Donnerstag, 30. Juli 2009
70 x LXX = HERR ?
hgp, 09:42h
Unser Kritiker des Tages (UKdT) hat ein Problem damit, dass die NWÜ in den christlich-griechischen Schriften "Jehova" als Bezeichnung Gottes enthält. Nun ist dies ein Problem, dass man nicht in einem Blog-Beitrag erschöpfend behandeln kann. Darum will ich mich (für heute) auf einen wesentlichen Aspekt beschränken: Das Tetragrammaton (der Name Gottes in hebräischen Buchstaben, hier wiedergegeben mit "Jehova") in der Septuaginta (abgekürzt: LXX).
UKdT behauptet:
Bis ca. Mitte des 20. Jahrhunderts schien der Zusammenhang einfach: Als ca. im dritten Jahrhundert v.u.Z. (vor unserer Zeitrechnung) die LXX übersetzt wurde, wurde jedes Vorkommen des Tetragrammaton mit "kyrios" (Herr) übersetzt. Als die Verfasser der Evangelien und der anderen christlichen Schriften aus der LXX zitierten, haben sie genau diese Vorgehensweise übernommen. Im dritten Jahrhundert u.Z. (unserer Zeitrechnung) hat dann Origenes eine Art wissenschaftlicher Textausgabe, die Hexapla, erstellt, in der er auf Grundlage des hebräischen Textes das Tetragrammaton wieder in den griechischen Text einführte, was die wenigen späten Manuskripte erklärte, die das Tetragrammaton enthälten.
Bis Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts stammten die ältesten vorliegenden Manuskripte der LXX (im wesentlichen) aus dem vierten Jahrhundert u.Z. Seitdem hat sich das Bild radikal durch neue Funde gewandelt.
Vorwiegend durch Manuskriptfunde in der jüdischen und ägyptischen Wüste stehen uns heute LXX-Fragmente aus der Zeit von dem zweiten Jahhundert v.u.Z. bis Mitte des zweiten Jahrhunderts u.Z. zur Verfügung. KEINES dieser Manuskripte ersetzt das Tetragrammaton durch "kyrios". Ab Mitte bis Ende des zweiten Jahrhunderts u.Z. hingegen gibt es fast nur noch Manuskripte, die das Tetragrammaton durch "kyrios" (bzw. eine Abkürzung hiervon) ersetzen.[1]
Man kann annehmen, dass die Übersetzer der LXX ursprünglich "kyrios" schrieben, dass dies dann aber in allen uns überlieferten Manuskripten ersetzt wurde. A. Pietersma hat versucht, diese Begründung zu geben, er ist aber in der Fachwelt dabei auf Ablehnung gestoßen. Neben anderen in den hier genannten Quellen erläuterten Problemen muss man annehmen, dass von den allgemein benutzten Manuskripten mit "kyrios" keins "überlebt" hat, während wir heute einfach nur Beispiele der wenigen exotischen "Sonderlinge" in den Händen halten.
Das wäre natürlich ein enormer Zufall, der nach einer Erklärung verlangt. Was ich aber bei denen sehe, die wie uKdT die NWÜ kritisieren, ist, dass sie dies einfach ignorieren:
Wenn wir uns diesen Zeitraum betrachten, dann fanden dort eine ganze Reihe Entwicklungen statt, die die LXX mittelbar oder unmittelbar betrafen:
1) In dieser Zeit wurde die LXX von der Schriftrolle auf den Kodex transferiert. Es wurden also eine große Menge neuer Abschriften produziert. Dieser Übergang wurde im wesentlichen von den (Heiden-)Christen durchgeführt.
2) Die Juden hörten in dieser Zeit auf, die LXX zu benutzen. Es wurde also eine große Zahl alter Kopien außer Dienst gestellt.
3) Als Folge der Zerstörung Jerusalems kam es zur Entfremdung zwischen Juden und (Juden-)Christen. Es konnte somit nach 70 u.Z. keine gemeinsame Schriftüberlieferung geben.
