Donnerstag, 24. Februar 2011
Landtagsdebatte in BaWü 13.05.2009
Debatte des Landtags von Baden-Württemberg vom 13.05.2009 zur Anerkennung von Zeugen Jehovas als K.d.ö.R.

In dieser Debatte wurde der Antrag der Zeugen Jehovas besprochen, als K.d.ö.R. in Baden-Württemberg anerkannt zu werden. In dieser Fragestunde kann man erkennen, welchen Standpunkt die einzelnen Abgeordneten und Parteien einnehmen. Einige sind halbwegs vernünftig, andere richtiggehend erschreckend. Da ich nun schon so viel Material zu dem Thema gesammelt habe, wollte ich dies der Vollständigkeit auch hier versammeln.
Stellv. Präsident Wolfgang Drexler: Wir kommen jetzt zu einem neuen Thema. Die Opposition kann jetzt ein Thema wählen, entweder – vorrangig – eines aus der gestrigen Kabinettssitzung oder ein eigenes Thema.

Ich erteile dazu jetzt der Frau Kollegin Fohler von der SPD-Fraktion das Wort.

Abg. Sabine Fohler SPD: Herr Präsident, vielen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den letzten Tagen war in der Presse zu lesen, dass Kultusminister Rau dem Kabinett in seiner gestrigen Sitzung vorschlagen werde, den Zeugen Jehovas die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts auszusprechen. Diese Anerkennung wäre faktisch eine Gleichstellung dieser Sekte mit den Volkskirchen und wäre nicht nur ein Imagegewinn für diese Sekte, sondern hätte auch zahlreiche Privilegien zur Folge, zahlreiche finanzielle Privilegien vor allem im Steuer-, Kosten- und Gebührenrecht.

Für die Mitglieder, die unter den Methoden dieser Gemeinschaft leiden, und für diejenigen, die ausgestiegen sind und noch immer unter diesen Erfahrungen leiden, ist allein diese Ankündigung schon ein Schlag ins Gesicht.

Selbsthilfegruppen und die Kirchen reagieren deshalb zu Recht entsetzt auf dieses Vorhaben. Ich zitiere den Sprecher der Diözese Rottenburg-Stuttgart, der gesagt hat:

Die Diözese kann nicht nachvollziehen, dass jetzt in einer Art vorauseilendem Gehorsam einem möglichen Rechtsstreit aus dem Weg gegangen wird.

In diesem Zusammenhang ein kurzer Blick auf die Historie. Auslöser war das Land Berlin, das nach einem jahrelangen Rechtsstreit die Erstanerkennung ausgesprochen hat. Darauf folgten weitere Anträge der Zeugen Jehovas auch in den anderen Bundesländern. Das bedeutet aber nicht, dass man jetzt sozusagen in Form eines Automatismus diese Anträge auch anerkennen muss. Jedem Land steht frei, ein eigenes Prüfverfahren einzuleiten und eine eigene Bewertung vorzunehmen. Das war bislang auch die Position der Landesregierung. Ich darf in diesem Zusammenhang die „Stuttgarter Nachrichten“ vom 28. Juni 2007 zitieren:

Das Stuttgarter Kultusministerium sieht sich durch das Berliner Urteil allerdings nicht gebunden, sondern hat ein eigenes umfangreiches Verfahren eingeleitet, um die Rechts- und Verfassungstreue zu prüfen.

Erstens: Das Land sah sich nicht an das Berliner Urteil gebunden. Zweitens wurde ein eigenes umfangreiches Prüfverfahren angekündigt. Von einem solchen Prüfverfahren wissen wir nichts. Stattdessen will der Kultusminister jetzt ohne Not diese Anerkennung aussprechen.

Wir fragen uns: Was hat denn diesen Sinneswandel des Kultusministers ausgelöst? Warum hat ein solches Prüfverfahren nicht stattgefunden, und warum will der Kultusminister nicht alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, um dem Antrag eben nicht stattgeben zu müssen? Denn wir wissen nicht, welche Sachverhalte ein solches Prüfverfahren in Baden-Württemberg zutage bringen würde, und wir wissen auch nicht, wie die Gerichte hier in Baden-Württemberg entscheiden würden.

Jetzt wurde dieser Sachverhalt im Kabinett vertagt. Das haben wir gehört und gelesen. Wir fragen Sie: Wie soll es jetzt weitergehen? Werden Sie dieses umfangreiche Prüfverfahren, das Sie bereits vor zwei Jahren angekündigt haben, nun durchführen? Werden Sie Berichte von Aussteigern ernst nehmen, die ja auch sehr detailliert wiedergeben, wie die Sekte steht, und zwar im Umgang mit ihren Mitgliedern und auch im Verhalten gegenüber der Gesellschaft und dem Staat? Werden Sie alle rechtlichen Schritte ergreifen, die möglich sind, um diese Anerkennung zu verhindern? Dazu fordern wir Sie auf.
(Beifall bei der SPD und der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)

Stellv. Präsident Wolfgang Drexler: Nachdem Herr Minister Rau für den heutigen Tag krankgemeldet ist, erhält Herr Staatssekretär Wacker das Wort.

Staatssekretär Georg Wacker: Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Kabinettsvorlage zu dem Vorhaben des Kultusministeriums, die Zeugen Jehovas als Körperschaft des öffentlichen Rechts anzuerkennen, betrifft keinen Vorgang, den wir mit einem Wohlwollen begleiten, sondern einen Vorgang, der uns im Grunde zutiefst zuwider ist. Wenn Sie Kritik an den Zeugen Jehovas formulieren, dann teile ich diese Kritik, weil nach unserem Verständnis die Zeugen Jehovas viele Bräuche pflegen und viele Gedanken formulieren, die dem Werteverständnis der etablierten und auch anerkannten Religionsgemeinschaften nicht entsprechen.

Allerdings sind wir an die Rechtslage gebunden. Wir in Baden-Württemberg bewegen uns gegenüber den anderen Bundesländern und erst recht gegenüber dem Bundesverfassungsgericht nicht in einem rechtsfreien Raum. Deswegen möchte ich gern auf die einzelnen Stationen hinweisen.

