Dienstag, 5. April 2011
[Michael = Jesus] 1.Thessalonicher 4,16
hgp, 17:06h
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Nachdem ich nun Judas 9, Offenbarung 12,7 und Daniel 10,13.20;12,1 untersucht habe, bleibt noch ein Text übrig, in dem der Erzengel Michael (genauer gesagt: Seine Stimme) direkt erwähnt wird: 1.Thessalonicher 4,16. In der NWÜ lautet er mit Kontext:
Sagt dieser Text das wirklich aus? Kann man Jesus auf keinen Fall mit dem Erzengel verwechseln? Diese Quelle leitet dies aus Wiedergaben ab, die im Deutschen einen Unterschied zwischen Jesus und dem Erzengel machen. Aber wie die Quelle selber zugibt, existieren auch andere Übersetzungsmöglichkeiten. Welche Übersetzungsmöglichkeiten sind die besseren? Entscheidend für das Verständnis ist die Präposition, die vor den Ausdrücken für "Befehlsruf", "Erzengelsstimme" und "Posaunenklang" steht. Je nachdem, wie man sie übersetzt, ändert sich die Bedeutung. In diesem Zusammenhang behauptet der Text, dass diese drei Ereignisse mit dem Kommen Jesu in "kausalem Zusammenhang" stehen. Mit anderen Worten bedeutet das, diese drei Ereignisse wären die Ursache für Jesu Kommen Oder umgekehrt: Jesu Kommen verursacht diese drei Ereignisse. Was der Autor unseres Textes hier genau versteht, erläutert er leider nicht, was es uns leider nicht einfacher macht. Wie kann man den Text nun genau verstehen? Schauen wir uns den Vers zuerst einmal im altgriechischen an:
Hier wird drei mal das Wort "ἐν" (="en") verwendet, die häufigste Präposition im Text des NT. Dieses Wort wird jeweils vor den Ausdrücken "Befehlsruf", "Erzengelsstimme" und "Gottesposaune" verwendet. Die Grundbedeutung des Wortes lautet "in", daher auch die Ähnlichkeit mit dem deutschen Wort. Allerdings kann das griechische Wort in vielen verschiedenen Bedeutungsschattierungen verwendet werden.Im Wörterbuch zum NT von Bauer, Aland; 6. Auflage, Sp. 520ff sind auf über sechs engbedruckten Spalten die Übersetzungsmöglichkeiten mit Beispielen abgedruckt. Demnach kann die Präposition grundsätzlich örtlich, zeitlich und kausal verwendet werden, wobei jede dieser Möglichkeiten noch mehrere (teilweise mehr als ein Dutzend) Bedeutungsschattierungen aufweist.
Hier liste ich diejenigen auf, die etwas mit unserem Text zu tun haben könnten (die anderen lasse ich großzügig aus):
Der umgekehrte Fall, dass Jesu Kommen Ursache für das Erklingen der Erzengelsstimme wäre, geht noch viel weniger die grammatische Konstruktion im griechischen lässt dies nicht zu.
Die zweite Möglichkeit würde lauten: "Befehlsruf aufgrund einer Erzengelsstimme". Dann wäre die Erzengelsstimme das, was den Befehlsruf verursachen würde. Mein Kommentar dazu: "????" Diese Möglichkeit ergibt offensichtlich keinen Sinn.
Das Wörterbuch nennt beispielhaft folgende Tätigkeiten:
während des/eines Gebets
während des/eines Aufruhrs
während der Unterweisung
während der Verkündigung des Evangeliums
während des Säens
während des Schlafens
während des anklagens
während des Ertönens(!) einer Stimme
während des Hineingehen
während einer Stimme ????
Der Eintrag im Wörterbuch verweist ausdrücklich auf Tätigkeiten; nun ist eine Stimme aber keine Tätigkeit, sondern nur das Erklingen der Stimme. Man müsste also davon ausgehen, dass hier eine Ellipse vorliegt, also ein Teil der Aussage (das "erklingen") nur angedeutet wird. Das aber würde erfordern, dass es keine näher liegende Bedeutungsmöglichkeit gibt.
unter einer Generation (z.B. etw. reden)
unter den Stammesgenossen
untereinander
unter den Befehlshabern
unter den Menschen
Das Kommen Jesu unter einer Stimme???
ein Befehlsruf, der unter einer Stimme ergeht ???
