Montag, 9. Mai 2011
Opium Crack für das Volk
Dem Historiker Stephen Henry Roberts wird folgendes Zitat zugeschrieben, dass sich an Menschen wendet, die an einen Gott glauben:
Ich behaupte, dass wir beide Atheisten sind. Ich glaube nur an einen Gott weniger als Sie. Wenn Sie vernünftige Gründe nennen könnten, warum Sie all die anderen möglichen Götter ablehnen, würden Sie auch verstehen, warum ich Ihren ablehne
Atheisten scheinen dieses Zitat zu mögen, wenn man sich anschaut, wie oft es in Blogs erscheint (Beispiele hier, hier, hier und hier).

Und auf einer deutschen Webseite finde ich folgende Formulierung:
Ein Atheist glaubt nur (bei tausenden von Göttern) an einen einzigen Gott weniger als der Theist, was bedeutet, dass der Theist ebenso ein "Gottesleugner" ist wie der Atheist, jedenfalls bei nahezu allen Göttern mit einer Ausnahme.

Wenn der Theist dem Atheisten das Recht bestreitet, an einen (seinen) Gott nicht zu glauben, dann bestreitet er sich selbst das Recht, an die anderen Götter nicht zu glauben.
Auch R. Dawkins benutzt diese Argumentation in seinem Buch "Der Gotteswahn" (S. 77):
Nach meiner Erfahrung ist es eine amüsante Strategie, wenn ich auf die Frage, ob ich Atheist sei, darauf hinweise, dass der Fragesteller ebenfalls Atheist ist, nämlich in Bezug auf Zeus, Apollo, Amon Ra, Mithras, Baal, Thor, Wotan, das Goldene Kalb oder das fliegende Spaghettimonster. Ich bin einfach schon einen Gott weiter.
Ich will einmal die Logik hinter dem Zitat etwas beleuchten.

Zu erst einmal fällt mir auf, dass es sich nicht um ein (vollständiges) Argument handelt. Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der (gottgläubige) Leser ein Teil des Arguments ergänzen muss, nämlich ein Argument liefern muss, warum er verschiedene Götter ablehnt. Durch die Formulierung wird dem gläubigen Leser aber bereits die Fähigkeit abgesprochen, seinen eigenen Glauben zu begründen; und sollte er wider Erwarten doch in der Lage sein, seinen eigenen Glauben zu begründen, dann lautet die Behauptung, dass jedes seiner Argumente in ein Argument gegen jeglichen Glauben verwandelt werden kann, der Gottesglaube also in sich unlogisch ist (und implizit alle Gottgläubigen daher Trottel).

Wie soll dieses Argument funktionieren? Es wird davon ausgegangen, dass der Gottgläubige sich vorher keine tiefgehenden Gedanken gemacht hat, warum er gerade an diesen Gott glaubt und alle anderen ablehnt. Das ist auch nicht allzu weit von der Realität entfernt, da die überwiegende Mehrheit aller Gläubigen ihren Glauben als Tradition im Elternhaus oder dem Religionsunterricht übernommen hat. Daher lautet die durchschnittliche Antwort auf die Frage: "warum glaubst du nicht an Anoia, die Göttin der Dinge, die in Schubladen klemmen?": "weil es sie nicht gibt!"

Aber wenn der Gläubige diese Antwort auf der Zunge hat, dann fällt ihm auf, dass dann die Antwort zurück kommt: "Und aus dem selben Grund glaube ich nicht an deinen Gott!" Den meisten Gläubigen wird in einer solchen Situation dann bewusst, dass die Eltern, der Religionslehrer, der Pfarrer oder Rabbi nie erklärt haben, woher wir denn wissen, dass es einen Gott gibt. Und das gibt ein ganz hässliches Gefühl, das kognitive Dissonanz genannt wird. Dieses Gefühl resultiert daraus, dass man sein Selbstbild ("ich bin ein vernünftiger Mensch") und sein Handeln ("ich glaube an Gott ohne dafür einen Grund zu haben") nicht mehr gleichzeitig aufrecht erhalten kann.

In dieser Lage reagieren die Menschen unterschiedlich. Einige geben den Glauben an Gott auf, und meinen, sich weiter für vernünftige Menschen halten zu können (ob das gerechtfertigt ist, ist natürlich eine andere Frage). Andere geben die Vernunft auf ("Glauben kann man halt nicht beweisen") und werden dann zum Spottobjekt der Atheisten.

