Mittwoch, 15. Juni 2011
Körperschaftsverfahren: Ablehnungsgrund Ausschluss? (Teil 2):
Die Begründung in Bremen
Der erste Teil dieses Artikels befindet sich hier: ich empfehle ihn zuerst zu lesen, da ansonsten das folgende nicht verständlich ist.

Inhalt

  1. Grundlagen der Prüfung
  2. "Vergessene" Argumente
  3. Der zentrale Teil des Argumentes
  4. Luftfundament (1): Trennung von der Familie
  5. Luftfundament (2): Ehescheidung
  6. Luftfundament (3): der "Experte"
  7. Fazit
Im folgenden will ich die Begründung, die der Rechtsausschuss in Bremen lieferte, Punkt für Punkt durchgehen und mit den Erkenntnissen vergleichen, die wir letztes mal aus den Urteilen der obersten Gerichte und der Glaubenslehre der Zeugen Jehovas gezogen haben. Insbesondere interessieren mich dabei Lücken in den Argumenten, Widersprüche zwischen den einzelnen Argumenten und irreführende Formulierungen, die darauf hinweisen, dass an der ganzen Aktion etwas "faul" ist. Das heißt nicht, dass ich dies voraussetze, aber an vielen Stellen ist dies die naheliegende Schlussfolgerung.

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Grundlagen der Prüfung

Ich beginne auf Seite 19 des Abschlussberichtes des Rechtsausschusses der Bremer Bürgerschaft, wo die Argumente zu dem besprochenen Punkt gebracht werden (Zitate von dort in blau, Hervorhebungen von mir, [Kommentare in eckigen Klammern sind von mir]):
Nach Artikel 6 Absatz 1 Grundgesetz stehen Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Es ist zu beleuchten, ob und inwieweit die Religionsgemeinschaft Jehovas Zeugen durch ihr Verhalten und durch ihre Mitglieder den grundgesetzlich garantierten Schutz von Ehe und Familie beeinträchtigt oder gar gefährdet.
Hier wird bereits im ersten Satz der Umfang dessen, was geprüft wird, erheblich gegenüber dem Urteil des BVerfG erweitert. Dort wurde nach systematischen Beeinträchtigungen bzw. Gefährdungen gefragt, gegen die einzuschreiten der Staat verpflichtet ist. Diese beiden einschränkenden Kriterien (systematisch und Verpflichtung zum einschreiten) aus dem Urteil des BVerfG wurden hier unter den Tisch fallen gelassen und damit die Untersuchung erheblich erweitert.

Ein mögliches Problem an dem Prüfungsprozess wird durch die Worte "durch ihre Mitglieder" angedeutet. In welcher Form handelt die Religionsgemeinschaft "durch ihre Mitglieder"? Kann man jedes Handeln eines Zeugen Jehovas seiner Religion anrechnen? Was, wenn der Zeuge Jehovas entgegen den Glaubenslehren seiner Gemeinschaft handelt? Ist das dann der Religionsgemeinschaft anzurechnen? Was, wenn die Religionsgemeinschaft ausdrücklich sagt: hierzu gibt es keine verbindliche Lehre, das musst du selber entscheiden? Wenn also das Handeln von Mitgliedern der Religionsgemeinschaft vorgehalten wird, muss vorher nachgewiesen sein, dass die Religionsgemeinschaft auch "Schuld" am Verhalten des Einzelnen hat. Damit hängt die Frage zusammen: In wie weit ist das Verhalten "systematisch", d.h. handelt es sich um Einzelfälle oder kann man davon ausgehen, dass immer so vorgegangen wird?

Auf ein weiteres Problem hatte ich bereits im ersten Artikel zu diesem Thema hingewiesen: Hier geht es um ein Verhalten (Ehescheidung, Einschränkung des Umgangs mit ausgeschlossenen Familienmitgliedern), dass von Seiten der einzelnen Personen vollkommen legal und grundrechtskonform ist. Niemand ist zum engen Kontakt mit seinen (erwachsenen) Familienmitgliedern gezwungen. Lediglich das "aktive Hinwirken" auf eine Trennung bzw. Kontakteinschränkung gefährdet Grundrechte. Wenn nun das (grundrechtskonforme) Handeln der einzelnen Mitglieder nun ohne Weiteres mit dem Handeln der Religionsgemeinschaft identifiziert wird, dann wird der entscheidende Schritt, der Grundrechte gefährdet, einfach stillschweigend vorausgesetzt. Es wird nämlich ohne weiteres (stillschweigend) angenommen, dass das Handeln des Einzelnen grundsätzlich Ergebnis des "aktiven Hinwirkens" (siehe unten zu diesem Ausdruck) ist, ohne dass dies überhaupt nachgewiesen wird.

Beide Probleme würden aus der Prüfung des Rechtsausschusses eine Farce machen; anstatt zu wirklich zu prüfen, ob die Religionsgemeinschaft die Grundrechte dritter gefährdet (oder beeinträchtigt), wird das stillschweigend vorausgesetzt, was dann ziemlich offensichtlich keine Prüfung mehr ist, oder aber der Religionsgemeinschaft wird die Verantwortung für das Handeln der einzelnen Mitglieder übertragen (selbst wenn es der Glaubenslehre widerspricht!), wobei die einzelnen Gläubigen als "Roboter" betrachtet werden, deren Verhalten grundsätzlich von ihrer Religionsgemeinschaft ferngesteuert wird, und denen damit ihre Menschenwürde abgesprochen wird. Leider sehe ich, dass genau dies beim Bremer Rechtsausschuss passierte.
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"Vergessene" Argumente

Eine Beeinträchtigung oder Gefährdung könnte in der Ausgrenzung der sich von der Religionsgemeinschaft abwendenden Familienmitglieder gesehen werden. Dabei kann es sich sowohl um Ehepartner als auch um Kinder – insbesondere volljährige Kinder – einer Familie der Zeugen Jehovas handeln.
Und auch hier wurde ein wesentliches einschränkendes Kriterium zur Prüfung vergessen, diesmal aus dem Urteil des BVerwG: erst wenn die Ausgrenzung Ergebnis eines "aktiven Hinwirkens" seitens der Religionsgemeinschaft ist, ist das ein Punkt zur Versagung des Körperschaftsstatus. Somit wurde im einleitenden Absatz bereits die möglichen Ablehnungsgründe erheblich gegenüber den Grundsatzurteilen von BVerfG und BVerwG erweitert.

Hiermit komme ich zu dem ersten wirklich seltsamen Punkt in dem gesamten Untersuchungsbericht. Wenn man prüfen will, ob eine Religionsgemeinschaft den Körperschaftsstatus erhalten kann, müsste man doch zuerst abklären, welche gesetzlichen Regelungen und Prüfkriterien zugrunde liegen. Aber das wird nirgendwo gesagt; die Herkunft der genauen Prüfkriterien liegt im Dunkeln.