Eine Stimme eignet sich auch hier nur schlecht als Ergänzung einer näheren Beziehung. Damit bleibt nur ein Fall übrig:
mit einem Stock (kommen)
mit vollem Segen
mit Wasser und Blut
mit Geist und Kraft des Elia
mit dem Evangelium
mit einer Erzengelsstimme kommen würde durchaus hier herein passen. Die Beispiele zeigen uns, dass auch abstrakte Größen wie z.B. Segen mitgebracht werden können, daher kann auch eine Stimme "gebracht" werden. Der Kontext bezieht sich direkt auf das "Kommen" Jesu, so dass diese Bedeutungsschattierung hier exakt passen würde, ohne dass man annehmen muss, dass irgend etwas impliziert oder angedeutet wird.
Damit ergibt sich ganz automatisch, dass die letztgenannte Möglichkeit die favorisierte ist, wenn es um 1.Thessalonicher 4,16 geht. Alle anderen Möglichkeiten erfordern, dass man an der Bedeutung des Textes etwas ändern muss, während diese Möglichkeit exakt funktioniert. Wenn also der Kontext nichts gegenteiliges zum Ausdruck bringt, dann ist die Übersetzungsmöglichkeit (die auch in der NWÜ verwendet wird) die eindeutig beste. Schauen wir, wie verschiedene Bibelübersetzer die grammatische Konstruktion verstehen:
temporal:
allgemeine Begleitumstände:
Insbesondere bei einer sinntreuen Übersetzung, die gesteigerten Wert darauf legt, den Text in einfachem und klarem Deutsch wieder zu geben (wie es die NL versucht), ist es seltsam, dass man hier einen grammatisch falschen deutschen Satz benutzt. Bei der EB (s.o.) bin ich es zwar gewohnt, dass die deutsche Grammatik hin und wieder bis zum brechen verbogen wird, aber dass geschieht normalerweise dann, wenn man nahe an der griechischen Konstruktion bleiben will und es keinen grammatisch korrekten Weg gibt, dies im deutschen wiederzugeben.
Insbesondere angesichts dessen, dass der griechische Text sich einfach und wörtlich mit einem sinnvollen deutschen Satz wiedergeben ließe ist es verwunderlich, dass man lieber den Umweg über grammatische Fehler nimmt. Dies ist ein Zeichen dafür, dass den Übersetzern hier etwas wichtiger war als grammatische Korrektheit und das ist die Vermeidung der Wiedergabe, die jetzt folgt:
Angabe dessen, was mitgebracht wird:
Ohne Übersetzung von "ἐν":
Interessanterweise beziehen sich diejenigen, die Zeugen Jehovas und ihr Bibelverständnis zu diesem Vers kritisieren, auf Übersetzungen, die Elemente zum Text hinzufügen, die den Sinn ändern. Damit verliert diese Argumentation natürlich ihre Grundlage: Wenn man den Text erst einmal abändern muss, um der Schlussfolgerung zu entgehen, die die NWÜ (und die griechische Grammatik) nahelegen, dann liegt das Problem erst einmal darin, dass der Text verändert wurde. Wie ich oben zeigte, ist die Wiedergabe der NWÜ und das zugehörige Verständnis der Zeugen Jehovas das naheliegendste. Wenn also der Kontext nichts anderes aussagt, gibt es nichts daran zu rütteln, dass Jesus eine Erzengelsstimme hat, wenn er kommt.
Jetzt will ich den Kontext der Aussage aus 1.Thessalonicher 4,16 untersuchen. Dabei müssen wir natürlich beachten, dass die Bedeutung "etwas, was der Kommende mitbringt" das naheliegendste ist; wenn es also keine besonderen Gründe gibt, eine andere Bedeutung zu vermuten, dann ist das die Bedeutung, die bevorzugt werden muss.
Wessen Stimme erschallt während der Auferstehung? Nach 1.Thessalonicher 4,16 handelt es sich um eine "Erzengelsstimme"; Johannes 5,28.29 sagt hierzu:
Man beachte, dass es bei dieser Argumentation egal ist, welche genaue Bedeutungsschattierung des Wortes "ἐν" man annimmt, da die Gleichsetzung aufgrund der Parallelstellen gezogen wird. Aufgrund dieser Texte kann man dann sehen, dass dieses Wort hier etwas einleitet, was Jesus bei seinem Kommen persönlich mit sich führt.
Wenn man diese Schlussfolgerung nicht ziehen will, dass die Erzengelsstimme zu Jesus gehört, muss man entgegen den biblischen Parallelen annehmen, dass die Stimme eines anderen zur Auferstehung erschallt. Auch hier wäre wieder die Frage zu beantworten, wieso die Befehlsgewalt über die Engel ständig zwischen Jesus und dem Erzengel wechselt. Dies wäre nach Offenbarung 12,7 bereits der zweite Fall, wo man einen derartigen Wechsel annehmen müsste. Die Bibel liefert uns aber keine Grundlage, einen solchen ständigen Wechsel anzunehmen. Auch diejenigen, die die Gleichsetzung Jesu mit Michael kategorisch ablehnen, bieten hierfür keine Vorschläge.