Es gab seitens der Zeugen Jehovas in Deutschland eine Klage vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin. Dieser Klage wurde am Ende im Jahr 2006 durch ein rechtsgültiges Bundesverfassungsgerichtsurteil entsprochen. Die anderen Bundesländer haben sich aufgrund dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung darauf verständigt, ein sehr eingehendes Prüfungsverfahren in die Wege zu leiten. Alle Bundesländer haben auf Fachebene die einzelnen Schritte abgestimmt, und mittlerweile haben einzelne Bundesländer bereits diese Anerkennung vollzogen. Acht Bundesländer haben bisher diese Anerkennung vorgenommen. Parallel zu den konkreten Überlegungen in Baden-Württemberg haben dies zwei weitere Bundesländer in Vorbereitung. Das heißt, dass in Kürze nahezu zwei Drittel aller Bundesländer diesen rechtlichen Rahmen erfüllt haben, zumal das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil ganz klar zum Ausdruck gebracht hat, dass das Prinzip der Rechtstreue auch das Prinzip der Religionsfreiheit zu berücksichtigen hat.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 19. Dezember 2000 ganz klar formuliert – ich darf eine Passage daraus zitieren –:

Eine darüber hinausgehende Loyalität zum Staat verlangt das Grundgesetz nicht. … Ob einer antragstellenden Religionsgemeinschaft der Körperschaftsstatus zu versagen ist, richtet sich

– nach den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts –

nicht nach ihrem Glauben, sondern nach ihrem Verhalten.… Allerdings stellt nicht jeder einzelne Verstoß gegen Recht und Gesetz die Gewähr rechtstreuen Verhaltens infrage.

Wir haben sehr wohl auch in Baden-Württemberg eine sehr intensive Prüfung vorgenommen. Es gibt Einzelvorgänge, die wir gerade im Abstimmungsprozess gegenüber den anderen Bundesländern durchaus geltend gemacht haben, von denen wir sehr wohl wissen, dass es in Baden-Württemberg auch zu Einzelschicksalen kam, beispielsweise dass ein Jugendlicher deswegen verstarb, weil man ihm eine Bluttransfusion nicht ermöglichte. Dies ist aber nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts kein ausreichender Grund, um die Rechtstreue der Zeugen Jehovas infrage zu stellen.

(Abg. Rainer Stickelberger SPD: Der Tod reicht nicht aus! Da muss Schwerwiegenderes kommen!)

In diesem Zusammenhang hat nach diesem sehr intensiven Prüfungsvorgang mit den anderen Bundesländern eine weitere Prüfung stattgefunden. Beispielsweise muss der Nachweis der Mitgliederzahl – –

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Stellv. Präsident Wolfgang Drexler: Ich bitte, die Gespräche einzustellen oder außerhalb des Plenarsaals weiterzuführen.

Staatssekretär Georg Wacker: Gleichzeitig wurde die Mitgliederzahl der Zeugen Jehovas zugrunde gelegt, und auch nach diesem Kriterium ist die Voraussetzung gegeben, da in Baden-Württemberg über 30 000 sogenannte getaufte Mitglieder dieser Sekte oder Religionsgemeinschaft angehören. Darüber hinaus konnte auch belegt werden, dass die Bestehenszeit der Zeugen Jehovas über 30 Jahre nachvollzogen werden kann. Auch kann eine hinreichende Finanzausstattung dieser Gemeinschaft aufgrund des Prüfungsberichts des Wirtschaftsprüfers nachgewiesen werden.

Daneben bleibt der heikelste Punkt die Prüfung der Rechtstreue. Hier sagt das Bundesverfassungsgericht, dass es sehr bedauerlich sei, wenn es diese schicksalhaften Einzelvorgänge gibt, dass dies aber nicht ausreiche, um eine Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts zu versagen.

Deshalb haben wir im Ministerrat als Beratungsgegenstand eingebracht, auch in Baden-Württemberg diese Anerkennung herbeizuführen. Wir fühlen uns dazu nach Bundesrecht verpflichtet. Außerdem ist kürzlich eine Absprache aller Chefs der Staatskanzleien erfolgt, diesen Prozess in nächster Zeit konzentriert weiterzuverfolgen. Wir werden bezüglich des weiteren Vorgehens auch den Dialog mit den Kirchen suchen.

Stellv. Präsident Wolfgang Drexler: Für die Fraktion GRÜNE erhält Herr Abg. Kretschmann das Wort.

Abg. Winfried Kretschmann GRÜNE: Herr Staatssekretär Wacker, ich habe mich über Ihre Argumentation etwas gewundert. Es ist natürlich klar, dass man den Zeugen Jehovas mit solchen Argumenten, wie Sie sie vorgetragen haben, dass sie sich in ihren Sitten und Gebräuchen nicht an die Kirchen anlehnten, nicht den Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts verweigern kann. Es ist doch der Inhalt der Glaubensfreiheit, dass man glauben kann, was man möchte. Da muss man sich nach niemandem richten. Da wundert es mich nicht, dass Sie zu einer solchen Entscheidung kommen. Das systematische Argument für die Verweigerung der Anerkennung der Zeugen Jehovas als Körperschaft des öffentlichen Rechts ist, dass sie ihre Mitglieder dazu anhalten, nicht wählen zu gehen.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der Abg. Beate Fauser FDP/DVP – Abg. Theresia Bauer GRÜNE: Eben!)

Wenn diese Religionsgemeinschaft damit erfolgreich wäre, würde das die Grundlagen der Demokratie systematisch untergraben

(Abg. Franz Untersteller GRÜNE: Und so etwas würden wir fördern!)

und das Wichtigste an der Demokratie, nämlich Wahlen, unmöglich machen. Dann könnte der Staat nicht mehr existieren. Das entscheidende Argument, warum man das einmal durchfechten muss bis zum Bundesverfassungsgericht, ist, dass der Staat Religionsgemeinschaften, die ihre Mitglieder dazu aufrufen, nicht zu wählen, solche Privilegien nicht zuerkennen darf. Das darf auf jeden Fall nicht sein. Nur darum kann es gehen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)

Stellv. Präsident Wolfgang Drexler: Bitte, Herr Staatssekretär.