Das wäre natürlich ein verzeihliches Versehen, wenn diese Prüfkriterien für alle offensichtlich wären. Das ist aber offensichtlich nicht so: Wie wir gerade sahen, weichen die verwendeten Prüfkriterien erheblich von dem ab, was in den Grundsatzurteilen vorgegeben war. Der Rechtsausschuss hat also nicht einfach mechanisch die dort vorgegebenen Kriterien übernommen, sondern eigene entwickelt. Dies aber setzt wiederum eine gedankliche Auseinandersetzung mit der Frage voraus: Welche Kriterien wollen wir verwenden? Diese Fragestellung ist aber nirgendwo im Abschlussbericht dokumentiert; und das ist seltsam.

Damit stelle ich mir gleich die nächste Frage: Warum ist die Herkunft der Prüfkriterien nicht dokumentiert? Man könnte hier der Meinung sein, dass der Rechtsausschuss der Meinung gewesen ist, dass seine Kriterien die gleichen seien wie die in den Grundsatzurteilen. Das würde aber zum einen voraussetzen, dass alle Mitglieder des Rechtsausschusses zu dumm zum lesen sind (oder zu faul), und diese Annahme ist doch etwas weit hergeholt. Und zum anderen erklärt das nicht die Frage des fehlenden Gutachtens.

Das entsprechende Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes der Bürgerschaft wird nicht einmal erwähnt, obwohl es durch die Medien ausführlich bekannt geworden ist. Dieses Gutachten kam zum Ergebnis, dass der Körperschaftsstatus verliehen werden muss. Ich frage mich naiverweise natürlich: wieso wird ein derartiges Gutachten nicht einmal erwähnt? Das Gutachten lag dem Rechtsausschuss vor und es dokumentierte, dass die Frage der Prüfkriterien nicht simpel und eindeutig war, sondern erhebliche Überlegungen erforderte, da zumindest verschiedene Experten zu unterschiedlichen Ergebnissen gekommen waren. Spätestens hier hätte eine Auseindersetzung mit der Frage stattfinden müssen: welches Gutachten legen wir zugrunde? Das aus Baden-Württemberg oder unser eigenes? Aber der Bericht enthält hierzu kein Wort.

Und es wird noch verwirrender. Der Rechtsausschuss schreibt zu der Anhörung am 16.02.2011:
Die durch den Rechtsausschuss der Bürgerschaft (Landtag) durchgeführte Anhörung ergab, dass eine eigenständige Prüfung der Rechtstreue als Voraussetzung für eine Verleihung der Rechte einer Körperschaft öffentlichen Rechts in der Freien Hansestadt Bremen auch nach einer sogenannten Erstverleihung durch das Bundesland Berlin zulässig ist.
Wo hat der Rechtsausschuss dies auf der Anhörung erfahren? Die eigenen Experten wurden hierzu nicht angehört. Die Zusammenfassung der Anhörung enthält auch keinen Hinweis darauf, dass irgendein Experte für Kirchenrecht oder Verfassungsrecht zur Rechtslage in Bremen angehört wurde. Auf der Tagesordnung ist kein dementsprechender Punkt verzeichnet. Wurde der entsprechende Punkt in der Tagesordnung und der Zusammenfassung vergessen? Das kann ich mir nicht vorstellen.

Zusammenfassend haben wir hier einen Rechtsausschuss, der entweder zu dumm zum Geradeausgucken ist oder aber einen, der absichtlich versucht, die Frage unter dem Teppich zu halten, welche Prüfkriterien er anwendet und alles ignoriert, was gegen die eigenen Kriterien spricht. Sollte es noch eine weitere Möglichkeit geben, dann teilt es mir mit, denn ich kann nichts erkennen, was gegen meine Hypothese spricht.

Natürlich weiß ich auch nicht genau, warum die Mitglieder des Rechtsausschusses diese Frage nicht erörtern wollen, aber ich kann mir eine Möglichkeit vorstellen, die eine vernünftige Erklärung dieses Verhaltens ermöglicht, aber diese Erklärung ist nicht übermäßig schmeichelhaft für den Rechtsausschuss:

Wenn man auf Biegen und Brechen Zeugen Jehovas nicht anerkennen will, aber die vorliegenden rechtlichen Prüfkriterien zu einer Anerkennung zwingen, dann kann man diese Prüfkriterien in der Praxis ignorieren, alle Hinweise darauf aus seinem Bericht streichen und andere Kriterien einsetzen, die eine Ablehnung erlauben. Wenn man dann noch so tut, als wären die Kriterien klar und man hätte nie irgend etwas diskutiert, dann kann man hoffen, dass die Öffentlichkeit das nicht mitbekommt und akzeptiert, dass Zeugen Jehovas nicht auf dem Boden des Grundgesetzes stehen. Das würde natürlich einiges an Hinterhältigkeit und fehlender Rechtsstaatlichkeit voraussetzen, und daher will ich diese Erklärung eigentlich nicht akzeptieren; mein Problem ist nur: es ist die einzige Erklärung, die zum Verhalten passt; auch im weiteren zeige ich noch Verhaltensmuster auf, die genau zu dieser Hypothese passen. Wenn also jemand eine bessere Erklärung hat, dann bitte ich um einen Hinweis.

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Der zentrale Teil des Argumentes

Zurück zum Argument des Rechtsausschusses: ich erlaube mir, die einzelnen Schritte des folgenden Argumentes zur besseren Nachvollziehbarkeit durchzunummerieren.
1 Sowohl in der öffentlichen Anhörung als auch im nicht öffentlichen Teil erklärten die in der Aussteigerberatung tätigen Referenten sowie die Vertreter der Aussteigerorganisationen übereinstimmend, dass sowohl nach den Schriften der Zeugen Jehovas als auch nach dem Verhalten der Ältesten aber auch der Mitglieder der Religionsgemeinschaft selbst die Erwartungshaltung formuliert werde, dass der Kontakt zu einem nicht mehr der Religionsgemeinschaft angehörenden Familienmitglied abgebrochen oder mindestens sehr stark eingeschränkt werden müsse.