Nun haben wir gesehen: Die Übersetzung der NWÜ von 1.Thessalonicher 4,16 ist diejenige, die am besten zur grammatischen Konstruktion im griechischen passt; Übersetzungen mit anderer Bedeutung müssen gezielt Elemente einfügen, die im Grundtext nicht vorhanden sind oder die Grammatik missachten. Daher ist die Kritik aufgrund der Übersetzung nicht gerechtfertigt.
Auch die Parallelstellen zu 1.Thessalonicher 4,16 ergibt sich, dass das Verständnis der zeugen Jehovas naheliegend ist: Befehlsruf und Erzengelsstimme sind Jesu Ruf und Stimme, da er Befehlshaber der Engel ist und seine Stimme die Auferstehung einleitet.
Was bleibt noch übrig? Anscheinend sehen viele in Hebräer 1 einen Beweis, dass Jesus nicht der Erzengel sein kann und weitergehend, dass er Gott sein muss. Damit will ich mich als nächstes befassen.
Nachtrag: Bei ihrem Verständnis von 1.Thessalonicher 4,16 stehen Zeugen Jehovas nicht alleine da. In Vine's Expository Dictionary of old & new testament words heißt es unter dem Stichwort "archangel":
1 Zeugen Jehovas verstehen diesen Vers nicht so, als würde er sich auf das gleiche Ereignis beziehen wie 1.Thessalonicher 4,16. Da jedoch in beiden Versen das "Kommen Jesu" in dem einen oder anderen Sinn der Hintergrund ist, ist ein Vergleich sinnvoll, da diese Ereignisse ähnlich beschrieben werden und sich daher ähneln sollen.
Die meisten, die die Lehre der Zeugen Jehovas zum Erzengel Michael ablehnen, nehmen gleichzeitig an, dass sowohl Matthäus 24 als auch 1.Thessalonicher 4,16 vom gleichen Ereignis sprechen. Daher können sie diesen Punkt ohnehin nicht als Gegenargument verwenden, ohne ihr eigenes Argument zu zerstören.
2In der Bibel gibt es keinen Hinweis darauf, dass der Befehlsruf (ein öffentlicher, befehlender Ausruf) anlässlich der Auferweckung der Toten oder des Kommens Jesu von Gott stammt; stattdessen ist Jesus derjenige, der die Befehlsgewalt hat und damit auch die Befehle erteilt. Daher ist es reine Spekulation der Übersetzer, wenn der Befehlsruf als der "Ruf Gottes" bezeichnet wird. Weder der unmittelbare Kontext noch andere Stellen der Bibel legen dies nahe. Wenn man daher in HfA und GN das Wort "Gott" vor dem Befehlsruf findet, dann ist dies eine Veränderung des Textes.
Dass man in den älteren Ausgaben der Lutherbibel "Feldgeschrei" statt "Befehlsruf" finden, liegt daran, dass Luther das Wort noch nicht korrekt verstanden hatte.
Nachdem ich nun Judas 9, Offenbarung 12,7 und Daniel 10,13.20;12,1 untersucht habe, bleibt noch ein Text übrig, in dem der Erzengel Michael (genauer gesagt: Seine Stimme) direkt erwähnt wird: 1.Thessalonicher 4,16. In der NWÜ lautet er mit Kontext:
Ferner, Brüder, wollen wir nicht, daß ihr hinsichtlich derer unwissend seid, die [im Tod] schlafen, damit ihr nicht auch betrübt seid wie die übrigen, die keine Hoffnung haben. 14 Denn wenn wir den Glauben haben, daß Jesus gestorben und wieder auferstanden ist, so wird Gott auch die [im Tod] Entschlafenen durch Jesus mit ihm bringen. 15 Denn dies sagen wir euch durch Jehovas Wort, daß wir, die Lebenden, die bis zur Gegenwart des Herrn am Leben bleiben, denen keineswegs zuvorkommen werden, die [im Tod] entschlafen sind; 16 denn der Herr selbst wird vom Himmel herabkommen mit gebietendem Zuruf, mit der Stimme eines Erzengels und mit der Posaune Gottes, und die in Gemeinschaft mit Christus Verstorbenen werden zuerst auferstehen. 17 Danach werden wir, die Lebenden, welche überleben, mit ihnen zusammen in Wolken entrückt werden zur Begegnung mit dem Herrn in der Luft; und so werden wir allezeit beim Herrn sein. 18 Somit fahrt fort, einander mit diesen Worten zu trösten.Aufgrund von Judas 9 kann man den Erzengel mit Michael identifizieren. Ansonsten ist der Text aber auf den ersten Blick relativ schwer zu verstehen: Was tun der Befehlsruf, die Erzengelsstimme und der Posaunenschall beim Kommen Jesu und der Auferstehung der Toten? Je nach Antwort auf diese Frage ändert sich dann das Verständnis des gesamten Textes und damit auch die Identifikation der Erzengelsstimme: Handelt es sich um die Stimme dessen, der kommt, oder eines Begleiters oder ....? Hierzu sind also erst einmal einige genauere Überlegungen erforderlich, ich will mit der Grammatik anfangen:
Wenn das Wörtchen "ἐν" nicht wär' ...
