Mittwoch, 13. Februar 2013
Die Wahrheit muss den Irrtum nicht fürchten?
hgp, 11:53h
Dieser Tage wurde ich mit einer Aussage konfrontiert, die man in folgendem Aphorismus zusammenfassen kann:
Als einfacher Fischotter kann ich natürlich keine Aphorismen und stelle mir erst einmal die Frage: was will mir dieser Aphorismus eigentlich sagen? Er beschäftigt sich mit Menschen bzw. Fischottern und ihrer Weltsicht oder ihrem Standpunkt in irgendeiner Angelegenheit. An der Oberfläche klingt es so, als ginge es darum, wer hier vor was Angst haben muss, aber eigentlich geht es darum, dass man an der Reaktion auf einen fremden Standpunkt bereits erkennen kann, ob der eigene Standpunkt wahr oder falsch ist: Wer seinen eigenen Standpunkt als richtig und korrekt einschätzt, der braucht keine Angst davor zu haben, sich mit einem anderen Standpunkt zu beschäftigen, den er selber für falsch hält.
Genau hierin steckt die emotionale Anziehungskraft dieser Aussage: Jeder ist geneigt, den eigenen Standpunkt als den richtigen anzusehen. Und jeder ist geneigt, die Überlegenheit von Wahrheit gegenüber Irrtum und Lüge anzunehmen. Wo wäre sonst der Sinn von Wahrheit? Und dieser Aphorismus nutzt diese Gefühle und stellt den Leser vor die Entscheidung: Wenn du das wirklich so siehst, dann kannst du dich ohne Angst und Furcht mit einem anderen Standpunkt beschäftigen, den du als falsch ansiehst. Wenn du dich nicht damit beschäftigst, dann gibst du damit selber zu, dass du deinen Standpunkt als Irrtum ansiehst.
Damit kann dieser Aphorismus sehr einfach dazu genutzt werden, um kognitive Dissonanz bei jemandem auszulösen, der sich mit einem bestimmten Standpunkt nicht beschäftigen will. Damit ist ein unangenehmes Gefühl gemeint, das auftritt, wenn man seine unterschiedlichen Wahrnehmungen und Meinungen nicht mehr alle unter einen Hut kriegen kann. Insbesondere will man mit dieser Aussage die beiden Standpunkte "Meine Meinung ist richtig" und "Ich will mich mit diesem anderen Standpunkt nicht beschäftigen" gegeneinander ausspielen. Wenn man den Aphorismus also unhinterfragt akzeptiert, dann wird man sich in irgendeiner Weise unwohl fühlen, sobald man es ablehnt, sich mit einem anderen Standpunkt zu beschäftigen oder ihn sich anzuhören bzw. zu lesen.Um aus dieser kognitiven Dissonanz auszusteigen gibt es mindestens drei Wege:
Was die dritte Möglichkeit betrifft: Wer ist schon daran gewöhnt Aphorismen zu hinterfragen? In der Realität macht das kaum jemand. Daher bleibt als einziger Ausweg, um dem nagenden Gefühl im eigenen Sinn zu entgehen, dass man sich mit einem Standpunkt beschäftigt, mit dem man sich nicht beschäftigen wollte.
Fischotter3 beherrschen natürlich nicht die Kunst des abstrakten Denkens, die Voraussetzung für kognitive Dissonanz ist; daher habe ich dieses Problem nicht. Und daher kann ich als unbeteiligter Beobachter mich ohne Gefahren mit der Wirkungsweise der Aussage beschäftigen und kann hinterfragen, ob der Aphorismus überhaupt korrekt ist. An dieser Stelle habe ich bereits eine gute Vorstellung davon, wie die Aussage wirken könnte.
Daher will ich jetzt mit dem Hinterfragen anfangen: Stimmt es denn, dass die Wahrheit den Irrtum nicht fürchten muss? Um das zu entscheiden, muss ich mich erst einmal damit beschäftigen, was grundsätzlich Menschen davon überzeugt, dass sie Recht haben oder dass sie sich irren. Hierbei gibt es grundsätzlich drei Kategorien: Autorität, Gefühle und Verstand4.