2 Auch wenn die Religionsgemeinschaft in der vom Rechtsausschuss erbetenen gesonderten Stellungnahme darstellt, dass die Mitglieder in diesen Fällen einen Entscheidungsspielraum hätten, 3 so wurde von den Referenten in der Anhörung glaubhaft versichert, dass aktiv auf die Trennung von ausgestiegenen Ehepartnern und Familienmitgliedern hingewirkt werde. 4 .... 5 Der Justiziar der Religionsgemeinschaft Zeugen Jehovas hat dieser Darstellung in der Anhörung sowie in der Stellungnahme nicht konkret widersprochen.
Bei flüchtigem Lesen ein für Zeugen Jehovas ziemlich niederschmetternder Abschnitt: die "Experten" erklären etwas, Zeugen Jehovas widersprechen, die "Experten" erklären weiter, und Zeugen Jehovas können nicht mehr antworten, wodurch ihr erster Widerspruch natürlich auch unglaubwürdig wird. Der Leser gewinnt den Eindruck, dass die Darstellung der "Experten" korrekt ist und Zeugen Jehovas versuchen, erfolglos an den Tatsachen vorbei zu argumentieren; im weiteren Argument wird dann auch so getan, als ob genau dies der Fall wäre: die Meinung der "Experten" wird im weiteren Verlauf des Arguments als korrekt vorausgesetzt. Daher ist es als erstes erforderlich nachzusehen, wie tragfähig das Argument ist, auf dem die Korrektheit dieser Meinungen ruht.

Bei genauem Lesen bemerkt man, dass die Argumentation mindestens zwei logische Brüche enthält und zwei wesentliche Auslassungen in der Darstellung des Geschehens. Damit fehlt hier ein (weiterer) Baustein im Argument des Rechtsausschusses. Ich will dies hier erläutern:

1 Hier erklären die "Experten" die Glaubenslehre der Zeugen Jehovas, oder das, was sie dafür halten.2
2 Deswegen widersprechen Zeugen Jehovas auch dieser Darstellung, und das ausführlich nach Ende der Anhörung.

An dieser Stelle hat der Rechtsausschuss festgestellt, dass es zwei konkurrierende Auffassungen zur Glaubenslehre gibt. Er hätte hier einhaken können und eine genaue Klärung des Sachverhalts vornehmen können. Stattdessen hat er im weiteren die Korrektheit der "Expertenmeinung" ohne weiteres als korrekt angesehen. Hierfür gibt er aber keine Begründung, stattdessen wechselt der Abschlussbericht mitten im Satz das Thema und macht mit einem anderen Thema weiter, nämlich der Frage, wie es sich mit dem konkreten Handeln der Religionsgemeinschaft verhält.

Das heißt mit anderen Worten: Die Frage, ob Zeugen Jehovas ihre Lehre korrekt darstellen wurde nicht geprüft! Stattdessen wurde aus anderen Gründen im weiteren vorausgesetzt(!), dass Zeugen Jehovas ihre eigene Glaubenslehre nicht kennen.

Andererseits wird im Bericht so getan, als ob es einen Grund gegeben hätte: 3 hier ist nicht mehr von der Glaubenslehre die Rede, sondern vom (behaupteten) konkreten Handeln der Religionsgemeinschaft im Einzelfall. Dies wird in unmittelbaren Zusammenhang mit der Antwort der Zeugen Jehovas zur Glaubenslehre gesetzt ("Auch wenn..., so..."). Hier findet der erste logische Bruch im Argument statt: die Behauptungen der "Experten" zu diesem Punkt können keine Antwort auf den Punkt 2 sein, da es sich um zwei verschiedene Fragen handelt. Wenn man den Satz so liest, wie er hier steht, setzt er stillschweigend folgenden Schritt voraus: "Wir nehmen an, dass die Aussagen der Zeugen Jehovas zu ihrer Glaubenslehre falsch sind, da die (unbewiesenen) Behauptungen der Experten zu dem Handeln der Religionsgemeinschaft unserer Meinung dieser Darstellung widersprechen."

Außerdem ergibt sich hier ein chronologisches Problem: Wenn der Rechtsausschuss meinte, dass die Behauptungen der Ehemaligen Zeugen Jehovas zum konkreten Handeln in Einzelfällen so überzeugend sind, dass deswegen die Darstellung der Zeugen Jehovas von vornherein unglaubwürdig ist, dann wäre es korrekt gewesen, die Vertreter der Zeugen Jehovas auch darauf hinzuweisen, um ihnen die Möglichkeit zu geben, dazu Stellung zu nehmen. So wurde einfach einer Seite geglaubt und die andere Seite reden gelassen ohne ihr überhaupt zu sagen, worum es geht.

4 Angesichts dessen ist der fehlende vierte Schritt im Argument sehr bedeutsam: Zeugen Jehovas hatten bereits auf der Anhörung der Darstellung der "Experten" widersprochen:
Es seien aber auch die anderen Familienangehörigen zu hören, die kritisiert würden, denen schändliches Verhalten vorgeworfen werde. Es stelle sich die Frage, welche Zusammenhänge zwischen der Religionszugehörigkeit und den der Religionsgemeinschaft vorgeworfenen Sachverhalten bestehen. Er könne keine Rechtsverstöße anhand von Entscheidungen und praktischen Fällen erkennen. Vielmehr handele es sich um pauschale Vorwürfe
Es wurde also konkret kritisiert, dass die Darstellungen einseitig sind und erst nach Anhörung aller beteiligten beurteilt werden können, dass der Zusammenhang zwischen behauptetem Verhalten und Wirken der Religionsgemeinschaft nicht nachgewiesen sondern lediglich behauptet ist und dass es sich bei den Vorgängen kein (grund-)rechtswidriges Verhalten im Spiel war. Jeder dieser Punkte ist möglich und würde vor Gericht wahrscheinlich als Grund für eine nötige weitere Beweisaufnahme akzeptiert werden.

Hier hätte der Rechtsausschuss jetzt entscheiden können, dass er diese Angelegenheit prüft und die von Zeugen Jehovas angemahnten Punkte abklärt. Stattdessen hat er der Darstellung der "Experten" ohne weitere Prüfung geglaubt und Zeugen Jehovas vorgeworfen, dass sie dieser Darstellung nicht "konkret" widersprochen haben. Nach dem Zusammenhang muss "konkret" wohl "in den angeführten Einzelfällen" bedeuten.

