Donnerstag, 17. Februar 2011
Kommentar zur Anhörung in Bremen
hgp, 14:12h
Wie bereits angekündigt hier mein Kommentar zur gestrigen Anhörung in Bremen. Da ich nicht anwesend war, verlasse ich mich auf die Zeitungsberichte, die mir vorliegen.
Dieser Bericht bestätigt meine Befürchtungen, dass es bei der Anhörung weniger darum ging, ein objektives Bild von Zeugen Jehovas zu vermitteln, sondern darum, möglichst alle zu Wort kommen zu lassen, die etwas negatives über Zeugen Jehovas zu erzählen haben.
Das Problem ist dabei (eher) nicht, dass aus der Luft gegriffene Lügen verbreitet werden, sondern es finden etwas subtilere Formen der Irreführung statt:
Dem einzelnen Zeugen Jehovas wird dabei von vornherein abgesprochen, für sich denken und reden zu können und zu dürfen. Anstatt dessen wird Außenstehenden das Recht eingeräumt, bestimmen zu dürfen, was ich als Zeuge Jehovas denke und fühle. Es werden aber keinerlei Prüfmöglichkeiten zur Verfügung gestellt, um nachzuschauen, ob diese Außenstehenden wirklich ein objektives Bild wiedergeben, oder ob ihre Darstellung verzerrt ist. Da ein Großteil derjenigen, die berichten, großes Interesse daran haben, Zeugen Jehovas negativ darzustellen, führt das automatisch zu einem verzerrten Bild. Ich will das mit folgendem Beispiel erläutern:
Damit sind auch folgende wesentlichen Fragen nicht zu beantworten:
Warum waren die "Glaubensgenossen" gekommen? Waren sie von den Eltern gerufen worden (offizielle Vertreter der Glaubensgemeinschaft kommen nur auf Anforderung der Betroffenen ins Krankenhaus), waren sie gekommen, um den Eltern in einer schwierigen Situation emotional zur Seite zur stehen oder wollten sie (wie vom Bericht suggeriert) "Druck ausüben"? Woher will der Arzt das wissen? Wer mit der Wirklichkeit in deutschen Krankenhäusern vertraut ist, weißt, dass ein Arzt kaum eine Chance hat, eine derartige Frage zu beantworten, da er viel zu wenig Zeit hat, sich derart intensiv mit dem Umfeld eines Patienten zu befassen.
Eine weitere Frage: Haben diese Freunde die Entscheidung der Eltern beeinflusst und wenn ja, wie? Fühlten sich die Eltern unter Druck gesetzt? Die Antwort können nur die Eltern geben und die können nicht zu Wort kommen, da niemand auch nur ihren Namen erfahren darf. Das heißt an dieser Stelle muss man das Wort eines Fremden akzeptieren, was ein einzelner Zeuge Jehovas gedacht und gefühlt hat. Hat der Arzt diese Gedanken korrekt "gelesen"? Oder hat er die Worte und Gesten der Eltern, die in einer emotional schwierigen Situation waren, falsch gedeutet? Niemand weiß es!
Was aber klar ist, dass der einzelne Zeuge Jehovas hier entmündigt wird, da Spekulationen über seinen Geisteszustand zu objektiven Tatsachen erklärt werden ohne ihm eine Chance zu geben, sich selbst über seine ureigenen Angelegenheiten zu äußern. Wie allgemein bekannt, hat jeder Konflikt (mindestens) zwei Seiten. Dadurch, dass eine Seite hier vollständig unterdrückt wird, wird jede Chance auf Objektivität vertan.
Eine weitere Frage: besteht für Eltern die Verpflichtung, jeden Rat eines Arztes in Bezug auf ihr Kind anzunehmen und umzusetzen? Oder besteht diese Verpflichtung nur für Zeugen Jehovas? Wer verlangt, dass Zeugen Jehovas jede Entscheidung eines Arztes über Bluttransfusionen akzeptieren müssen, führt einen Gewissenszwang für Zeugen Jehovas ein. Der Gesetzgeber hat richtigerweise erkannt, dass Eltern nicht gezwungen sind und nicht gezwungen werden können, alles zu tun, was ein Arzt ihnen in Bezug auf ihr Kind sagt. Und er hat richtigerweise erkannt, dass es Konflikte geben kann zwischen der Meinung des Arztes und der Eltern. Deswegen hat er eine Einrichtung geschaffen, die derartige Konflikte entscheidet: das zuständige Gericht. Und Zeugen Jehovas anerkennen die Entscheidungen dieser Gerichte.