In der Realität übernimmt der Durchschnittsmensch einen großen Teil seiner Ansichten von denen, die er als Autorität ansieht5. Daher ergibt sich bei einer Diskussion immer dann ein Konflikt, wenn eine Seite sich auf eine Autorität beruft, die von der anderen Seite nicht anerkannt wird. Und kommt man zur Wahrheit, wenn man sich auf eine bestimmte Autorität beruft? Das hängt davon ab, ob diese Autorität Recht hat oder nicht. Wer sich auf eine "falsche" Autorität beruft oder sie akzeptiert, der kann sich von einer korrekten Meinung weg zu einer falschen überzeugen lassen. Dieses Mittel wird gerne in der Werbung auf eine irreführende Weise eingesetzt: Wenn uns z.B. ein Fußballspieler erzählt, wie gut eine Süßigkeit für uns ist, dann wird uns das nicht deshalb präsentiert, weil Fußballer sich so gut mit Ernährung und Physiologie auskennen, sondern weil die Fernsehzuschauer ihn kennt und weiß, dass er auf seinem Fachgebiet (Fußball) Ahnung hat. Dass er aber von Schokoriegeln eher weniger versteht als du und ich und meistens absoluten Unsinn redet, dass muss man sich jedes Mal extra in Erinnerung rufen, wenn man die Werbung sieht.
Der Appell an Gefühle kann auf verschiedene Weisen funktionieren. So funktioniert Propaganda und Werbung häufig dadurch, dass eine Botschaft mit einem positiven Gefühl assoziiert wird. Wenn man sich auf dieses Spiel einlässt, dann akzeptiert man Standpunkte vollkommen unabhängig davon, ob sie wahr oder falsch sind. Ein perfektes Beispiel hierfür ist die Zigarettenwerbung: Jeder weiß, dass Rauchen extrem schädlich ist und Nikotin suchterzeugend ist. Trotzdem gibt die Tabakindustrie Jahr für Jahr große Geldbeträge für Werbung aus, die Rauchen mit positiven Gefühlen assoziiert. Sind die Leute, die das Geld für diese Werbeetats bewilligen, einfach zu blöd um zu merken, dass sie keine Chance gegen die Wahrheit haben? Ich denke, dass sie festgestellt haben, dass ein erheblicher Teil der Menschheit sich von den eigenen Gefühlen so weit beeinflussen lässt, dass sie ihr korrektes Wissen verdrängt oder vergisst und Tabak konsumiert6.
Außerdem ist ein wahrer Standpunkt oft unbequem und steht im Widerspruch dazu, was man gerne tun würde. Wir könnten z.B. alle wissen, dass es unbedingt erforderlich ist, den Lebensstil unserer Gesellschaft (und den aller anderen) radikal zu ändern, wenn wir die Ressourcen unseres Planeten nicht so überbeanspruchen wollen, dass sie in diesem Jahrhundert kollabieren. Allerdings wird dieses Wissen nur sehr begrenzt, wenn überhaupt in die Tat umgesetzt, weil es empfindliche Einschnitte in allen Lebensbereichen erfordern würde. Daher sind viele geneigt, entsprechende Argumente einfach zu überhören oder denjenigen finstere Absichten zu unterstellen, die sie vorbringen. Hingegen sind sie geneigt, denjenigen zuzuhören, die ihnen sagen, dass es nicht (so schnell und radikal) erforderlich ist, den eigenen Lebensstil zu ändern. Das Ergebnis: Die große Mehrheit der Menschheit verharrt auf einem Standpunkt, von dem sie eigentlich wissen müsste, dass er uns alle in den Untergang führen wird.
Kurz gesagt, Menschen haben die Neigung, auf das zu hören, was ihnen gefällt und ihre Ohren vor dem zu verschließen, was ihnen mühsam, beschwerlich und unangenehm ist.