Und hier finde ich ein weiteres wichtiges Problem im Argument: Zeugen Jehovas hatten darauf hingewiesen, dass eine Beurteilung dieser Frage erst möglich ist, wenn weitere Zeugen gehört werden. Dazu gab es aber aus mehreren Gründen keine Gelegenheit:
  • Der Rechtsausschuss hat nach Darstellung der Zeugen Jehovas kein Vorbringen von Beweismaterial durch Zeugen Jehovas gewünscht:
    Der Rechtsausschuss beharrte explizit darauf, dass rechtsstaatliche Verfahrensgrundsätze wie rechtliches Gehör, Akteneinsicht und das Vorbringen eigenen Beweismaterials für das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren nicht Anwendung finden würden.3
    [edit]Inzwischen habe ich dann auch die Stelle gefunden, wo der Rechtsausschuss das ganz frei heraus in seinem Abschlussbericht erklärt:
    Die an den Rechtsausschuss
    gerichtete Forderung, der Religionsgemeinschaft Gelegenheit zu geben, entsprechende Zeugen zu benennen und anzuhören, damit die verzerrte Darstellung der Glaubenspraxis der Religionsgemeinschaft, die durch die Anhörung vom 16. Februar 2011 entstanden sei, richtig gestellt werden könne, war aus Sicht des Rechtsausschusses nicht geboten.
    Mit anderen Worten: der Rechtsausschuss hat gewusst, dass Zeugen Jehovas die Vorwürfe entkräften können und wollen, aus denen er die Ablehnung konstruiert, lässt es aber nicht zu. Dass er trotzdem schreibt, dass Zeugen Jehovas die Vorwürfe nicht "konkret entkräften konnten", sehe ich dann als offensichtliche Unverschämtheit, da das "Unvermögen" anscheinend allein daraus resultiert, dass der Rechtsausschuss eine Entkräftung nicht zuließ. Damit sind die weiteren hier genannten Gründe natürlich nicht mehr so wichtig, da der erste offenkundig zeigt, dass hier nicht rechtsstaatlich vorgegangen wurde.[/edit]
  • Angesichts von geschätzten 40.000 ehemaligen Zeugen Jehovas verteilt auf rund 2.200 Gemeinden wären genaue Angaben zum Einzelfall erforderlich, damit man ihn überhaupt prüfen kann, wie z.B. von wem welches Verhalten ausging. Da die Fälle Jahre oder Jahrzehnte zurückliegen, ist es schwer, die entsprechenden Personen zu ermitteln, wenn man nicht konkret weiß, um wen es geht. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass in der Anhörung die entsprechenden Angaben hinreichend detailliert gemacht wurden. Die entsprechenden Ermittlungen hätten außerdem wesentlich länger gedauert, als die Zeugen Jehovas überhaupt zur Antwort zur Verfügung hatten
  • Vor der Anhörung war nicht bekannt, welche Einzelfälle überhaupt besprochen werden sollen, somit war eine entsprechende Vorbereitung nicht möglich.
  • Es wurde vom Rechtsausschuss keine konkrete Frage gestellt, die dann zu einer konkreten Antwort hätte führen können. Stattdessen wurde wie folgt vorgegangen:
    Der Rechtsausschuss gab der Religionsgemeinschaft Zeugen Jehovas in Deutschland nach der öffentlichen Anhörung am 16. Februar 2011 noch einmal Gelegenheit zu einer schriftlichen Stellungnahme und übersandte zu diesem Zweck das vollständige Wortprotokoll dieser Anhörung.
    Das Wortprotokoll einer ganztägigen Anhörung hat so ungefähr den Umfang eines kurzen Romans. Es ist quasi unmöglich, auf jedes Detail zu antworten (insbesondere, wenn man bereits weiß, dass eigene Beweise unerwünscht sind).
Demgemäß hatten Zeugen Jehovas keine reelle Möglichkeit, eine detaillierte Antwort auf die Behauptungen der "Experten" zu liefern: Bei der Anhörung konnten sie noch nicht wissen, welche Fälle überhaupt angesprochen werden, und danach hatten sie nicht die erforderlichen genauen Informationen, um entsprechende Zeugen zu finden, die etwas zu den konkreten Fällen sagen könnten.

5 Wenn der Rechtsausschuss wirklich konkrete Antworten hätte haben wollen, hätte er natürlich eine konkrete Frage stellen können, die erforderlichen Angaben (z.B. entsprechend vor der Anhörung) übermitteln können, Zeugen Jehovas die Gelegenheit geben können, Beweise für ihre Sicht der Dinge darzulegen und dann anhand eines vollständigen Bildes der Situation entscheiden können. Haben sie aber nicht. Damit reduziert sich das Argument des Rechtsausschusses an dieser Stelle folgendermaßen:

"Wir glauben unhinterfragt der Darstellung weltanschaulich nicht neutraler Personen zur Glaubenslehre und -praxis der Zeugen Jehovas, da diese nicht ungefragt unsere Arbeit übernommen haben, diese Behauptungen in allen Einzelheiten zu prüfen und uns eine Widerlegung vorzulegen."

In dieser Form wirkt das Argument natürlich wesentlich weniger überzeugend als in der Darstellung des Rechtsausschusses, aber es ist hier auf den logischen Kern reduziert und von allen falschen Fährten entkleidet.

Mir fällt weiterhin der Ausdruck "glaubhaft versichert" auf. Womit hat der Rechtsausschuss ermittelt, wem er glaubt und nicht? Das sagt er nicht. Er hat die Version der "Experten" geglaubt, ohne dass er den Widerspruch der Zeugen Jehovas gegen diese Darstellung auch nur erwähnt. Er tut stattdessen so (ohne es ausdrücklich so zu sagen), als ob den Zeugen Jehovas eine Gelegenheit zum Widerspruch gegeben wurde, die sie nicht nutzten, obwohl der Gesamtzusammenhang zeigt, dass keine reelle Möglichkeit bestand, eine detaillierte Gegendarstellung zu erarbeiten. eine detaillierte Gegendarstellung wurde nach dem vorliegenden Bericht auch nicht gefordert sondern anscheinend "stillschweigend erwartet" obwohl an anderer Stelle das vorlegen eigener Beweise "ausdrücklich nicht erwünscht" war. An dieser Stelle gibt der Bericht des Rechtsausschusses somit das tatsächliche Geschehen offensichtlich nicht korrekt wieder und versucht beim Leser den Eindruck objektiver Prüfung zu erwecken, die aber so nicht stattgefunden hat. Demnach "glaubt" der Rechtsausschuss hier denjenigen, die seine (vorgefasste4) Meinung bestätigen, ohne den Hinweisen nachzugehen, dass diese Personen falsch liegen können.

Außerdem wird hier ein Ausdruck aus dem Urteil des BVerwG von 2001 verwendet: "aktiv auf die Trennung von ausgestiegenen Ehepartnern und Familienmitgliedern hingewirkt". In den nächsten beiden Absätzen wird dann erläutert, was hier konkret ;o) damit gemeint ist -allem Anschein nicht, was das BVerwG damit meinte, aber das kommt dann noch weiter unten.

