Montag, 27. Juli 2009
1. Timotheus 4,1
Ein Kritiker der Neuen-Welt-Übersetzung (NWÜ) hat etwas an der Wiedergabe von 1.Timotheus 4,1 auszusetzen. Er schreibt hierzu:
Hier wird also "Geist" mit "inspirierter Äußerung" übersetzt[...] An vielen anderen Stellen ist die NWÜ aber durchaus in der Lage, "pneuma" richtig mit "Geist" wiederzugeben...

Muss ein griechisches Wort mit genau einem deutschen Wort wiedergegeben werden?

In wortgetreuen Übersetzungen wie der NWÜ wird dies angestrebt, um dem Leser die Möglichkeit zu geben, die verschiedenen Vorkommen eines Wortes zu vergleichen. Allerdings ist dies nicht immer möglich oder erstrebenswert.

Als Beispiele dient das Wort "kosmos", dass fast durchgehend mit "Welt" übersetzt wird. Außer in 1.Petrus 3,3, wo diese Übersetzung sehr missverständlich wäre: "die Welt der Kleider". Hier lauten die Übersetzungsmöglichkeiten "wohlgeordnet", "prächtig" bzw. "das Anziehen von". Es gibt kein deutsches Wort, dass an allen Stellen des NT durchgehend für "kosmos" eingesetzt werden kann.

Warum ist das so? In jeder Sprache haben Worte eine andere Bedeutung und vor allem ein anderes Bedeutungsspektrum. Was in einer Sprache mit einem Wort gesagt werden kann, muss in einer anderen mit zwei oder noch mehr Worten ausgedrückt werden, je nachdem, welche Nuance des Bedeutungsspektrums ausgedrückt werden soll. Grundsätzlich ist es so, dass (fast) nie ein Wort in einer Sprache genau einem Wort einer anderen Sprache entspricht. Deswegen zitiert unser Kritiker korrekt die Kingdom Interlinear Translation:
To each major word we have assigned one meaning and have held to that meaning as far as the context permitted.

(meine Übersetzung: Jedem wichtigen Wort haben wir eine Übersetzungsmöglichkeit/Bedeutung zugeordnet und wir haben diese überall benutzt, solange der Kontext dies zulässt.)
Wichtig ist: "solange der Kontext es zulässt". Da Wortbedeutungen sich zwischen den Sprachen nicht eins zu eins übertragen lassen, gibt es immer Grenzfälle, wo das Sprachgefühl des einzelnen, die Zielgruppe der Übersetzung, die genaue Übersetzungsmethode und andere Faktoren ausschlaggebend sein können, ob mehrere und welche Übersetzungsmöglichkeiten auch in einer worttreuen Übersetzung gewählt werden.

Welcher Geist?

Unser Kritiker ist nachdrücklich der Meinung, dass in 1.Timotheus 4,1 "Gottes Heiliger Geist" über "falsche Geister, also Dämonen" spricht.

Allerdings kann das griechische Wort "pneuma" eine Vielzahl von Dingen, Personen und Phänomänen bezeichnen, z.B.
*den Wind
*Die Daseinsform Gottes und der Engel
*das, was eine Personen im Inneren antreibt, ihre Persönlichkeit
*Gottes heiligen Geist
*Dämonen
*das, was Lebewesen am Leben erhält
*wie wir unten noch sehen werden: eine spezielle Form der Kommunikation
Einige Bibelübersetzungen benutzen verschiedene Wörter, je nachdem, welche Bedeutungsnuance gemeint ist, andere verwenden weitgehend das Wort Geist, mit Ausnahme von Johannes 3,8, wo alle mir bekannten Ausgaben "Wind" übersetzen.

"pneuma" als Kommunikationsform

Wenden wir uns 2.Thessalonicher 2,2 zu, wo es heißt:
dass ihr euch nicht schnell in eurem Sinn erschüttern, auch nicht erschrecken lasst, weder durch Geist noch durch Wort noch durch Brief, als seien sie von uns, als ob der Tag des Herrn da wäre.(EB)
Andere Übersetzungen benutzen hier folgende Ausdrücke:
LU84: Weissagung
HfA: Offenbarungen Gottes
NGÜ, GNB: Eingebung des Heiligen Geistes
EÜ: prophetischen Wort
NL: Vision
Me: Geistesoffenbarung
NWÜ: inspirierte Äußerung
Alle diese Übersetzungen sehen "pneuma" hier als eine Kommunikationsform, als die Art und Weise, wie eine Botschaft übermilt wird. Angesichts des Kontext, der zwei andere Mitteilungsformen beschreibt -Brief und mündliche Botschaft-, ist dies auch sinnvoll. Die meisten Übersetzer verstehen dies hier als eine Form prophetischer Botschaft. In diesem Fall eine Botschaft, die auf den ersten Blick wie eine Botschaft von Gott aussieht, es aber bei genauer Prüfung nicht.