Und wenn wir zum dritten Punkt kommen, dann ist der Verstand auch nicht das einfache Mittel, mit dem wir sicher die Wahrheit, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit in Erfahrung bringen. Die meisten können sich in Bezug auf Fakten irren, insbesondere, wenn sie nicht das eigene Fachgebiet betreffen. Die wenigsten haben eine Ausbildung im korrekten Argumentieren und daher sind Denkfehler ein alltägliches Phänomen.
Beispiele für diese Punkte könnten wir noch seitenweise anführen, aber ich glaube, es ist nicht erforderlich um zu zeigen, dass es jede Menge Wege gibt, wie wir uns selber irreführen können. Und dabei haben wir noch nicht einmal in Betracht gezogen, dass jemand uns belügt und absichtlich in die Irre führen will.
Es ist also Unsinn zu behaupten, dass die Wahrheit den Irrtum nicht fürchten muss. In der Realität ist die Wahrheit ein bedrohtes Gewächs, dass auf allen Seiten vom Irrtum überwuchert wird, wenn wir den Irrtum nicht bewusst und sorgfältig eindämmen. Ein englisches Sprichwort fasst das treffend wie folgt zusammen:
Anders verhält es sich mit demjenigen, der bewusst ignoriert, dass der Irrtum die Wahrheit leicht austricksen kann und trotzdem den eingangs zitierten Aphorismus in irgendeiner Form benutzt. So jemand versucht mit Hilfe von ein paar Worten seinen Gegenüber hinter das Licht zu führen. Warum und wozu? Er kann natürlich reine Beweggründe haben und lediglich versuchen, Vorurteile gegen sein Argument abzubauen.
Aber es ist natürlich auch möglich, dass er genau weiß, dass die Vorbehalte gegen seinen Standpunkt begründet sind, aber er sein Argument vorbringen will, um eine Chance zu haben, an die Gefühle seines Gegenübers zu appellieren oder ihm ein fehlerhaftes Argument vorzulegen. Solche Leute haben kein Mitleid verdient, da sie Betrüger sind.
Wer meinen Blog längere Zeit mitliest, der vermutet wahrscheinlich, dass ich diesem Aphorismus in einem religiösen Zusammenhang getroffen habe. Das stimmt. In der einen oder anderen Form wird dieser Aphorismus benutzt, um Zeugen Jehovas mit Kritik an ihrer Religion zu konfrontieren. Natürlich würden derartige Kritiker immer sagen, dass sie lediglich darum bemüht sind, Vorurteile gegen ihren Standpunkt abzubauen. Niemals würden sie versuchen, andere zu täuschen; und natürlich können sie selber von niemandem getäuscht oder falsch informiert worden sein.
Der einzige Weg herauszufinden, wie es wirklich ist, besteht darin, derartige Informationen mit dem nötigen Hintergrundwissen objektiv zu prüfen. Die Fragen dabei lauten: habe ich das nötige Hintergrundwissen? Kann ich zitierte Autoritäten selbstständig hinterfragen? Kann ich die Fakten unabhängig prüfen? Kann ich mögliche Denkfehler identifizieren? Kann ich meine Gefühle dabei unter Kontrolle halten? Habe ich die Zeit, das hinreichend ausführlich zu tun? Kann ich meine Fähigkeiten hierbei realistisch abschätzen? Bin ich in der Lage, jemanden zu enttarnen, der mich möglicherweise betrügen will?
Realistischerweise müssen die meisten von uns (ob Mensch oder Fischotter) zugeben, dass sie mindestens auf eine dieser Fragen eine negative Antwort geben müssen. Und dann kann es passieren, dass wir jemanden dazu einladen, uns hinter das Licht zu führen, wenn wir den eingangs zitierten Aphorismus akzeptieren.