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Luftfundament (1): Trennung von der Familie

Weiter mit dem Argument des Rechtsausschusses: Im weiteren wird deutlich, dass der Rechtsausschuss beim "aktiven Hinwirken" den entscheidenden Punkt vergessen hat; den Teil, wo eine Glaubenslehre verbreitet wird, haben sie (der ist vom Staat nicht zu beurteilen), den Teil, wo einzelne Zeugen Jehovas den Umgang mit ihren Verwandten einschränken (was vom Staat an sich nicht zu beanstanden ist), haben sie auch, lediglich den entscheidenden Punkt finde ich nicht, nämlich den, wo die Religionsgemeinschaft irgendeine Form von Zwang ausübt, um den einzelnen Zeugen dazu zu kriegen, dass er entsprechend der Glaubenslehre handelt.
Das Verhalten der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas gefährdet insbesondere den Bestand von Familien, da in diversen Schriften Verhaltensregeln aufgestellt werden, nach denen der Kontakt zu aus der Religionsgemeinschaft ausgeschlossenen oder ausgetretenen Familienmitgliedern abzubrechen sei. Dieser Umstand wurde von den Referenten der Beratungsinstitutionen und Aussteigerorganisationen in der Anhörung sowie durch Zitate aus Veröffentlichungen der Religionsgemeinschaft belegt.
Den Teil mit der Glaubenslehre haben sie hier geschildert. An dieser Stelle wird allerdings eine unmittelbare Beurteilung der Glaubenslehre vorgenommen. Damit hat der Rechtsausschuss aber den Boden des Grundgesetzes verlassen. Das wird nicht dadurch besser, dass man die Glaubenslehre als "Verhaltensregel" bezeichnet. Solange die einzelnen Mitglieder (wie von dem Vertreter der Zeugen Jehovas erklärt) den Entscheidungsspielraum haben, wie weit sie dieser Lehre folgen, ist das eben kein "aktives Hinwirken". Und damit hat es den Staat nicht mehr zu interessieren.
Das Bundesverfassungsgericht spricht in seiner Entscheidung vom 19. Dezember 2000 (2 BvR 1500/97) von einer typisierenden Gesamtbetrachtung.
Hier hätte jetzt eigentlich der entscheidende Punkt hingehört, den das BVerwG als entscheidendes Kriterium genannt hatt: das "aktive Hinwirken", aber das fehlt natürlich und wird stattdessen überall stillschweigend vorausgesetzt.

Es wäre schön gewesen, wenn eine "typisierende Gesamtbetrachtung" auch durchgeführt worden wäre. Das Problem ist, dass weder eine "Gesamt"-betrachtung durchgeführt wurde, noch dass diese Betrachtung "typisierend" war. In der Realität wurde eine einseitige Darstellung einer handverlesenen Zahl von Fällen vorgenommen, ohne zu prüfen, ob es sich um Ausnahmefälle handelt und ohne zu prüfen, ob die Einwände gegen die Darstellung als solche gerechtfertigt waren. Die Erwähnung soll aber dem Leser wohl suggerieren, dass hier entsprechend den Vorgaben des BVerfG vorgegangen wurde.
Der Sachverhalt des Trennungsgebotes wurde auch von der Aussteigerin, die in nicht öffentlicher Sitzung angehört wurde, bestätigt. Die Mutter der Aussteigerin brach den ursprünglich sehr intensiven Kontakt zur Tochter nach deren Austritt aus der Religionsgemeinschaft nahezu vollständig ab.
Hier sehen wir sehr schön, wie das oben erwähnte "aktive Hinwirken" in der Realität nur behauptet, aber nie nachgewiesen wurde. In der Zusammenfassung des entsprechenden Punktes heißt es:
Besonders eindrucksvoll schilderte die Aussteigerin die Auswirkungen ihres Ausstiegs, der zu einem nahezu vollständigen Kontaktabbruch zur Mutter führte, sodass das ursprünglich sehr gute Verhältnis zur Mutter faktisch beendet wurde.
Was hier "bewiesen" wurde: dass die erwähnte Mutter den Kontakt zu ihrer erwachsenen Tochter einschränkte. Es gibt in Deutschland kein Gesetz, dass ihr dies verbietet und die Tochter kann vor keinem Gericht ihre Mutter wegen Verletzung ihrer Grundrechte verklagen (In Wirklichkeit wurde dies nicht bewiesen sondern behauptet. Die Mutter kam überhaupt nicht zu Wort, um zu schildern, was sie tat und warum; ich will aber trotzdem unterstellen, dass es sich so zugetragen hat, wie hier beschrieben). Was nicht angesprochen wurde, ist der entscheidende Punkt: Warum hat die Mutter den Kontakt abgebrochen oder eingeschränkt? Hat die Religionsgemeinschaft "aktiv auf sie eingewirkt" oder hat sie dies selber aufgrund ihrer persönlichen Überzeugungen entschieden?5 Der Rechtsausschuss hätte an dieser Stelle entweder den (konkreten ;o) Nachweis führen (lassen) können, dass die Mutter von der Religionsgemeinschaft hierzu gezwungen wurde (hat er aber nicht), zugeben können, dass die Schilderung, so wie sie hier steht, nichts über das Wirken der Religionsgemeinschaft aussagt, da die entscheidende Verbindung zwischen dem Handeln der Mutter und dem Handeln der Religionsgemeinschaft fehlt (hat er auch nicht) oder aber er hätte unterstellen(!) können, dass das Handeln der Mutter auf Zwang seitens der Religionsgemeinschaft beruht. Der Rechtsausschuss hat sich hier für die letzte Alternative entschieden; die Folge hiervon ist, dass das, was eigentlich geprüft werden sollte und angeblich nachgewiesen wurde (das aktive Hinwirken der Religionsgemeinschaft) hier stillschweigend vorausgesetzt wurde. Und genau darin liegt das Problem einer Prüfung, die den nachzuweisenden Sachverhalt nicht prüft sondern einfach voraussetzt. Eine derartige Prüfung kann rechtsstaatlich nicht in Ordnung sein.

