Mittwoch, 23. November 2011
[update 2x] Zeuge Jehovas aus der Türkei gewinnt beim EuGM
Nachdem in diesem Jahr ein Zeuge Jehovas aus Armenien vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte das Recht auf zivilen Ersatzdienst erstritten hat, hat derselbe Gerichtshof im Fall von Yunus Erçep, einem Zeugen Jehovas aus der Türkei, entschieden (Pressemitteilung auf Englisch), dass die Türkei nicht Kriegsdienstverweigerer mehrfach verurteilen darf und dass derartige Fälle nicht von Militärgerichten behandelt werden dürfen, da dies das Recht auf Gewissensfreiheit und das Recht auf einen fairen Prozess verletzt.

Damit werden die Rechte von Kriegsdienstverweigerern in Europa weiter gestärkt.

Die Türkei hat kürzlich angekündigt, dass sie einen zivilen Ersatzdienst einführen will.
Pressemitteilung der Zeugen Jehovas aus dem Jahr 2007 zu dem Thema.

Bericht zum Urteil
update
Und jetzt noch die aktuelle Pressemitteilung der Zeugen Jehovas:
STRASBOURG, France—On November 22, 2011, the European Court of Human Rights (ECHR) unanimously concluded that Turkey has violated the right of freedom of conscience of Mr. Yunus Erçep, one of Jehovah’s Witnesses in Turkey, who was convicted and imprisoned for his conscientious objection to military service.

Yunus Erçep, a university graduate and a skilled craftsman, was first called up for military duty in March 1998. The government of Turkey does not recognize conscientious objection to military service and therefore has no provision for alternative civilian service. Erçep’s Bible-based conscientious refusal to perform military service has resulted in unceasing harassment—he has been called up for military service three times a year (39 times from 1998 to the present). He has consistently presented himself for every enlistment call-up, and has been prosecuted over 30 times on the charge of bakaya (evasion of enlistment). As a result, Erçep has been imprisoned, confined to a psychiatric hospital for supposed “religious paranoia,” and fined. He has endured years of verbal abuse at the hands of enlistment officers, prison officials, and fellow prisoners.

After the courts in Turkey refused to offer relief, Mr. Erçep filed an application to the ECHR in December 2004. In its decision, the Court, observing that Turkey had no provision for alternative civilian service, stated that “the penalties imposed on the applicant, while there was nothing in place to take into account the requirements of his conscience and his convictions, cannot be considered a necessary measure in a democratic society.”

This decision closely follows the landmark decision of the European Court’s Grand Chamber released on July 7, 2011, in Bayatyan v. Armenia, upholding Mr. Bayatyan’s right to refuse military service due to his Bible-trained conscience. The court’s decision in the case of Mr. Erçep places an obligation on Turkey, a member state of the Council of Europe, to stop prosecuting and imprisoning individuals whose deeply held religious convictions do not allow them to engage in military service.

update 2
Und jetzt auch die deutsche Übersetzung:
STRASSBURG, Frankreich — Am 22. November 2011 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) einstimmig entschieden, dass die Türkei das Recht von Yunus Erçep auf Gewissensfreiheit verletzt hat. Man hatte den türkischen Zeugen Jehovas wegen Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen verurteilt und inhaftiert.

Yunus Erçep, Handwerker und Hochschulabsolvent, wurde erstmals im März 1998 einberufen. Die Regierung der Türkei erkennt Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen nicht an und bietet daher auch keine zivile Alternative zum Militärdienst. Dass sich Erçep aufgrund seines biblisch geschulten Gewissens weigerte, den Wehrdienst abzuleisten, brachte schier endlose Schikanen mit sich: Man schickte ihm dreimal jährlich einen Einberufungsbefehl — seit 1998 bis heute ganze 39 Mal! Er kam seiner Meldepflicht immer nach, wurde aber trotzdem über 30 Mal wegen so genannter bakaja angeklagt, womit eine angebliche Verletzung der Meldepflicht gemeint ist. Infolgedessen nahm man Erçep in Haft, wies ihn wegen angeblicher „religiöser Paranoia“ in eine Nervenklinik ein und belegte ihn mit Geldstrafen. Über Jahre hinweg musste er Beschimpfungen durch Musterungsoffiziere, Gefängniswärter und Mitgefangene ertragen.

Nachdem sich Erçep vor türkischen Gerichten vergeblich um Erleichterung bemüht hatte, wandte er sich schließlich im Dezember 2004 an den EGMR. In seiner Entscheidung führte der EGMR aus, dass die Türkei keinen alternativen Zivildienst vorsieht, und stellte fest, dass „die über den Antragsteller verhängten Strafurteile zu einer Zeit, in der es keine Möglichkeit gab, seinem Gewissen und seiner Überzeugung zu folgen, in einer demokratischen Gesellschaft nicht als unausweichliche Rechtsfolge betrachtet werden können“.

Dieses Urteil folgt der wegweisenden Entscheidung der Großen Kammer des EGMR am 7. Juli 2011 im Fall Bajatjan ./. Armenien, mit der Bajatjans Recht auf Wehrdienstverweigerung aus biblisch motivierten Gewissensgründen gewahrt wurde. Die jetzige Entscheidung des EGMR im Fall von Erçep nimmt die Türkei als Mitglied des Europarates in die Pflicht, die strafrechtliche Verfolgung und Inhaftierung von Einzelpersonen zu unterlassen, deren tiefe religiöse Überzeugung ihnen den Wehrdienst verbietet.

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