Montag, 11. Juli 2011
[update] Sollten Zeugen Jehovas den Körperschaftsstatus anstreben?
Im Internet wird aus den verschiedensten Gründen kritisiert, dass Zeugen Jehovas in Deutschland eine Körperschaft des öffentlichen Rechts geworden sind. Einige dieser Kritiken unterstellen, dass Zeugen Jehovas mit dem entsprechenden Antrag gegen ihre eigene Glaubenslehre und ihre Prinzipien verstoßen haben bzw. diese "verbiegen". Damit würden Zeugen Jehovas automatisch ethisch verwerflich handeln, da sie etwas täten, was sie selber verurteilen.

Als Beispiel kann dieser Kommentar dienen, der auf diesem Blog gemacht wurde:
Warum wollen die ZJ einen Pakt mit dem gegenwärtigen System der Dinge eingehen?
Ist diese Welt nicht beherscht von Satan und seinen dämonischen Anhängern?
Der (unausgesprochene) Vorwurf unseres Komentators lautet: Zeugen Jehovas verurteilen jeden (unnötigen) Kontakt mit "Welt" und daher dürften sie keine Körperschaft des öffentlichen Rechts werden, da sie hierdurch genau mit den Mächten einen "Pakt" abschließen, die sie als "dämonisch" ansehen.

Stimmt das denn? Zeugen Jehovas gründen ihr Verhältnis zum Staat und der Gesellschaft auf ihr Verständnis der Bibel. Hier will ich nicht darauf eingehen, ob dieses Verständnis "richtig" ist; dies ist für die vorliegende Frage unerheblich. Wichtig ist, ob sie selber gegen ihre eigene Lehre verstoßen bzw. diese Lehre einfach mal den eigenen Vorstellungen anpassen.

Damit lautet die Frage zuerst einmal, lehnen denn Zeugen Jehovas jeden Kontakt zum Staat ab? Hierzu gründen Zeugen Jehovas ihre Glaubenslehre auf Texte wie z.B. Titus 3,1 und 1.Petrus 2,13f (zitiert nach der NGÜ):
Erinnere die Gläubigen daran, sich der Regierung und den Behörden unterzuordnen, ´ihren Befehlen` Folge zu leisten und jederzeit bereit zu sein, Gutes zu tun.
Ordnet euch um des Herrn willen allen Institutionen unter, die in dieser Welt Macht ausüben – sowohl dem Kaiser, der das höchste Amt bekleidet, als auch den Gouverneuren, die von ihm eingesetzt sind und deren Auftrag es ist, die Übeltäter zur Rechenschaft zu ziehen und denen die Anerkennung auszusprechen, die tun, was gut und richtig ist.
Aus diesen Texten leiten Zeugen Jehovas nun ab, dass sie verpflichtet sind, mit dem Staat Kontakt zu haben und mit ihm zusammenzuarbeiten, da dies "um des Herrn willen" geschieht. Da sie ihre Religionsausübung als "gutes Werk" im Sinne des o.g. Textes ansehen, haben sie keine Probleme damit, sich um die Anerkennung des Staates hierfür zu bemühen; dies kann z.B. in Form einer rechtlichen Registrierung erfolgen. Damit sehen sie kein prinzipielles Hindernis, sich als K.d.ö.R. anerkennen zu lassen. Sie haben auch keinerlei Probleme damit, ihre Rechte gerichtlich einzufordern. Bereits im Jahr 1884 haben Zeugen Jehovas (in den USA) eine staatliche Registrierung vorgenommen und 1921 dann auch in Deutschland. Das allein zeigt, dass sie zeit ihres Bestehens keinerlei grundsätzliche Probleme damit haben, einen rechtlichen Status für ihre Religionsgemeinschaft zu beantragen. An dieser Ansicht hat sich nichts geändert, seit es Zeugen Jehovas gibt.

Probleme haben Zeugen Jehovas natürlich damit, wenn die Zusammenarbeit mit dem Staat zu eng wird. Sie sind der Überzeugung, dass der Staat keine Kontrolle über ihre Religionsausübung und Glaubenslehre haben darf, dass sie selber keine politische Macht bzw. Einfluss ausüben sollten, sie sich aus politischen und gesellschaftlichen Konflikten heraus halten müssen und keine nationalistischen Rituale ausüben können, um einige wesentliche Beispiele zu nennen.

Müssten sie dies denn, wenn sie den Körperschaftsstatus haben? Das Bundesverfassungsgericht schreibt hierzu in seinem Urteil von 2000:
Das Wirken und der Status einer korporierten Religionsgemeinschaft bleiben, [...] von der grundrechtlichen Freiheit des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG geprägt. [...] Der Grundrechtsträger muss sein Handeln nicht an den Interessen des Staates orientieren.

