Montag, 18. März 2013
[update] Neuer Rechtsstreit in Verbindung mit Körperschaftsstatus der Zeugen Jehovas
hgp, 13:36h
Der Bundesgerichtshof hat in einem Rechtsstreit entschieden, in dem es um eine Regelung geht, mit der die einzelnen Ortsversammlungen in die Körperschaft des öffentlichen Rechts eingegliedert wurden.
Das entsprechende Urteil liegt noch nicht schriftlich vor, deshalb müssen wir uns derzeit mit einer Pressemitteilung des Gerichts, dem Urteil der Vorinstanz und diversen Meldungen verschiedener Nachrichtenmedien1 begnügen. Sobald mir das eigentliche Urteil vorliegt, werde ich mich damit auch noch beschäftigen.
Worum geht es in dem Rechtsstreit? Im Jahr 2003 hat sich eine Frau bei Sanierungsarbeiten an dem Königreichssaal der Ortsversammlung Öhringen schwer verletzt. Ihre Krankenkasse verlangte das Geld für die Behandlung von der Versammlung zurück, verklagte aber im Jahr 2010 ausdrücklich nicht die Religionsgemeinschaft sondern den Verein, der nach Meinung der Zeugen Jehovas bereits aufgelöst war und die Religionsgemeinschaft die Gesamtrechtsnachfolge angetreten habe. Der Verein erschien daher nicht zu dem Gerichtstermin der ersten Instanz und es erging ein Versäumnisurteil gegen den Verein, das dann an den ehemaligen Vereinsvorsitzenden zugestellt wurde.
Dieser legte Berufung ein, da es den Verein ja gar nicht mehr gebe. Diese Berufung wurde vom Oberlandesgericht Stuttgart angenommen und die Klage abgewiesen. Dagegen legte die Krankenkasse Revision ein. Der Bundesgerichtshof entschied jetzt, dass die Umwandlung des Vereins in eine Untergliederung der Religionsgemeinschaft unwirksam ist. Nach Ansicht des Gerichts mangelt es an folgenden Punkten:
Es ist offensichtlich, dass Zeugen Jehovas wollen, dass die Religionsgemeinschaft die Rechtsnachfolge der diversen Vereine antritt. Alles, was der BGH bemängelt, erfordert eigentlich nichts weiter, als dass das bemängelte Übergangsgesetz entsprechend der "Mängelliste" des Gerichts geändert wird oder ein neues Gesetz hierzu erlassen wird. Das würde zwar eine Menge Papier (oder pdf) verbrauchen, da einige hundert Versammlungen aufgelistet werden müssten, ist aber ohne größere technische Probleme machbar. Ob die Religionsgemeinschaft so vorgehen wird, weiß ich natürlich (noch) nicht. Ob solch ein Vorgehen Einfluss auf das laufende Verfahren hätte und wenn ja welchen, das kann ich genau so wenig beurteilen. Aber das werden wir dann mitbekommen, wenn der Fall weiter verhandelt wird und falls dies passiert. Daher denke ich, dass alle ehemaligen Vereinsvorsitzenden der Trägervereine der Ortsversammlungen ruhig schlafen können.
Außerdem weiß ich nicht, warum die Krankenkasse so versessen ist, dass sie unbedingt den Verein verklagen will. Ich vermute, dass der ganze Fall schon vor langer Zeit abgeschlossen gewesen wäre, wenn die Klage gegen die Religionsgemeinschaft gerichtet worden wäre. Ich kann mir vorstellen, dass in der Vergangenheit Krankenkassen schlechte Erfahrungen mit anderen Religionsgemeinschaften mit Körperschaftsstatus gemacht haben und daher lieber gegen einen Verein klagen. Bei Religionsgemeinschaften mit Körperschaftsstatus ist z.B. keine Zwangsvollstreckung möglich, bei Vereinen sehr wohl. Ich sehe keinen Hinweis darauf, dass Zeugen Jehovas dieses Recht bisher irgendwie missbraucht hätten. Aber falls andere Religionsgemeinschaften das manchmal oder öfter so tun, dann kann ich verstehen, warum die Krankenkasse deswegen solch einen Aufstand macht, selbst wenn es in dem vorliegenden Fall nicht zu Nachteilen für sie geführt hätte.