Staatssekretär Georg Wacker: Herr Kollege Kretschmann, um das ganz klar zu sagen: Das ist genau der Punkt, der natürlich auch uns aufregt. Das möchte ich in aller Deutlichkeit sagen.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: So ist es!)

Das entspricht natürlich nicht den demokratischen Gepflogenheiten unserer Gesellschaft, weil wir von allen gesellschaftlichen Gruppen erwarten, aktiv an der demokratischen Gesellschaft teilzunehmen, sich aktiv an den Wahlen zu beteiligen bzw. sich auch dafür zu engagieren. Aber ich sage noch einmal: Diese Entscheidung ist keine isolierte Einzelentscheidung des Landes Baden-Württemberg. Zweitens ist es keine Entscheidung, mit der wir sozusagen die Speerspitze gegenüber anderen Bundesländern darstellen. Denn die meisten Bundesländer haben gerade aufgrund der höchstrichterlichen Rechtsprechung, aufgrund des Berliner Urteils diese Entscheidung gefällt. Das Bundesverfassungsgericht – da bitte ich Sie ganz herzlich, bevor Sie sich in dieser Frage positionieren, hier höchstrichterlichen Rat einzuholen – sagt präzise,

(Zuruf des Abg. Rainer Stickelberger SPD)

dass im Grunde auch bei einem Aufruf, nicht zur Wahl zu gehen, noch nicht die Rechtstreue gegenüber dem demokratischen Rechtsstaat infrage zu stellen ist. Die Hürden werden hier, gerade in Abwägung mit dem Prinzip der Religionsfreiheit in unserer Verfassung, seitens des höchsten Gerichts in Deutschland durchaus sehr hoch gesetzt. Deswegen wäre es ein hohes Prozessrisiko seitens des Landes Baden-Württemberg, wenn wir diesen Weg nicht gehen würden. Seien Sie sicher, dass auch andere Bundesländer mit einer ähnlichen Regierungskonstellation wie Baden-Württemberg die gleiche juristische Prüfung vorgenommen haben. Wir befinden uns hier nicht in einem isolierten Rechtszustand, sondern im Konvoi aller Bundesländer. Wir müssen diesen Weg gehen. Deswegen haben wir uns meines Erachtens dieser bundesrichterlichen Vorgabe auch diesbezüglich zu beugen.

Stellv. Präsident Wolfgang Drexler: Zusatzfrage und Zusatzstellungnahme der Frau Abg. Fohler.

Abg. Sabine Fohler SPD: Herr Staatssekretär, Sie hatten zunächst gesagt, dass Sie die Entscheidung vertagt hätten, das Gespräch mit den Kirchen suchten und auch die rechtlichen Möglichkeiten noch einmal prüften. Das steht aus meiner Sicht im Widerspruch zu dem, was Sie jetzt gerade gesagt haben. Sie haben gerade behauptet, es gebe keine rechtlichen Möglichkeiten, anders zu reagieren. Deshalb frage ich mich jetzt: Warum ist die Entscheidung nicht schon gestern gefallen, wenn das tatsächlich der Fall ist? Es ist nicht so, dass Baden-Württemberg damit die Speerspitze wäre. Es gibt da noch andere Länder. Berlin hat sehr lange rechtlich gefochten – auch nach 2001; das wissen Sie –, und das ging noch weitere vier Jahre, bis das durchgefochten war.

Dabei ist auch die Frage, auf welcher Grundlage das Gericht diese Entscheidung gefällt hat. Auch das Land Rheinland-Pfalz behält sich hier den gerichtlichen Weg vor. Ich stelle die Frage: Gibt es die Möglichkeit, hier den gerichtlichen Weg tatsächlich zu beschreiten? Da sehe ich einen Widerspruch in Ihren Ausführungen. Wie geht es denn jetzt eigentlich weiter?

Stellv. Präsident Wolfgang Drexler: Bitte, Herr Staatssekretär.

Staatssekretär Georg Wacker: Wir haben im Kabinett natürlich über diese Frage gesprochen. Wir haben zunächst einmal festgestellt, dass eine umfassende Rechtsprüfung vollzogen wurde, wir aber gleichzeitig das Ziel verfolgen, bezüglich der Bewertung einen Konsens mit den anderen anerkannten Religionsgemeinschaften in Baden-Württemberg zu erzielen. Deswegen werden wir das Gespräch auch mit den vier Kirchen in Baden-Württemberg führen.

Wir weisen darauf hin, dass wir diesen Weg sehr gern vermeiden würden, wenn wir es könnten. Aber es ist eine Frage der Güterabwägung, ob es ratsam ist, entweder selbst diese politische Entscheidung jetzt herbeizuführen, nachdem die meisten anderen Bundesländer nach umfassender Rechtsprüfung diesen Schritt gegangen sind, oder ob wir uns in Kürze dazu verklagen lassen sollten, was am Ende zum gleichen Ergebnis führen würde. Insofern ist es auch eine Frage der Vernunft, politisch damit umzugehen. Deshalb haben wir diesen Vorschlag auf Anerkennung im Ministerrat eingebracht.

Stellv. Präsident Wolfgang Drexler: Eine weitere Stellungnahme, Herr Abg. Hauk von der CDU-Fraktion.

Abg. Peter Hauk CDU: Herr Staatssekretär, trügt mich meine Kenntnis, dass es in den Vorverfahren besonders viele Zweifel an der Verfassungstreue der Zeugen Jehovas gab, die gerade aus unserem Land, aus Baden-Württemberg, genährt wurden? Wie viele Länder haben sich denn überhaupt zur Frage der Verfassungstreue geäußert? Waren wir dabei?

Stellv. Präsident Wolfgang Drexler: Bitte, Herr Staatssekretär.