Ob sie derartige Angebote [zur Zusammenarbeit mit dem Staat] annehmen oder Distanz zum Staat wahren möchten, bleibt ihrem religiösen Selbstverständnis überlassen.

Der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts ist ein Mittel zur Erleichterung und Entfaltung der Religionsfreiheit.

Der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts soll die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Religionsgemeinschaften unterstützen.
Der Körperschaftsstatus dient also der Unabhängigkeit der Religionsgemeinschaft vom Staat. Die Religionsgemeinschaft ist in keiner Weise dazu genötigt, mit dem Staat eng zusammenzuarbeiten und muss nicht die Interessen des Staates vertreten. Daher ist es offensichtlich Unsinn, das Erlangen des Körperschaftsstatus als "Pakt" zu bezeichnen. Es ist vielmehr eine Möglichkeit, eine gewünschte Staatsferne besser ausleben zu können.

So verringert der Körperschaftsstatus die Punkte, bei denen die Religionsgemeinschaft mit dem Staat zusammenarbeiten muss. Z.B. müssen Zeugen Jehovas keine Registrierungen nach dem Vereinsrecht mehr vornehmen und keine Anträge auf Gemeinnützigkeit stellen.

Auch die Realität zeigt, dass Zeugen Jehovas nicht enger mit dem Staat zusammenarbeiten als das nach ihrem Verständnis zulässig ist. Anders sind die Konflikte in Bezug auf den Körperschaftsstatus mit den Ländern Bremen, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz nicht möglich, wenn sie eng mit dem Staat auf politischer Ebene zusammenarbeiten würden.

Unser Kommentator meint weiter:
Um Religionsgemeinschaft zu sein benötigt man keinen Status der KdÖR.
Dieser Hinweis ist so richtig wie irrelevant. Genau so wie jeder sich die günstigste Steuerklasse auf seiner Lohnsteuerkarte eintragen lässt (oder ließ), spricht der gesunde Menschenverstand dafür, dass eine Religionsgemeinschaft den bestmöglichen Rechtsstatus für sich in Anspruch nimmt. Alles andere wäre widersinnig.

[edit]Ganz nebenbei zeigt der Kommentar, dass unser Kommentator das eigentliche Problem nicht verstanden hat. Ich will es daher anhand eines (hypothetischen) Beispiels erläutern:

Meinungsfreiheit ist ein Grundrecht. Um eine Meinung zu haben und zu äußern, benötigt man (theoretisch) keine technischen Hilfsmittel wie Medien irgendwelcher Art. Man kann einen Zettel ins Küchenfenster hängen und hoffen, dass alle sich vor dem Fenster aufstellen und lesen, was du ihnen mitteilen willst. Das ist zwar theoretisch so, aber praktisch ist es ohne Zugang zu Medien nicht möglich, seine Meinung frei zu äußern, da kaum einer mitkriegt, was man zu sagen hat. Wenn daher der Zugang zu Medien ein "Privileg" wäre, dann gäbe es in der Realität keine Meinungsfreiheit (obwohl jeder seine Meinung äußern darf!), da nur diejenigen mit dem "Privileg" des Medienzugangs ein effektives Mittel hätten, ihre Meinung zu äußern.

Genau das gleiche Problem besteht bei der Religionsfreiheit. Theoretisch kann man seine Religion vollkommen ohne staatliche Anerkennung und ohne irgendeinen Rechtsstatus ausleben. Aber praktisch vereinfacht der Körperschaftsstatus die organisierte Religionsausübung ungemein, da man seine Organisationsstrukturen ohne weiteres rechtlich "abbilden" kann. Dadurch kann die Organisation der Religionsausübung ungemein vereinfacht werden. Vieles, was mit dem Körperschaftsstatus einfach ist, ist ohne diesen nur erheblichem Mehraufwand zu haben, z.B. das Gründen neuer Versammlungen. Dies ist zwar nicht unmöglich, aber erfordert ohne den Körperschaftsstatus einen erheblichen Mehraufwand.