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Luftfundament (2): Ehescheidung

Im folgenden bemüht der Rechtsausschuss sich, den Eindruck zu erwecken, dass er eine Gefährdung der Ehe durch Zeugen Jehovas nachgewiesen hätte. Auch hier gibt es wieder die bereits genannten Probleme, aber ich will sie hier (noch einmal) detailliert darstellen:
Das Verhalten der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas stellt auch eine Gefährdung des Bestandes der Ehe dar. Der Ehepartner, der ausgeschlossen wird oder aus der Gemeinschaft austritt, gilt als „abtrünnig“. Auch in diesen Fällen wird der Abbruch des Kontaktes von der Religionsgemeinschaft sowohl nach ihren Schriften als auch nach ihrem Verhalten erwartet. Diesen Sachverhalt haben die umfangreichen Stellungnahmen der Vertreterinnen und Vertreter der Aussteigerorganisationen bestätigt.
Das erste Problem ist wieder: es wird "erwartet", bedeutet im Klartext so viel, wie "es wird so gelehrt"; und damit fällt dieser Teil wieder aus dem Raster heraus, dass der Staat prüfen kann; das hatten wir oben bereits detailliert besprochen. Das nächste Problem besteht darin, dass Zeugen Jehovas fern davon sind, eine Trennung vom ausgeschlossenen Ehepartner zu fordern. Im Normalfall fordern sie dazu auf, in einem solchen Fall die Ehe aufrecht zu erhalten6. Woraus folgert der Rechtsausschuss also das Gegenteil? In der Zusammenfassung der Anhörung lesen wir auf Seite 10:
Die Religionsgemeinschaft Zeugen Jehovas betrachte die Ehe als bedeutende Institution, sodass nicht aktiv auf eine Trennung der Ehepartner hingewirkt werde.
Jawohl! Dass die Religion einen Kontaktabbruch fordert, folgert der Rechtsausschuss daraus, dass die Religionsgemeinschaft (nach Äußerung der Ex-Zeugen!) nicht aktiv auf eine Trennung hinarbeitet. Es gibt Argumente, die will ich einfach nicht kommentieren müssen, weil es das Niveau meiner Seite zu sehr herunterzieht. Hier bin ich offensichtlich an solch einem Punkt angelangt.

Weiter versteht der Rechtsausschuss eine weitere Äußerung der Ex-Zeugen falsch:
In der Praxis und insbesondere bei Betroffenheit von Kindern, könne man von einer durch das Haus gehenden religiösen Scheidung sprechen, die zu einer strikten religiösen Trennung führe.
Was hier beschrieben wird, ist kein "Kontaktabbruch" sondern beschreibt den einfachen Sachverhalt, dass Zeugen Jehovas keine gemeinsame Religionsausübung mit Nicht-Zeugen betreiben (dürfen). Weder der Art. 6 GG noch der Art. 4 GG geben aber irgend jemandem das Recht auf gemeinsame Religionsausübung mit Familienangehörigen anderer Religionszugehörigkeit. Und solange es dieses Recht nicht gibt, kann man es grundsätzlich nicht verletzen.

Weitere Äußerungen zum Thema "erzwungene Ehescheidung" wurden von den "Vertretern der Aussteigerorganisationen" nicht im Bericht dokumentiert. Entweder also, der Rechtsausschuss hat hier die entscheidenden Grundlagen seines Argumentes "vergessen" (eher unwahrscheinlich) oder aber die entsprechenden Äußerungen wurden nie gemacht. Beide Möglichkeiten lassen kein Vertrauen in dieses Argument aufkommen. Denn wenn die entsprechenden Äußerungen nie gemacht wurden, enthält das Argument hier eine bewusste Falschdarstellung; falls sie einfach nur vergessen wurden, spricht das dafür, dass die Prüfung nicht in einer geordneten Weise verlaufen ist und andere weitere Fehler enthält. Z.B: wird natürlich auch hier kein "aktives Hinwirken" der Religionsgemeinschaft nachgewiesen, sondern wie oben nur stillschweigend vorausgesetzt.

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Luftfundament (3): der "Experte"

Möglicherweise waren sich die Vertreter des Rechtsausschusses bewusst, dass ihre Begründung zum Thema "erzwungene Ehescheidung" und haben daher noch folgenden "Beweis" nachgelegt:
Der Weltanschauungsbeauftragte der Bremischen Evangelischen Kirche berichtete anhand seiner praktischen Erfahrung und aus langjähriger Beratungstätigkeit, dass die Religionsgemeinschaft erwarte, dass sich der noch an Jehova Glaubende von dem sich einer anderen Glaubens- oder Lebensanschauung nähernden Partner trenne und keinerlei Kontakt mehr halte.
Auch hier wieder das schöne Wort "erwarten", mit dem die Glaubenslehre hier immer umschrieben wird, damit ich erst darauf hinweisen muss, dass hier etwas geprüft wird, was gar nicht Gegenstand einer Prüfung gemäß dem Grundgesetz sein darf.

Wichtig hierbei ist, wie der "Experte" der evangelischen Kirche beschreibt, woher seine Kenntnisse stammen:
Die Angaben zu[...] der Isolation beim Ausstieg aus der Religionsgemeinschaft stammen nach Bekunden des Weltanschauungsbeauftragten ausschließlich aus Gesprächen, die in Bremen mit Aussteigerinnen und Aussteigern oder mit Menschen, die um eine Beratung gebeten haben, geführt worden seien.
Das "Wissen" beruht hier also darauf, dass der "Experte" Vermutungen von "Betroffenen" darüber sammelt, was die Religionsgemeinschaft mit anderen Angehörigen ihrer Familie wohl gemacht hätte. Da die "Erkenntnisse" ausschließlich auf derartigen Quellen beruhen, handelt es sich um Hörensagen. Die Frage inwieweit das Geschehen tatsächlich auf die Religionsgemeinschaft zurückzuführen ist, wurde nie gestellt (weder vom "Experten" noch vom Rechtsausschuss), sondern es wird stillschweigend vorausgesetzt, dass alle Probleme von der Religion verursacht wurden. Also haben wir auch hier wieder das Problem, dass genau das, was eigentlich Ablehnungsgrund ist, nicht festgestellt sondern einfach angenommen wurde.
Im Jahr 2010 habe er insgesamt 15 entsprechende Beratungsfälle betreffend Jehovas Zeugen gehabt, die damit eindeutig an der Spitze im Vergleich zu anderen Sekten oder Religionsgemeinschaften stehen.
Was genau konnte der "Experte" berichten?
Die Trennungssituation werde insbesondere bei Eheleuten deutlich, die glaubensmäßig nicht mehr miteinander harmonierten und wo es dann auch nach den Aussagen der jeweiligen Getrennten von der Seite der Organisation einen erheblichen Druck gegeben habe, was zu Trennungsproblemen und auch Verlustängsten geführt habe.
Auch hier wieder die Bestätigung, dass sich der "Experte" allein auf Hörensagen verlässt, da er die Situation selber nicht (konkret;o) überprüfte, sondern sich auf die Schilderungen einer Seite des Konfliktes verließ. Wichtig ist auch hier, was nicht gesagt wird: es steht hier nicht, dass es Druck seitens der Religionsgemeinschaft auf den Ehepartner gab, der Zeuge Jehovas blieb. Hier hege ich den Verdacht, dass der Satz bewusst missverständlich formuliert wurde, denn insoweit es Druck auf den Partner gab, der Zeuge Jehovas blieb, kann er gar nichts dazu wissen. Üblicherweise empfinden aber Menschen, die Zeugen Jehovas verlassen, den Kontakt zu Glaubensbrüdern als "Druck", solange sie nicht offen zu ihren neuen Überzeugungen stehen, da sie sich selber zwingen, Positionen zu vertreten, von denen sie sich eigentlich abgewandt haben. Das wird dann häufig subjektiv als Druck empfunden, hat aber nichts damit zu tun, dass die Religionsgemeinschaft irgend jemanden zwingt, sich von seinem Partner zu trennen.