Staatssekretär Georg Wacker: Es haben sich, wie gesagt, alle 16 Bundesländer in dem gemeinsamen Abstimmungs- und Erörterungsverfahren dazu positioniert. Es gab seitens dreier Bundesländer hinsichtlich der Verfassungstreue Bedenken, die ursprünglich eingebracht wurden, einmal vom Bundesland Bayern, dann vom Bundesland Thüringen und dann vom Bundesland Baden-Württemberg. Wir haben in Baden-Württemberg auf die Einzelfälle hingewiesen, die Ihnen bekannt sind und bei denen es zu sehr bedauerlichen Einzelschicksalen kam. Aber nach rechtlicher Prüfung – und damit schließt sich mein Argumentationskreis – ist dies im Sinne des Urteils des Bundesverfassungsgerichts nicht ausreichend, um es rechtlich stichhaltig ins Feld führen zu können. Wir haben uns also anfangs dieser Position durchaus bemächtigt, indem wir gemeinsam mit Bayern und Thüringen die Bedenken eingebracht haben.

Stellv. Präsident Wolfgang Drexler: Es folgt eine weitere Befragung durch Herrn Abg. Kretschmann von den Grünen.

Abg. Winfried Kretschmann GRÜNE: Herr Staatssekretär, was besteht denn für ein Prozessrisiko, wenn Sie mit den Fakten, die wir haben, diese Frage bis zum Bundesverfassungsgericht durchfechten? Selbst dann, wenn wir verlieren, ist es ja nicht schlechter als jetzt, wo Sie es genehmigen wollen. Worin besteht da das Risiko?

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Ja! Wo liegt das Risiko?)

Warum wollen Sie dieses Risiko nicht eingehen?

Stellv. Präsident Wolfgang Drexler: Herr Staatssekretär, bitte.

Staatssekretär Georg Wacker: Weil nach unserer Rechtsauffassung und eingehender Erörterung in den Kreisen, die ich eben erwähnt habe, der Sachverhalt im Grunde ziemlich eindeutig ist, dass wir am Ende dazu verpflichtet werden, diese Anerkennung auch zu vollziehen. Insofern ist meines Erachtens eine weitere Überlegung hinfällig. Wir nehmen natürlich gern noch einmal eine abschließende Prüfung vor, gern auch im Abstimmungsprozess mit den Kirchen, aber wir sind der Auffassung, dass wir am Ende keine Möglichkeit haben, diese Anerkennung zu verweigern, so gern wir es auch täten.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Macht doch, was ihr wollt!)

Stellv. Präsident Wolfgang Drexler: Eine weitere Frage, und zwar des Herrn Abg. Kluck von der FDP/DVP.

Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Herr Staatssekretär, halten Sie es nicht für besser, wenn ein Gericht Sie dazu zwingt, diese Anerkennung auszusprechen, als wenn Sie es freiwillig tun?

(Beifall bei den Grünen sowie Abgeordneten der SPD und der FDP/DVP – Abg. Claus Schmiedel SPD: Ja! – Zurufe: Sehr gut!)

Stellv. Präsident Wolfgang Drexler: Herr Staatssekretär, bitte.

Staatssekretär Georg Wacker: Dieselbe Frage hat Herr Kollege Kretschmann sinngemäß gestellt. Insofern verweise ich auf meine Antwort von eben, Herr Kollege.

(Zuruf von der SPD: Ach nee!)

Stellv. Präsident Wolfgang Drexler: Eine weitere Zusatzfrage der Frau Abg. Fohler.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Frau Krueger!)

– Nein, Herr Kollege Schmiedel, die Sitzungsleitung habenoch immer ich. Frau Fohler ist dran.

(Heiterkeit – Beifall)

Abg. Sabine Fohler SPD: Ich finde es schon merkwürdig, dass man in ein Abstimmungsverfahren geht, dessen Ende man schon kennt – das nur einmal so nebenher. Ich frage mich, warum ein solches Abstimmungsverfahren mit den Kirchen notwendig ist, wenn man schon vorher sagt, es gebe keine Möglichkeiten, in irgendeiner Weise rechtlich dagegen vorzugehen.

Aber die Frage ist: Befürchten nicht auch Sie, dass Sie mit diesem Vorgehen, das heißt, die rechtlichen Möglichkeiten hier nicht auszuschöpfen, einen Präzedenzfall schaffen und weitere Anträge kommen, denen Sie dann eben auch stattgeben müssen, ohne rechtliche Schritte einzuleiten?

Stellv. Präsident Wolfgang Drexler: Herr Staatssekretär, bitte.

Staatssekretär Georg Wacker: Wenn es weitere Anträge auf Anerkennung geben sollte, dann werden wir die genauso intensiv prüfen müssen. Aber ich wage darüber überhaupt keine Prognose abzugeben. Wir wissen sehr wohl, dass es einen sehr schmalen Grat gibt zwischen Sekten und Gemeinschaften, die im rechtsstaatlichen Sinn als sehr problematisch einzustufen sind. Wir haben auch im Schulausschuss sehr ausführlich darüber gesprochen, dass man sehr genau hinschauen muss, bevor man zu einer abschließenden Einschätzung kommt. Insofern wage ich in diesem Zusammenhang keine Position dahin gehend zu beziehen, inwieweit wir dann andere mögliche Folgeanträge abschließend bewerten.

Der Vorstoß der Zeugen Jehovas hat sich über viele Jahre hinweg erstreckt. Ich sage noch einmal: Dies ist kein Vorgang, der aus heiterem Himmel gefallen ist. Seit Anfang dieses Jahrtausends haben die Zeugen Jehovas immer wieder diesen Antrag gestellt. Er kam dann nach einem langen Durchprozessieren über das Oberverwaltungsgericht in Berlin bis in das Bundesverwaltungsgericht hinein. Am Ende kam dann die abschließende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Wirklich durch alle Instanzen hindurch gab es eine rechtliche Prüfung. Insofern glaube ich als juristischer Laie sagen zu können, dass die Chancen sehr gering sind, hier nach neuen rechtlichen Ermessensspielräumen zu suchen. Insofern sagen wir: Wir werden das Gespräch mit den Kirchen führen. Wenn wir aufgrund dieses Gesprächs zu anderen Ergebnissen kommen, werden wir dies natürlich sehr gern hier kommunizieren. Nach der bisherigen Einschätzung und nach dem Abstimmungsprozess, der bereits zwischen allen Bundesländern vorgenommen wurde, sehe ich hierfür allerdings wenig Möglichkeiten.