Daher hat der Gesetzgeben den Körperschaftsstatus geschaffen,genau um die organisierte Religionsausübung ohne große Probleme zu ermöglichen. Die Frage ist daher nicht: darf ich den Status in Anspruch nehmen, solange ich (mit sehr viel Zusatzaufwand) meine Religion auch ohne ausüben kann, sondern: warum sollte ich den Status nicht dafür in Anspruch nehmen, wozu er zur Verfügung gestellt wird, nämlich zur Vereinfachung der Religionsausübung? Auf diese Frage geht unser Kommentator nicht ein.[/edit]

Unser Kommentator sagt weiter:
Beim Status der KdÖR geht es ganz klar um Steuererleichterungen, Vereinfachung bei Bau und Kreditanträgen.
Hier gibt es zwei Probleme: das erste besteht darin, dass dies nichts Schlimmes ist und in keiner Weise der Glaubenslehre widerspricht. Zeugen Jehovas sind nicht gezwungen, sich das Leben aus Prinzip so schwer wie möglich zu machen. Sie müssen auch nicht auf vom Recht gewährte Steuervorteile und andere rechtliche Vereinfachungen freiwillig verzichten. Ganz nebenbei ist es unwahrscheinlich, dass sie erpicht auf Bankkredite sind.

Das zweite Problem ist: dieser "Vorwurf" gründet sich allein auf die Phantasie unseres Kommentators. Zeugen Jehovas selber behaupten, dass sie durch diesen Status ihre (vom Glauben diktierte) Organisationsform wesentlich leichter ausleben können. Woher er "klar" etwas anderes erkennt, bleibt sein Geheimnis.

Eine weitere angebliche Unredlichkeit der Zeugen Jehovas macht unser Kommentator hier aus:
Vor einigen Jahren war die Mitgliedschaft in einem Sportverein oder Chor verpönt, da sich ein ZJ von weltlicher Organisation fernhalten solle.
Natürlich:-) ist der Status der KdÖR was gaanz anderes.
Hier hat er (versehentlich?) etwas Richtiges gesagt: der Körperschaftsstatus einer Religionsgemeinschaft ist etwas anderes als Mitgliedschaft in einem Chor:o)

Aber im Ernst, die Gründe, warum Zeugen Jehovas ihren Mitgliedern von einer Vereinsmitgliedschaft abraten, kommen beim Körperschaftsstatus überhaupt nicht zum tragen. Diese Gründe sind im wesentlichen:
  • Das Ausleben christlicher Werte (nach dem Verständnis der Zeugen Jehovas) wird durch engen Kontakt mit Menschen erschwert, die diese Werte ablehnen
  • Die Zeit, die eine Vereinsmitgliedschaft erfordert, fehlt, wenn man sich auch noch als Christ betätigen will.
  • Einige Vereine drängen ihre Mitglieder zu religiösen oder politischen Ritualen, die mit dem Glauben der Zeugen Jehovas nicht vereinbar sind.
Wie man leicht erkennen kann, trifft keiner dieser Punkte auf den Körperschaftsstatus zu; statt Zeugen Jehovas daran zu hindern, ihr Verständnis des Christentum auszuleben, vereinfacht dieser Status dies sogar, da jede Menge Zeit und Geld für Verwaltungskram entfällt, die man sinnvoller anders verwenden kann. "Verpönt" ist übrigens ein Ausdruck, den Zeugen Jehovas so gut wie nie verwenden.

Nun zum letzten Kritikpunkt:
Vor einigen Jahren behaupteten die ZJ noch mit stolzer Brust, sie benötigen diesen Status nicht.
Natürlich gibt es keine Quelle, wo Zeugen Jehovas dies jemals gesagt hätten, aber unser Kommentator hat zumindest eine Äußerung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1962 vorgelegt, von der er (möglicherweise) meint, dass sie dies belegt:
Im Gegensatz zu ihrem Vorbringen in der Verfassungsbeschwerde, ihre Glaubensauffassung lasse es nicht zu, daß sie "bei einer weltlichen Instanz um die Verleihung eines Status nachsucht, der ihr Rechte gewährt, die die christliche Versammlung seit ihrem Beginn von Gott verliehen erhielt", hat die Beschwerdeführerin sich im Jahre 1921 vom Reichsrat den Status eines eingetragenen Vereins ausdrücklich anerkennen lassen.
Zum ersten sehen wir hier nirgendwo einen Hinweis darauf, dass Zeugen Jehovas sagen, sie würden den Körperschaftsstatus nicht benötigen, geschweige denn, dass es irgendwelche Hinweise auf Brüste oder deren Stolz gibt. Nebenbei belegt dieses Zitat natürlich, dass Zeugen Jehovas auch in Deutschland kein prinzipielles Problem mit staatlicher Anerkennung eines Rechtsstatus haben, da sie ja bereits 1921 einen beantragt hatten.