Das Problem ist übrigens nicht neu; schon Paulus von Tarsus wies darauf intensiv in seinem zweiten Brief an Timotheus hin. Ich empfehle, diesen Brief einmal genau durchzulesen und auf seine Hinweise und Warnungen zu achten. Er empfiehlt ganz dezidiert, dass Christen sich mit bestimmten Argumenten nicht auseinandersetzen sollten und warnt davor, dass Christen in der Gefahr stehen, in Glaubensfragen betrogen zu werden:
1Manchmal wird in einer verschärften Formulierung "Irrtum" durch "Lüge" ersetzt. Da das aber keinen echten Unterschied für meine Gedanken zum Thema ergibt, können wir es uns sparen, jedes Mal darauf hinzuweisen.
2Es gibt noch eine ganze Reihe weiterer Wege, aber die werde ich heute nicht besprechen.
3Hinweis: Der in diesem Absatz enthaltene Denkfehler wurde aus humoristischen Gründen bewusst eingefügt.
4Es kann natürlich Gründe geben, sich mit einem Standpunkt nicht zu beschäftigen, die nichts mit unserem Aphorismus zu tun haben: So ist die Zahl der möglichen Standpunkte zu einem Thema praktisch unbegrenzt, während die zur Verfügung stehende Zeit, sich mit ihnen zu beschäftigen, begrenzt ist. Daher kann sich niemand mit allen Standpunkten zu einer Frage beschäftigen und muss daher eine Vorauswahl treffen. So wird sich kaum jemand mit einem Standpunkt beschäftigen, den niemand ernsthaft vertritt oder der ihm auf den ersten Blick als unsinnig erscheint, ohne dass er dabei kognitive Dissonanz empfindet. Hier geht es daher um ein anderes Problem: Will ich mich mit dem konkreten Standpunkt beschäftigen, der mir soeben als korrekte Gegenmeinung zu meinem präsentiert wird?
5Wenn natürlich eine Autorität zuverlässig ist, dann kann man sich das Leben erheblich vereinfachen, wenn man ihre Meinungen akzeptiert und trotzdem zu korrekten Standpunkten kommen.
6Sobald sie dann so abhängig sind, dass sie nicht mehr von der Sucht loskommen, dann ist die Werbung natürlich überflüssig.
Die Wahrheit muss den Irrtum1 nicht fürchten, wohl aber der Irrtum die Wahrheit.Dieser Satz klingt erst einmal einleuchtend und einfach; nachdem ich aber anfing, darüber nachzudenken, fiel mir auf, dass einiges dahinter steckt, was nicht auf den ersten Blick zu erkennen ist. Insbesondere fiel mir auf, dass der Satz selber einen schweren Irrtum darstellt; ich will ihn daher hier einmal auseinander nehmen und mit der Wahrheit konfrontieren.
Als einfacher Fischotter kann ich natürlich keine Aphorismen und stelle mir erst einmal die Frage: was will mir dieser Aphorismus eigentlich sagen? Er beschäftigt sich mit Menschen bzw. Fischottern und ihrer Weltsicht oder ihrem Standpunkt in irgendeiner Angelegenheit. An der Oberfläche klingt es so, als ginge es darum, wer hier vor was Angst haben muss, aber eigentlich geht es darum, dass man an der Reaktion auf einen fremden Standpunkt bereits erkennen kann, ob der eigene Standpunkt wahr oder falsch ist: Wer seinen eigenen Standpunkt als richtig und korrekt einschätzt, der braucht keine Angst davor zu haben, sich mit einem anderen Standpunkt zu beschäftigen, den er selber für falsch hält.
Genau hierin steckt die emotionale Anziehungskraft dieser Aussage: Jeder ist geneigt, den eigenen Standpunkt als den richtigen anzusehen. Und jeder ist geneigt, die Überlegenheit von Wahrheit gegenüber Irrtum und Lüge anzunehmen. Wo wäre sonst der Sinn von Wahrheit? Und dieser Aphorismus nutzt diese Gefühle und stellt den Leser vor die Entscheidung: Wenn du das wirklich so siehst, dann kannst du dich ohne Angst und Furcht mit einem anderen Standpunkt beschäftigen, den du als falsch ansiehst. Wenn du dich nicht damit beschäftigst, dann gibst du damit selber zu, dass du deinen Standpunkt als Irrtum ansiehst.
