Donnerstag, 12. Mai 2011
Wissenschaftler sind auch nur Menschen
Warum nur bin ich so wissenschaftsfeindlich? Ich lehne die Grundlagen der Evolutionstheorie ab und schäme mich nicht einmal. Was ist bei mir falsch gelaufen?

Eigentlich eine sehr einfache Sache: Ich bin irgendwann auf den Trichter gekommen, dass man unterscheiden muss zwischen Meinungen und Argumenten, und das genauso bei Wissenschaftlern wie bei meinem Nachbarn. Argumente kann man prüfen (sogar wenn ich kein Experte bin!), da sie den Gesetzen der Logik folgen, die jedem Menschen (wehr oder weniger) zugänglich sind. Meinungen muss man schlucken, da ein Experte (Trommelwirbel!) es so sagt. Und ich versuche zumindest, nicht einfach Meinungen zu übernehmen, sondern nach Argumenten Ausschau zu halten, und diese dann im Rahmen des möglichen zu prüfen. Wenn ich mir dann die Argumente ansehe, die Experten für die Evolution oder in Bezug auf die Evolution geben, dann kann ich auf ihre Meinung danach häufig verzichten.1

Ein Beispiel

Fast jeder kennt folgenden "Beweis" dafür, dass die Evolution eine Tatsache ist (hier wird beschrieben, wie der Paläontologe Niles Elredge diese Meinung mit etwas anderen Worten verbreitet):
Die Evolutionstheorie sagt voraus, dass Lebewesen umso ähnlicher sind, je näher sie miteinander verwandt sind. Genau das ist es, was Biologen bei Untersuchungen immer wieder bestätigen.
Es hat den Anschein, dass viele dieses Argument so annehmen. Ich kann mich erinnern, dies auch so ähnlich (in grauer Vorzeit) in meinem Schulbuch gelesen zu haben. Dabei scheint niemand mitzukriegen, dass dieses "Argument" überhaupt nicht funktionieren kann. Der Grund dafür ist ein einfacher Zirkelschluss, den man aber erst dann sehen kann, wenn man das "Argument" systematisch auseinander nimmt, was ich jetzt tun will.

Auf den ersten Blick scheint das "Argument" schlüssig zu sein: Die Evolutionstheorie macht eine Vorhersage und diese Vorhersage kann anhand von Beobachtungen geprüft werden. Und alle Beobachtungen passen zur Vorhersage. Das hört sich genau so an, wie geforscht werden soll. Und genau deswegen scheint auch kaum jemand an dieser Stelle weiter zu denken.

Die erste Frage, die ich daher stelle, ist einfach zu beantworten: Wie stelle ich Ähnlichkeit fest? Ganz einfach indem ich zwei Dinge vergleiche. Natürlich brauche ich einen Maßstab zum Vergleichen, aber Wissenschaftler sind in der Lage so einen Maßstab aufzustellen. Z.B. kann man Proteine vergleichen, indem man die Unterschiede in den Aminosäuren zählt und die räumliche Struktur vergleicht. Hier vertraue ich den Biologen genauso wie der Durchschnittsbürger.

Schwieriger wird es bei der zweiten Frage (nicht weil die Antwort schwer zu finden ist, sondern wegen der Folgen): Woher weiß ich, wie verwandt zwei Lebewesen sind? Hierauf gibt es eine ebenfalls eine einfache Antwort: Je ähnlicher zwei Lebewesen sind, desto näher sind sie miteinander verwandt. "Verwandtschaft" wird also über "Ähnlichkeit" definiert.

Na und?

Ja eben! Ich will das Problem anhand folgendes Beispieles erläutern. Die Theorie lautet: Alle Autos sind VWs. Woran erkenne ich ein Auto? Einfach, es hat vier Räder, eine Karosserie und einen Motor. Und woran erkenne ich einen VW? Ganz einfach: Ein VW hat vier Räder, eine Karosserie und einen Motor. Du kannst das selber prüfen. Alle Autos sind VWs nach dieser Definition.