Bisher würde über die eigentliche Angelegenheit des Rechtsstreits noch nichts verhandelt oder entschieden. Das OLG Stuttgart wird sich jetzt erstmals mit der eigentlichen Frage beschäftigen, ob und inwieweit die Versammlung ihrer Verkehrssicherungspflicht auf der Baustelle nicht nachgekommen ist und wie viel Schadenersatz die Krankenkasse verlangen kann.
Außerdem will ich ein paar Fehler bzw. missverständliche Formulierungen in der Medienberichterstattung korrigieren. Entgegen der Ansicht von Stimme.de können Zeugen Jehovas natürlich nicht in den "Aufsichtsgremien der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sitzen". Aber diese "urbane Legende" hält sich hartnäckig. Regelmäßige Leser meines Blogs wissen das natürlich seit zwei Jahren besser.
Und entgegen einer missverständlichen Formulierung im Nibelungen Kurier, hat nicht die verletzte Frau Klage erhoben, sondern ihre Krankenkasse.
Ganz nebenbei sehe ich, dass der Unsinn mit dem Rundfunkrat anscheinend von der dpa verbreitet wird, da der Text anscheinend aus deren Pressemitteilung stammt:
1 Rechtslupe.de
Die Welt
Schwäbisches Tagblatt
WAZ
Juraforum
Stimme.de
Nibelungen Kurier
Die Pressemitteilunge des Bundesgerichtshofs:
Das entsprechende Urteil liegt noch nicht schriftlich vor, deshalb müssen wir uns derzeit mit einer Pressemitteilung des Gerichts, dem Urteil der Vorinstanz und diversen Meldungen verschiedener Nachrichtenmedien1 begnügen. Sobald mir das eigentliche Urteil vorliegt, werde ich mich damit auch noch beschäftigen.
Worum geht es in dem Rechtsstreit? Im Jahr 2003 hat sich eine Frau bei Sanierungsarbeiten an dem Königreichssaal der Ortsversammlung Öhringen schwer verletzt. Ihre Krankenkasse verlangte das Geld für die Behandlung von der Versammlung zurück, verklagte aber im Jahr 2010 ausdrücklich nicht die Religionsgemeinschaft sondern den Verein, der nach Meinung der Zeugen Jehovas bereits aufgelöst war und die Religionsgemeinschaft die Gesamtrechtsnachfolge angetreten habe. Der Verein erschien daher nicht zu dem Gerichtstermin der ersten Instanz und es erging ein Versäumnisurteil gegen den Verein, das dann an den ehemaligen Vereinsvorsitzenden zugestellt wurde.
Dieser legte Berufung ein, da es den Verein ja gar nicht mehr gebe. Diese Berufung wurde vom Oberlandesgericht Stuttgart angenommen und die Klage abgewiesen. Dagegen legte die Krankenkasse Revision ein. Der Bundesgerichtshof entschied jetzt, dass die Umwandlung des Vereins in eine Untergliederung der Religionsgemeinschaft unwirksam ist. Nach Ansicht des Gerichts mangelt es an folgenden Punkten:
Dies erfordert jedoch ein – im Amtsblatt der Religionsgemeinschaft zu veröffentlichendes – hinreichend klares Gesetz der Körperschaft, in welchem Gesamtrechtsnachfolge angeordnet, der einzugliedernde Verein benannt und der Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Eingliederung eindeutig geregelt ist. Zudem muss sich der Verein der Regelungsbefugnis der Religionsgemeinschaft hinsichtlich einer Eingliederung und einer damit verbundenen Vermögensübertragung unterworfen haben.Da das Urteil des BGH mir noch nicht vorliegt, kann ich es auch noch nicht kommentieren. Da die Religionsgemeinschaft sich auch noch nicht zum Urteil geäußert hat, weiß niemand, wie diese auf das Urteil reagieren wird. Ich kann aber mal spekulieren, was ich als inkompetenter Fischotter tun würde.
Das von der Körperschaft des öffentlichen Rechts "Jehovas Zeugen in Deutschland" erlassene Gesetz genügt diesen Anforderungen nicht, insbesondere fehlt es an der erforderlichen Klarheit der Regelungen. Diesen lässt sich nicht hinreichend deutlich entnehmen, dass die Körperschaft Gesamtrechtsnachfolgerin des Vereines sein soll.