Der "Experte" bleibt auch vage, wenn es darum geht, ob überhaupt irgendwelche Ehen geschieden wurden. Er spricht von "Trennungsproblemen und auch Verlustängsten", ohne zu sagen, ob diese Ängste den Ehepartner betreffen, ob sie gerechtfertigt waren oder ob sich einfach um das subjektive Empfinden eines Menschen in einer stressigen Situation handelte.

Aus folgendem Zitat kann man entnehmen, wie weit das Expertentum unseres Experten reicht:
Zur Frage des in verschiedenen Sekten oder Religionsgemeinschaften bestehenden sogenannten Trennungsbefehls
Hier schmeißt er seine "Erkenntnisse" zu anderen(!) Religionsgemeinschaften mit in den Topf, wenn es darum geht, Zeugen Jehovas zu prüfen. Dass derartige Äußerungen es überhaupt in den Abschlussbericht schaffen, lässt mich ahnen, wie dünn die Argumente für eine Ablehnung der Zeugen Jehovas sind.

Nirgendwo im Abschlussbericht sagt der evangelische "Experte", dass es eine einzige Ehescheidung gegeben hat oder auch nur, dass er in irgendeinem Fall von (konkretem;o) Zwang der Religionsgemeinschaft zur Scheidung oder Trennung berichten kann. Er beschränkt sich auf eine (falsche) Zusammenfassung der Glaubenslehre, die er mit den Lehren anderer nichtgenannter Gruppen vermischt und berichtet von den subjektiven Gefühlen von Personen, die selber nie von der Religionsgemeinschaft unter Druck gesetzt wurden, ihren Partner zu verlassen.

Das ist aber trotzdem einer der "Hauptbeweispunkte" dafür, dass Zeugen Jehovas die Grundrechte dritter nicht achten. Logischerweise bleibe ich hier seeeehr skeptisch, dass dies ein vernünftiges Fundament für die vom Rechtsausschuss gezogenen Schlussfolgerungen ist.

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Fazit

Im Ergebnis ist festzustellen, dass die Religionsgemeinschaft Jehovas Zeugen durch ihr Verhalten und durch ihre Schriften Artikel 6 Absatz 1 Grundgesetz verletzt, indem sie den Schutz von Ehe und Familie beeinträchtigt oder gefährdet.
Mein Fazit sieht natürlich komplett anders aus. Der Rechtsausschuss hat eigentlich nichts gezeigt, außer dass er lange an einem Argument herumgefeilt hat, dass oberflächlich so aussieht, als würde es rechtsstaatlichen Krieterien entsprechen. Allerdings wurden noch nicht einmal die Kriterien genannt, nach denen geprüft wurde. Wenn der Ausschuss dies getan hätte, wäre wahrscheinlich offensichtlich, dass er sich selber nicht an die Kriterien hielt oder aber, dass die verwendeten Kriterien selber nicht sinnvoll waren.

Außerdem wurden Argumente unterdrückt, die gegen die Schlussfolgerung sprachen, wie dies beim Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes offensichtlich ist. Hätte der Rechtsausschuss hier alle Argumente offen gelegt, wäre wohl auch hier klar geworden, dass das Ergebnis fragwürdig ist.

Alle Einsprüche des Vertreters der Zeugen Jehovas wurden ignoriert, obgleich es wie gezeigt dringend nötig wäre, die entsprechenden Punkte zu klären, bevor man Zeugen Jehovas die Körperschaftsrechte absprechen kann. [edit]Der Rechtsausschuss stellt sich einerseits auf den Standpunkt, dass Zeugen Jehovas zu den Vorwürfen keine Beweise vorlegen dürfen, wirft ihnen aber andererseits vor, dass sie die Vorwürfe nicht "konkret entkräften". Damit überschreitet der Rechtsausschuss offensichtlich jede rechtsstaatliche Grenze und es fällt mir schwer anzunehmen, dass dies unbewusst geschah. So bleibt der Eindruck, dass hier ein unzureichendes Argument künstlich am Leben erhalten werden musste.

Was wäre denn die Folge gewesen, wenn der Rechtsausschuss hier Beweise von Zeugen Jehovas zugelassen hätte? Wie oben gezeigt, handelt es sich hier um den zentralen Punkt des Arguments. Wenn die Beweise der Zeugen Jehovas überzeugend sind, dann hätte damit gezeigt werden können, dass die "glaubhaften" Äußerungen der "Experten" einfach Behauptungen ohne Glaubwürdigkeit sind. Und dann wäre die Idee, dass Zeugen Jehovas gezielt Familien auseinander bringen unhaltbar, weil es kein festes Fundament für die Schlussfolgerung gibt. Wenn man das weiß und Zeugen Jehovas trotzdem nicht anerkennen will, dann wird man natürlich alles tun, um sie daran zu hindern, Beweise zu den Fällen vorzulegen.

Die Berichte der "Experten" wurden in den Schlussfolgerungen anders dargestellt als in der Zusammenfassung. So wie die Berichte in der Zusammenfassung stehen, enthalten sie (zu dem hier besprochenen Punkt) nichts, was man Zeugen Jehovas an Grundrechtsverletzungen vorwerfen kann. In den Schlussfolgerungen ändert sich das aber. Es spricht für die Schwäche der Argumente, wenn die Behauptungen der eigenen "Experten" noch nicht als Grundlage ausreichen und entsprechend "gedopt" werden müssen, um überhaupt die gewünschten Schlussfolgerungen ziehen zu können.

