Mittwoch, 20. Januar 2010
Johannes 1,1 und zweisprachige Grammatik
Nein, ich will jetzt nicht eine komplette Analyse aller Argumente für eine bestimmte Übersetzung dieses Verses durchkauen. Aber ich will auf ein Argument aufmerksam machen, dass mit Sicherheit falsch ist. Zur Erinnerung noch einmal der Text:
Im Anfang war das WORT, und das WORT war bei GOTT, und das WORT war ein Gott.
(meine Übersetzung von Johannes 1 findet man hier)
Das Argument betrifft die Worte "ein Gott" am Satzende.

Hier schreibt ein Kritiker der Zeugen Jehovas folgendes:
Es gibt daher theoretisch drei Möglichkeiten theos zu übersetzen: erstens undefiniert ("ein Gott"), zweitens qualitativ ("Gott") und drittens definiert ("[der] Gott"). Der Kontext ist b ei dieser Frage entscheidend.
Und in einer Fußnote fügt er hinzu:
Qualitativ ist weder definiert noch undefiniert. Vgl. z.b. Joh 1,14, wo man "Fleisch" (sarx) weder mit "ein Fleisch" noch mit "das Fleisch" übersetzen kann. Der Logos ist Fleisch bzw. Mensch geworden, d.h. er hat die menschliche Natur und alles, was dazu gehört angenommen und ist wie jeder andere Mensch geworden.
Leider gibt der Autor keine Definition für "qualitativ", sondern nur ein Beispiel: Johannes 1,14. Entscheidend für den Autor ist, dass man das Wort "Fleisch" weder mit einem bestimmten noch mit einem unbestimmten Artikel im deutschen verwenden kann.

Das hat allerdings nichts mit dem griechischen Bibeltext zu tun sondern ausschließlich mit der deutschen Grammatik. Es gibt im deutschen verschidene "Arten" von Substantiven, die jeweils andere Regeln für die Setzung des Artikels haben:

1) abzählbare Worte, z.B. "Schraubenzieher", die normalerweise (im Singular) immer einen Artikel haben müssen; man kann nicht sagen: "das ist Schraubenzieher". Man kann entweder sagen: "das ist derSchraubenzieher" oder: "das ist ein Schraubenzieher".

2) nicht abzählbare Worte, z.B. "Mehl". Dieses Wort kann normalerweise nur sehr eingeschränkt mit dem unbestimmten Artikel verwendet werden; so sagt man: "das ist Mehl" und nicht: "das ist ein Mehl". Man kann sagen: "das ist ein Mehl", wenn man unter mehreren Sorten Mehl auswählen kann, ansonsten ist diese Form nicht sinnvoll. Worte dieser Kategorie können keinen Plural bilden, es gibt keine "zwei Mehle", daran kann man sie leicht erkennen.

3) Namen, die meist komplett ohne Artikel verwendet werden; so sagt man "das ist Albert". Es klingt entweder seltsam oder sehr umgangssprachlich zu sagen: "das ist ein Albert" oder: "das ist der Albert". Auch diese Worte können keinen Plural bilden: "zwei Alberte".

Was unser Autor nun tut, ist zu sagen, dass Worte, die weder mit dem bestimmten noch mit dem unbestimmten Artikel auftauchen "qualitativ" seien. Damit erzeugt er eine neue Kategorie, die meine Fälle 2) und 3) umfasst. Damit fasst er zwei vollkommen unterschiedliche grammatische Konzepte zusammen: "Albert" bezieht sich immer auf eine bestimmte Person und nicht auf eine Eigenschaft, während "Mehl" sich immer auf eine Eigenschaft bezieht (nämlich auf die Eigenschaft, Mehl zu sein). Es ist klar, dass diese beiden Dinge eigentlich nichts miteinander zu tun haben.

In welche Kategorie passt nun das Wort "Gott"? Erstaunlicherweise passt es in meine Kategorie1) UND 3). Wie das? Zuerst kann man das Wort ganz normal als abzählbar verwenden ("ein Gott", "zwei Götter", etc.); andererseits kann man das Wort auch grammatisch wie einen Eigennamen verwenden, wenn es sich auf den biblischen Gott, Jehova, bezieht ("Gott sagt" und nicht "der Gott sagt").

Ein schönes Beispiel um den Wechsel von einer Kategorie in die andere zu sehen, ist Matthäus 22,32: "Gott ist nicht der Gott von Toten, sondern von Lebenden." Das erste "Gott" wird wie ein Eigenname benutzt, daher ohne Artikel, das zweite mal wird das Wort abzählbar verwendet, da es um die Frage geht: "welcher Gott?". Man könnte beim zweiten Vorkommen (theoretisch) einen Plural bilden: "zwei Götter von Toten", während dies beim ersten Vorkommen grammatisch nicht funktioniert: "Götter sind ...".

Ich will nicht behaupten, dass der zitierte Autor absichtlich etwas falsch macht; er verwechselt aber verschiedene grammatische Kategorien. Wir wollen das nachvollziehen:

Ausgangspunkt dieser Überlegung war, dass Worte wie "Fleisch" und "Mehl" ohne unbestimmten Artikel verwendet werden, um eine Eigenschaft zu bezeichnen. Hierfür kann man die sinnvolle Bezeichnung "qualitativ" benutzen, wenn man will. Unser Autor übersieht aber, dass Eigennamen, für etwas ganz anderes verwendet werden, wenn sie (immer) ohne unbestimmten Artikel verwendet werden. Daher sortiert er "Gott" fälschlicherweise ebenfalls in die Kategorie "qualitativ" ein, obwohl das Wort eigentlich "definiert" ist. Dies hätte ihm auffallen können, als er sein Beispiel für "definiert" formulierte: "[der] Gott", da diese Formulierung fast nie gebraucht wird, sondern statt dessen fast immer "Gott" benutzt wird, wenn das Wort "definiert" gebraucht wird.

Natürlich soll "Gott" an der fraglichen Stelle nicht als Eigenname benutzt werden (da das Wort nicht der Gott ist, der direkt zuvor und direkt danach bezeichnet werden) sondern als abzählbares Wort. Dieses kann aber nicht ohne Artikel stehen. Wenn man für solch ein Wort eine Eigenschaft angeben will, muss man entweder auf ein Adjektiv ausweichen oder man muss den unbestimmten Artikel benutzen, so wie es die NWÜ macht.

Was ist die Folge dieses Fehlers? Trinitarier verwenden aufgrund dessen die Formulierung "und das Wort war Gott", wo "Gott" grammatisch eine Identifikation ist, behaupten aber, dass es sich um eine Eigenschaft handelt. Das führt bei ihren Begründungen für die Übersetzung und bei den Schlussfolgerungen, die sie ziehen, zu weitreichenden Missverständnissen und Folgefehlern.

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