Es ist offensichtlich, dass Zeugen Jehovas wollen, dass die Religionsgemeinschaft die Rechtsnachfolge der diversen Vereine antritt. Alles, was der BGH bemängelt, erfordert eigentlich nichts weiter, als dass das bemängelte Übergangsgesetz entsprechend der "Mängelliste" des Gerichts geändert wird oder ein neues Gesetz hierzu erlassen wird. Das würde zwar eine Menge Papier (oder pdf) verbrauchen, da einige hundert Versammlungen aufgelistet werden müssten, ist aber ohne größere technische Probleme machbar. Ob die Religionsgemeinschaft so vorgehen wird, weiß ich natürlich (noch) nicht. Ob solch ein Vorgehen Einfluss auf das laufende Verfahren hätte und wenn ja welchen, das kann ich genau so wenig beurteilen. Aber das werden wir dann mitbekommen, wenn der Fall weiter verhandelt wird und falls dies passiert. Daher denke ich, dass alle ehemaligen Vereinsvorsitzenden der Trägervereine der Ortsversammlungen ruhig schlafen können.
Außerdem weiß ich nicht, warum die Krankenkasse so versessen ist, dass sie unbedingt den Verein verklagen will. Ich vermute, dass der ganze Fall schon vor langer Zeit abgeschlossen gewesen wäre, wenn die Klage gegen die Religionsgemeinschaft gerichtet worden wäre. Ich kann mir vorstellen, dass in der Vergangenheit Krankenkassen schlechte Erfahrungen mit anderen Religionsgemeinschaften mit Körperschaftsstatus gemacht haben und daher lieber gegen einen Verein klagen. Bei Religionsgemeinschaften mit Körperschaftsstatus ist z.B. keine Zwangsvollstreckung möglich, bei Vereinen sehr wohl. Ich sehe keinen Hinweis darauf, dass Zeugen Jehovas dieses Recht bisher irgendwie missbraucht hätten. Aber falls andere Religionsgemeinschaften das manchmal oder öfter so tun, dann kann ich verstehen, warum die Krankenkasse deswegen solch einen Aufstand macht, selbst wenn es in dem vorliegenden Fall nicht zu Nachteilen für sie geführt hätte.
Bisher würde über die eigentliche Angelegenheit des Rechtsstreits noch nichts verhandelt oder entschieden. Das OLG Stuttgart wird sich jetzt erstmals mit der eigentlichen Frage beschäftigen, ob und inwieweit die Versammlung ihrer Verkehrssicherungspflicht auf der Baustelle nicht nachgekommen ist und wie viel Schadenersatz die Krankenkasse verlangen kann.
Außerdem will ich ein paar Fehler bzw. missverständliche Formulierungen in der Medienberichterstattung korrigieren. Entgegen der Ansicht von Stimme.de können Zeugen Jehovas natürlich nicht in den "Aufsichtsgremien der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sitzen". Aber diese "urbane Legende" hält sich hartnäckig. Regelmäßige Leser meines Blogs wissen das natürlich seit zwei Jahren besser.
Und entgegen einer missverständlichen Formulierung im Nibelungen Kurier, hat nicht die verletzte Frau Klage erhoben, sondern ihre Krankenkasse.
Nachtrag
In dieser Pressemitteilung kann ich folgendes lesen:Die Religionsgemeinschaft begrüßte grundsätzlich, dass der BGH die Eingliederung per Kirchengesetz bestätigt habe. Nach Vorliegen des schriftlichen Urteils werde geprüft, ob das Gesetz nun ergänzt werden muss.Es sieht also so aus, als ob ich mit meiner oben genannten Vermutung recht gehabt hätte: Wahrscheinlich wird das entsprechende "Kirchengesetz" geändert werden, um Rechtssicherheit herzustellen.
Ganz nebenbei sehe ich, dass der Unsinn mit dem Rundfunkrat anscheinend von der dpa verbreitet wird, da der Text anscheinend aus deren Pressemitteilung stammt:
[Zeugen Jehovas] ... dürfen - wie die evangelische und katholische Kirche - in Aufsichtsgremien der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sitzen.