Damit kann dieser Aphorismus sehr einfach dazu genutzt werden, um kognitive Dissonanz bei jemandem auszulösen, der sich mit einem bestimmten Standpunkt nicht beschäftigen will. Damit ist ein unangenehmes Gefühl gemeint, das auftritt, wenn man seine unterschiedlichen Wahrnehmungen und Meinungen nicht mehr alle unter einen Hut kriegen kann. Insbesondere will man mit dieser Aussage die beiden Standpunkte "Meine Meinung ist richtig" und "Ich will mich mit diesem anderen Standpunkt nicht beschäftigen" gegeneinander ausspielen. Wenn man den Aphorismus also unhinterfragt akzeptiert, dann wird man sich in irgendeiner Weise unwohl fühlen, sobald man es ablehnt, sich mit einem anderen Standpunkt zu beschäftigen oder ihn sich anzuhören bzw. zu lesen.Um aus dieser kognitiven Dissonanz auszusteigen gibt es mindestens drei Wege:
- Man kann die Idee aufgeben, dass die eigene Meinung richtig ist.
- Man kann sich dazu durchringen, sich mit dem anderen Standpunkt zu beschäftigen
- Man kann den Aphorismus hinterfragen und sich seine Wirkungsweise bewusst machen.2
Was die dritte Möglichkeit betrifft: Wer ist schon daran gewöhnt Aphorismen zu hinterfragen? In der Realität macht das kaum jemand. Daher bleibt als einziger Ausweg, um dem nagenden Gefühl im eigenen Sinn zu entgehen, dass man sich mit einem Standpunkt beschäftigt, mit dem man sich nicht beschäftigen wollte.
Fischotter3 beherrschen natürlich nicht die Kunst des abstrakten Denkens, die Voraussetzung für kognitive Dissonanz ist; daher habe ich dieses Problem nicht. Und daher kann ich als unbeteiligter Beobachter mich ohne Gefahren mit der Wirkungsweise der Aussage beschäftigen und kann hinterfragen, ob der Aphorismus überhaupt korrekt ist. An dieser Stelle habe ich bereits eine gute Vorstellung davon, wie die Aussage wirken könnte.
Daher will ich jetzt mit dem Hinterfragen anfangen: Stimmt es denn, dass die Wahrheit den Irrtum nicht fürchten muss? Um das zu entscheiden, muss ich mich erst einmal damit beschäftigen, was grundsätzlich Menschen davon überzeugt, dass sie Recht haben oder dass sie sich irren. Hierbei gibt es grundsätzlich drei Kategorien: Autorität, Gefühle und Verstand4.
Nicht jede Autorität vermittelt korrekte Standpunkte |
Der Appell an Gefühle kann auf verschiedene Weisen funktionieren. So funktioniert Propaganda und Werbung häufig dadurch, dass eine Botschaft mit einem positiven Gefühl assoziiert wird. Wenn man sich auf dieses Spiel einlässt, dann akzeptiert man Standpunkte vollkommen unabhängig davon, ob sie wahr oder falsch sind. Ein perfektes Beispiel hierfür ist die Zigarettenwerbung: Jeder weiß, dass Rauchen extrem schädlich ist und Nikotin suchterzeugend ist. Trotzdem gibt die Tabakindustrie Jahr für Jahr große Geldbeträge für Werbung aus, die Rauchen mit positiven Gefühlen assoziiert. Sind die Leute, die das Geld für diese Werbeetats bewilligen, einfach zu blöd um zu merken, dass sie keine Chance gegen die Wahrheit haben? Ich denke, dass sie festgestellt haben, dass ein erheblicher Teil der Menschheit sich von den eigenen Gefühlen so weit beeinflussen lässt, dass sie ihr korrektes Wissen verdrängt oder vergisst und Tabak konsumiert6.