4) Andererseits begann auch in dieser Zeit die Entfremdung zwischen Judenchristen und Heidenchristen, die ihren Höhepunkt Ende des vierten Jahrhunderts fand, als die (heidenchristliche) "Reichskirche" die noch existierenden Judenchristen zu Häretikern erklärte und verfolgte. Dabei wurden u.a. systematisch die Manuskripte der Judenchristen vernichtet. Unter den Heidenchristen gab es die Tendenz, alles jüdische abzulehnen, die Mitte des zweiten Jahrhunderts zur Gründung einer marcionitischen Kirche führte, die mehrere Jahrhunderte bestand und zu Anfang vielerorts mehr Anhänger hatte als die spätere katholische Kirche.
5) In diese Zeit fällt auch der Beginn des kirchlichen Brauchs, sogenannte "nomina sacra" wie z.B. "kyrios" im Bibeltext abzukürzen.
Wenn wir dem Manuskriptbefund glauben, wurde genau im dieser Zeit in der LXX das Tetragrammaton durch "kyrios" ersetzt. Es ist vernünftig anzunehmen, dass die Juden nicht noch schnell in allen ihren LXX-Manuskripten das Tetragrammaton ersetzte, bevor sie die LXX aufgaben. Aber ansonsten blieben nur noch die Heidenchristen übrig, um diese Änderung durchzuführen.
Das bedeutet, dass im zweiten Jahrhundert die Heidenchristen keine Probleme hatten, das Tetragrammaton beim Abschreiben durch eine Ersatzbezeichnung zu ersetzen. Sie taten es so gründlich, dass bis Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts alle Gelehrten überzeugt waren, dass die LXX von Anfang an diese Ersatzbezeichnungen enthielt.
Alles dies "übersieht" uKdT. Damit entgehen ihm die eigentlich wichtigen Fragen, wie: "gibt der Manuskriptbefund die tatsächliche Entwicklung wieder?" und "Haben die Heidenchristen das NT genauso behandelt wie die LXX?". Da uKdT dies nicht bedenkt, kann er keine sinnvolle Antwort auf die Argumentation der NWÜ geben.
Stattdessen unterstellt er (wie üblich) dass die NWÜ die Bibel an die eigene Glaubenslehre anpasst. Außerdem kriegt er nicht mit, dass er Zeugen Jehovas angesichts des oben gesagten absurderweise unterstellt, "dass das Tetragramm [...] von den Juden getilgt worden sei." Solange aber die Ablehnung der NWÜ darauf beruht, dass die eigentlichen Argumente nicht wahrgenommen werden -so wie hier- dann suche ich weiter nach Gründen, warum man diese Kritik ernst nehmen soll.
Das ist natürlich nur der Anfang dieses Themas, noch geklärt werden muss, was nun mit dem Tetragrammaton im NT los ist, wofür die berühmten "J"-Belege der NWÜ eigentlich gedacht sind und was wir zur Aussprache und Namensform des Tetragrammaton sagen können. Außerdem gibt es natürlich einzelne Bibelverse zu untersuchen, um zu klären, ob die NWÜ konsequent ihren eigenen Prinzipien gefolgt ist.
[1]Für eine ausführlichere Darstellung auf Englisch: R. Furuli, "The Role of Theology and Bias in Bible Translation", Huntington Beach, 1999, S. 149ff
siehe auch hier und hier und nochmal hier.
UKdT behauptet:
Die Wachtturm-Gesellschaft verwendet nun viel Scharfsinn darauf, nachzuweisen, dass das Tetragramm in den ältesten Ausgaben der Septuaginta enthalten gewesen und erst später (beginnend im 1. Jahrhundert nach Christus im Zusammenhang mit der Tempelzerstörung) "aus abergläubischer Furcht" von den Juden getilgt worden sei.Hier taucht das erste Problem auf: Zeugen Jehovas behaupten nicht, dass Juden das Tetragrammaton aus der Septuaginta löschten. Wie wir noch sehen werden, ist es zentral für ihr Argument, dass es NICHT die Juden waren.
