit der Idee einer zielgerichteten Schöpfung in Übereinstimmung zu bringen. Im Gegensatz zu den Behauptungen der zwei o.g. Herren ist es kein Problem für die Idee, dass die belebte Welt erschaffen wurde. Denn niemand kann behaupten, dass die DNA heute sich in exakt dem Zustand befindet, wie sie einmal geschaffen wurde. Und genau so wie eine kaputte Zentralverriegelung nicht beweist, dass mein BMW2 nicht designt ist, genau so beweisen kaputte Gene nicht, dass die DNA nicht designt wurde.

Meine (unverbindliche) Vorhersage lautet: In naher Zukunft werden "Evolutions-Propheten" wie PZ Myers extremen Wert auf die Tatsache legen, dass wir für einen Großteil gefundenen Funktionen noch keine genaue Erklärung angeben können und weiter behaupten, dass es sich um Abfall handeln muss3.

Längerfristig wird sich das ändern. In dem Maße, wie wir anfangen, den biologischen Sinn der verschiedenen DNA-Aktivitäten zu erkennen, werden die gleichen Leute anfangen zu behaupten, dass es im Rahmen der Evolutionstheorie zu erwarten ist, dass ein Großteil der DNS eine Funktion haben muss. Nach einiger Zeit werden sie anfangen zu behaupten, dass die vielen Funktionen einer der besten Beweise für "Tatsache der Evolution" sein werden. Welche genaue Begründung dafür angegeben werden wird, ist noch eine Überraschung.
1 Eine herablassende Bezeichnung (lies: Schimpfwort) für Leute, die nicht an die Evolution glauben wollen.

2 Schön wär's!

3 Ich bin hier schon wieder zu spät...

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