Stellv. Präsident Wolfgang Drexler: Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Gibt es weitere Fragen? Ich will nur noch einmal darauf hinweisen, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass die Regierungsbefragung wie folgt abläuft:

Wenn die SPD-Fraktion eine Frage gestellt hat, kann als Nächstes die CDU eine Frage stellen. Wenn sie keine Frage stellt, geht das Fragerecht weiter an die Grünen. Wenn sie keine Frage stellen, kommt die FDP/DVP an die Reihe. Dann kommt wieder die SPD an die Reihe. Deswegen müssen Sie nicht aufgeregt werden. Jeder kommt dran. Man kann sich auch mehrfach melden.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Kommt die Frau Krueger jetzt dran?)

Das ist ein Unterschied zur Fragestunde. Derselbe Abgeordnete kann sich bei der Regierungsbefragung mehrfach hintereinander für seine Fraktion melden. Dies wollte ich noch einmal zum Sachstand klären.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Kommt die Frau Krueger
jetzt dran?)

Jetzt erhält Frau Kollegin Krueger für die CDU-Fraktion das Wort.

Abg. Andrea Krueger CDU: Vielen Dank, Herr Präsident. Ich denke, wir haben das Verfahren jetzt doch auch etwas besser verstanden.

(Abg. Werner Wölfle GRÜNE: Dann nehmen wir das!)

Herr Staatssekretär, ohne Zweifel ist es in der Bundesrepublik so, dass höchstrichterliche Rechtsprechung – also eben auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts oder auch des Bundesverwaltungsgerichts – in aller Regel als unmittelbares Recht gilt. Nun ist es zweifelsohne so, dass sich die Landesregierung von Baden-Württemberg selbstverständlich an Recht und Gesetz halten muss und halten wird. Gehe ich dennoch recht in der Annahme, dass Sie die Gespräche mit den Kirchen in Baden-Württemberg dazu nutzen werden, Anhaltspunkte zu finden, um das Verfahren an dieser Stelle noch einmal aufzurollen?

(Abg. Werner Wölfle GRÜNE: Das war jetzt sehr bemüht!
– Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Sehr diplomatisch!
– Abg. Peter Hofelich SPD: Das ist keine Regierungsbefragung,
sondern eine interfraktionelle Willensbildung!)

Stellv. Präsident Wolfgang Drexler: Herr Staatssekretär, bitte.

Staatssekretär Georg Wacker: Frau Kollegin Krueger, wenn wir Gespräche mit Partnern der Landesregierung führen – die Kirchen in Baden-Württemberg sind in wichtigen politischen Fragen wichtige, unverzichtbare Partner –, dann ist es ein guter Ton, dass man die Gespräche auf gleicher Augenhöhe führt und die Gesprächspartner auch ernst nimmt. Wenn ich sagen würde, wir führten dieses Gespräch mit den Kirchen in Baden-Württemberg, indem wir uns sozusagen in einer monologisierenden Rolle verstünden – sprich dass wir unsere Position zwar formulieren, aber nicht zuhören –, dann wäre das Gespräch nicht zweckmäßig. Wir werden sehr wohl das Gespräch auf gleicher Augenhöhe führen.

Ich sage noch einmal: Wenn der juristische Rat seitens der Kirchen zu Ergebnissen kommt, die uns darin beflügeln könnten, gegenüber den anderen 15 Bundesländern in Deutschland – das will ich noch einmal betonen: gegenüber den anderen 15 Bundesländern in Deutschland – eine andere Position einzunehmen, dann sind wir natürlich sehr gern – nicht nur gern, sondern sehr gern – bereit, zu einem anderen möglichen Ergebnis zu kommen.

(Beifall der Abg. Andrea Krueger CDU – Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Das wollen wir hören!)

Aber meine Aufgabe ist es, hier die Fakten darzulegen. Da lässt sich im Grunde auf das hochwertige Urteil des Bundesverfassungsgerichts verweisen. Es wäre falsch, wenn ich dies in diesem Zusammenhang nicht täte.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Dietmar Bachmann FDP/DVP – Zuruf des Abg. Franz Untersteller GRÜNE)

Stellv. Präsident Wolfgang Drexler: Eine weitere Nachfrage für die FDP/DVP-Fraktion, Herr Abg. Dr. Wetzel.

Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP: Herr Staatssekretär, gibt es überhaupt Anhaltspunkte, die einem Hoffnung machen könnten, dass das Bundesverfassungsgericht von der jetzigen Entscheidung abweicht und zu einem anderen Ergebnis kommt?

(Abg. Peter Hofelich SPD: Die Hoffnung stirbt zuletzt!)

Stellv. Präsident Wolfgang Drexler: Bitte, Herr Staatssekretär.

Staatssekretär Georg Wacker: Ich weiß nicht, inwieweit das Bundesverfassungsgericht – sprechen Sie darüber bitte auch mit Verfassungsrichtern – innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums nach umfassender Prüfung zu einem anderen Ergebnis kommt. Ich fühle mich auch nicht befugt, darüber eine Prognose, eine Bewertung abzugeben. Ich sage nur, dass das Bundesverfassungsgericht nach allen Kriterien einer Anerkennung die einzelnen Punkte geprüft hat. Ich habe eben auch zitiert, dass bezüglich des Verhältnisses zum Rechtsstaat zunächst einmal nach dem Verhalten und nicht nach dem Glauben zu urteilen ist. Das ist im Grunde die wichtige Abwägung, die das Bundesverfassungsgericht vornimmt, die Güterabwägung zwischen Religionsfreiheit und dem tatsächlichem Verhalten gegenüber einem demokratischen Rechtsstaat. Insofern werde ich keine Prognose darüber formulieren, ob das Bundesverfassungsgericht durch eine mögliche andere Klage zu einem anderen Ergebnis käme.