Man kann diese Kommunikationsform als "eine Botschaft aus dem geistigen Bereich in den menschlichen Bereich mittels prophetischer Äußerung" beschreiben, oder kurz als "inspirierte Äußerung".

Allerdings heißt dies, dass man auch an anderen Stellen der Bibel prüfen muss, ob "pneuma" dort nicht die Kommunikationsform beschreibt.

Was ist in 1.Timotheus 4,1 gemeint?

Von den o.g. Übersetzungen beschreibt nur die NWÜ in 1.Timotheus 4,1 "pneuma" als Kommunikationsform. Ist dies jedoch möglich?

Abgesehen von stilistischen Gründen könnte man die Übersetzungen von "pneuma" aus 2.Thessalonicher 2,2 auch hier verwenden und einen sinnvollen Satz erhalten, der dann etwa lauten würde:Das prophetische Wort besagt eindeutig...

Inhaltlich bereitet diese Möglichkeit also keine Probleme. Könnte aber an unserer Stelle vom heiligen Geist als Person und von Dämonen die Rede sein, wie unser Kritiker annimmt?

Ist gemeint, dass die Abtrünnigen, von denen hier die Rede ist, sich dem Spiritismus zuwenden? Man beachte, dass "irreführende Geister"(=Dämonen) parallel zu "Lehren von Dämonen" verwendet wird. Es macht wenig Sinn diese beiden Dinge hintereinanderzustellen, da das zweite bereits im ersten enthalten wäre.

Andererseits würden sich "irreführende Prophezeiungen" und "dämonische Lehren" sich gegenseitig ergänzen, da sie zwei Wege beschreiben, auf denen der christliche Glaube korrumpiert werden kann ohne zu unterstellen, dass Personen innerhalb der Gemeinde Spiritismus treiben.

Beim ersten "pneuma" bezieht sich Paulus anscheinend nicht auf eine bestimmte Begebenheit, da er keinerlei Details erwähnt und auch keine Vergangenheitsform verwendet. Angesichts dessen kann Paulus sich hier ohne weiteres auf Prophezeiungen beziehen, die zu jener Zeit von verschiedenen Propheten innerhalb der Versammlung gemacht wurden.

Er könnte sich auch auf in der Bibel aufgezeichnete Äußerungen beziehen, wie z.B. Matthäus 13,24f, die er hier weiter erläuterte. Auch in diesem Fall würde sich "pneuma" auf die Form der Kommunikation beziehen, da hier keine direkte Stimme vom Himmel zu hören war.

Es ist zwar nicht mit letzter Sicherheit zu klären, was genau Paulus im Sinn hatte, aber er gibt keinen zwingenden Grund hier eine direkte Rede einer Person eines dreieinigen Gottes annehmen zu müssen.

Und die Dreieinigkeit?

Angesichts des vorgesagten ist es zwar nicht unbedingt erforderlich, aber ich will noch kurz auf die Frage nach der Dreieinigkeit eingehen. Im Prinzip gibt unser Kritiker selber die Antwort, wenn er sagt:
Der Sinn der Fehlübersetzung in 1. Tim 4:1 erschließt sich mir nicht. Sie erweckt den Eindruck, die Übersetzer wollten die Personhaftigkeit des Heiligen Geistes verschleiern. Eine große Zahl von anderen Bibelstellen, gerade aus der Apostelgeschichte, in denen auch der Geist spricht, wurden aber nicht im Sinne von 1. Tim 4:1 umgeschrieben.
Er hat also selber erkannt, dass die von ihm unterstellte Absicht keinen Sinn ergibt. Leider ist er diesem Gedanken nicht bis zum Ende gefolgt, ansonsten wäre ihm möglicherweise auch aufgefallen, dass dieser Text nichts in Bezug auf eine mögliche Dreieinigkeit aussagt, wenn man diese Aussage nicht selber einfügt.

Gibt es denn einen Grund, in den Texten des "neuen Testaments" davon auszugehen, dass mit "pneuma" eine Person eines dreieinigen Gottes gemeint ist. Hierzu will ich kurz Hans Küng zitieren, der in Bezug auf das "neue Testament" und die ersten Christen sagte, der Geist sei für sie "die von Gott ausgehende unsichtbare Kraft und Macht".[1]

Da der heilige Geist das Wirken Gottes beschreibt, sollten wir auch zunächst versuchen, das Wort so zu verstehen. Und "erstaunlicherweise" habe ich bisher keine Stelle gefunden, an der ich mit diesem Verständnis nicht weitergekommen wäre.


[1] Hans Küng: Das Christentum - die religiöse Situation der Zeit, München, 5. Auflage 2006, Seite 127

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