Diejenigen, die es ablehnen, Jesus mit Michael zu identifizieren, bestehen darauf, dass unser Bibelvers nicht so verstanden werden kann, dass Jesus mit Erzengelsstimme redet. Z.B. schreibt hier eine Bibelforschergemeinde (Hervorhebungen von mir):Eine Ursache liegt an der Fehlinterpretation von 1.Thessalonicher 4:16. In manchen Bibelübersetzungen scheint es, als würde unser Herr Jesus mit der Stimme des Erzengels rufen[..]Hier kommt ein anderer Kritiker der Zeugen Jehovas auf einem ähnlichen Weg zum gleichen Ergebnis. Und hier wird diese Behauptung von einer anderen Gruppe wiederholt.
Im griechischen Text zu 1.Thess. 4:16 wird gezeigt, das das Erscheinen Jesu, das Rufen eines Kommandos,
die Stimme des/eines Erzengels und der Schall der Posaune Gottes in kausalem Zusammenhang stehen. Dass Jesus selbst das Kommando gibt, wie ein Erzengel ruft und dabei auch noch die Posaune bläst, ist vom griechischen Text nicht zu belegen. Aus diesem Grund wird der Text in den meisten Bibelübersetzungen auch differenziert wieder gegeben.[...]
Wie wir erkennen, kann unser Herr Jesus nicht mit dem Erzengel verwechselt werden.
Sagt dieser Text das wirklich aus? Kann man Jesus auf keinen Fall mit dem Erzengel verwechseln? Diese Quelle leitet dies aus Wiedergaben ab, die im Deutschen einen Unterschied zwischen Jesus und dem Erzengel machen. Aber wie die Quelle selber zugibt, existieren auch andere Übersetzungsmöglichkeiten. Welche Übersetzungsmöglichkeiten sind die besseren? Entscheidend für das Verständnis ist die Präposition, die vor den Ausdrücken für "Befehlsruf", "Erzengelsstimme" und "Posaunenklang" steht. Je nachdem, wie man sie übersetzt, ändert sich die Bedeutung. In diesem Zusammenhang behauptet der Text, dass diese drei Ereignisse mit dem Kommen Jesu in "kausalem Zusammenhang" stehen. Mit anderen Worten bedeutet das, diese drei Ereignisse wären die Ursache für Jesu Kommen Oder umgekehrt: Jesu Kommen verursacht diese drei Ereignisse. Was der Autor unseres Textes hier genau versteht, erläutert er leider nicht, was es uns leider nicht einfacher macht. Wie kann man den Text nun genau verstehen? Schauen wir uns den Vers zuerst einmal im altgriechischen an:
ὅτι αὐτὸς ὁ κύριος ἐν κελεύσματι, ἐν φωνῇ ἀρχαγγέλου καὶ ἐν σάλπιγγι θεοῦ, καταβήσεται ἀπ᾽ οὐρανοῦZuerst interessiert die Frage, worauf sich genau die "Erzengelsstimme" bezieht. Zur Auswahl steht entweder das Kommen Jesu oder aber der Befehlsruf. Ich finde keine eindeutige grammatische Zuordnung zu einer der beiden Möglichkeiten, daher kann nur die weitere Untersuchung uns hierzu Hinweise liefern.
Hier wird drei mal das Wort "ἐν" (="en") verwendet, die häufigste Präposition im Text des NT. Dieses Wort wird jeweils vor den Ausdrücken "Befehlsruf", "Erzengelsstimme" und "Gottesposaune" verwendet. Die Grundbedeutung des Wortes lautet "in", daher auch die Ähnlichkeit mit dem deutschen Wort. Allerdings kann das griechische Wort in vielen verschiedenen Bedeutungsschattierungen verwendet werden.Im Wörterbuch zum NT von Bauer, Aland; 6. Auflage, Sp. 520ff sind auf über sechs engbedruckten Spalten die Übersetzungsmöglichkeiten mit Beispielen abgedruckt. Demnach kann die Präposition grundsätzlich örtlich, zeitlich und kausal verwendet werden, wobei jede dieser Möglichkeiten noch mehrere (teilweise mehr als ein Dutzend) Bedeutungsschattierungen aufweist.
