Montag, 20. September 2010
Verfassungsbruch in Bananen-Württemberg?
hgp, 10:45h
Artikel in der Südwest-Presse
Kommentar in der Südwest-Presse
Artikel der Badischen Zeitung
Überblick über die Dokumente im bisherigen Verfahren, für diejenigen, die sich ein eigenes Bild machen wollen.
[Update]weitere Details vom swr
Mir scheint, dass die Landesregierung von BaWü hier weiterhin ihre eigenen Vorurteile zum Entscheidungskriterium macht. Mal sehen, was in dem "Gutachten" dann tatsächlich drinsteht. Ich sage voraus, dass es nichts ist, was einer objektiven Prüfung standhält.
[Update 2]Hier fand ich noch eine Anfrage im Landtag zum Thema aus dem Jahre 2009. Seltsamerweise war die Regierung damals überzeugt, alle Prüfungen durchgeführt zu haben und keine Gründe zu haben, die Anerkennung abzulehnen:
Der Text der Anfrage und Antwort
Die Meinung der SPD
aus dem Jahre 2005 lustiger Kommentar der FAZ zu den Bestrebungen der Kirchen in diesem Punkt :o) ("semper aliquid haeret" = "es bleibt immer was hängen")
[Update 3]gemeinsame Sitzung der Regierungen von BaWü und Rheinland-Pfalz zum Thema.
Wow, das Thema zieht sich schon mehr als ein Jahr hin:
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So, inzwischen habe ich mich so weit beruhigt, dass ich das ganze auch kommentieren kann. Die Landesregierung von BaWü hat also ein Gutachten erstellen lassen, das zu dem Schluss kommt, Zeugen Jehovas sollten nicht als K.d.ö.R anerkannt werden. So eine Überraschung aber auch: entgegen allen Erkenntnissen aller Behörden Deutschlands hatte Mappus die ganze Zeit Recht mit seinem Gefühl:o)
Was daran seltsam ist? Zuerst mal dies:
Was steht denn im Gutachten drin? Dazu gibt es nur wenige Anhaltspunkte aus den vorliegenden Presseberichten; hier der erste:
Was sind überhaupt 'zumutbare Aufklärungsversuche'? Gehört dazu nicht zumindest, die Betroffenen zu befragen? wenn man natürlich wie die Landesregierung davon ausgeht, dass eine Körperschaft des öffentlichen Rechts grundsätzlich die Behörden anlügt (wie kann man mit so einer Einstellung überhaupt einen Staat führen?), dann natürlich nicht.
Aber natürlich erhält die Religionsgemeinschaft jetzt Gelegenheit zur Stellungnahme, nachdem das Gutachten inkl. zugehöriger Entscheidung feststeht. Aber wozu noch? Wenn alles mit rechten Dingen zuginge, hätte doch erst eine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden müssen, dann hätte diese Stellungnahme mit in die Bewertung einbezogen werden müssen. Da war doch dieses seltsame Wort aus meinem "politische-Weltkunde"-Unterricht, wie hieß es noch gleich? "rechtsstaatliche Verfahren"? War das nicht mal umgekehrt gedacht gewesen als es hier vorgeführt wird:
Welche Gründe führt das "Gutachten" denn überhaupt an?
Ein weiterer Vorwurf lautet, dass die Religionsgemeinschaft "der bloßen Teilnahme an demokratischen Wahlen skeptisch gegenübersteht". Als ich das letzte mal nachguckte, gab es keine Verpflichtung zu wählen. Das Bundesverfassungsgericht hat darum auch ausdrücklich festgestellt, dass dies die Verweigerung der Anerkennung alleine nicht begründen kann. Aber wo kämen wir hin, wenn Zeugen Jehovas ein Recht in Anspruch nehmen, dass allen anderen offen steht?
Wenn ich die derzeit vorliegenden Informationen durchgehe, dann bleibt eigentlich nur der Schluss übrig, dass in Bananen-Württemberg offensichtlich versucht wird, mit fadenscheinigen Vorwürfen und einem nur noch am Rande rechtsstaatlichen Verfahren Zeugen Jehovas verfassungsmäßige Rechte vorzuenthalten, um eigene Vorurteile zu bestätigen.
