Donnerstag, 23. Juli 2009
Johannes 14:14
Ein Kritiker beschäftigt sich auf seiner Seite mit Johannes 14:14. Nachdem er festgestellt hat, dass die Neue-Welt-Übersetzung (NWÜ) von der Elberfelder Bibel (EB) abweicht, versucht er nachzuweisen, dass die Übersetzer wider besseres Wissen ein Wort des griechischen Grundtextes unterschlagen haben, dass den Sinn verändert. Schließlich versucht er, diese Änderung damit zu begründen, dass Zeugen Jehovas (aus seiner Sicht) bestimmte biblische Lehren nicht akzeptieren.

Seine Schlussfolgerung lautet:
Die Übersetzer der NWÜ sind in Joh 14:14 nicht dem griechischen Text des NT gefolgt. Das kann m.E. nur eines heißen: Sie wollten sich dem Anspruch Jesu nicht stellen. Sie wollten nicht zu Jesus gehen, weil dies nicht ihrer Lehre entspricht.

Wäre es nicht besser, die eigene Lehre an die Bibel anzupassen statt die Bibel an die eigenen Lehre?
Was ist das Problem? Die NWÜ enthält das Wort "mich" nicht, dass in anderen Übersetzungen wie EB, LU1984, EÜ, GN u.a. enthalten ist. Mit diesem Wort enthält der Vers eine eindeutige Aufforderung, Gebete bzw. Bitten an Jesus zu richten, ohne dieses Wort versteht man den Vers im Kontext so, dass die Bitten an Gott gerichtet werden sollen.

Im Voraus will ich sagen, dass ich niemanden schlechte Beweggründe unterstellen will, auch nicht unserem hier zitierten Kritiker der NWÜ; aber es ist erforderlich, Fehler und Unterlassungen beim Namen zu nennen, um nicht unabsichtlich der Verbreitung von Vorurteilen Vorschub zu leisten.

Nun zur Analyse: der Kritiker benutzt die EB, ihm fällt allerdings anscheinend die Fußnote zu dem Wort "mich" nicht auf, die lautet:
in mehreren alten Handschr. nicht enthalten
Dieser kurze Satz sagt uns, dass es bereits in den überlieferten griechischen Manuskripten eine Diskrepanz gibt: ein Teil der Manuskripte enthält nicht das griechische Wort für "mich". Dieser Fakt wird auch in der NGÜ und der Wuppertaler Studienbibel bestätigt.

Der Kritiker merkt anscheinend auch nicht an, dass eine ganze Reihe moderner Übersetzungen den Vers sinngemäß wie die NWÜ übersetzt:

HfA: Was ihr also in meinem Namen erbitten werdet, das werde ich tun.
SLT2000: Wenn ihr etwas bitten werdet in meinem Namen, so werde ich es tun.
NL: Bittet, um was ihr wollt, in meinem Namen, und ich werde es tun!

Weiterhin hat unser Kritiker nicht in die Studienausgabe der NWÜ (die mit den Fußnoten) hineingeschaut, in der er den Hinweis gefunden hätte, dass die Übersetzer das Wort "mich" ausgelassen hatte, da es im Codex Alexandrinus und der altlateinischen Überlieferung nicht vorkommt und die gewählte Variante dem 15. Kapitel nicht widerspricht.

Diese Punkte könnten natürlich den Verdacht erwecken, dass es einen legitimen Grund geben könnte, in Johannes 14,14 das Wort "mich" auszulassen, insbesondere, wenn wir in Betracht ziehen, dass drei Übersetzungen aus dem "theologischen Lager" unseres Kritikers die gleiche Entscheidung getroffen haben. Wenn in der NWÜ kein legitimer Grund für diese Übersetzung da ist, was ist dann mit HfA, NL und SLT2000? Wollen deren Übersetzer auch "nicht zu Jesus gehen" und hier "die Bibel an ihre eigene Lehre anpassen" sind sie auch nicht "dem griechischen Text des NT gefolgt"?

Möglicherweise um diese Fragen nicht zu beantworten, erscheint nichts von diesen Informationen auch nur ansatzweise in dem betrachteten Beitrag. Stattdessen wird aus drei Bibeltexten geschlussfolgert, dass die Variante der EB mit dem Rest des NT in Einklang ist.

Hierbei lässt unser Kritiker außer acht, dass "anrufen" (griechisch: "epikaleomai") im NT nicht unbedingt "anbeten" bedeutet. Z.B. wird das gleiche Wort in Apostelgeschichte 25,11f verwendet und niemand kommt auf die Idee, dass Paulus den römischen Kaiser anbeten wollte. Deswegen wird das Wort hier auch mit "berufen auf" übersetzt. Das griechische Wort bedeutet (nach Bauer, Aland: Wörterbuch zum Neuen Testament, 6. Aufl.) "appellieren an"; dabei kann das appellieren an jeden höhergestellten gerichtet sein. Nur wenn der Adressat als Gott betrachtet wird, kann diese Appellation die Form eines Gebets annehmen.

