Montag, 21. Februar 2011
"sampling bias" und "Sekten"-"Experten"
hgp, 10:43h
Wie man dem Programm der Anhörung in Bremen entnehmen konnte, wurden die "Sekten"-"Experten" der evangelischen Kirche dazu befragt, ob und wie Zeugen Jehovas Familien zerstören und Kinder misshandeln. Warum können evangelische "Sekten"-"Experten" überhaupt etwas zu dem Thema sagen? Wahrscheinlich deshalb, weil sie sich vorher informiert haben oder sie informiert wurden.
Woher haben die "Sekten"-"Experten" denn ihre Informationen zum Thema? Bislang ist nirgendwo aufgefallen, dass sie soziologische Studien zum Thema erstellt hätten; es wäre auch kaum annehmbar, dass Zeugen Jehovas ausgerechnet mit ihnen kooperieren würden, um derartige Untersuchungen zu erstellen. Damit haben die "Sekten"-"Experten" ihre Erkenntnisse nicht aufgrund von Studien, die nach wissenschaftlichen Maßstäben erstellt wurden, sondern sie informieren sich auf anderem Wege. Vor allem melden sich bei ihnen besorgte Mitbürger oder "Betroffene", die in einem speziellen Fall derartige Probleme bei Zeugen Jehovas wahrnehmen, z.B. andersgläubige Ehepartner, Ex-Ehepartner und Verwandte, Nachbarn oder Lehrer.
Und hierbei gibt es ein Problem (es gibt mehr, aber dieses ist hier Thema): sampling bias. Der Ausdruck hört sich schlimmer an als er ist. "Bias" ist eine Wahrnehmungsverzerrung und "sampling" bedeutet "eine Stichprobe entnehmen". Der Ausdruck bezeichnet einen systematischen Fehler, der auftritt, wenn wenn bei einer statistischen Untersuchung die Stichprobe aufgrund fehlerhafter Untersuchungsmethoden nicht repräsentativ für die zu untersuchende Gruppe ist. Damit das nicht so theoretisch bleibt, will ich das an einem hypothetischen (übertriebenen) Beispiel erläutern:
Eine Bahngesellschaft lässt an einem Tag einhundert Züge fahren; in 99 fährt nur ein Fahrgast, der hundertste Zug ist mit 200 Fahrgästen überfüllt. Ein Statistiker befragt alle Fahrgäste und kommt zum Ergebnis, dass 200 von 299 Fahrgästen in einem überfüllten Zug gefahren sind. Am nächsten Tag steht dann in der BLÖD!-Zeitung: "67% aller Züge überfüllt". Offensichtlich entspricht das nicht den Tatsachen. Der Statistiker (und/ oder Reporter) hat vergessen, dass in überfüllten Zügen naturgemäß mehr Leute fahren als in leeren.
Nun können wir davon ausgehen, dass "Sekten"-"Experten" ebenfalls Zug fahren; daher sind sie auch für derartige Fehler anfällig1. Wie geschieht das? Uns ist klar, dass es überall Eltern gibt, deren Kindererziehung normal ist, oder überdurchschnittlich oder katastrophal. Das ist bei Zeugen Jehovas so, bei Protestanten, bei Atheisten und allen anderen Eltern. Ich habe das mal als Grafik dargestellt:
(Vorab muss ich natürlich darauf hinweisen, dass es kein objektives Maß für die Güte der Kindererziehung gibt, je nach Definition kann ein und dieselbe Erziehung hervorragend oder aber grottenschlecht sein; das ist ein weiteres Problem, dass ich heute außen vor lasse.)
Für den Fall, dass die Erziehung der Zeugen Jehovas in keiner Weise von der der Allgemeinbevölkerung abweicht, würde sich die schwarze Kurve ergeben. In welchen Fällen würde sich aber jemand beim "Sekten"-"Experten" melden? Die Frage "Ein Kind von Zeugen Jehovas ist gut erzogen und sehr gut in sein soziales Umfeld integriert; was kann man da bloß tun?" wird logischerweise selten gestellt. Wenn aber ein Kind als misshandelt oder nicht in sein soziales Umfeld integriert wahrgenommen wird2, dann wird der Fall natürlich wesentlich schneller weiter gemeldet; das wäre dann der rot schraffierte Bereich.