Ich habe hier an mehreren Stellen angezweifelt, was die "Experten" zur Glaubenslehre der Zeugen Jehovas berichteten, da ich aus eigenem Wissen genau weiß, dass es nicht stimmt. Im Detail kann ich das hier nicht demonstrieren, da die entsprechenden Zitate in der Zusammenfassung leider fehlen. Allerdings hatte ich bereits in dem Fall, wo ich hier ein Zitat zurückverfolgen konnte, gezeigt, dass gezielt Zitate in einen vollkommen fremden Kontext gesetzt wurden. Ich gehe daher davon aus, dass dies auch hier der Fall war, da ich im ersten Teil des Artikels bereits zeigte, dass die Glaubenslehre (die mit der Praxis übereinstimmt) anders lautet, als hier behauptet. Ein Beispiel für eine derartige Vorgehensweise findet man in diesem Kommentar, und meine Erklärung dazu hier. Der Trick besteht dabei darin, einzelne Sätze oder Absätze, die ursprünglich etwas anderes bedeuten, so auszuwählen, dass man sie in einen neuen Kontext stellen kann (ohne dass der Unkundige etwas hiervon merkt), wo sie dann plötzlich eine neue Bedeutung annehmen, die der eigenen Argumentation dienlich ist. Da die "Experten" ja früher Zeugen Jehovas waren, sollten sie eigentlich wissen, was sie dort tun. Aber ich habe nicht den Eindruck, dass sie an einer objektiven Darstellung interessiert waren. Damit ist auch klar, warum der Rechtsausschuss der Frage, worin die Glaubenslehre besteht, nicht zu ende nachging, sondern unmittelbar nach Aufstellen der entsprechenden Behauptungen die Frage als "glaubhaft" geklärt ansieht.

Ich habe bis hierher nicht annehmen müssen, dass die von den "Experten" berichteten Einzelfälle falsch dargestellt wurden; dies tat ich ncht etwa, weil ich ihnen hier plötzlich 100% vertraue7, sondern weil es hier unerheblich ist! Egal, ob die Einzelfälle korrekt berichtet wurden, die Schlussfolgerungen, die gezogen wurden, bleiben offensichtlich falsch. Sie haben in keinem Fall gezeigt, dass die Religionsgemeinschaft irgend jemanden zu einem Kontaktabbruch in seiner Familie gezwungen hat. Und damit fehlt das entscheidende Element, dass das BVerwG als Kriterium für eine Nichtanerkennung nannte. Nebenher hat sich natürlich niemand die Mühe gemacht, nachzusehen, ob die geschilderte Handvoll von Fällen wirklich die Realität wiedergibt, oder ob es sich um Ausnahmen unter den 40.000 Fällen handelt. [/edit]

Alles in allem handelt es sich um ein schönes Beispiel dafür, dass man auch einen hoffnungslosen Fall mit etwas rhetorischem (oder besser: schriftstellerischem) Geschick so darlegen kann, dass der Leser den Eindruck gewinnt, dass er ein wasserdichtes Argument vor sich hat, solange er nicht anfängt, selber nachzudenken. Sobald man aber anfängt zu

Im nächsten Teil geht es dann darum, was der Rechtsausschuss zum Art. 4GG schreibt.
[Fortsetzung folgt]

Hinweis: wenn du einen Rechtschreibfehler findest, dann bitte ich um Kommentar der Form:

flasch -> falsch

damit ich die entsprechenden Fehler korrigieren kann. Danke!
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1 Und das erst im zweiten Anlauf. Im Mai 2009 waren die Behörden im Südwesten ebenfalls noch der Meinung, dass Zeugen Jehovas der Körperschaftsstatus verliehen werden muss. Erst massiver Druck von Mappus hat dies geändert.

2 Eigentlich ist das ein weiteres Problem: die angehörten "Experten" waren keine Experten für die Glaubenslehre der Zeugen Jehovas. Hier hat der Rechtsausschuss im Endeffekt das Wort von Laien über das Wort derjenigen anerkannt, die naturgemäß die Glaubenslehre am besten kennen müssen: Zeugen Jehovas selbst. Normalerweise sollte es im Konfliktfall klar sein, dass der Darstellung der Zeugen Jehovas der Vorzug zu geben ist. Dies ist hier nicht geschehen.

3 Dies ist natürlich die einseitige Darstellung der Zeugen Jehovas, aber da der Rechtsausschuss dem nicht konkret widersprochen hat, kann ich es ja als korrekt annehmen;-P (diese kleine Persiflage zeigt außerdem konkret, wie ernst man das Argument mit dem "konkreten Widerspruch" nehmen muss).

Natürlich ist niemand gezwungen, dieser Darstellung zu glauben, wenn er nicht will, da sie bisher nicht von unabhängiger Seite bestätigt wurde. Allerdings würden Zeugen Jehovas eine derartige Behauptung nicht machen, wenn sie nicht beweisbar wäre (z.B. durch ein entsprechendes Schreiben des Rechtsausschusses).

[edit]Inzwischen habe ich festgestellt, dass ich hier zu vorsichtig war. Der Rechtsausschuss hat dieses Verhalten (ganz konkret;o) so zugegeben, siehe dazu meine Korrektur im Artikel.[/edit]

4 Bereits im Jahr 2009 erklärten Mitglieder der Bürgerschaft, dass sie Zeugen Jehovas nicht anerkennen wollen und nach Gründen suchen wollen, um die Anerkennung zu "vermeiden". Dies sollte nach den damaligen Äußerungen in Zusammenarbeit mit den Kirchen geschehen. Die damals (nachdem der Senat in einer Prüfung bestätigte, dass die Anerkennung durchgeführt werden muss und bevor irgendjemand in der Bürgerschaft sich mit diesem Thema beschäftigte) genannten Gründe für die Ablehnung waren seltsamerweise genau mit dem identisch, was in der Anhörung dann "glaubhaft" war. Demnach bedeutet "glaubhaft" in diesem Bericht anscheinend "entspricht meiner vorgefassten Meinung". Diese Übereinstimmung wäre unverdächtig, wenn sie nach einer genauen Prüfung der Vorwürfe und der Gegenargumente zustande gekommen wäre; aber "seltsamerweise" musste der Rechtsausschuss sich nicht mit den Gegenargumenten der Zeugen Jehovas auseinandersetzen um festzustellen, dass Äußerungen glaubhaft sind, die der eigenen Meinung entsprechen. Meine Meinung dazu: Rechtsstaat geht anders.

5 Ob ihre persönlichen Überzeugungen sich auf die Glaubenslehre der Zeugen Jehovas stützen, ist hierbei nicht wichtig; der entscheidende Punkt ist, dass sie rechtmäßig handelt und zu nichts gezwungen wurde.

6 Eine Scheidung oder Trennung erkennen sie nur an, wenn zusätzlich einer der folgenden Punkte zutrifft: Ausschluss wegen ehelicher Untreue, wenn der Ausgeschlossene Leben oder Gesundheit der restlichen Familenmitglieder gefährdet, wenn der Ausgeschlossene seine Familie an freier Religionsausübung hindert oder wenn er den Unterhalt der Familie gefährdet.

7 Natürlich bin ich der Meinung, dass auch hier das allermeiste subjektiv, verzerrt und übertrieben dargestellt wurde und eine objektive Prüfung zeigen würde, dass das meiste nicht der Realität entspricht. Aber eine Diskussion hierüber lohnt sich nicht, solange nicht die Fakten vorliegen.

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