Die Politiker freuen sich, denn sie haben ein Thema, bei dem ihnen die Zustimmung des Volkes sicher ist. Dass dabei Rechtsstaat und Verfassung auf der Strecke bleiben, wen interessiert das schon? Das ist doch normal in Bananenrepubliken...
Die Kirchen sehen das ganze ironischerweise mit eher gemischten Gefühlen; einerseits freuen sie sich natürlich, wenn die Arbeit ihrer Sektenbeauftragten so gute Früchte trägt; andererseits weckt das ganze Problem schlafende Hunde, so wie ein Kommentator feststellt:
Das ist aus mehreren Gründen nicht rechtsstaatlich: zu erst mal darf man nicht die subjektiven Eindrücke von Einzelpersonen ohne weiteres verallgemeinern. Zum zweiten lässt das "Gutachten" (bzw. auf jeden Fall der vorliegende Bericht) hier einen wichtigen Punkt aus: Wer ist derjenige, der sich scheiden lässt und warum?
Erfahrungsgemäß betrifft ein Großteil der Ausschlüsse
den Punkt Ehebruch. Nun wissen wir aber, dass im Fall ehelicher Untreue Scheidungen unabhängig von der Religion an der Tagesordnung sind. Wer also Ehescheidungen im Falle eines Ausgeschlossenen pauschal der Religion anlastet, der handelt unaufrichtig. Es wäre zu den Ehescheidungen gekommen, auch wenn die Partner keine Zeugen Jehovas wären. Und sobald man derartige Fälle von der (nicht vorhandenen) Statistik abzieht, bleibt nichts übrig, worüber es zu diskutieren lohnt, da es dann höchstens noch seltene Einzelfälle gibt, die im übrigen dem ausdrücklichen Rat der Religion widersprechen.
Kommentar in der Südwest-Presse
Artikel der Badischen Zeitung
Überblick über die Dokumente im bisherigen Verfahren, für diejenigen, die sich ein eigenes Bild machen wollen.
[Update]weitere Details vom swr
Mir scheint, dass die Landesregierung von BaWü hier weiterhin ihre eigenen Vorurteile zum Entscheidungskriterium macht. Mal sehen, was in dem "Gutachten" dann tatsächlich drinsteht. Ich sage voraus, dass es nichts ist, was einer objektiven Prüfung standhält.
[Update 2]Hier fand ich noch eine Anfrage im Landtag zum Thema aus dem Jahre 2009. Seltsamerweise war die Regierung damals überzeugt, alle Prüfungen durchgeführt zu haben und keine Gründe zu haben, die Anerkennung abzulehnen:
Der Text der Anfrage und Antwort
Die Meinung der SPD
aus dem Jahre 2005 lustiger Kommentar der FAZ zu den Bestrebungen der Kirchen in diesem Punkt :o) ("semper aliquid haeret" = "es bleibt immer was hängen")
[Update 3]gemeinsame Sitzung der Regierungen von BaWü und Rheinland-Pfalz zum Thema.
Wow, das Thema zieht sich schon mehr als ein Jahr hin:
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So, inzwischen habe ich mich so weit beruhigt, dass ich das ganze auch kommentieren kann. Die Landesregierung von BaWü hat also ein Gutachten erstellen lassen, das zu dem Schluss kommt, Zeugen Jehovas sollten nicht als K.d.ö.R anerkannt werden. So eine Überraschung aber auch: entgegen allen Erkenntnissen aller Behörden Deutschlands hatte Mappus die ganze Zeit Recht mit seinem Gefühl:o)
Was daran seltsam ist? Zuerst mal dies:
Fohler kritisierte aber, dass den Fraktionen ein Gutachten des Justizressorts nicht vorgelegt werde, das die Rechtstreue der Zeugen Jehovas anzweifelt.Genau, die Erkenntnisse der Landesregierung sind so geheim, dass sie sie keinem anvertrauen kann. Wieso bloß? Möglicherweise will sie keine Schleudertraumeepidemie durch übermäßiges Kopfschütteln heraufbeschwören, wäre doch zumindest denkbar, oder?