Der "Sekten"-"Experte" muss nun nichts weiter tun, als dass er die gemeldeten Fälle als den Durchschnitt der Kindererziehung bei Zeugen Jehovas annimmt (wie in der roten Kurve gezeigt; man beachte den Unterschied zwischen Realität und Darstellung der "Sekten"-"Experten") und prompt hat er den Nachweis, dass Zeugen Jehovas Rabeneltern sind.
Die naheliegende Frage hierbei ist: Handelt der "Sekten"-"Experte" so, weil er keine Ahnung hat, oder durchschaut er das ganze Problem? Wenn wir uns die Äußerungen von "Sekten"-"Experten" ansehen, dann fällt schnell auf, dass sie so gut wie nie sagen: "Das ist so", da sie dann eine Tatsachenbehauptung gemacht hätten. Statt dessen lese ich immer wieder Dinge wie: "Dies lässt den Schluss zu, dass...", "Der Betroffene X erklärt dies mit...", "Viele sehen hier einen Zusammenhang mit...", "Aus diesem Grund kann man die Frage stellen:..." und viele ähnliche Formulierungen mehr, die aus dem ganzen Meinungsäußerungen machen. Wieso ist das wichtig? Gegen Tatsachenbehauptungen kann man gerichtlich vorgehen und dann muss derjenige, der sie gemacht hat nachweisen, dass sie stimmt, bei Meinungsäußerungen gibt es nur wenige Grenzen, die einzuhalten sind.
Wer nun wirklich denkt, dass das, was er von Betroffenen gehört hat die Realität wiedergibt, der würde es auch so schreiben; wer weiß, dass das, was er schreibt, nur am Rande mit der Realität zu tun hat, der wird Formulierungen wie die oben genannten verwenden. Wenn ich jetzt die gleiche Methode verwende, kann ich sagen: diese Vorgehensweise lässt den Schluss zu, dass "Sekten"-"Experten" absichtlich ihre Leser täuschen.
Aber wieso sollten "Sekten"-"Experten" so etwas tun? Der Arbeitsplatz des "Sekten"-"Experten" hängt davon, ab, dass er Menschen hilft, mit einer empfundenen "Sektenproblematik" fertig zu werden. Je mehr Probleme, desto sicherer somit der Arbeitsplatz. Derartige Zusammenhänge können natürlich die Neigung fördern, nicht ganz so selbstkritisch nachzudenken, ob denn wirklich ein Problem vorliegt. Wer würde schon einen "Sekten"-"Experten" konsultieren, der erst einmal lange darüber nachdenkt, ob überhaupt ein "Sektenproblem" vorliegt? Exakt: keiner.
Außerdem kommen noch weltanschauliche Gründe dazu. Viele Sektenexperten werden von der Kirche beschäftigt und sind dieser weltanschaulich verbunden. Andere entstammen "Betroffeneninitiativen" die von vornherein geneigt sind, Probleme bei den "Sekten" zu finden. Wenn aber die eigene Weltanschauung verteidigt werden muss, dann kann man nicht von vorn herein voraussetzen, dass jede Beurteilung anderer Weltanschauungen (wie z.B. die der "Sekten") objektiv ist.
Alles das wäre kein Problem, wenn die "Sekten"-"Experten" unter sich diskutieren würden. In der Realität werden die "Sekten"-"Experten" aber nicht als "Experten" sondern als Experten (ohne Anführungszeichen) angesehen und ihre Äußerungen werden als objektive Äußerungen missverstanden. Dies zeigt sehr schön die Äußerungen der Ausschussvorsitzenden bei der Anhörung:
1 Glückwunsch! Du hast diesen Satz korrekt als dummen Witz interpretiert.
2 Ob diese Wahrnehmung dann auch mit der Realität übereinstimmt, ist ein weiteres Problem, dass ich heute mal weglasse, desgleichen die Frage, ob die Probleme der Kindererziehung in dem berichteten Fall an der Religion der Eltern liegen oder ganz andere Ursachen haben.
