Montag, 21. Mai 2012
2.Mose 3,14: "Ich bin"?
Schon vor ewigen Zeiten wunderte ich mich über die Wiedergabe von 2.Mose 3,14, die man in den meisten Übersetzungen findet: "Ich bin, der ich bin". Als normaler Leser konnte ich keinen Sinn in dem Satz entdecken. Die Kommentare in vielen Übersetzungen ließen mich auch eher ratlos zurück. Gottes "Mit-Sein" mit Israel, Gottes ewige Existenz; wie konnte man das aus den paar Worten herauslesen? Ich werde hier nicht "die einzige und allerbeste" Interpretation dieses Verses liefern (das wäre größenwahnsinnig), aber ich will einen einfachen Weg zeigen, wie man ohne große Zusatzannahmen einzig aufgrund des Kontextes den Vers verstehen kann.

Wenn ich heute die gängigen Bibelübersetzungen durchblättere, dann sehe ich, dass viele ihre Interpretation inzwischen in den Bibeltext hinein gebracht haben:
HfA: Ich bin euer Gott, der für euch da ist
GN: Ich bin da
EÜ: Ich bin der «Ich-bin-da»
NL: Ich bin, der ich immer bin
NEÜ: Ich bin der, der ist und immer sein wird
Die Frage bleibt: Wo kommt das her?

Wenn ich in die Elberfelder Bibel (und die Schlachter- sowie die Menge-Bibel) hineinschaue, dann sehe ich etwas anderes seltsames: Obwohl das hebräische Verb, dass hier steht, üblicherweise1 mit "ich werde sein" oder "ich will sein" übersetzt wird, steht hier dann "Ich bin, der ich bin". Wieso der Wechsel in der Zeitform3? Luther und Zürcher Bibel zeigen, dass man auch schön wörtlich mit "Ich werde sein, der ich sein werde" übersetzen kann. Ich kann nicht in den Kopf der entsprechenden Übersetzer hineinschauen, aber für viele traditionelle Kirchen ist es wichtig, dass man Jesus mit Gott interpretieren kann. Und da Jesus den Ausdruck "Ich bin" mehrmals in der einen oder anderen Form verwendet, kann man es dann für eine Gleichsetzung "Jesus = Jehova" nutzen, wie dies gerne im Zusdammenhang mit Johannes 8,58 gemacht wird. Aber diese Gleichsetzung funktioniert nur, wenn man hier eben nicht so übersetzt wie sonst immer, sondern eine Übersetzung wählt, die ansonsten für das Wort "ehjeh" eigentlich nicht nötig ist.

Im hebräischen lautet der entsprechende Ausdruck: "ehjeh ascher ehjeh". "ehjeh" ist dabei eine Verbform, die üblicherweise mit "ich werde", "ich werde sein", "ich will sein" wiedergegeben wird. "ascher" ist eine sogenannte Relativpartikel, die man im allgemeinen mit "wovon gilt" wiedergeben kann, und dann je nach Zusammenhang eine passendere deutsche Übersetzung sucht. Wörtlich übersetzt lautet der Ausdruck also: "Ich werde sein, wovon gilt: Ich werde sein".

Wie soll man aber den Sinn in diesen Worten finden? Ich habe 2.Mose 33,19 gefunden, wo man den gleichen Ausdruck mit einem anderen Verb finden kann2. Es ist erhellend zu sehen, wie hier an einer Stelle übersetzt wurde, die nicht "theologisch aufgeladen" ist:
HfA: Ich erweise meine Güte, wem ich will. Und über wen ich mich erbarmen will, über den werde ich mich erbarmen
GN: Es liegt in meiner freien Entscheidung, wem ich meine Gnade erweise; es ist allein meine Sache, wem ich mein Erbarmen schenke
EÜ: Ich gewähre Gnade, wem ich will, und ich schenke Erbarmen, wem ich will
NL: Ich schenke meine Gnade und mein Erbarmen, wem ich will
NEÜ: Ich entscheide, wem ich gnädig bin, und schenke mein Erbarmen, wem ich will
Dieser Vers und seine Übersetzung vermitteln den Gedanken, dass hier im hebräischen eine idiomatische Methode vorliegt, um zu sagen "was auch immer ich will". Wenn wir versuchen, diese Idee in 2.Mose 3,14 sinngemäß anzuwenden, dann kommen wir auf: "Ich werde sein, wer (bzw. was) ich auch immer ich sein will".

Und das ergibt im Zusammenhang einen Sinn! Denn die Frage, die in 2.Mose 3,14 beantwortet wird, lautete: "WER sendet dich?" Moses war besorgt darüber, dass sein Auftrag daran scheitern wird, dass die Autorität dessen nicht anerkannt wird, der ihn sendet und dessen Macht angezweifelt wird, nachdem Gott sich über 200 Jahre nicht gezeigt hatte. Die Antwort hierauf lautete dann eben: "Ich werde sein, was auch immer ich will", also die Zusicherung, dass Gott jeder Situation gewachsen ist.