Hier liste ich diejenigen auf, die etwas mit unserem Text zu tun haben könnten (die anderen lasse ich großzügig aus):
lokal: Bezeichnung einer näheren Beziehung, zur Einführung von Sachen, die jemand mitbringt oder mit denen er ausgerüstet bzw. behaftet ist: "mit"
temporal:Bezeichnung einer Tätigkeit, deren Zeit angegeben wird: "während"
kausal: Bezeichnung des Mittels, durch das etwas geschieht, der Ursache, aus der etwas geschieht: "auf Grund von, wegen"
Rerum cognoscere causas
Schauen wir uns zuerst die Bedeutung an, die in dem o.g. Text behauptet wird, der kausalen: die Bedeutung der Konstruktion wäre dann: "er kommt aufgrund einer Erzengelsstimme", d.h. die Worte des Erzengels wären die Ursache von Jesu Kommen. Das würde aber bedeuten, dass der Erzengel Jesus in irgendeiner Form ein Kommando gibt und somit Befehlsgewalt über ihn hätte. Das ist wiederum offensichtlicher Unsinn. Daher begraben wir schnell die Idee von der kausalen Bedeutung.Der umgekehrte Fall, dass Jesu Kommen Ursache für das Erklingen der Erzengelsstimme wäre, geht noch viel weniger die grammatische Konstruktion im griechischen lässt dies nicht zu.
Die zweite Möglichkeit würde lauten: "Befehlsruf aufgrund einer Erzengelsstimme". Dann wäre die Erzengelsstimme das, was den Befehlsruf verursachen würde. Mein Kommentar dazu: "????" Diese Möglichkeit ergibt offensichtlich keinen Sinn.
O tempora o mores
Wenden wir uns also dem zweiten Fall zu: der zeitlichen Verbindung: die Bedeutung wäre dann: "während der Erzengelsstimme". Das ist zwar nicht ausgeschlossen, aber es wäre sehr ungewöhnlich.Das Wörterbuch nennt beispielhaft folgende Tätigkeiten:
während des/eines Gebets
während des/eines Aufruhrs
während der Unterweisung
während der Verkündigung des Evangeliums
während des Säens
während des Schlafens
während des anklagens
während des Ertönens(!) einer Stimme
während des Hineingehen
während einer Stimme ????
Der Eintrag im Wörterbuch verweist ausdrücklich auf Tätigkeiten; nun ist eine Stimme aber keine Tätigkeit, sondern nur das Erklingen der Stimme. Man müsste also davon ausgehen, dass hier eine Ellipse vorliegt, also ein Teil der Aussage (das "erklingen") nur angedeutet wird. Das aber würde erfordern, dass es keine näher liegende Bedeutungsmöglichkeit gibt.
Beziehungsberatung
Was ist mit der Möglichkeit "einer näheren Beziehung"? Als Beispiele werden hier u.a. genannt:unter einer Generation (z.B. etw. reden)
unter den Stammesgenossen
untereinander
unter den Befehlshabern
unter den Menschen
Das Kommen Jesu unter einer Stimme???
ein Befehlsruf, der unter einer Stimme ergeht ???
Eine Stimme eignet sich auch hier nur schlecht als Ergänzung einer näheren Beziehung. Damit bleibt nur ein Fall übrig:
was hast du mitgebracht?
Die letzte grammatische Möglichkeit wäre die Angabe von etwas, was man beim Kommen mitbringt. Folgende Beispiele finde ich hier im Wörterbuch:mit einem Stock (kommen)
mit vollem Segen
mit Wasser und Blut
mit Geist und Kraft des Elia
mit dem Evangelium
mit einer Erzengelsstimme kommen würde durchaus hier herein passen. Die Beispiele zeigen uns, dass auch abstrakte Größen wie z.B. Segen mitgebracht werden können, daher kann auch eine Stimme "gebracht" werden. Der Kontext bezieht sich direkt auf das "Kommen" Jesu, so dass diese Bedeutungsschattierung hier exakt passen würde, ohne dass man annehmen muss, dass irgend etwas impliziert oder angedeutet wird.