(Abg. Walter Heiler SPD: Dann könnten Sie es doch probieren!)

Stellv. Präsident Wolfgang Drexler: Weitere Fragen? – Für die SPD-Fraktion Herr Abg. Schmiedel.

Abg. Claus Schmiedel SPD: Herr Staatssekretär, wenn ich Sie jetzt richtig verstanden habe, sagen Sie uns, Sie hielten es für möglich, dass sich die Position der Landesregierung durch Gespräche mit der Kirche auf gleicher Augenhöhe ändert.

(Abg. Dr. Frank Mentrup SPD: Und zwar juristisch!)

Staatssekretär Georg Wacker: Sie müssen mir nur zuhören.

Abg. Claus Schmiedel SPD: Jetzt sprechen Sie mit Vertretern des Landtags hoffentlich auch auf gleicher Augenhöhe. Sie stehen aber den Argumenten unerschütterlich wie ein Fels gegenüber. Ist es richtig, dass Sie sich möglicherweise durch Gespräche mit der Kirche bekehren lassen, aber Gespräche mit Vertretern des Landtags völlig ohne Eindruck auf Sie sind?

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Natürlich bejahen!)

Stellv. Präsident Wolfgang Drexler: Herr Staatssekretär, bitte.

Staatssekretär Georg Wacker: Herr Kollege Schmiedel, Sie haben die Möglichkeit, einen parlamentarischen Antrag einzubringen und dann selbst auch diese Rechtsprüfung vorzunehmen, wie wir es seit zwei Jahren tun. Dann kann man gern bei gleichen Argumenten auch eine Güterabwägung vornehmen.

Sie haben vorhin gesagt, Sie seien erst vor Kurzem über diesen Sachverhalt informiert worden. Ich betrachte meine Stellungnahme als erste Unterrichtung dieses Parlaments seitens der Landesregierung. Ich habe in diesem Zusammenhang auch gesagt: Wenn die Kirchen, wie jeder andere im Land, eine Argumentationslinie vortragen, die einen völlig neuen Ermessensspielraum eröffnet, ist das natürlich mit einer neuen Prüfung verbunden.

Aber ich habe im gleichen Zusammenhang deutlich gemacht, dass uns das Bundesverfassungsgericht ganz klar aufgegeben hat – wie allen anderen Bundesländern auch –, dass die Prüfung der Rechtstreue ein ganz wichtiges Instrument der Genehmigung in diesem Fall ist, dies aber an den Einzelfällen, die ich eben zitiert habe, nicht festgemacht werden kann. Ob ein Mitglied der Glaubensgemeinschaft Zeugen Jehovas an die Massentaufe glaubt oder daran, dass es beispielsweise auch Persönlichkeiten gibt, die im Grunde im Sinne Jehovas den Glauben missionieren können, ist Bestandteil des individuellen Glaubensverhältnisses jedes einzelnen Gläubigen. Es steht dem Staat und auch dem Land Baden-Württemberg nicht zu, diesbezüglich eine Bewertung vorzunehmen. Deshalb können wir dieses Antragsverfahren auch nicht daran festmachen.

Stellv. Präsident Wolfgang Drexler: Für die CDU-Fraktion eine weitere Nachfrage des Herrn Abg. Hoffmann.

Abg. Andreas Hoffmann CDU: Herr Staatssekretär, ich glaube nicht, dass in diesem Hohen Haus ein Landtagsabgeordneter ist, der die Zeugen Jehovas als Körperschaft des öffentlichen Rechts sehen will – nicht ein einziger. Trotzdem muss ich noch einmal auf das Haftungsrisiko urückkommen. Sie haben sich vorhin zur Frage von der SPD, ob es ein Haftungsrisiko gebe, geäußert, und daran möchte ich noch eine Frage anschließen.

Wenn wir die Zeugen Jehovas als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkennen müssen, könnten die Zeugen Jehovas, wie andere Religionsgemeinschaften auch, daraus einen Anspruch ableiten, dass wir für sie Kirchensteuer erheben. Wenn dieser Anspruch erhoben würde und wir uns trotz eindeutigem Verfassungsgerichtsurteil dazu entschließen, erneut zu verweigern, könnte damit eventuell ein Haftungsanspruch für die entgangene Kirchensteuer verbunden sein. Teilen Sie diese Ansicht?

Stellv. Präsident Wolfgang Drexler: Bitte, Herr Staatssekretär.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Da wäre ich jetzt vorsichtig!)

Staatssekretär Georg Wacker: Wir wissen, dass mit der Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts gewisse Privilegien verbunden sind. Da gibt es zahlreiche Vergünstigungen und auch Befreiungen im Steuerrecht, die bekannt sind, und auch beim Kosten- und Gebührenrecht. Insofern: Wenn wir diese Anerkennung erteilen, gilt im Grunde für uns nach diesem Rechtsmaßstab auch die Gleichbehandlung der Religionsgemeinschaften. Das ist richtig. In diesem Fall ist es nicht nur eine formale Anerkennung, sondern auch die Erteilung von Privilegien. Deshalb ist es uns auch so schwergefallen, diesen Schritt zu gehen, weil wir es aus innerster Überzeugung eigentlich nicht als gerechtfertigt ansehen, diese Anerkennung auszusprechen. Aber der Kreis der Argumentation schließt sich. Es ist eine Notwendigkeit und letztlich nur eine Frage der Zeit, im Konvoi der anderen Bundesländer diesen Schritt zu gehen. Meines Erachtens ist dieser nach jetzigem Stand auch vernünftig.

Stellv. Präsident Wolfgang Drexler: Eine Zusatzfrage des Herrn Abg. Winkler von der SPD-Fraktion.

Abg. Alfred Winkler SPD: Herr Staatssekretär, liegen Ihnen Erkenntnisse darüber vor, wo und in welchem Umfang der Verfassungsschutz Untersuchungen bei dieser Religionsgemeinschaft hinsichtlich ihres repressiven Verhaltens bei Ausstiegswilligen durchgeführt hat?