Atheisten scheinen gemerkt zu haben, dass diese Form des "Argumentierens" erfolgreich ist; daher finden wir dieses "Argument" jetzt auch in anderen Formen: es werden lächerliche Karikaturen des Glaubens "gepredigt" wie z.B. fliegende Spaghettimonster oder unsichtbare rosafarbene Einhörner, immer mit der (impliziten) Herausforderung: "Sag du mir, dass du das lächerlich findest und du hast das Urteil über deinen eigenen Glauben gesprochen, der auf der gleichen Grundlage beruht wie diese lächerliche Karikatur, nämlich: 'jemand hat sich das halt ausgedacht'." Es wundert mich daher wenig, dass Gläubige sich selten bis gar nicht mit derartigen Herausforderungen beschäftigen. Entweder es ist ihnen peinlich oder sie wissen nicht, was sie sagen sollen oder sie fangen an zu zweifeln.

Und darin liegt der ganze Trick dieses "Arguments" (und der Grund, warum "Argument" hier in Anführungszeichen steht); es wird kein vernünftiger Grund geboten, dass man nicht an Gott glauben sollte, die Gründe an Gott zu glauben, werden nicht widerlegt; es wird einfach gezielt beim Gegenüber ein negatives Gefühl erzeugt in der Hoffnung, dass dieses Gefühl den Rest des "Argumentes" besorgt. Dabei kommt sich derjenige, der diese Technik verwendet dann auch noch meist "intellektuell überlegen" vor, da man sein Argument ja nie widerlegt und viele ("die auch intelligent sind") ja die eigene Sichtweise übernehmen.

Im Endeffekt handelt es nicht um ein Argument, sondern um eine Technik, das Denken anderer Menschen zu manipulieren. Diejenigen, die diese Technik verwenden sind sich nicht unbedingt dessen bewusst, was sie da tun, aber das macht es nicht besser. Wenn Menschen nicht zwischen vernünftigen Argumenten und Manipulation unterscheiden können, dann läuft etwas bei ihnen falsch, da sie anscheinend selber nicht wissen, wie man sinnvoll sein Gehirn benutzt. Wenn solche Leute dann noch ihre eigene intellektuelle Überlegenheit herauskehren, dann sind sie für mich schwer erträglich.

Und wenn sie doch wissen, was sie da tun, es aber trotzdem machen, dann darf ich mit Recht fragen, was für eine moralische Haltung dahinter steht? Ist es gerechtfertigt andere bewusst in die Irre zu führen, um ihnen meine Meinung unterzujubeln? Oder überschreitet man da nicht eine Grenze, hinter der man sich als ernst zu nehmender Diskussionspartner demontiert? Nicht unbedingt intellektuell, denn das Verfahren benötigt ja Intelligenz aber moralisch stellt man sich damit ins Abseits. Daher meine etwas spöttische Bezeichnung als "Crack für das Volk"

Dabei ist die Antwort für den Gläubigen auf dieses "Argument" einfach: man muss "einfach nur" wissen, warum man an Gott glaubt; man muss wissen, warum man genau an diesen Gott und keinen anderen glaubt. Dann kann man auf das entsprechende Argument folgende Antwort geben:
An meinen Gott glaube ich aus folgenden Gründen:.... (so viel Zeit habe ich heute nicht, um das auch noch hier auszubreiten) Andere Götter sind entweder eine verzerrte, verfälschte Darstellung dieses Gottes oder ihre Existenz ist mit dem (vernünftig begründeten) Glauben an den o.g. Gott nicht in Übereinstimmung zu bringen.
Schon funktioniert das "Argument" aus dem Zitat zu Anfang nicht mehr. Da mein Argument für die Nichtexistenz weiterer Götter darauf beruht, dass ich die Existenz (m)eines Gottes begründe, können diese Argumente ganz automatisch nicht mehr gegen die Existenz dieses Gottes verwendet werden. Ansonsten bekäme man ein Argument der Form: "Ich glaube nicht an deinen Gott X, da du folgende Gründe angibst, an Gott X zu glauben". Der Satz zeigt die inhaltliche Leere des "Argumentes" (in Fachkreisen heißt das: non sequitur) und zeigt die schön die Sinnlosigkeit des "Argumentes".

Das einzige, was bleibt ist daran zu denken, vernünftige Gründe für den eigenen Glauben an Gott zu haben.

...1891 x aufgerufen