Und selbst, wenn der Arzt hier (zufällig) die Gedanken eines einzelnen Zeugen Jehovas richtig und objektiv gelesen haben sollte, endet das Problem nicht: inwieweit ist hätte dieser Fall dann Rückschlüsse auf die Religionsgemeinschaft erlaubt? Wenn die Eltern in diesem Fall ihren Freunden "A" erzählen ("wir wollen keine Bluttransfusion") aber in Wirklichkeit "B" wollen ("gebt unserem Kind eine Bluttransfusion"), kann man es ihren Freunden und Bekannten verübeln, ihnen bei "A" zu helfen? Ganz objektiv liegt die Konfliktursache dann bei der Einzelperson, die etwas anderes sagt als sie denkt und es dann als Druck empfindet, wenn ihre Worte (und Taten) ernst genommen werden.
Es ist naheliegend, dass viele ehemalige Zeugen Jehovas, die sich von der Religionsgemeinschaft getrennt haben, eine derartige Erfahrung machten, da sie sich meist vor dem verlassen der Glaubensgemeinschaft bereits innerlich vom Glauben als Zeuge getrennt haben, während sie in ihrer Umgebung weiter so taten, als ob sie diese Glaubensgrundsätze vertreten würden; damit wurden ihre ehemaligen Überzeugungen zu einer Last. Aber diese Last resultiert daraus, dass diese Einzelperson seiner Umgebung andere Überzeugungen vorspielt, als er sie wirklich hat. Dies ist kaum repräsentativ für die Religionsgemeinschaft im gesamten, da die meisten Mitglieder die Glaubensgrundsätze als ihre eigenen Überzeugungen ansehen, und daher keinen Druck verspüren. Der Druck entsteht dadurch, dass der einzelne EX-Zeuge nicht das Rückgrat hatte, die eigenen geänderten Werte und Ansichten auch offen zu vertreten.
"Aber die armen Leute sind doch dazu gezwungen so zu handeln, weil sie so unter Druck gesetzt werden", ist anscheinend die These, die auf der Anhörung dazu vertreten wurde. Aber genau dies ist eine Unterstellung, da diejenigen, die angeblich unter Druck stehen nie die Möglichkeit erhalten, sich zu äußern. Sie werden durch ein derartiges Verfahren wie es hier verwendet wurde, vom Staat(!) entmündigt. Die Frage, woher der Druck kommt, und ob der Druck ein allgemeines Problem für Zeugen Jehovas ist oder nur von Aussteigern empfunden wird, wurde nicht gestellt.
Nebenbei gibt es kein Anrecht auf ein Leben frei von Interessenkonflikten und Druck. Wer sich selbst einen Interessenkonflikt aufbaut, weil er seine Überzeugung ändert, dass aber nicht sagt und trotzdem erwartet, dass andere ihm gegenüber seine unbekannte geänderte Überzeugung berücksichtigen, der hat ein Problem mit seinen unrealistischen Erwartungen an andere.
Und ganz am Ende bleibt natürlich immer noch die Frage bestehen, ob das ganze überhaupt rechtlich relevant ist. In dem genannten Beispiel (Bluttransfusionen für Kinder) haben deutsche Gerichte bereits entschieden, dass Zeugen Jehovas sich im Rahmen des Grundgesetzes bewegen. Daher hilft es nicht, noch ein weiteres Beispiel für etwas zu finden, was ohnehin nicht relevant ist. Von daher kann ich den Vorwurf der "Inszenierung" gut verstehen, den der Vertreter der Zeugen Jehovas erhob.
Folgende Äußerung finde ich daher auch etwas daneben:
Vielleicht beruhige ich mich ja wieder...:o)
grün: Zeugen Jehovas anerkannt
rot: Anerkennung abgelehnt
gelb: Entscheidung steht noch aus
(Stand 16.02.2011)
Dieser Bericht bestätigt meine Befürchtungen, dass es bei der Anhörung weniger darum ging, ein objektives Bild von Zeugen Jehovas zu vermitteln, sondern darum, möglichst alle zu Wort kommen zu lassen, die etwas negatives über Zeugen Jehovas zu erzählen haben.
Das Problem ist dabei (eher) nicht, dass aus der Luft gegriffene Lügen verbreitet werden, sondern es finden etwas subtilere Formen der Irreführung statt:
30 Experten [...] sind versammelt.Hier fängt das Problem an: die Personen, denen das Wort erteilt wurde, werden als "Experten" betrachtet, d.h. ihnen wird zugesprochen, ein objektives Bild von der Wirklichkeit der Zeugen Jehovas wiederzugeben.