(Zuruf von der CDU: Das ist Sache des Innenministers!)

Stellv. Präsident Wolfgang Drexler: Bitte, Herr Staatssekretär.

Staatssekretär Georg Wacker: Herr Kollege Winkler, ich kann nur noch einmal die Bedenken zitieren, die wir zusammen mit den anderen Bundesländern in diesen Abstimmungsprozess eingebracht haben. Deswegen waren Bayern, Thüringen und Baden-Württemberg zunächst auch kritisch. Ich möchte zwei Beispiele auflisten, die wir als Einzelfälle auch zu Protokoll gegeben haben, die aber letztlich auch nicht maßgebend für die höchstrichterliche Entscheidung sein können.

Beispielsweise verstarb im Jahr 2001 ein fast 17-jähriger krebskranker Jugendlicher, weil ihm seitens der Eltern eine Bluttransfusion verweigert wurde. Des Weiteren ist ein Fall einer Kindsmisshandlung bekannt, bei dem ein 17-jähriger Jugendlicher eingestehen musste, dass er als Neunjähriger misshandelt wurde, weil er sich gerade wegen der Anhängerschaft zur Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas aus der Familie absetzen wollte. Das sind zwei Fälle.

Darüber hinaus sind uns keine Verfassungsverstöße der Zeugen Jehovas bekannt, die wir auch ins Feld hätten führen können. Ich sage noch einmal: Wenn wir handfeste Beispiele in der Hand hätten, um damit die Anerkennung zu umgehen, hätten wir sie im Zuge dieses Abstimmungsprozesses vorgebracht. Dies hätten im Übrigen auch die anderen Bundesländer getan. Das hat auch der Konsultationsprozess in den letzten Jahren ergeben.

Stellv. Präsident Wolfgang Drexler: Eine weitere Zusatzfrage, und zwar von Herrn Abg. Dr. Löffler CDU.

Abg. Dr. Reinhard Löffler CDU: Herr Staatssekretär, die Kriterien, die das Bundesverfassungsgericht zur Anerkennung von Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts aufgestellt hat, sind Kriterien, die das Gericht selbst festgelegt hat. Sie finden sich weder im Grundgesetz, noch finden sie sich in der Weimarer Reichsverfassung.

(Zuruf des Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP)

Wir sind noch nicht so weit, dass die Gerichte – auch nicht das Bundesverfassungsgericht – solche Regelungen festlegen können, wenn das Parlament bzw. die Parlamente solche Bestimmungen aufstellen können. Warum werden wir nicht im Rahmen bundesgesetzlicher Tätigkeit aktiv, um die Frage der körperschaftlichen Anerkennung zu regeln?

Befürchten Sie nicht, dass, wenn dieser Dammbruch mit den Zeugen Jehovas da ist, der nächste Dammbruch mit der Scientology Church vor der Tür steht und wir dann auch dagegen keine Verteidigungsmöglichkeit mehr haben?

(Beifall bei der SPD, den Grünen und der FDP/DVP sowie Abgeordneten der CDU – Abg. Sabine Fohler SPD: So ist es!)

Stellv. Präsident Wolfgang Drexler: Bitte, Herr Staatssekretär.

Staatssekretär Georg Wacker: Es ist natürlich eine Sache des Parlaments, diesbezüglich initiativ zu werden. Aber gestatten Sie mir, Herr Kollege Löffler, dass ich noch einmal in Gänze – das ist in diesem Zusammenhang vielleicht auch wichtig – zumindest die entscheidende Passage des Leitsatzes des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Dezember 2000 zitiere. Wenn Sie gestatten, tue ich das gern:

Eine Religionsgemeinschaft, die Körperschaft des öffentlichen Rechts werden will …, muss rechtstreu sein.
a) Sie muss die Gewähr dafür bieten, dass sie das geltende Recht beachten, insbesondere die ihr übertragene Hoheitsgewalt nur in Einklang mit den verfassungsrechtlichen und sonstigen gesetzlichen Bindungen ausüben wird.
b) Sie muss außerdem die Gewähr dafür bieten, dass ihr künftiges Verhalten die in Artikel 79 Abs. 3 GG umschriebenen fundamentalen Verfassungsprinzipien, die dem staatlichen Schutz anvertrauten Grundrechte Dritter sowie die Grundprinzipien des freiheitlichen Religions- und Staatskirchenrechts des Grundgesetzes nicht gefährdet.

Der letzte Punkt, aus dem ich eben schon zitiert habe – das ist mit der entscheidende Punkt –, lautet:

Eine darüber hinausgehende Loyalität zum Staat verlangt das Grundgesetz nicht. … Ob einer antragstellenden Religionsgemeinschaft der Körperschaftsstatus zu versagen ist, richtet sich – nach den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts – nicht nach ihrem Glauben, sondern nach ihrem Verhalten.

… Allerdings stellt nicht jeder einzelne Verstoß gegen Recht und Gesetz ...

Ich wiederhole diesen Satz:

Allerdings stellt nicht jeder einzelne Verstoß gegen Recht und Gesetz die Gewähr rechtstreuen Verhaltens infrage. Nach diesem Passus muss man sich sehr wohl überlegen, ob man als Gesetzgeber hier in eine andere Richtung gehen möchte. Als Gesetzgeber gegen das Bundesverfassungsgericht vorzugehen betrachte ich an dieser Stelle auch als problematisch.

Stellv. Präsident Wolfgang Drexler: Eine Zusatzfrage der Frau Kollegin Rastätter von der Fraktion GRÜNE.