Stattdessen geht es hier um die Frage, ob der Antrag auf den Körperschaftsstatus eine staatliche Kontrolle über die Religionsausübung in Form einer staatlichen Genehmigung zur Religionsausübung beinhaltet (Vergleiche das Buch "Jehovas Zeugen - Verkündiger des Königreiches" auf S. 697f für einen Fall, wo sie dies seit Jahrzehnten ohne Meinungsänderung ablehnen). Wie bereits zu Anfang erwähnt, lehnen Zeugen Jehovas es ab, ihre Religionsausübung (vor allem Gottesdienste und öffentliches Predigen) von einer staatlichen Genehmigung abhängig zu machen oder einer staatlichen Kontrolle zu unterwerfen. Das Gericht sagt nicht, wo genau Zeugen Jehovas meinten, diese Genehmigung im Körperschaftsstatus zu sehen. Daher kann man nur darüber spekulieren, wo das Problem gelegen haben könnte. Da die Unterlagen, aus denen zitiert wurde, nicht vorliegen, wissen wir auch nicht genau, in welchem Kontext der zitierte Satz gefallen ist. Damit weiß niemand (auch nicht unser Kommentator), worum es eigentlich ging.

Es ist natürlich durchaus möglich, dass das Gericht die theologische Position der Zeugen Jehovas nicht korrekt verstand, oder das Zeugen Jehovas das Gesetz nicht korrekt verstanden. Aber selbst, wenn alles genau und korrekt verstanden wurde, heißt das nicht, dass Zeugen Jehovas zwischen 1962 und 1991 ihre Prinzipien geändert oder hintergangen hätten. Es gibt nämlich noch andere Gründe, seine Meinung zu ändern als die Änderung der eigenen Prinzipien.

Hierzu gibt es einen interessanten Hinweis in einem Aufsatz des Staatskirchenrechtlers H. Weber:
Zukunftsweisend dürfte demgegenüber die in neuerer Zeit an Boden gewinnende Auffassung sein, nach der Art. 140 GG i. V. mit Art. 137 Abs. 5 WRV im System des Grundgesetzes nicht eine – letztlich nur mit einem staatlichen Interesse an der Wirksamkeit der begünstigten Religionsgemeinschaften begründete – Vergünstigung (oder Privilegierung) dieser Religionsgemeinschaften darstellt, sondern „sinnvollen Bezug“ auf den in den Freiheitsrechten begründeten Grundstatus dieser Religionsgemeinschaften hat, letztlich also als eine Form „staatlicher Grundrechtssubventionierung“ zu verstehen ist
Dieser Absatz zeigt uns einen Punkt auf, der in der Entscheidung der Zeugen Jehovas für oder gegen den Körperschaftsstatus eine wichtige Rolle spielt. Demnach hat sich (nicht bei Zeugen Jehovas, sondern bei den Juristen) die Meinung geändert, was der Körperschaftsstatus überhaupt ist. "Früher" (also höchstwahrscheinlich auch 1962) hielten die Juristen den Körperschaftsstatus für eine Privilegierung der Religionsgemeinschaft als Gegenleistung für eine (politische) Unterstützung des Staates durch die Religionsgemeinschaft. Das wäre aber für Zeugen Jehovas unannehmbar gewesen, da sie jegliche Form von politischer Unterstützung des Staates ablehnen.

"In neuerer Zeit" (also 1991) hatte sich diese Meinung geändert und der Körperschaftsstatus wurde von den Juristen als Instrument zum Ausleben der Religionsfreiheit angesehen; entsprechend hat ja im Jahre 2000 auch das Bundesverfassungsgericht entschieden. Zeugen Jehovas haben natürlich nichts gegen ein Instrument, um ihre Religionsfreiheit auszuleben. Geändert hat sich demnach also nicht ein ethisches Prinzip bei Zeugen Jehovas, sondern die Meinung des Staates dazu, was er mit dem Körperschaftsstatus eigentlich anbietet.

Einige haben diese Änderung natürlich bis heute nicht bemerkt und behaupten immer noch, dass der Körperschaftsstatus ein Privileg ist, dass eine politische Unterstützung des Staates durch die Religionsgemeinschaft voraussetzt. Das ist aber falsch. Man muss also keinerlei Änderung ethischer Prinzipien annehmen, um die Meinungsänderung bei Zeugen Jehovas nachvollziehen zu können. Und es gibt bisher auch keinen, der ein Prinzip nennen könnte, dass geändert wurde oder extra hierfür übergangen wurde.