Zigarettenwerbung assoziiert Rauchen mit positiven Gefühlen und Eindrücken |
Kurz gesagt, Menschen haben die Neigung, auf das zu hören, was ihnen gefällt und ihre Ohren vor dem zu verschließen, was ihnen mühsam, beschwerlich und unangenehm ist.
Und wenn wir zum dritten Punkt kommen, dann ist der Verstand auch nicht das einfache Mittel, mit dem wir sicher die Wahrheit, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit in Erfahrung bringen. Die meisten können sich in Bezug auf Fakten irren, insbesondere, wenn sie nicht das eigene Fachgebiet betreffen. Die wenigsten haben eine Ausbildung im korrekten Argumentieren und daher sind Denkfehler ein alltägliches Phänomen.
Beispiele für diese Punkte könnten wir noch seitenweise anführen, aber ich glaube, es ist nicht erforderlich um zu zeigen, dass es jede Menge Wege gibt, wie wir uns selber irreführen können. Und dabei haben wir noch nicht einmal in Betracht gezogen, dass jemand uns belügt und absichtlich in die Irre führen will.
Es ist also Unsinn zu behaupten, dass die Wahrheit den Irrtum nicht fürchten muss. In der Realität ist die Wahrheit ein bedrohtes Gewächs, dass auf allen Seiten vom Irrtum überwuchert wird, wenn wir den Irrtum nicht bewusst und sorgfältig eindämmen. Ein englisches Sprichwort fasst das treffend wie folgt zusammen:
Eine Lüge reist einmal um die Erde, während sich die Wahrheit die Schuhe anzieht.Und das ganze sagt uns einiges über die Menschen, die den eingangs zitierten Aphorismus benutzen. Entweder ihnen ist nicht klar, dass Irrtum ohne Probleme die Wahrheit in den Schatten stellen kann oder sie ignorieren es bewusst. Jemand der sich nicht bewusst wird, dass die Wahrheit den Irrtum fürchten muss, der lässt sich natürlich leicht über das Ohr hauen, da er gerne den Irrtum nicht bemerkt, der ihm präsentiert wird.
Anders verhält es sich mit demjenigen, der bewusst ignoriert, dass der Irrtum die Wahrheit leicht austricksen kann und trotzdem den eingangs zitierten Aphorismus in irgendeiner Form benutzt. So jemand versucht mit Hilfe von ein paar Worten seinen Gegenüber hinter das Licht zu führen. Warum und wozu? Er kann natürlich reine Beweggründe haben und lediglich versuchen, Vorurteile gegen sein Argument abzubauen.
Aber es ist natürlich auch möglich, dass er genau weiß, dass die Vorbehalte gegen seinen Standpunkt begründet sind, aber er sein Argument vorbringen will, um eine Chance zu haben, an die Gefühle seines Gegenübers zu appellieren oder ihm ein fehlerhaftes Argument vorzulegen. Solche Leute haben kein Mitleid verdient, da sie Betrüger sind.
Wer meinen Blog längere Zeit mitliest, der vermutet wahrscheinlich, dass ich diesem Aphorismus in einem religiösen Zusammenhang getroffen habe. Das stimmt. In der einen oder anderen Form wird dieser Aphorismus benutzt, um Zeugen Jehovas mit Kritik an ihrer Religion zu konfrontieren. Natürlich würden derartige Kritiker immer sagen, dass sie lediglich darum bemüht sind, Vorurteile gegen ihren Standpunkt abzubauen. Niemals würden sie versuchen, andere zu täuschen; und natürlich können sie selber von niemandem getäuscht oder falsch informiert worden sein.
