Montag, 23. Mai 2011
Staatsbürgerkunde: Warum ist in Bremen alles anders?
Vor kurzem hatte ich hier unvorsichtigerweise behauptet:
was passiert nach der Ablehnung des Gesetzesantrags zur Verleihung der Körperschaftsrechte an Zeugen Jehovas? Da die Religionsgemeinschaft ihren Antrag bei der Verwaltung stellte (wo sonst?), muss die Verwaltung den Antrag ablehnen. Welchen Rechtsbehelf haben Zeugen Jehovas? Gegen die Ablehnung des Antrags zu klagen hat wenig Sinn, da das Gericht aufgrund der Gesetzeslage nur entscheiden kann, dass Zeugen Jehovas nicht anerkannt sind.

[...]
Damit bliebe nur eine Verfassungsbeschwerde beim BVerfG übrig. Ich bin mir aber nicht sicher, ob das BVerfG nicht erst einen abgeschlossenen Verwaltungsgerichtsprozess verlangt.
Damit habe ich natürlich die Frage provoziert: Wieso muss in Bremen alles anders laufen als anderswo. Darum gibt es jetzt eine Stunde Staatsbürgerkunde mit Frollein hgp, also packt eure Bücher aus und seid still.

Gewaltenteilung

Wir wollen zu erst einmal ein grundlegendes Verfassungsprinzip wiederholen: Die Gewaltenteilung. Danach ist der Staat (theoretisch) in drei verschiedene Gewalten geteilt, die sich gegenseitig kontrollieren (praktisch funktioniert das nicht immer so, wie es soll; aber das ist ein anderes Thema). Die erste Gewalt ist die Legislative, also das Parlament, dass die Aufgabe hat, Gesetze zu erlassen und die Regierung zu kontrollieren. Die zweite Gewalt ist die Exekutive, die Regierung und die von ihr gesteuerten Behörden, die die alltägliche Arbeit des Staates durchführen (hoffentlich nach den Gesetzen). Die dritte Gewalt, die Judikative, besteht aus den (mehr oder weniger) unabhängigen Gerichten. Hierbei kontrollieren die Verwaltungsgerichte (im wesentlichen) die Verwaltungsakte einzelner Behörden.

Wenn in Deutschland ein Bürger (oder eine Religionsgemeinschaft) bei einer Behörde einen Antrag stellt, wird dieser entweder genehmigt oder nicht. Und wenn dem einzelnen die Entscheidung nicht passt, kann er dagegen beim Verwaltungsgericht klagen (bei 08/15-Verwaltungsakten wie deiner Steuererklärung wird noch ein Widerspruchsverfahren dazwischen geschaltet, damit die Richter nicht von einer endlosen Zahl trivialer Verfahren erdrückt werden).

In vierzehn Bundesländern ist die Entscheidung, einer Religion den Körperschaftsstatus zu verleihen, Sache einer Behörde, die darüber mit einem Verwaltungsakt entscheidet. Und wenn der Antrag (wie in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz sowie vor zwanzig Jahren in Berlin) abgelehnt wird, dann kann die Religionsgemeinschaft dagegen vor einem Verwaltungsgericht klagen, ähnlich wie du und ich gegen einen Strafzettel wegen Falschparkens1 klagen könnten. Das Verfahren in Berlin hat uns einmal den kompletten Ablauf eines solchen Verfahrens beispielhaft vorgeführt.2

Und Bremen?

Während wir intuitiv den Antrag auf Verleihung der Körperschaftsrechte als Verwaltungsakt empfinden und daher den Gang zum Verwaltungsgericht als normal verstehen, funktioniert das in Bremen ganz anders; die Bremer Verfassung besagt:
Weltanschauungsgemeinschaften kann durch Gesetz die gleiche Rechtsstellung verliehen werden, wenn sie durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten.
Der wichtige Ausdruck lautet hier "durch Gesetz". In Bremen entscheidet also nicht eine Behörde oder die Regierung über den Antrag, sondern das Parlament muss (kann!) ein Gesetz erlassen. Und wenn ein Parlament sich weigert, ein bestimmtes Gesetz zu erlassen, dann ist das einfach kein Verwaltungsakt, den ein Verwaltungsgericht prüfen kann. Kein Verwaltungsgericht hat die Kompetenz, die Gesetzgebung eines Parlamentes an sich zu prüfen. Daher kann die Entscheidung des Bremer Parlamentes nicht vor einem Verwaltungsgericht angefochten werden.

Was die Zeugen Jehovas hier gerichtlich überprüfen lassen wollen, ist ein in der Geschichte der Bundesrepublik Deuschland wahrscheinlich einmaliger Vorgang: Da Anträge auf Verleihung des Körperschaftsstatus sehr selten vorkommen und normalerweise angenommen werden, ist es wahrscheinlich, dass in Bremen (oder NRW, dem anderen Land mit vergleichbarer Regelung) noch nie ein entsprechender Antrag unter derart umstrittenen Umständen abgelehnt wurde. Die Religionsgemeinschaft muss jetzt darauf klagen, dass das Parlament verpflichtet wird, ein bestimmtes Gesetz zu verabschieden. In meiner Erinnerung kann ich keinen vergleichbaren Fall finden, aber ich denke, dass die Experten gerade dabei sind, Präzedenzfälle auszubuddeln3. Die Preisfrage lautet nun: welches Gericht kann die Nichtexistenz eines Gesetzes auf Verfassungsmäßigkeit überprüfen? Hier bleibt wahrscheinlich nur das BVerfG übrig.

Das "kann" im obigen Artikel der Bremer Verfassung bedeutet nichts weiter, als dass eine Religion nach dem Bremer Verfassungsrecht keinen Anspruch auf ein derartiges Gesetz hat. Das BVerfG hat natürlich klar gestellt, dass das Grundgesetz einen derartigen Anspruch zur Verfügung stellt. Das Bremer Parlament muss natürlich das Grundgesetz beachten und kann sich nicht auf die abweichende Bremer Verfassung berufen.

Und damit beenden wir diese Unterrichtsstunde. Oder hat noch jemand eine Frage?....
1 Natürlich bekomme ich niemals derartige Strafzettel, daher ist das jetzt rein theoretisch:o)

2 Könnte die letzte Reihe wieder aufhören zu schwatzen und sich auf den Unterricht konzentrieren? Danke!

3 Hierin ähneln Präzedenzfälle alten Knochen und Experten Hasso.

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