Woher haben die "Sekten"-"Experten" denn ihre Informationen zum Thema? Bislang ist nirgendwo aufgefallen, dass sie soziologische Studien zum Thema erstellt hätten; es wäre auch kaum annehmbar, dass Zeugen Jehovas ausgerechnet mit ihnen kooperieren würden, um derartige Untersuchungen zu erstellen. Damit haben die "Sekten"-"Experten" ihre Erkenntnisse nicht aufgrund von Studien, die nach wissenschaftlichen Maßstäben erstellt wurden, sondern sie informieren sich auf anderem Wege. Vor allem melden sich bei ihnen besorgte Mitbürger oder "Betroffene", die in einem speziellen Fall derartige Probleme bei Zeugen Jehovas wahrnehmen, z.B. andersgläubige Ehepartner, Ex-Ehepartner und Verwandte, Nachbarn oder Lehrer.
Und hierbei gibt es ein Problem (es gibt mehr, aber dieses ist hier Thema): sampling bias. Der Ausdruck hört sich schlimmer an als er ist. "Bias" ist eine Wahrnehmungsverzerrung und "sampling" bedeutet "eine Stichprobe entnehmen". Der Ausdruck bezeichnet einen systematischen Fehler, der auftritt, wenn wenn bei einer statistischen Untersuchung die Stichprobe aufgrund fehlerhafter Untersuchungsmethoden nicht repräsentativ für die zu untersuchende Gruppe ist. Damit das nicht so theoretisch bleibt, will ich das an einem hypothetischen (übertriebenen) Beispiel erläutern:
Eine Bahngesellschaft lässt an einem Tag einhundert Züge fahren; in 99 fährt nur ein Fahrgast, der hundertste Zug ist mit 200 Fahrgästen überfüllt. Ein Statistiker befragt alle Fahrgäste und kommt zum Ergebnis, dass 200 von 299 Fahrgästen in einem überfüllten Zug gefahren sind. Am nächsten Tag steht dann in der BLÖD!-Zeitung: "67% aller Züge überfüllt". Offensichtlich entspricht das nicht den Tatsachen. Der Statistiker (und/ oder Reporter) hat vergessen, dass in überfüllten Zügen naturgemäß mehr Leute fahren als in leeren.
Nun können wir davon ausgehen, dass "Sekten"-"Experten" ebenfalls Zug fahren; daher sind sie auch für derartige Fehler anfällig1. Wie geschieht das? Uns ist klar, dass es überall Eltern gibt, deren Kindererziehung normal ist, oder überdurchschnittlich oder katastrophal. Das ist bei Zeugen Jehovas so, bei Protestanten, bei Atheisten und allen anderen Eltern. Ich habe das mal als Grafik dargestellt:
(Vorab muss ich natürlich darauf hinweisen, dass es kein objektives Maß für die Güte der Kindererziehung gibt, je nach Definition kann ein und dieselbe Erziehung hervorragend oder aber grottenschlecht sein; das ist ein weiteres Problem, dass ich heute außen vor lasse.)
Für den Fall, dass die Erziehung der Zeugen Jehovas in keiner Weise von der der Allgemeinbevölkerung abweicht, würde sich die schwarze Kurve ergeben. In welchen Fällen würde sich aber jemand beim "Sekten"-"Experten" melden? Die Frage "Ein Kind von Zeugen Jehovas ist gut erzogen und sehr gut in sein soziales Umfeld integriert; was kann man da bloß tun?" wird logischerweise selten gestellt. Wenn aber ein Kind als misshandelt oder nicht in sein soziales Umfeld integriert wahrgenommen wird2, dann wird der Fall natürlich wesentlich schneller weiter gemeldet; das wäre dann der rot schraffierte Bereich.
Der "Sekten"-"Experte" muss nun nichts weiter tun, als dass er die gemeldeten Fälle als den Durchschnitt der Kindererziehung bei Zeugen Jehovas annimmt (wie in der roten Kurve gezeigt; man beachte den Unterschied zwischen Realität und Darstellung der "Sekten"-"Experten") und prompt hat er den Nachweis, dass Zeugen Jehovas Rabeneltern sind.
Die naheliegende Frage hierbei ist: Handelt der "Sekten"-"Experte" so, weil er keine Ahnung hat, oder durchschaut er das ganze Problem? Wenn wir uns die Äußerungen von "Sekten"-"Experten" ansehen, dann fällt schnell auf, dass sie so gut wie nie sagen: "Das ist so", da sie dann eine Tatsachenbehauptung gemacht hätten. Statt dessen lese ich immer wieder Dinge wie: "Dies lässt den Schluss zu, dass...", "Der Betroffene X erklärt dies mit...", "Viele sehen hier einen Zusammenhang mit...", "Aus diesem Grund kann man die Frage stellen:..." und viele ähnliche Formulierungen mehr, die aus dem ganzen Meinungsäußerungen machen. Wieso ist das wichtig? Gegen Tatsachenbehauptungen kann man gerichtlich vorgehen und dann muss derjenige, der sie gemacht hat nachweisen, dass sie stimmt, bei Meinungsäußerungen gibt es nur wenige Grenzen, die einzuhalten sind.