Damit ergibt sich ganz automatisch, dass die letztgenannte Möglichkeit die favorisierte ist, wenn es um 1.Thessalonicher 4,16 geht. Alle anderen Möglichkeiten erfordern, dass man an der Bedeutung des Textes etwas ändern muss, während diese Möglichkeit exakt funktioniert. Wenn also der Kontext nichts gegenteiliges zum Ausdruck bringt, dann ist die Übersetzungsmöglichkeit (die auch in der NWÜ verwendet wird) die eindeutig beste. Schauen wir, wie verschiedene Bibelübersetzer die grammatische Konstruktion verstehen:
temporal:
LU84: Denn er selbst, der Herr, wird, wenn der Befehl ertönt, wenn die Stimme des Erzengels und die Posaune Gottes erschallen, herabkommen vom Himmel,Wie man hier sieht, sind die Übersetzer gezwungen, entweder die deutsche Grammatik zu verbiegen ("bei einer Erzengelsstimme") oder aber Elemente einzufügen, die im Grundtext nicht enthalten sind. Ich habe mir die Freiheit genommen, diese Zusätze in rot zu kennzeichnen.
EB: Denn der Herr selbst wird beim Befehlsruf, bei der Stimme eines Erzengels und bei dem Schall der Posaune Gottes herabkommen vom Himmel,
Schlachter2000: denn der Herr selbst wird, wenn der Befehl ergeht und die Stimme des Erzengels und die Posaune Gottes erschallt, vom Himmel herabkommen,
GN: Wenn Gottes Befehl ergeht, der oberste Engel ruft und die himmlische Posaune ertönt, wird Christus, der Herr, selbst vom Himmel kommen.
EÜ: Denn der Herr selbst wird vom Himmel herabkommen, wenn der Befehl ergeht, der Erzengel ruft und die Posaune Gottes erschallt.
Menge: Denn der Herr selbst wird, sobald sein Weckruf ergeht, sobald die Stimme des Engelfürsten erschallt und die Posaune Gottes ertönt, vom Himmel herabkommen,
Zü: Denn der Herr selbst wird beim Erschallen des Befehlswortes, bei der Stimme des Erzengels und der Posaune Gottes vom Himmel herabsteigen.
allgemeine Begleitumstände:
NL: Denn der Herr selbst wird mit einem lauten Befehl, unter dem Ruf des Erzengels und dem Schall der Posaune Gottes vom Himmel herabkommen.Auch hier muss die deutsche Grammatik verbogen werden, da die Satzkonstruktion so nicht funktioniert: man kann nicht "unter" einem Ruf kommen, zumindest nicht, wenn man vernünftig deutsch sprechen will.
Wuppertaler Studienbibel: Denn Er selbst, der Herr, wird unter einem Befehlswort, unter einem Ruf eines Erzengels und unter einer Posaune herabsteigen vom Himmel
Insbesondere bei einer sinntreuen Übersetzung, die gesteigerten Wert darauf legt, den Text in einfachem und klarem Deutsch wieder zu geben (wie es die NL versucht), ist es seltsam, dass man hier einen grammatisch falschen deutschen Satz benutzt. Bei der EB (s.o.) bin ich es zwar gewohnt, dass die deutsche Grammatik hin und wieder bis zum brechen verbogen wird, aber dass geschieht normalerweise dann, wenn man nahe an der griechischen Konstruktion bleiben will und es keinen grammatisch korrekten Weg gibt, dies im deutschen wiederzugeben.
Insbesondere angesichts dessen, dass der griechische Text sich einfach und wörtlich mit einem sinnvollen deutschen Satz wiedergeben ließe ist es verwunderlich, dass man lieber den Umweg über grammatische Fehler nimmt. Dies ist ein Zeichen dafür, dass den Übersetzern hier etwas wichtiger war als grammatische Korrektheit und das ist die Vermeidung der Wiedergabe, die jetzt folgt:
Angabe dessen, was mitgebracht wird:
EB, Fußnote: Denn der Herr selbst wird mit Befehlsruf, mit der Stimme eines Erzengels und bei dem Schall der Posaune Gottes herabkommen vom Himmel,Grammatisch korrektes deutsch, genaue Wiedergabe dessen, was im griechischen steht, ohne Hinzufügungen von zusätzlichen Elementen.
NWÜ: denn der Herr selbst wird vom Himmel herabkommen mit gebietendem Zuruf, mit der Stimme eines Erzengels und mit der Posaune Gottes,
LU1912: Denn er selbst, der Herr, wird mit einem Feldgeschrei und der Stimme des Erzengels und mit der Posaune Gottes herniederkommen.
