Freitag, 13. Mai 2011
Bremen: jetzt ist es amtlich, Zeugen Jehovas nicht anerkannt
Wie man hier im Weserkurier nachlesen kann, hat das Parlament des Landes Bremen den Antrag der Zeugen Jehovas auf Zweitanerkennung als K.d.ö.R. abgelehnt (genauer gesagt, sie haben den entsprechenden Gesetzesentwurf des Senats abgelehnt). Die Begründungen sind seit dem Bericht des Rechtsausschusses leider nicht besser geworden. Wenn man den Fall (wie ich) von Anfang an mitverfolgt hat, dann sind die klingen viele der zitierten Äußerungen wie blanker Hohn.
Als Gründe für Bedenken nannte Insa Peters-Rehwinkel unter anderem, dass die Zeugen Jehovas Bluttransfusionen in medizinischen Notfällen ablehnten. "Das sind Grundrechtsverletzungen, die Leib und Leben gefährden" – besonders bei Kindern.
Wie ich bereits detailliert erklärt habe, haben die "Experten" und die Ausschussmitglieder bei der Anhörung jede Menge Dinge durcheinandergeworfen (Jawoll! die Links enthalten jede Menge interessanter Zusatzinfos; also durchlesen!). Am wichtigsten dabei: Die höchsten Bundesgerichte haben bereits entschieden, dass es sich nicht um Grundrechtsverletzungen handelt.
Ein weiterer Punkt war die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern der Religionsgemeinschaft, die etwa durch Züchtigungen beeinträchtigt werde.
Wie hier bereits erklärt, hat der Rechtsausschuss ohne selber nachzudenken, ein vollkommen verzerrtes Bild von der Kindererziehung bei Zeugen Jehovas präsentiert bekommen. Und wie hier gezeigt, beruht dieses falsche Bild zumindest teilweise auf offensichtlichen absichtlichen Falschdarstellungen.
Dennoch gehe es hier nicht um ein Verbot der Gemeinschaft, betonte Insa Peters-Rehwinkel, sondern um die Frage, warum man diese besser nicht mit den Privilegien einer Körperschaft des öffentlichen Rechts ausstatte.
[...]
Frehe [...] kam zu dem Schluss: "Die Rechte aus der Religionsfreiheit, die für sie hier in Bremen gesichert sind, verwechseln sie mit den Privilegien einer Körperschaft des öffentlichen Rechts."
Hier zeigt sich zum einen, dass die Abgeordneten etwas grundlegendes nicht verstanden haben: Das BVerfG hat im Jahr 2000 entschieden, dass das Land Berlin die Grundrechte der Religionsgemeinschaft durch die Nicht-Anerkennung verletzt hat. Es handelt sich also nicht um ein "Privileg"; das BVerfG hat diese Meinung zurückgewiesen.

Und natürlich wissen die Abgeordneten, dass ihre Vorwürfe bzw. Gründe zwischen vollkommen falsch und vollkommen übertrieben rangieren; ansonsten hätten sie nämlich bereits einen Verbotsantrag stellen müssen. Es ist ihnen aber klar, dass sie damit nicht durchkämen. Daher ist der Verweis auf "kein Verbot" ein indirektes Eingeständnis dessen, dass man weiß, was man da tut.

Seltsam klingt auch folgender Vorwurf der CDU:
Eine freie Willensentscheidung in der Gruppe könne angezweifelt werden.
Angesichts dessen, dass die Abgeordneten keine der Personen angehört haben, die angeblich "keinen freien Willen" haben, kann man natürlich die erforderliche Objektivität der CDU-Vertreter anzweifeln. Hier wird Bürgern die Menschenwürde abgesprochen, ohne sie überhaupt anzuhören.
Sibylle Winther (CDU) machte dies fest am Umgang mit Abtrünnigen: Aussteiger würden gemieden. "Ich finde das unsäglich, wie da Familien und Ehen auseinandergerissen werden."
Auch hier wurden die so angeklagten nicht angehört, es wurde nicht geprüft, inwieweit und ob überhaupt die Religion etwas damit zu tun hatte etc. Und natürlich ist die Idee, Menschen, die sich scheiden lassen, hätten keine Möglichkeit zur freien Willensentscheidung, gelinde gesagt absurd.
Zahlreiche Abgeordnete äußerten sich vor der Abstimmung zu den, wie sie einstimmig betonten, intensiven Erörterungen in ihren jeweiligen Fraktionen. Insa Peters-Rehwinkel (SPD) hob den Aufwand hervor, mit dem man sich mit den Zeugen Jehovas auseinandergesetzt habe.[...]