Der einzige Weg herauszufinden, wie es wirklich ist, besteht darin, derartige Informationen mit dem nötigen Hintergrundwissen objektiv zu prüfen. Die Fragen dabei lauten: habe ich das nötige Hintergrundwissen? Kann ich zitierte Autoritäten selbstständig hinterfragen? Kann ich die Fakten unabhängig prüfen? Kann ich mögliche Denkfehler identifizieren? Kann ich meine Gefühle dabei unter Kontrolle halten? Habe ich die Zeit, das hinreichend ausführlich zu tun? Kann ich meine Fähigkeiten hierbei realistisch abschätzen? Bin ich in der Lage, jemanden zu enttarnen, der mich möglicherweise betrügen will?
Realistischerweise müssen die meisten von uns (ob Mensch oder Fischotter) zugeben, dass sie mindestens auf eine dieser Fragen eine negative Antwort geben müssen. Und dann kann es passieren, dass wir jemanden dazu einladen, uns hinter das Licht zu führen, wenn wir den eingangs zitierten Aphorismus akzeptieren.
Das Problem ist übrigens nicht neu; schon Paulus von Tarsus wies darauf intensiv in seinem zweiten Brief an Timotheus hin. Ich empfehle, diesen Brief einmal genau durchzulesen und auf seine Hinweise und Warnungen zu achten. Er empfiehlt ganz dezidiert, dass Christen sich mit bestimmten Argumenten nicht auseinandersetzen sollten und warnt davor, dass Christen in der Gefahr stehen, in Glaubensfragen betrogen zu werden:
Meide aber leere Reden, die verletzen, was heilig istFür mich sieht es so aus, dass bereits damals eine Version unseres Aphorismus im Umlauf war und ganz klar dazu benutzt wurde, um Menschen zu betrügen.
sie untergraben den Glauben
weise törichte und einfältige Streitfragen ab
du weißt, daß sie Streitigkeiten erzeugen
Denn von ihnen stehen die Männer auf, die sich auf schlaue Weise Eingang in die Häuser verschaffen
ihr Wahnsinn wird für alle klar ersichtlich werden
Böse Menschen aber und Betrüger werden vom Schlechten zum Schlimmeren fortschreiten, indem sie irreführen und irregeführt werden.
sich nach ihren eigenen Begierden Lehrer aufhäufen werden, um sich die Ohren kitzeln zu lassen
sie werden ihre Ohren von der Wahrheit abwenden und sich dagegen unwahren Geschichten zuwenden.
1Manchmal wird in einer verschärften Formulierung "Irrtum" durch "Lüge" ersetzt. Da das aber keinen echten Unterschied für meine Gedanken zum Thema ergibt, können wir es uns sparen, jedes Mal darauf hinzuweisen.
2Es gibt noch eine ganze Reihe weiterer Wege, aber die werde ich heute nicht besprechen.
3Hinweis: Der in diesem Absatz enthaltene Denkfehler wurde aus humoristischen Gründen bewusst eingefügt.
4Es kann natürlich Gründe geben, sich mit einem Standpunkt nicht zu beschäftigen, die nichts mit unserem Aphorismus zu tun haben: So ist die Zahl der möglichen Standpunkte zu einem Thema praktisch unbegrenzt, während die zur Verfügung stehende Zeit, sich mit ihnen zu beschäftigen, begrenzt ist. Daher kann sich niemand mit allen Standpunkten zu einer Frage beschäftigen und muss daher eine Vorauswahl treffen. So wird sich kaum jemand mit einem Standpunkt beschäftigen, den niemand ernsthaft vertritt oder der ihm auf den ersten Blick als unsinnig erscheint, ohne dass er dabei kognitive Dissonanz empfindet. Hier geht es daher um ein anderes Problem: Will ich mich mit dem konkreten Standpunkt beschäftigen, der mir soeben als korrekte Gegenmeinung zu meinem präsentiert wird?
5Wenn natürlich eine Autorität zuverlässig ist, dann kann man sich das Leben erheblich vereinfachen, wenn man ihre Meinungen akzeptiert und trotzdem zu korrekten Standpunkten kommen.
6Sobald sie dann so abhängig sind, dass sie nicht mehr von der Sucht loskommen, dann ist die Werbung natürlich überflüssig.
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