Wer nun wirklich denkt, dass das, was er von Betroffenen gehört hat die Realität wiedergibt, der würde es auch so schreiben; wer weiß, dass das, was er schreibt, nur am Rande mit der Realität zu tun hat, der wird Formulierungen wie die oben genannten verwenden. Wenn ich jetzt die gleiche Methode verwende, kann ich sagen: diese Vorgehensweise lässt den Schluss zu, dass "Sekten"-"Experten" absichtlich ihre Leser täuschen.
Aber wieso sollten "Sekten"-"Experten" so etwas tun? Der Arbeitsplatz des "Sekten"-"Experten" hängt davon, ab, dass er Menschen hilft, mit einer empfundenen "Sektenproblematik" fertig zu werden. Je mehr Probleme, desto sicherer somit der Arbeitsplatz. Derartige Zusammenhänge können natürlich die Neigung fördern, nicht ganz so selbstkritisch nachzudenken, ob denn wirklich ein Problem vorliegt. Wer würde schon einen "Sekten"-"Experten" konsultieren, der erst einmal lange darüber nachdenkt, ob überhaupt ein "Sektenproblem" vorliegt? Exakt: keiner.
Außerdem kommen noch weltanschauliche Gründe dazu. Viele Sektenexperten werden von der Kirche beschäftigt und sind dieser weltanschaulich verbunden. Andere entstammen "Betroffeneninitiativen" die von vornherein geneigt sind, Probleme bei den "Sekten" zu finden. Wenn aber die eigene Weltanschauung verteidigt werden muss, dann kann man nicht von vorn herein voraussetzen, dass jede Beurteilung anderer Weltanschauungen (wie z.B. die der "Sekten") objektiv ist.
Alles das wäre kein Problem, wenn die "Sekten"-"Experten" unter sich diskutieren würden. In der Realität werden die "Sekten"-"Experten" aber nicht als "Experten" sondern als Experten (ohne Anführungszeichen) angesehen und ihre Äußerungen werden als objektive Äußerungen missverstanden. Dies zeigt sehr schön die Äußerungen der Ausschussvorsitzenden bei der Anhörung:
Die Ausschussvorsitzende Insa Peters-Rehwinkel (SPD) [...] sprach Glockentin das Recht ab, Äußerungen der Referenten zu bewerten.Mit anderen Worten: Die Äußerungen der "Sekten"-"Experten" werden als objektive Tatsachen bewertet, die repräsentativ für Zeugen Jehovas als Gruppe sind. Frau Peters-Rehwinkel ist damit anscheinend genau in die Falle getappt, die die "Sekten"-"Experten" so gerne aufstellen: ihre Worte sind Tatsachen und jeder, der daran zweifelt, ist parteiisch oder hat eine Gehirnwäsche bekommen: Ein Teufelskreis, der den Opfen der "Experten" nur wenig Chancen auf gerechte Beurteilung bietet, solange niemand die Äußerungen unabhängig prüft. In genau dieser Falle stecken Zeugen Jehovas an dieser Stelle. Glücklicherweise haben bisher deutsche Gerichte genau das getan, was in dieser Anhörung unterblieb: sie haben Beweise unabhängig überprüft; das Ergebnis dabei war: Die Vorwürfe an Zeugen Jehovas wegen Verfassungsfeindlichkeit und Rechtsbrüchen waren nicht zu bestätigen. Es ist unwahrscheinlich, dass sich hieran etwas ändert, wenn in Bremen ein weiteres Gericht diese Prüfung vornimmt.
1 Glückwunsch! Du hast diesen Satz korrekt als dummen Witz interpretiert.
2 Ob diese Wahrnehmung dann auch mit der Realität übereinstimmt, ist ein weiteres Problem, dass ich heute mal weglasse, desgleichen die Frage, ob die Probleme der Kindererziehung in dem berichteten Fall an der Religion der Eltern liegen oder ganz andere Ursachen haben.
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