Kurze Geschichte des Tetragrammaton in der LXX
Um die Zusammenhänge zu verstehen, müssen wir zuerst zusammenfassen, wie LXX und Tetragrammaton zusammenhängen. Das folgende ist stark gekürzt und enthält nicht alle Details.Bis ca. Mitte des 20. Jahrhunderts schien der Zusammenhang einfach: Als ca. im dritten Jahrhundert v.u.Z. (vor unserer Zeitrechnung) die LXX übersetzt wurde, wurde jedes Vorkommen des Tetragrammaton mit "kyrios" (Herr) übersetzt. Als die Verfasser der Evangelien und der anderen christlichen Schriften aus der LXX zitierten, haben sie genau diese Vorgehensweise übernommen. Im dritten Jahrhundert u.Z. (unserer Zeitrechnung) hat dann Origenes eine Art wissenschaftlicher Textausgabe, die Hexapla, erstellt, in der er auf Grundlage des hebräischen Textes das Tetragrammaton wieder in den griechischen Text einführte, was die wenigen späten Manuskripte erklärte, die das Tetragrammaton enthälten.
Bis Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts stammten die ältesten vorliegenden Manuskripte der LXX (im wesentlichen) aus dem vierten Jahrhundert u.Z. Seitdem hat sich das Bild radikal durch neue Funde gewandelt.
Vorwiegend durch Manuskriptfunde in der jüdischen und ägyptischen Wüste stehen uns heute LXX-Fragmente aus der Zeit von dem zweiten Jahhundert v.u.Z. bis Mitte des zweiten Jahrhunderts u.Z. zur Verfügung. KEINES dieser Manuskripte ersetzt das Tetragrammaton durch "kyrios". Ab Mitte bis Ende des zweiten Jahrhunderts u.Z. hingegen gibt es fast nur noch Manuskripte, die das Tetragrammaton durch "kyrios" (bzw. eine Abkürzung hiervon) ersetzen.[1]
Wie kann man das erklären
Es gibt natürlich mehrere Möglichkeiten, diesen Befund zu erklären.Man kann annehmen, dass die Übersetzer der LXX ursprünglich "kyrios" schrieben, dass dies dann aber in allen uns überlieferten Manuskripten ersetzt wurde. A. Pietersma hat versucht, diese Begründung zu geben, er ist aber in der Fachwelt dabei auf Ablehnung gestoßen. Neben anderen in den hier genannten Quellen erläuterten Problemen muss man annehmen, dass von den allgemein benutzten Manuskripten mit "kyrios" keins "überlebt" hat, während wir heute einfach nur Beispiele der wenigen exotischen "Sonderlinge" in den Händen halten.
Das wäre natürlich ein enormer Zufall, der nach einer Erklärung verlangt. Was ich aber bei denen sehe, die wie uKdT die NWÜ kritisieren, ist, dass sie dies einfach ignorieren:
Freilich kannten auch die Verfasser des Neuen Testaments aus dem Alten Testament und der jüdischen Tradition den Gottesnamen, aber sie verwendeten nicht das Tetragramm, sondern den Würdetitel "kýrios", den sie der ihr vorliegenden Septuaginta entnahmen und den sie bewusst auf Gott den Vater und auf Jesus Christus bezogen[...]Obwohl uKdT in seinem Text erwähnt, dass (nach seinem Verständnis) Zeugen Jehovas lehren, dass das Tetragrammaton erst "im Zusammenhang mit der Zerstörung" Jerusalems getilgt wurde, "vergisst" er dies hier wieder und ist der Meinung, dass man bereits vorher in der LXX allgemein "kyrios" lesen konnte. Allerdings macht er sich nirgendwo die Mühe, das dahinterstehende Argument zu prüfen oder zu widerlegen. Leider mache ich diese Erfahrung regelmäßig; es gibt keine Begründung, warum sinnvolle Argumente abgelehnt werden.
Wieso ist das alles wichtig?
Zeugen Jehovas sehen den Manuskriptbefund als korrekte Spiegelung der im Altertum tatsächlich verwendeten Manuskripte. Daher sind sie überzeugt, dass bis ca. Ende des ersten Jahrhunderts AUSSCHLIESSLICH das Tetragrammaton in der LXX verwendet wurde und dass ab Mitte des zweiten Jahrhunderts das Tetragrammaton in der LXX durch Kyrios ersetzt wurde.Wenn wir uns diesen Zeitraum betrachten, dann fanden dort eine ganze Reihe Entwicklungen statt, die die LXX mittelbar oder unmittelbar betrafen:
1) In dieser Zeit wurde die LXX von der Schriftrolle auf den Kodex transferiert. Es wurden also eine große Menge neuer Abschriften produziert. Dieser Übergang wurde im wesentlichen von den (Heiden-)Christen durchgeführt.