EB1891: Denn der Herr selbst wird mit gebietendem Zuruf, mit der Stimme eines Erzengels und mit der Posaune Gottes herniederkommen
BigS: Denn der Herrscher selbst wird vom Himmel herabsteigen mit einem Kommandoruf, mit der Stimme des Erzengels und der Posaune Gottes
Ohne Übersetzung von "ἐν":
NeÜ: Denn der Herr selbst wird vom Himmel herabkommen. Ein Kommando wird gerufen und die Stimme eines Engelfürsten und der Schall der Posaune Gottes werden zu hören sein.Diese Übersetzer haben ein Element des griechischen Urtextes gelöscht: die Präposition "en", die die Erzengelsstimme (und die anderen Elemente) mit dem Kommen Jesu verbindet. Stattdessen haben sie wieder wie oben neue Elemente eingefügt, die im Grundtext nicht enthalten sind.
HfA: Auf den Befehl Gottes werden die Stimme des höchsten Engels und der Schall der Posaune ertönen, und Christus, der Herr, wird vom Himmel herabkommen.
NGÜ: Der Herr selbst wird vom Himmel herabkommen, ein lauter Befehl wird ertönen, und auch die Stimme eines Engelfürsten und der Schall der Posaune Gottes werden zu hören sein
Interessanterweise beziehen sich diejenigen, die Zeugen Jehovas und ihr Bibelverständnis zu diesem Vers kritisieren, auf Übersetzungen, die Elemente zum Text hinzufügen, die den Sinn ändern. Damit verliert diese Argumentation natürlich ihre Grundlage: Wenn man den Text erst einmal abändern muss, um der Schlussfolgerung zu entgehen, die die NWÜ (und die griechische Grammatik) nahelegen, dann liegt das Problem erst einmal darin, dass der Text verändert wurde. Wie ich oben zeigte, ist die Wiedergabe der NWÜ und das zugehörige Verständnis der Zeugen Jehovas das naheliegendste. Wenn also der Kontext nichts anderes aussagt, gibt es nichts daran zu rütteln, dass Jesus eine Erzengelsstimme hat, wenn er kommt.
Jetzt will ich den Kontext der Aussage aus 1.Thessalonicher 4,16 untersuchen. Dabei müssen wir natürlich beachten, dass die Bedeutung "etwas, was der Kommende mitbringt" das naheliegendste ist; wenn es also keine besonderen Gründe gibt, eine andere Bedeutung zu vermuten, dann ist das die Bedeutung, die bevorzugt werden muss.
Der Kontext und Textverständnis
Der Kontext gibt zwei wichtige Hinweise zum Verständnis des Verses: Zum einen ist die Aussage aus 1.Thessalonicher 4,16 Teil einer Argumentation zum Thema Auferstehung. Zum Zweiten wird das Kommen Jesu erwähnt. Diese beide Ereignisse werden auch an anderen Stellen im NT beschrieben.Wessen Stimme erschallt während der Auferstehung? Nach 1.Thessalonicher 4,16 handelt es sich um eine "Erzengelsstimme"; Johannes 5,28.29 sagt hierzu:
28 Wundert euch nicht darüber, denn die Stunde kommt, in der alle, die in den Gedächtnisgrüften sind, seine [=Jesu] Stimme hören 29 und herauskommen werden, die, welche Gutes getan haben, zu einer Auferstehung des Lebens, die, welche Schlechtes getrieben haben, zu einer Auferstehung des Gerichts.Nun gibt es zwei Möglichkeiten: entweder Jesu Stimme erschallt zusammen mit der des Erzengels oder Jesu Stimme ist die Erzengelsstimme. Einen Hinweis hierzu gibt Matthäus 24,30b.311:
und sie werden den Menschensohn mit Macht und großer Herrlichkeit auf den Wolken des Himmels kommen sehen. 31 Und er wird seine Engel mit großem Trompetenschall aussenden, und sie werden seine Auserwählten von den vier Winden her versammeln, von [dem] einen äußersten [Ende] der Himmel bis zu ihrem anderen äußersten [Ende].Hier werden die Begleitumstände bei Jesu Kommen geschildert: Jesus sendet seine Engel aus. Mit anderen Worten, Jesus wird hier als Anführer der Engel geschildert, der ihnen persönlich Befehle erteilt, d.h. als Erzengel (wie hier bereits erläutert). Demnach müssen sowohl Befehlsruf als auch Erzengelsstimme in 1.Thessalonicher 4,16 von Jesus stammen2.