Was steht denn im Gutachten drin? Dazu gibt es nur wenige Anhaltspunkte aus den vorliegenden Presseberichten; hier der erste:
"Es kann vertretbar angenommen werden, dass die Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas keine Gewähr der Rechtstreue bietet", heißt es in einem Gutachten des Landesjustizministeriums. Der Antrag könne abgelehnt werden, wenn die Gewähr der Rechtstreue "trotz aller zumutbarer Aufklärungsversuche unklar bleibt".Das ist seltsam: vor über einem Jahr (da hatte die Verwaltung bereits zwei Jahre lang geprüft) war die Lage noch eindeutig, jetzt nicht mehr. Je mehr die Regierung "aufklärt", desto weniger ist klar. Wie hieß noch gleich die Königin aus "Alice im Wunderland" (oder war es das Spiegelland?), die schnell rennen musste, um an der gleichen Stelle zu bleiben? Und wieso fällt sie mir genau an dieser Stelle ein?
Was sind überhaupt 'zumutbare Aufklärungsversuche'? Gehört dazu nicht zumindest, die Betroffenen zu befragen? wenn man natürlich wie die Landesregierung davon ausgeht, dass eine Körperschaft des öffentlichen Rechts grundsätzlich die Behörden anlügt (wie kann man mit so einer Einstellung überhaupt einen Staat führen?), dann natürlich nicht.
Aber natürlich erhält die Religionsgemeinschaft jetzt Gelegenheit zur Stellungnahme, nachdem das Gutachten inkl. zugehöriger Entscheidung feststeht. Aber wozu noch? Wenn alles mit rechten Dingen zuginge, hätte doch erst eine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden müssen, dann hätte diese Stellungnahme mit in die Bewertung einbezogen werden müssen. Da war doch dieses seltsame Wort aus meinem "politische-Weltkunde"-Unterricht, wie hieß es noch gleich? "rechtsstaatliche Verfahren"? War das nicht mal umgekehrt gedacht gewesen als es hier vorgeführt wird:
Nach Informationen der SÜDWEST PRESSE hat das Kabinett das Kultusressort beauftragt, die verwaltungsrechtlichen Schritte zur Ablehnung eines entsprechenden Antrags der Zeugen Jehovas einzuleiten. Das bestätigte der Regierungssprecher.Folgende Reaktion ist daher auch meine:
"Das Vorgehen wundert uns sehr", sagte ein Justiziar der Zeugen Jehovas. Durch die Anhörung wolle die Regierung nur ihre bereits getroffene Entscheidung nachträglich rechtfertigen lassen. Das sei "natürlich absurd".Und was ist die 'vertretbare Annahme', dass Zeugen Jehovas nicht die Gewähr der Rechtstreue bieten? "Vertretbar" im Sinne von "man kann uns nicht unmittelbar Rechtsbeugung vorwerfen"? Oder im Sinne von "wenn wir den Kopf tief genug in den Sand stecken, dann sehen wir nichts, was der Annahme widerspricht"? Kann man es überhaupt als "Aufklärungsversuch" bezeichnen, wenn man erklärtermaßen "Gründe zu Ablehnung" sucht, wie das diverse Politiker im Verlauf des letzten Jahres sagten? (hier will der Generalsekretär der CDU die Anerkennung "mit allen Mitteln" verhindern, hier verlangen die Fraktionschefs der FDP und CDU "nach Beweisen zu suchen, dass die Zeugen Jehovas nicht auf dem Boden der Verfassung stehen.")
Welche Gründe führt das "Gutachten" denn überhaupt an?
Indem sie den Kontakt mit ausgetretenen oder ausgeschlossenen Mitgliedern verbiete, würden die Zeugen Jehovas "das Grundrecht auf Achtung des Familienlebens und der Ehe" beeinträchtigen und gefährden. Damit würden sie zugleich das Grundrecht auf Religionsfreiheit beeinträchtigen.Genau dies hat das Land Berlin vor diversen Gerichten auch behauptet, konnte aber in 15 Jahren keinerlei objektive Belege dafür finden. Aber die Schwaben sind natürlich schlauer als die Berliner, also müsste es für sie ja einfach sein, solche Belege zu finden:o) Oder wärmen sie einfach die gleiche Behauptung wieder auf in der Hoffnung einen verschnarchten Richter zu finden, der es ihnen diesmal abkauft?
Zudem gefährde die Religionsgemeinschaft durch ihre Ablehnung von Bluttransfusionen "Leib und Leben minderjähriger Kinder und Jugendlicher".Mit diesem Vorwurf ist es genauso. Wurde bereits vor Gericht behauptet und es gab keinerlei objektive Belege. Im übrigen hat das OVG Berlin klargestellt, dass der Staat in diesen Fällen den Eltern das Sorgerecht entzieht. Aber vielleicht gilt ja in BaWü ein anderes Recht als im übrigen Deutschland?