Dem einzelnen Zeugen Jehovas wird dabei von vornherein abgesprochen, für sich denken und reden zu können und zu dürfen. Anstatt dessen wird Außenstehenden das Recht eingeräumt, bestimmen zu dürfen, was ich als Zeuge Jehovas denke und fühle. Es werden aber keinerlei Prüfmöglichkeiten zur Verfügung gestellt, um nachzuschauen, ob diese Außenstehenden wirklich ein objektives Bild wiedergeben, oder ob ihre Darstellung verzerrt ist. Da ein Großteil derjenigen, die berichten, großes Interesse daran haben, Zeugen Jehovas negativ darzustellen, führt das automatisch zu einem verzerrten Bild. Ich will das mit folgendem Beispiel erläutern:
„Wir hatten ein Frühgeborenes mit Blutarmut“, erzählt Hans-Iko Huppertz von der Professor Hess-Kinderklinik. „Die Eltern waren Zeugen Jehovas. Mehrere Glaubensgenossen kamen hinzu. Schließlich lehnten die Eltern die Transfusion ab.“ Später seien sie aber noch einmal zu ihm gekommen und hätten von ihrem inneren Konflikt und der Angst vor der Ausstoßung berichtet. Nur durch eine rasche richterliche Verfügung erhielt das Kind schließlich die rettende Transfusion.Ich unterstelle einmal, dass dieses Geschehen sich zugetragen hat, obwohl es in keiner Weise überprüfbar sein dürfte. Warum? Weil dieser Arzt an seine ärztliche Schweigepflicht gebunden ist, die es ihm verbietet, Namen zu nennen (Krankenschwestern lernen übrigens sogar, dass es verboten ist, derartige Details weiter zu erzählen, ohne Namen zu nennen, aber ich bin nicht in der Lage zu klären, ob die Ärzte in diesem Fall bereits zu weit gegangen sind); damit kann niemand die betroffenen Eltern und die anderen hier genannten Personen befragen. Der Arzt ist der einzige, der Auskunft geben kann. Also ist die genannte Geschichte nicht überprüfbar und kann damit kaum als Entscheidungsgrundlage dienen.
Damit sind auch folgende wesentlichen Fragen nicht zu beantworten:
Warum waren die "Glaubensgenossen" gekommen? Waren sie von den Eltern gerufen worden (offizielle Vertreter der Glaubensgemeinschaft kommen nur auf Anforderung der Betroffenen ins Krankenhaus), waren sie gekommen, um den Eltern in einer schwierigen Situation emotional zur Seite zur stehen oder wollten sie (wie vom Bericht suggeriert) "Druck ausüben"? Woher will der Arzt das wissen? Wer mit der Wirklichkeit in deutschen Krankenhäusern vertraut ist, weißt, dass ein Arzt kaum eine Chance hat, eine derartige Frage zu beantworten, da er viel zu wenig Zeit hat, sich derart intensiv mit dem Umfeld eines Patienten zu befassen.
Eine weitere Frage: Haben diese Freunde die Entscheidung der Eltern beeinflusst und wenn ja, wie? Fühlten sich die Eltern unter Druck gesetzt? Die Antwort können nur die Eltern geben und die können nicht zu Wort kommen, da niemand auch nur ihren Namen erfahren darf. Das heißt an dieser Stelle muss man das Wort eines Fremden akzeptieren, was ein einzelner Zeuge Jehovas gedacht und gefühlt hat. Hat der Arzt diese Gedanken korrekt "gelesen"? Oder hat er die Worte und Gesten der Eltern, die in einer emotional schwierigen Situation waren, falsch gedeutet? Niemand weiß es!
Was aber klar ist, dass der einzelne Zeuge Jehovas hier entmündigt wird, da Spekulationen über seinen Geisteszustand zu objektiven Tatsachen erklärt werden ohne ihm eine Chance zu geben, sich selbst über seine ureigenen Angelegenheiten zu äußern. Wie allgemein bekannt, hat jeder Konflikt (mindestens) zwei Seiten. Dadurch, dass eine Seite hier vollständig unterdrückt wird, wird jede Chance auf Objektivität vertan.
Eine weitere Frage: besteht für Eltern die Verpflichtung, jeden Rat eines Arztes in Bezug auf ihr Kind anzunehmen und umzusetzen? Oder besteht diese Verpflichtung nur für Zeugen Jehovas? Wer verlangt, dass Zeugen Jehovas jede Entscheidung eines Arztes über Bluttransfusionen akzeptieren müssen, führt einen Gewissenszwang für Zeugen Jehovas ein. Der Gesetzgeber hat richtigerweise erkannt, dass Eltern nicht gezwungen sind und nicht gezwungen werden können, alles zu tun, was ein Arzt ihnen in Bezug auf ihr Kind sagt. Und er hat richtigerweise erkannt, dass es Konflikte geben kann zwischen der Meinung des Arztes und der Eltern. Deswegen hat er eine Einrichtung geschaffen, die derartige Konflikte entscheidet: das zuständige Gericht. Und Zeugen Jehovas anerkennen die Entscheidungen dieser Gerichte.