Nun wissen wir natürlich, dass das Unsinn ist: jeder hat schon einen Toyota, einen Opel oder einen BMW gesehen. Die Frage lautet daher: Wo hat die Logik versagt? Nun, wir haben die Eigenschaften "ist ein Auto" und "ist ein VW" gleich definiert, und haben damit eine garantierte 100%ige Übereinstimmung erhalten. Sobald wir die Eigenschaft "ist ein VW" unabhängig prüfen, stellen wir fest, dass dies nicht funktioniert.

Warum also funktioniert das Argument für gemeinsame Abstammung nicht? Aus dem gleichen Grund wie bei den VWs: solange "Verwandtschaft" über "Ähnlichkeit" definiert wird2, ist es garantiert, dass Verwandtschaft und Ähnlichkeit immer zusammenfallen unabhängig von der Theorie, die die Vorhersage macht. Jede Theorie, die die Vorhersage macht, dass verwandte Lebewesen ähnlich sind, würde bestätigt werden natürlich auch die Theorie, dass sie von einem Gott geschaffen wurden.

Um dieses Problem zu umgehen, müsste man erst einmal eine Möglichkeit haben, "Verwandtschaft" festzustellen, ohne sich dabei auf Ähnlichkeit zu verlassen. Aber wie soll das gehen? Beim Standesamt sind die Vorfahren und ihre Verwandtschaft nicht eingetragen. Und bei Fossilien können wir auch nur die Ähnlichkeit prüfen und nicht die Verwandtschaft. Da man das Problem nicht umgehen kann, bleibt nur ein Zirkelschluss übrig:

-Verwandte Lebewesen sind ähnlich
-Ähnliche Lebewesen sind verwandt

Wer das als Beweis ansieht, der darf dann auch die Meinungen übernehmen, die dahinter stehen.

Ein zweites Beispiel

Heute konnte ich in einer Zeitung nachlesen, warum wir immer beim zählen vier Striche senkrecht machen und den fünften waagerecht:
„In der Natur ist dieses rasche Erfassen kleiner Mengen unter Umständen lebenswichtig“, erklärt Hans Gross am Beispiel von Steinzeitmenschen: Stehen diese auf den Savannen Afrikas einer Gruppe Löwen gegenüber, müssen sie blitzschnell entscheiden. Gegen ein oder zwei Raubtiere hat man vielleicht eine Chance. Stehen aber vier oder mehr Großkatzen gegen einen, ist sicherlich das Erklimmen eines nahen Baumes die bessere Alternative. Mehr als vier Objekte braucht man also nicht genau einzuschätzen.
Ist das eine Erklärung? Auf den ersten Blick ja, aber auf den zweiten Blick gibt es hier jede Menge Probleme.

Das erste Problem besteht darin, dass die Aussage "etwas ist hilfreich beim Überleben" nicht bedeutet: "etwas hat sich entwickelt". So wäre es natürlich immer gut, wenn man fliegen könnte, aber z.B. der Tyrannosaurus Rex hat nie gelernt zu fliegen, obwohl ihm das sicher geholfen hätte, Nahrung zu finden3. Genauso in diesem Fall: bloß weil etwas hilfreich "beim überleben" sein könnte, bedeutet nicht, dass es unbedingt entstehen muss. Die Frage: "woher kommt diese Eigenschaft?" bleibt damit weiter bestehen.

Außerdem ist es eine Annahme, dass es beim "überleben hilfreich" ist, wenn man automatisch bis vier zählen kann. Ich kann mir das zwar vorstellen, aber das beweist nicht viel. Ich konnte mir auch eine Welt mit Hobbits vorstellen, ohne dass diese Realität wurde. Wie haben unsere o.g. steinzeitlichen "Vorfahren" denn gelernt, automatisch bis vier zu zählen? Nach dem Artikel dadurch, dass alle gefressen wurden, die nicht schnell genug zählten.