1 Rechtslupe.de
Die Welt
Schwäbisches Tagblatt
WAZ
Juraforum
Stimme.de
Nibelungen Kurier
Die Pressemitteilunge des Bundesgerichtshofs:
Kirchengesetzliche Regelungen von "Jehovas Zeugen in Deutschland KdöR" über die Eingliederung der örtlichen Vereine in die Körperschaft unwirksam
Im Oktober 2003 verletzte sich eine Versicherungsnehmerin der Klägerin in dem damals im Eigentum des Beklagten stehenden "Königreichssaal" schwer. Die Klägerin verlangt deshalb von ihm aus übergegangenem Recht Schadensersatz wegen einer Verletzung der Verkehrssicherungspflicht.
Der Beklagte ist eine örtliche Untergliederung des deutschen Zweigs der Glaubensgemeinschaft Jehovas Zeugen. Der deutsche Zweig der Glaubensgemeinschaft war ursprünglich als "Jehovas Zeugen in Deutschland e.V." organisiert, der Beklagte als "Jehovas Zeugen, Versammlung Ö. e.V.". Am 13. Juni 2006 wurden dem Verein "Jehovas Zeugen in Deutschland e.V." vom Land Berlin die Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts verliehen. Diese erließ am 8. Juli 2006 ein Übergangsgesetz, in dem geregelt ist, dass die bestehenden Versammlungen mit der Verleihung der Körperschaftsrechte religionsrechtlich selbständige Untergliederungen des öffentlichen Rechts sind, deren Eigentum ihnen zugeordnet bleibt und von ihnen verwaltet wird. Später stellte sie in § 5 Abs. 4 Statusrechtsgesetz in der Fassung vom 27. Mai 2009 klar, dass die religionsrechtlich selbständigen Gliederungen grundsätzlich nicht über eine eigene Rechtspersönlichkeit im staatlichen Recht verfügen. Am 12. Dezember 2007 löschte das Amtsgericht den Beklagten aus dem Vereinsregister.
Im Dezember 2010 hat die Klägerin gegen den Verein "Jehovas Zeugen, Versammlung Ö. e.V." Klage erhoben. Die Klage war vor dem Landgericht erfolgreich. Das Oberlandesgericht hat das Urteil des Landgerichts aufgehoben und die Klage als unzulässig abgewiesen, da der beklagte Verein im Zeitpunkt der Klageerhebung nicht mehr existiert habe.
Die Revision der Klägerin hatte Erfolg. Der u.a. für kirchenrechtliche Verhältnisse zuständige V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass der beklagte Verein rechtlich noch existiert und daher verklagt werden kann. Das von der Körperschaft des öffentlichen Rechts "Jehovas Zeugen in Deutschland" erlassene Kirchengesetz hat mangels hinreichender Klarheit dessen rechtliche Existenz nicht beendet.
Zwar kann eine Religionsgemeinschaft, die den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts erlangt hat, in Ausübung ihres Selbstbestimmungsrechts (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 5 WRV) in ihrer Gründungsphase durch Kirchengesetz einen zu der Gemeinschaft gehörenden privatrechtlich organisierten Verein in die Körperschaft eingliedern und damit dessen eigenständige rechtliche Existenz beenden. Dies erfordert jedoch ein – im Amtsblatt der Religionsgemeinschaft zu veröffentlichendes – hinreichend klares Gesetz der Körperschaft, in welchem Gesamtrechtsnachfolge angeordnet, der einzugliedernde Verein benannt und der Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Eingliederung eindeutig geregelt ist. Zudem muss sich der Verein der Regelungsbefugnis der Religionsgemeinschaft hinsichtlich einer Eingliederung und einer damit verbundenen Vermögensübertragung unterworfen haben.
Das von der Körperschaft des öffentlichen Rechts "Jehovas Zeugen in Deutschland" erlassene Gesetz genügt diesen Anforderungen nicht, insbesondere fehlt es an der erforderlichen Klarheit der Regelungen. Diesen lässt sich nicht hinreichend deutlich entnehmen, dass die Körperschaft Gesamtrechtsnachfolgerin des Vereines sein soll. Die eigenständige rechtliche Existenz des Beklagten ist daher nicht beendet.
Der Senat hat die Sache an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Dieses hat nun über die Berechtigung der von der Klägerin geltend gemachten Schadensersatzansprüche zu entscheiden.
Urteil vom 15. März 2013 - V ZR 156/12
LG Heilbronn – 1 O 181/10 – Entscheidung vom 17. Mai 2011
Oberlandesgericht Stuttgart – 3 U 115/11 – Entscheidung vom 15. Februar 2012
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