Und selbst, wenn der Arzt hier (zufällig) die Gedanken eines einzelnen Zeugen Jehovas richtig und objektiv gelesen haben sollte, endet das Problem nicht: inwieweit ist hätte dieser Fall dann Rückschlüsse auf die Religionsgemeinschaft erlaubt? Wenn die Eltern in diesem Fall ihren Freunden "A" erzählen ("wir wollen keine Bluttransfusion") aber in Wirklichkeit "B" wollen ("gebt unserem Kind eine Bluttransfusion"), kann man es ihren Freunden und Bekannten verübeln, ihnen bei "A" zu helfen? Ganz objektiv liegt die Konfliktursache dann bei der Einzelperson, die etwas anderes sagt als sie denkt und es dann als Druck empfindet, wenn ihre Worte (und Taten) ernst genommen werden.
Es ist naheliegend, dass viele ehemalige Zeugen Jehovas, die sich von der Religionsgemeinschaft getrennt haben, eine derartige Erfahrung machten, da sie sich meist vor dem verlassen der Glaubensgemeinschaft bereits innerlich vom Glauben als Zeuge getrennt haben, während sie in ihrer Umgebung weiter so taten, als ob sie diese Glaubensgrundsätze vertreten würden; damit wurden ihre ehemaligen Überzeugungen zu einer Last. Aber diese Last resultiert daraus, dass diese Einzelperson seiner Umgebung andere Überzeugungen vorspielt, als er sie wirklich hat. Dies ist kaum repräsentativ für die Religionsgemeinschaft im gesamten, da die meisten Mitglieder die Glaubensgrundsätze als ihre eigenen Überzeugungen ansehen, und daher keinen Druck verspüren. Der Druck entsteht dadurch, dass der einzelne EX-Zeuge nicht das Rückgrat hatte, die eigenen geänderten Werte und Ansichten auch offen zu vertreten.
"Aber die armen Leute sind doch dazu gezwungen so zu handeln, weil sie so unter Druck gesetzt werden", ist anscheinend die These, die auf der Anhörung dazu vertreten wurde. Aber genau dies ist eine Unterstellung, da diejenigen, die angeblich unter Druck stehen nie die Möglichkeit erhalten, sich zu äußern. Sie werden durch ein derartiges Verfahren wie es hier verwendet wurde, vom Staat(!) entmündigt. Die Frage, woher der Druck kommt, und ob der Druck ein allgemeines Problem für Zeugen Jehovas ist oder nur von Aussteigern empfunden wird, wurde nicht gestellt.
Nebenbei gibt es kein Anrecht auf ein Leben frei von Interessenkonflikten und Druck. Wer sich selbst einen Interessenkonflikt aufbaut, weil er seine Überzeugung ändert, dass aber nicht sagt und trotzdem erwartet, dass andere ihm gegenüber seine unbekannte geänderte Überzeugung berücksichtigen, der hat ein Problem mit seinen unrealistischen Erwartungen an andere.
Und ganz am Ende bleibt natürlich immer noch die Frage bestehen, ob das ganze überhaupt rechtlich relevant ist. In dem genannten Beispiel (Bluttransfusionen für Kinder) haben deutsche Gerichte bereits entschieden, dass Zeugen Jehovas sich im Rahmen des Grundgesetzes bewegen. Daher hilft es nicht, noch ein weiteres Beispiel für etwas zu finden, was ohnehin nicht relevant ist. Von daher kann ich den Vorwurf der "Inszenierung" gut verstehen, den der Vertreter der Zeugen Jehovas erhob.
Folgende Äußerung finde ich daher auch etwas daneben:
Die Ausschussvorsitzende Insa Peters-Rehwinkel (SPD) [...] und sprach Glockentin das Recht ab, Äußerungen der Referenten zu bewerten.Damit zeigt sie deutlich, dass sie die Problematik anscheinend überhaupt nicht verstanden hat. Ansonsten wäre ihr klar, dass man all die Fragen stellen müsste, die ich hier nannte (und noch eine ganze Reihe mehr), bevor man überhaupt anfangen kann zu diskutieren, was diese Aussagen über Zeugen Jehovas aussagen.
Vielleicht beruhige ich mich ja wieder...:o)
grün: Zeugen Jehovas anerkannt
rot: Anerkennung abgelehnt
gelb: Entscheidung steht noch aus
(Stand 16.02.2011)
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