Abg. Renate Rastätter GRÜNE: Herr Staatssekretär Wacker, wenn die Zeugen Jehovas als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt würden, hätten sie auch einen Rechtsanspruch auf Religionsunterricht an unseren Schulen. Sehen Sie nicht das Problem, dass dabei die Inhalte, die gerade mit Blick auf Aufrufe, nicht wählen zu gehen, wie sie Kollege Kretschmann erwähnt hat, in einem erklärten Widerspruch zu den Bildungs- und Erziehungszielen unserer Schulen stünden und dass auch dieses Problem, das dann entstünde, doch eher dafür sprechen würde, dieses Risiko eines Prozesses einmal exemplarisch in Baden-Württemberg auch mit Blick auf die anderen Bundesländer in Kauf zu nehmen angesichts dieser Folgen, die mit Sicherheit von niemandem hier in diesem Haus für die betroffenen Kinder und für die Schulen gewünscht sein können?

Stellv. Präsident Wolfgang Drexler: Herr Staatssekretär Wacker.

Staatssekretär Georg Wacker: Sie wissen, Frau Kollegin Rastätter, dass die Erlaubnis zur Erteilung des Religionsunterrichts nicht so ohne Weiteres zu bekommen ist. Sie wissen auch, dass wir gerade im Zusammenhang mit dem islamischen Religionsunterricht festgestellt haben, dass es für den Antragsteller viele Hürden gibt, und vor allem natürlich, dass die Rechtsstaatstreue in diesem Zusammenhang genau zu hinterfragen ist. Selbst wenn den Zeugen Jehovas der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts erteilt wird, ist das noch nicht automatisch ein Freibrief, der zur Erteilung des Religionsunterrichts hier in Baden-Württemberg führen kann.

(Beifall des Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP – Abg. Renate Rastätter GRÜNE: Nicht automatisch!)

Eine zweite Bemerkung, Frau Kollegin Rastätter: Im Zuge des sehr langen Gerichtsprozesses in Berlin mit dem am Ende erfolgten Urteil des Bundesverfassungsgerichts wurde der Wunsch zur Erteilung des Religionsunterrichts seitens der Zeugen Jehovas nicht thematisiert. In diesem Zusammenhang ist dieser Wunsch nicht geltend gemacht worden.

(Abg. Sabine Fohler SPD: Der kann ja noch kommen!)

Stellv. Präsident Wolfgang Drexler: Weitere Zusatzfrage, Herr Abg. Bachmann für die FDP/DVP-Fraktion.

Abg. Dietmar Bachmann FDP/DVP: Herr Staatssekretär, anschließend an die Frage des Kollegen Löffler möchte ich, da ja das Bundesverfassungsgericht das Grundgesetz nur auslegt, fragen: Haben Sie denn mit den anderen Ländern – wenn ich auf die breiten Mehrheiten hier im Haus sehe – darüber nachgedacht, an dieser Stelle möglicherweise eine Rechtsänderung vorzunehmen?

Stellv. Präsident Wolfgang Drexler: Bitte, Herr Staatssekretär.

Staatssekretär Georg Wacker: Der Weg einer Rechtsänderung ist natürlich sehr gewissenhaft geprüft worden,

(Abg. Dietmar Bachmann FDP/DVP: Im Grundgesetz!)

weil, wie ich gesagt habe, Herr Kollege, die wenigsten Bundesländer diesen Weg als Automatismus verstanden haben.

Ich sage noch einmal, dass es seit 2006 einen sehr intensiven Abstimmungsprozess zwischen allen Bundesländern gab und dass seit der Antragstellung in Baden-Württemberg im Jahr 2007 auch noch kein Freibrief erteilt wurde, sondern dass die Phase bis heute als ganz entscheidende Prüfungsphase genutzt wurde. In diesem Zusammenhang hat natürlich auch die Abwägung stattgefunden, ob es nicht neben der Anerkennung auch noch andere Möglichkeiten gibt, diese Situation zu umgehen. Ich denke, hier auch für die meisten anderen Bundesländer sprechen zu dürfen, die diesen Schritt auch nicht aus freiem Herzen und nicht aus gutem Willen gegenüber dieser Sekte unternehmen.

Stellv. Präsident Wolfgang Drexler: Weitere Zusatzfrage – es wird die letzte sein –, Herr Abg. Dr. Mentrup für die SPD-Fraktion.

Abg. Dr. Frank Mentrup SPD: Herr Staatssekretär, Sie hatten die Muslime und dabei den Religionsunterricht ins Feld geführt. Nun sind die Muslime aber noch nicht als Religionsgemeinschaft anerkannt. Insofern wiederhole ich die Frage – Sie können das ja nachholen –, inwieweit da nicht auch die Verpflichtung unsererseits bestünde, die Schulen für Religionsunterricht zu öffnen, inwieweit es nicht die Verpflichtung gäbe, hier auch Kirchensteuer einzuziehen, und inwieweit wir damit nicht auch unter den Druck geraten, einen Staatsvertrag abschließen zu müssen. Ich denke, das sind alles Argumente, die der Initiative von Herrn Dr. Löffler vielleicht noch einmal Munition geben sollten, hier einen anderen Weg zu gehen.

Stellv. Präsident Wolfgang Drexler: Bitte, Herr Staatssekretär.

Staatssekretär Georg Wacker: Die Erteilung des Religionsunterrichts ist natürlich an Hürden und feste Prinzipien gebunden, und im Falle eines solchen Antrags muss genau diese Prüfung vorgenommen werden, auch wenn die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts vollzogen wurde. Insofern sehe ich da keinen Automatismus. In diesem Falle würden wir natürlich sehr intensiv jeden Prüfungsweg nutzen, um diesen Prozess kritisch zu begleiten. Ob wir am Ende rechtlich dazu verpflichtet wären, weiß ich nicht. Aber, wie gesagt, in jedem Fall wird ein solcher Vorstoß auch geprüft werden.

(Abg. Renate Rastätter GRÜNE: Die können Religionsunterricht einklagen!)

Stellv. Präsident Wolfgang Drexler: Liebe Kolleginnen und Kollegen, es liegen weitere Wortmeldungen vor. Aber die Regierungsbefragung ist auf genau 60 Minuten begrenzt. Insofern muss ich die Regierungsbefragung jetzt abbrechen. Vielen Dank, Herr Staatssekretär.

(Beifall bei der CDU und der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)

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