Der Wachtturm von 15.12.1994, S. 24f sagt dazu folgendes:
[...]Man beachte jedoch, daß sich das Wort „anrufen“ in der Ursprache nicht nur auf Gebete beziehen kann, sondern auch noch andere Bedeutungen hat.

Wie wurde der Name Christi damals überall „angerufen“? Zum Beispiel, indem sich seine Nachfolger öffentlich zu Jesus von Nazareth als dem Messias und „Retter der Welt“ bekannten und in seinem Namen viele Wundertaten vollbrachten (1. Johannes 4:14; Apostelgeschichte 3:6; 19:5). Aus diesem Grund heißt es in dem Werk The Interpreter’s Bible: „Den Namen unseres Herrn anzurufen . . . bedeutet eher, seine Stellung als Herr zu bekennen, als zu ihm zu beten.“

Christus anzuerkennen und an sein vergossenes Blut zu glauben — was die Vergebung von Sünden ermöglicht — kommt ebenfalls dem ‘Anrufen seines Namens’ gleich. (Vergleiche Apostelgeschichte 10:43 mit 22:16.) Und Jesu Name wird buchstäblich genannt, sooft wir durch ihn zu Gott beten. Wie die Bibel also zeigt, können wir zwar Jesu Namen „anrufen“, doch deutet sie nicht an, daß wir zu ihm beten sollten (Epheser 5:20; Kolosser 3:17).
Bevor man also das Argument benutzen könnte, dass "Jesus anrufen" "Jesus anbeten" bedeutet, müsste man zeigen, dass "anrufen" sich in diesen Texten auf "Anbetung" beziehen muss. Vorher ist dieses Argument nicht viel wert. Und nach meiner Meinung ist es unmöglich, diesen Nachweis zu führen, ohne seine eigene Meinung in den Bibeltext hineinzuinterpretieren.

Das Zeugnis der Bibel zeigt, dass alle Gebete - auch die nach Jesu Himmelfahrt - weiterhin exklusiv an Gott, den Vater gerichtet werden. Jesus hat nie dazu aufgefordert, ihn anzubeten, aber stattdessen ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sein Vater angebetet werden soll. Unser Kritiker versucht nicht, seine Version von Johannes 14,14 mit diesem Tatbestand abzugleichen, sondern erklärt stattdessen, dass es "in Übereinstimmung mit anderen Aussagen in der Bibel" sei, wenn in Johannes 14,14 zur Anbetung Jesu aufgefordert würde.

Darin ist allerdings ein Argumentationsfehler versteckt: Um von zwei Übersetzungsvarianten in einem Fall wie diesem die "richtige" zu bestimmen, muss man zwei Dinge zeigen. Erstens, dass die eine Variante (u.a.) mit der gesamten Bibel in Übereinstimmung ist, nicht nur mit einer Handvoll Versen; wenn eine Variante nur einem Vers im Kontext widerspricht, kann man kaum behaupten, die einzig richtige Variante zu haben. Und zweitens muss man zeigen, dass die andere Variante (u.a.) anderen Aussagen der Bibel widerspricht; ansonsten könnte man ja übersehen, dass man zwei mögliche Varianten hat, die sich nicht gegenseitig ausschließen. Beides hat unsere Kritiker nicht versucht.

Natürlich liegt die Messlatte für die bessere von zwei Übersetzungvarianten niedriger. Hier würde es ausreichen zu zeigen, dass eine Variante besser zum Kontext passt, als die andere. Aber dies versucht unser Kritiker ausdrücklich nicht.

Die Idee, dass Zeugen Jehovas "nicht zu Jesus gehen wollen, weil dies ihrer Lehre widerspricht" ist seltsam. Wer Zeugen Jehovas näher kennt, weiß, daß Zeugen Jehovas versuchen, Jesus in jedem Aspekt ihres Glaubenslebens zu berücksichtigen. Die Behauptung unseres Kritikers erscheint mir daher bizarr. Ich hege die Vermutung, dass er "Jesus als Person des dreieinigen Gottes akzeptieren" meinte, als er "zu Jesus gehen" sagte; aber das ist in keiner Weise synonym.

Um also die NWÜ zu kritisieren, blendet unser Kritiker wesentliche Informationen aus, er schränkt die Bedeutung von bestimmten Worten weiter ein, als es der Befund der biblischen Sprache zulässt und er unterstellt Zeugen Jehovas Glaubensansichten, die sie offensichtlich nicht haben.

Die die Unterstellung am Schluss des Artikels unseres Kritikers, es wäre "besser, die eigene Lehre an die Bibel anzupassen statt die Bibel an die eigenen Lehre" zeigt, dass es auch hier die eigentliche Kritik sich auf die Glaubenslehre richtet und die NWÜ als ein Vehikel benutzt wird, um diese Kritik zu transportieren.

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