Ganz zum Schluss wollen wir auch den Erwachet-Artikel aus dem Jahre 1974 noch erwähnen, den unser Kommentator anführte, um seine Meinung zu untermauern:
Entschiedenen Widerspruch gegen die laut gewordenen Forderungen der FDP, die eine Änderung des Rechtsstatus der Kirchen und eine „Privatisierung“ anstreben, hat der politische Beirat des Zentralkomitees der deutschen Katholiken eingelegt. Eine politische Ordnung müsse, wenn sie freiheitlich sein wolle, offen sein sowohl „in Richtung auf den Ursprung der Werte“, denen sie diene, wie nach dem Bezirk, der „unmittelbar unter der Verantwortung der individuellen Gewissen“ stehe. Die Kirchen, so das Zentralkomitee, repräsentierten die „Transzendenz“, das heißt jenen Bereich, der jenseits aller geschichtlich-kulturellen Entwicklung liege. Die Kirchen seien als öffentlich-rechtliche Körperschaften keine „systemwidrige Konzession“, sondern entsprächen vielmehr „einer wesentlichen Voraussetzung des freiheitlichen Staates“. Der Beirat bezeichnet es als einen „Fehlschluß“, aus der weltanschaulichen Neutralität des Staates zu folgern, daß auch das öffentliche Leben weltanschaulich „neutralisiert“ werden müsse und die Kirchen zu privatisieren seien. Damit vervollkommne man die politische und soziale Freiheit nicht, „sondern reißt ihre Wurzeln aus“. — Jesus, der Gründer des christlichen Glaubens, war niemals bemüht, öffentliche und staatliche Anerkennung zu finden. Im Gegenteil, er wurde durch den römischen Staat und die Vertreter des jüdischen Systems verurteilt. Die Kirchen der heutigen Zeit folgen nicht seinem Beispiel (Matth. 27:1-26; Joh. 17:14-16).

Erwachet 08.03.1974, S. 30
Was sehen wir hier? Zeugen Jehovas haben sich hier gar nicht zum Körperschaftsstatus geäußert; die Äußerung hierzu stammt vom Zentralkomitee der Katholiken. Die Kritik der Zeugen Jehovas bezog sich auch nicht auf den Körperschaftsstatus, sondern auf die "öffentliche und staatliche Anerkennung" in Form einer Privilegierung und enger (politischer) Zusammenarbeit, die ja damals (siehe oben) vom Körperschaftsstatus noch impliziert wurde, was das Zentralkomitee der Katholiken auch ausdrücklich so unterstreicht, welches meint, es sei Aufgabe der Religion, an der Grundlage des Staates mitzuarbeiten. Das kritisieren Zeugen Jehovas heute noch. Was sich geändert hat, ist, wie gesagt, die Einschätzung des Körperschaftsstatus durch den Staat. Heute ist dieser Status kein Privileg, das dazu dient, dem Staat ein weltanschauliches Fundament zu liefern, sondern ein Mittel, um der Religion die Unabhängigkeit vom Staat zu ermöglichen.

Zusammenfassend beruhen die Kritikpunkte also alle darauf, dass missverstanden wird, was der Körperschaftsstatus genau bedeutet, was Zeugen Jehovas in Bezug auf das Verhältnis zum Staat lehren und dem völligen Fehlen eines zusammenhängenden logischen Arguments. [edit]Die Vorwürfe übersehen (immer wieder und einheitlich), dass sich die Grundsätze der Zeugen Jehovas nicht (oder nur unwesentlich) geändert haben, dass stattdessen sich die Meinung des Staates bzw. seiner Juristen in Bezug darauf grundlegend gewandelt hat, was der Körperschaftsstatus überhaupt darstellt. Dieser Meinungsumschwung wird grundsätzlich ignoriert und die daraus resultierenden Änderungen der Verhältnisse ebenso. Stattdessen wird ohne weitere Begründung so getan, dass Zeugen Jehovas ihre Grundsätze grundlegend geändert haben.

Man kann diesen Denkfehler meistens leicht daran erkennen, dass diejenigen, die dies behaupten dazu gezwungen sind, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu ignorieren und zu behaupten, dass der Körperschaftsstatus heutztage weiterhin ein Privileg darstellt, dass intensive Zusammenarbeit zwischen Religion und Staat erfordert, obwohl das nach dem Bundesverfassungsgericht eindeutig nicht so ist. Oder es muss behauptet werden, dass bereits zu Anfang der Bundesrepublik der Körperschaftsstatus nicht als Privileg angesehen wurde, was ähnlich absurd ist, da es alles ignoriert, was man hierzu lesen kann.[/edit] Im Internet schwirren noch mehr ähnlich gelagerte Detailpunkte herum, die aber nichts wesentlich Neues enthalten. Sollten sie doch einmal wichtig werden, werde ich sie noch zu diesem Beitrag hinzufügen.

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