2) Die Juden hörten in dieser Zeit auf, die LXX zu benutzen. Es wurde also eine große Zahl alter Kopien außer Dienst gestellt.
3) Als Folge der Zerstörung Jerusalems kam es zur Entfremdung zwischen Juden und (Juden-)Christen. Es konnte somit nach 70 u.Z. keine gemeinsame Schriftüberlieferung geben.
4) Andererseits begann auch in dieser Zeit die Entfremdung zwischen Judenchristen und Heidenchristen, die ihren Höhepunkt Ende des vierten Jahrhunderts fand, als die (heidenchristliche) "Reichskirche" die noch existierenden Judenchristen zu Häretikern erklärte und verfolgte. Dabei wurden u.a. systematisch die Manuskripte der Judenchristen vernichtet. Unter den Heidenchristen gab es die Tendenz, alles jüdische abzulehnen, die Mitte des zweiten Jahrhunderts zur Gründung einer marcionitischen Kirche führte, die mehrere Jahrhunderte bestand und zu Anfang vielerorts mehr Anhänger hatte als die spätere katholische Kirche.
5) In diese Zeit fällt auch der Beginn des kirchlichen Brauchs, sogenannte "nomina sacra" wie z.B. "kyrios" im Bibeltext abzukürzen.
Wenn wir dem Manuskriptbefund glauben, wurde genau im dieser Zeit in der LXX das Tetragrammaton durch "kyrios" ersetzt. Es ist vernünftig anzunehmen, dass die Juden nicht noch schnell in allen ihren LXX-Manuskripten das Tetragrammaton ersetzte, bevor sie die LXX aufgaben. Aber ansonsten blieben nur noch die Heidenchristen übrig, um diese Änderung durchzuführen.
Das bedeutet, dass im zweiten Jahrhundert die Heidenchristen keine Probleme hatten, das Tetragrammaton beim Abschreiben durch eine Ersatzbezeichnung zu ersetzen. Sie taten es so gründlich, dass bis Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts alle Gelehrten überzeugt waren, dass die LXX von Anfang an diese Ersatzbezeichnungen enthielt.
Alles dies "übersieht" uKdT. Damit entgehen ihm die eigentlich wichtigen Fragen, wie: "gibt der Manuskriptbefund die tatsächliche Entwicklung wieder?" und "Haben die Heidenchristen das NT genauso behandelt wie die LXX?". Da uKdT dies nicht bedenkt, kann er keine sinnvolle Antwort auf die Argumentation der NWÜ geben.
Stattdessen unterstellt er (wie üblich) dass die NWÜ die Bibel an die eigene Glaubenslehre anpasst. Außerdem kriegt er nicht mit, dass er Zeugen Jehovas angesichts des oben gesagten absurderweise unterstellt, "dass das Tetragramm [...] von den Juden getilgt worden sei." Solange aber die Ablehnung der NWÜ darauf beruht, dass die eigentlichen Argumente nicht wahrgenommen werden -so wie hier- dann suche ich weiter nach Gründen, warum man diese Kritik ernst nehmen soll.
Das ist natürlich nur der Anfang dieses Themas, noch geklärt werden muss, was nun mit dem Tetragrammaton im NT los ist, wofür die berühmten "J"-Belege der NWÜ eigentlich gedacht sind und was wir zur Aussprache und Namensform des Tetragrammaton sagen können. Außerdem gibt es natürlich einzelne Bibelverse zu untersuchen, um zu klären, ob die NWÜ konsequent ihren eigenen Prinzipien gefolgt ist.
[1]Für eine ausführlichere Darstellung auf Englisch: R. Furuli, "The Role of Theology and Bias in Bible Translation", Huntington Beach, 1999, S. 149ff
siehe auch hier und hier und nochmal hier.
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