Ein weiterer Vorwurf lautet, dass die Religionsgemeinschaft "der bloßen Teilnahme an demokratischen Wahlen skeptisch gegenübersteht". Als ich das letzte mal nachguckte, gab es keine Verpflichtung zu wählen. Das Bundesverfassungsgericht hat darum auch ausdrücklich festgestellt, dass dies die Verweigerung der Anerkennung alleine nicht begründen kann. Aber wo kämen wir hin, wenn Zeugen Jehovas ein Recht in Anspruch nehmen, dass allen anderen offen steht?
Wenn ich die derzeit vorliegenden Informationen durchgehe, dann bleibt eigentlich nur der Schluss übrig, dass in Bananen-Württemberg offensichtlich versucht wird, mit fadenscheinigen Vorwürfen und einem nur noch am Rande rechtsstaatlichen Verfahren Zeugen Jehovas verfassungsmäßige Rechte vorzuenthalten, um eigene Vorurteile zu bestätigen.
Die Politiker freuen sich, denn sie haben ein Thema, bei dem ihnen die Zustimmung des Volkes sicher ist. Dass dabei Rechtsstaat und Verfassung auf der Strecke bleiben, wen interessiert das schon? Das ist doch normal in Bananenrepubliken...
Die Kirchen sehen das ganze ironischerweise mit eher gemischten Gefühlen; einerseits freuen sie sich natürlich, wenn die Arbeit ihrer Sektenbeauftragten so gute Früchte trägt; andererseits weckt das ganze Problem schlafende Hunde, so wie ein Kommentator feststellt:
Konsequenter wäre indes eine Änderung des Körperschaftssteuergesetzes. Doch eine Debatte darüber versuchen die großen christlichen Kirchen kleinzuhalten: Sie profitieren ebenfalls vom KörperschaftsstatusWas sagte der Zauberlehrling so schön? "Die ich rief, die Geister, Werd’ ich nun nicht los."
Update
Neue Details aus dem "Gutachten" werden bekannt:Ausführlich untersucht haben die Experten die rechtliche Bedeutung der Tatsache, dass Zeugen Jehovas jeglichen Kontakt mit Ausgetretenen oder Ausgeschlossenen meiden sollen. In den meisten Fällen kommt es beim Austritt eines Mitglieds zur Scheidung.Ganz offensichtlich verfügt der "Gutachter" über eine hervorragende Kristallkugel, da es ihm gelingt, an Daten zu kommen, zu denen nie jemand eine Statistik erstellt hat. Nach den vorliegenden Berichten hatte der "Gutachter" drei ehemalige Zeugen Jehovas befragt. Woher sollen die solche Daten haben? Kannten sie alle geschiedenen Zeugen Jehovas? Wohl kaum. Hier wurde anscheinend aus den persönlichen Eindrücken einer Handvoll Personen eine ganze Bevölkerungsgruppe über einen Kamm geschoren.
Das ist aus mehreren Gründen nicht rechtsstaatlich: zu erst mal darf man nicht die subjektiven Eindrücke von Einzelpersonen ohne weiteres verallgemeinern. Zum zweiten lässt das "Gutachten" (bzw. auf jeden Fall der vorliegende Bericht) hier einen wichtigen Punkt aus: Wer ist derjenige, der sich scheiden lässt und warum?
Erfahrungsgemäß betrifft ein Großteil der Ausschlüsse
den Punkt Ehebruch. Nun wissen wir aber, dass im Fall ehelicher Untreue Scheidungen unabhängig von der Religion an der Tagesordnung sind. Wer also Ehescheidungen im Falle eines Ausgeschlossenen pauschal der Religion anlastet, der handelt unaufrichtig. Es wäre zu den Ehescheidungen gekommen, auch wenn die Partner keine Zeugen Jehovas wären. Und sobald man derartige Fälle von der (nicht vorhandenen) Statistik abzieht, bleibt nichts übrig, worüber es zu diskutieren lohnt, da es dann höchstens noch seltene Einzelfälle gibt, die im übrigen dem ausdrücklichen Rat der Religion widersprechen.
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