Zur Ablehnung in ihrer Fraktion sagte Winther: "Wir haben uns diese Entscheidung nicht leicht gemacht."
Ein schönes Beispiel dafür, wie eine wahre Äußerung vollkommen in die Irre führen kann. Der wesentliche Teil des Aufwandes bestand darin, negative Äußerungen über Zeugen Jehovas zu sammeln und dann sicherzustellen, dass diese nicht objektiv geprüft werden können. Wenn der Rechtsausschuss auch nur ein Minimum an Zeit in eine objektive Prüfung der rechtlichen Grundlagen gesteckt hätte, wäre klar gewesen, dass der getriebene Aufwand im wesentlichen unnütz und kontraproduktiv war.
Bei der Anhörung der Zeugen Jehovas hätten sich einfach Zweifel an deren Rechtstreue ergeben, befand Horst Frehe von den Grünen. Er erteilte deren Vorwurf, man wolle sie stets nur verbieten, eine Absage. "Unsere Gerichte entscheiden immer im Einzelfall, etwa bei einem Sorgerechtsentzug."
Für mich ist es natürlich jetzt nicht möglich zu sagen, auf welche Äußerung von Zeugen Jehovas Herr Frehe sich hier bezieht. Allerdings denke ich, dass er eine Äußerung verzerrt oder komplett falsch dargestellt hat. Angesichts dessen, dass Zeugen Jehovas in zwölf Bundesländern anerkannt sind, wissen sie genau, dass dies nicht so ist und sagen es dann nach meiner Erfahrung auch nicht so. Aber natürlich kann man einzelne Äußerungen ohne Kontext zitieren, um den gegenteiligen Eindruck zu erzeugen und damit die andere Seite in ein schlechtes Licht zu rücken. Ich habe den Eindruck, dass dies hier geschehen ist. Dafür spricht der Verweis auf Sorgerechtsfälle vor Gericht (über die Zeugen Jehovas sich mit Sicherheit nicht beklagen, da sie hier im Gegensatz zum kommentierten Fall vor dem Bremer Parlament fair behandelt werden). Und natürlich wird auch in diesem Fall ein Gericht "im Einzelfall" entscheiden und im Gegensatz zum Rechtsausschuss dabei beide Seiten anhören.
Neben einer Anhörung von Vertretern der Religionsgemeinschaft habe man sich mit einer Stellungnahme des baden-württembergischen Justizministeriums beschäftigt.
Was die Abgeordneten hier vergessen: es handelte sich nicht um eine Anhörung von Zeugen Jehovas, sondern eine Anhörung von deren weltanschaulichen Gegnern, bei der Zeugen Jehovas daneben sitzen durften. Und die "fünf Minuten"1, die Zeugen Jehovas hatten, eine ganztägige Anhörung zu kommentieren, kann man nur mit Willen zur Übertreibung als Anhörung bezeichnen.

Zum Schluss noch ein Statement vom kirchenpolitischen Sprecher der Grünen, dass aber inhaltlich nichts neues bringt.

Wenn demnächst ein Protokoll der Plenarsitzuung erscheint, werde ich es hier dann auch veröffentlichen. Da derzeit noch Protokolle aus dem Februar fehlen, kann das noch eine Weile dauern.

Und damit zum aktuellen Stand der Anerkennung:
Stand der Anerkennung der Zeugen Jehovas, Stand 12.05.2011
grün: Zeugen Jehovas anerkannt
rot: Anerkennung abgelehnt
gelb: Entscheidung steht noch aus
blau: Klage eingereicht
(Stand 12.05.2011)
1 So wörtlich hier zu finden:
Zum Schluss durfte ZJ-Sprecher Cajus Glockentin fünf Minuten Stellung nehmen.

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