Man beachte, dass es bei dieser Argumentation egal ist, welche genaue Bedeutungsschattierung des Wortes "ἐν" man annimmt, da die Gleichsetzung aufgrund der Parallelstellen gezogen wird. Aufgrund dieser Texte kann man dann sehen, dass dieses Wort hier etwas einleitet, was Jesus bei seinem Kommen persönlich mit sich führt.
Wenn man diese Schlussfolgerung nicht ziehen will, dass die Erzengelsstimme zu Jesus gehört, muss man entgegen den biblischen Parallelen annehmen, dass die Stimme eines anderen zur Auferstehung erschallt. Auch hier wäre wieder die Frage zu beantworten, wieso die Befehlsgewalt über die Engel ständig zwischen Jesus und dem Erzengel wechselt. Dies wäre nach Offenbarung 12,7 bereits der zweite Fall, wo man einen derartigen Wechsel annehmen müsste. Die Bibel liefert uns aber keine Grundlage, einen solchen ständigen Wechsel anzunehmen. Auch diejenigen, die die Gleichsetzung Jesu mit Michael kategorisch ablehnen, bieten hierfür keine Vorschläge.
Schlussfolgerungen
Zeugen Jehovas verstehen den Text so, dass die Erzengelsstimme die Stimme ist, die Jesus bei seinem Kommen "mitbringt", es sich also um Jesu eigene Stimme handelt. Die Kritik hieran wird vor allem daran festgemacht, dass der Text auch anders übersetzt wird.Nun haben wir gesehen: Die Übersetzung der NWÜ von 1.Thessalonicher 4,16 ist diejenige, die am besten zur grammatischen Konstruktion im griechischen passt; Übersetzungen mit anderer Bedeutung müssen gezielt Elemente einfügen, die im Grundtext nicht vorhanden sind oder die Grammatik missachten. Daher ist die Kritik aufgrund der Übersetzung nicht gerechtfertigt.
Auch die Parallelstellen zu 1.Thessalonicher 4,16 ergibt sich, dass das Verständnis der zeugen Jehovas naheliegend ist: Befehlsruf und Erzengelsstimme sind Jesu Ruf und Stimme, da er Befehlshaber der Engel ist und seine Stimme die Auferstehung einleitet.
Was bleibt noch übrig? Anscheinend sehen viele in Hebräer 1 einen Beweis, dass Jesus nicht der Erzengel sein kann und weitergehend, dass er Gott sein muss. Damit will ich mich als nächstes befassen.
Nachtrag: Bei ihrem Verständnis von 1.Thessalonicher 4,16 stehen Zeugen Jehovas nicht alleine da. In Vine's Expository Dictionary of old & new testament words heißt es unter dem Stichwort "archangel":
In 1 Thess 4:16 the meaning seems to be that the voice of the Lord Jesus will be of the character of an archangelic shout.Das Wörterbuch wurde 1940 veröffentlicht und stammt von einem gläubigen Protestanten.
In 1.Thessalonicher 4,16 scheint die Bedeutung zu sein, dass die Stimme Jesu den Charakter eines Erzengelrufes hat.
1 Zeugen Jehovas verstehen diesen Vers nicht so, als würde er sich auf das gleiche Ereignis beziehen wie 1.Thessalonicher 4,16. Da jedoch in beiden Versen das "Kommen Jesu" in dem einen oder anderen Sinn der Hintergrund ist, ist ein Vergleich sinnvoll, da diese Ereignisse ähnlich beschrieben werden und sich daher ähneln sollen.
Die meisten, die die Lehre der Zeugen Jehovas zum Erzengel Michael ablehnen, nehmen gleichzeitig an, dass sowohl Matthäus 24 als auch 1.Thessalonicher 4,16 vom gleichen Ereignis sprechen. Daher können sie diesen Punkt ohnehin nicht als Gegenargument verwenden, ohne ihr eigenes Argument zu zerstören.
2In der Bibel gibt es keinen Hinweis darauf, dass der Befehlsruf (ein öffentlicher, befehlender Ausruf) anlässlich der Auferweckung der Toten oder des Kommens Jesu von Gott stammt; stattdessen ist Jesus derjenige, der die Befehlsgewalt hat und damit auch die Befehle erteilt. Daher ist es reine Spekulation der Übersetzer, wenn der Befehlsruf als der "Ruf Gottes" bezeichnet wird. Weder der unmittelbare Kontext noch andere Stellen der Bibel legen dies nahe. Wenn man daher in HfA und GN das Wort "Gott" vor dem Befehlsruf findet, dann ist dies eine Veränderung des Textes.
Dass man in den älteren Ausgaben der Lutherbibel "Feldgeschrei" statt "Befehlsruf" finden, liegt daran, dass Luther das Wort noch nicht korrekt verstanden hatte.
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