Mose Befürchtung war übrigens nicht so ganz weit hergeholt. Zwar waren die Israeliten mit Mose Sendung (halbwegs) einverstanden, aber Pharaoh sagte genau das, was Moses hier befürchtete (2.Mose 5,2): "Wer ist Jehova, dass ich auf ihn hören sollte?" Pharaohs fragte nicht, weil er noch nie etwas von einem Gott der Israeliten gehört hatte; er wusste offensichtlich von seiner Existenz und kannte seinen Namen. Seine Äußerung "Ich kenne Jehova nicht" sollte heißen: "Ich anerkenne ihn nicht (als Gott), und deswegen tue ich nicht, was er verlangt". Damit ist in diesem Abschnitt die Frage "Wer sendet dich?" bzw. "Wer ist Jehova?" eine Frage danach: "Wieso soll ich deinen Gott anerkennen?" Und die Antwort Gottes lautet: "Ich werde sein, was auch immer ich will!", d.h. "du solltest mich anerkennen, da ich jeder Situation als Gott gewachsen bin".

Ich will natürlich nicht behaupten, dass ich hiermit die alleinige und endgültige Interpretation von 2.Mose 3,14 gefunden habe. Aber ich habe eine einfache Möglichkeit gefunden, einen Text zu verstehen, der seit Jahrhunderten das Objekt von Spekulationen und Erklärungen ist, die nicht nachvollziehbar sind. Mein Verständnis funktioniert sehr einfach anhand des Kontextes und anhand von parallelen Ausdrücken. Er kommt ohne philosophische Spekulationen über Gottes ewige Existenz oder über sein "Mit-Sein" mit Israel aus. Warum also kompliziert, wenn es auch einfach geht?
1 Es gibt einige wenige Stellen, wo das entsprechende Verb mit "ich bin" übersetzt wurde, aber es handelt sich dort um Ausnahmefälle, wo der Kontext diese Wiedergabe erzwingt.

2 In 2.Mose 33,19 steht noch das zusätzliche Wörtchen "eth" vor dem Wort "ascher". Nach meinen Grammatik-Büchern ist dieses Wort ein Hinweis, dass das folgende als "Akkusativ-Objekt" zu verstehen ist, und was noch wichtiger ist: Das Wörtchen ist optional, es kann acuh ohne Bedeutungsverlust wegfallen. Daher kann man keinen Unterschied zwischen 2.Mose 33,19 und 3,14 aufgrund dieses Wortes konstruieren.

In 2.Mose 33,19 werden auch zwei verschiedene Zeitformen des gleichen Verbes verwendet, je einmal in der Präformativ- und der Afformativkonjugation.

3 Einige Beispiele:

2.Mose 3,12: Ich werde ja mit dir sein.
2.Mose 4,12: Ich will mit deinem Mund sein...
2.Mose 4,15: ...und ich will mit deinem Mund und mit seinem Mund sein...
5.Mose 31,23: Und ich will mit dir sein.
Josua 1,5: ...werde ich mit dir sein;
Josua 3,7: ...werde ich mit dir sein.
Richter 6,16: Ich werde mit dir sein,...
Richter 11,9: ...werde ich dann wirklich euer Oberhaupt sein?
Ruth 2,13: ich bin nicht einmal wie eine deiner Mägde.
1.Samuel 18,18: ...dass ich des Königs Schwiegersohn werden soll?
1.Samuel 23,17: ...und ich werde der Zweite nach dir sein.
2.Samuel 7,14: Ich will ihm Vater sein, ...
2.Samuel 15,34: ...jetzt aber will ich dein Knecht sein!
2.Samuel 16,18: ...und bei ihm will ich bleiben.
2.Samuel 16,19: ...so will ich auch vor dir sein.
1.Chronika 17,13: Ich will ihm Vater sein,...
1.Chronika 28,6: ...und ich will ihm Vater sein.
Hiob 3,16: ...wäre ich nicht da, ...
Hiob 10,19: ....so wäre ich dann;
Hiob 12,4: Zum Gespött für seine Gefährten wird der (Fußnote: werde ich), der zu Gott rief...
Hiob 17,6: ...und zum Anspeien ins Gesicht bin ich gut.
Psalm 50,21: ...du dachtest, ich sei ganz wie du.
Hoheslied 1,7: Wozu denn sollte ich wie eine Verschleierte sein...
Jesaja 3,7: Ich will kein Wundarzt sein, ...
Jesaja 47,7: Auf ewig werde ich Herrin sein, für immer!
Jeremia 11,4: ...und ich werde euer Gott sein,...
Jeremia 24,7: ...und ich werde ihr Gott sein;...
Jeremia 31,1: In jener Zeit, spricht der HERR, werde ich der Gott aller Sippen Israels sein,...
Jeremia 32,38: ...und ich werde ihr Gott sein.
Hesekiel 11,20: ...und ich werde ihnen zum Gott sein.
Hesekiel 14,11: ...und ich selbst werde ihnen zum Gott sein,...
Hesekiel 34,24: Und ich, der HERR, werde ihnen Gott sein,...
Hesekiel 36,28: ...ich werde euch zum Gott sein.
Hesekiel 37,23: ...und ich werde ihnen zum Gott sein.
Hosea 1,9: ...ich will nicht euer Gott sein.
Hosea 14,6: Ich werde für Israel sein wie der Tau.
Sacharja 2,9: Und ich selbst werde ihm ringsherum eine feurige Mauer sein, spricht der HERR, und ich werde zur Herrlichkeit in seiner Mitte sein.
Sacharja 8,8: ...und ich werde ihr Gott sein...

Die einzigen zwei Stellen, wo die Elberfelder Übersetzung hier "ich bin" verwendet, sind Ruth 2,13 und Hiob 17,6. Es gibt aber keinen guten Grund, hier nicht auch "ich will sein" oder "ich werde sein" zu verwenden, wie sonst durchgehend.

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