Das erklärt aber nicht, woher die Fähigkeit kommt; genau so gut hätte es ja auch sein können, dass niemand es lernte und die Löwen alle gefressen haben. Die eigentliche (wissenschaftliche) Frage ist doch: Welcher Mechanismus bewirkt, dass wir automatisch bis vier zählen können? Und woher konnte solch ein Mechanismus kommen? Die Antwort: "wer den Mechanismus nicht hatte, wurde gefressen" beantwortet diese Frage nicht genau so wenig, wie die Antwort: "Alle Tyrannosaurier, die nicht fliegen lernten, verhungerten" die Frage beantwortet, wo die Viecher ihre F-14-Bomber denn herbekamen4.

Selbst wenn wir aber genau wüssten, wie unser Körper es schafft, automatisch bis vier zu zählen, wissen wir damit noch nicht, welcher Selektionsdruck genau dafür sorgte, dass dieser Mechanismus bei allen Menschen wirkt. Vielleicht waren es ja nicht die Löwen, sondern die Fähigkeit automatisch zu erkennen, ob ich weniger Kartoffeln als mein Nachbar beim gemeinsamen Mittagessen bekomme? Vielleicht war es auch Nebenprodukt eines völlig anderen Vorgangs, von dem wir nichts wissen, z.B. der Fähigkeit Tyrannosauriern in Kampfflugzeugen auszuweichen.

Hier kann man ohne Ende herum spekulieren. Ganz egal, wie plausibel dem einzelnen irgend eine Spekulation nun vorkommt, keine ist irgendwie mit dem (völlig unbekannten) Mechanismus verbunden, der uns erlaubt ohne nachzudenken bis vier zu zählen. Diese Spekulationen sind lediglich mit der Frage verbunden: "wenn es solch einen Mechanismus denn gäbe, wozu könnte er denn gut sein". Mit anderen Worten, hier wird der Nutzen mit dem Ursprung verwechselt.

"Erklärungen" dieser Form sind heute weit verbreitet; man erklärt uns so, warum gähnend ansteckend ist, warum Mädchen mit Barbiepuppen spielen und warum sie rosa mögen5. Keine dieser "Erklärungen" sagt uns, wie genau die entsprechende Eigenschaft funktioniert oder entsteht. Alles, was man hört, ist: "X war aus dem Grunde Y zur Zeit Z hilfreich beim überleben, und darum machen wir es heute noch so".

Als wissenschaftliche Theorie ist so etwas ungeeignet. Aber als Erzählmuster ist es altbekannt: jede Menge Mythen entstanden auf genau diese Weise: sie erklärten einen Fakt, für den es keine genaue Erklärung gab, mit einer schönen Geschichte, die nicht überprüfbar ist. Dass heute allerdings kaum jemand feststellt, dass wir dieses Mythenschema als wissenschaftliche Erklärung vorgesetzt kriegen, ist erschreckend. Früher war den Leuten wenigstens bewusst, dass sie Mythen weiter gaben. Heute halten sie sie für wissenschaftlich erwiesene Tatsachen.
1Dabei fällt mir etwas auf, was auch anderswo bereits bekannt ist. In einem Zitat, dass Richard Feynman zugeschrieben wird heißt es (frei übersetzt):
Ich denke, dass ein [Natur]wissenschaftler, der sich mit Problemen außerhalb seines Fachbereichs beschäftigt, genau so dumm ist, wie jeder nächstbeste.
2 Dabei ist es unerheblich, ob wir uns die Ähnlichkeit von Fossilien ansehen, oder die Ähnlichkeit von Proteinen oder DNS-Sequenzen.

3 Glaubt diesem Blogger kein Wort! Natürlich konnten Tyrannosaurier fliegen! Siehe hier und hier.

4 Seht ihr, jetzt gibt er es zu!

5Wenn es vor 150 Jahren bereits diese Form der Erklärung gegeben hätte, dann hätte man allerdings erklärt, warum Jungen rosa mögen.

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