Freitag, 25. Februar 2011
Landtagsdebatte in BaWü - 9. Dezember 2009
hgp, 10:46h
Original hier
Hier die zweite Debatte im Landtag von Baden-Württemberg zum Thema Anerkennung der Zeugen Jehovas (Die erste Deabtte hier). Viel Spaß beim Lesen (oder auch nicht, manchmal ist es schon seltsam, was die Volksvertreter da so reden):
[Stellv. Präsident Wolfgang Drexler:] Nun eine Frage von Frau Abg. Fohler zu einem anderen Thema. – Bitte, Frau Abgeordnete.
Abg. Sabine Fohler SPD: Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte heute ein Thema ansprechen, das schon einmal im Mittelpunkt einer Regierungsbefragung stand und über das wir damals hier im Parlament auch sehr lebhaft diskutiert haben. Diese lebhafte Diskussion hat gezeigt, dass das Thema, wie ich meine, ein sehr wichtiges Thema ist und im Landtag auch einen großen Stellenwert hat. Es geht um die Anerkennung der Zeugen Jehovas als Körperschaft des öffentlichen Rechts. Bei der ersten Regierungsbefragung zu diesem Thema hatte Staatssekretär Wacker für das Kultusministerium ausgeführt, dass er keine rechtliche Handhabe sehe, um diese Anerkennung zu verhindern. Auch Minister Rau hat dies bis heute immer wieder betont und diese Meinung vertreten.
Jetzt lesen wir in der Presse, dass nicht nur die Kollegin Dr. Arnold von der FDP/DVP, sondern auch Justizminister Dr. Goll in dieser Sache völlig anderer Meinung sind. Ich zitiere:
Wenn wir diesen Verein anerkennen, begeben wir uns auf eine abschüssige Piste.
Weiter sagt er:
Man würde auch das wertvolle Gut der öffentlich-rechtlichen Körperschaft entwerten …
Minister Dr. Goll plädiert nun dafür, sich bei der Bewertung der Zeugen Jehovas nicht nur auf deren Eigendarstellung, sondern auch auf die Berichte der Aussteiger zu verlassen oder auf sie zu hören, denn diese ehemaligen Mitglieder können schildern, was intern in dieser Sekte wirklich passiert. Herr Minister Goll, ich kann nur sagen: Willkommen im Klub! Das war genau das, was wir bei der ersten Regierungsbefragung zu diesem Thema gefordert haben, nämlich erstens alle rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen, um diese Anerkennung zu verhindern, und zweitens die Berichte von Selbsthilfegruppen und Aussteigern endlich ernst zu nehmen und diese Leute überhaupt zu hören. Ich denke, das ist auch wichtig. Denn wenn wir uns weiter auf den Weg begeben und in ein Verfahren eintreten, müssen wir als Land gut gerüstet und vorbereitet sein und auch die entsprechenden Informationen haben. Dazu brauchen wir die Gespräche mit denjenigen, die aufgrund eigener Erfahrungen die internen Strukturen dieser Sekte bestens kennen. Ich sage hier ganz deutlich: Dieses Thema eignet sich nicht für ein Tauziehen zweier Minister, nämlich ein Tauziehen zwischen CDU-Minister Rau und FDP/DVP-Minister Dr. Goll. Deswegen frage ich vor dem Hintergrund der widersprüchlichen Äußerungen dieser beiden Regierungsmitglieder: Was ist nun wirklich die Haltung der Landesregierung? Will sie, wie Minister Rau es sagt, die Sache möglichst still und leise und ohne Aufsehen zu erregen im Kabinett durchwinken, oder wird sie, wie es Minister Dr. Goll angekündigt hat, alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, um die Anerkennung der Zeugen Jehovas als Körperschaft des öffentlichen Rechts zu verhindern? Ich fordere Sie auf: Nehmen Sie hier Stellung, sagen Sie uns, was die Haltung der Landesregierung ist, und informieren Sie uns über den Stand des Verfahrens.
(Beifall bei der SPD – Abg. Reinhold Gall SPD: Aber nur einer!)
Stellv. Präsident Wolfgang Drexler: Für die Landesregierung erteile ich dem Herrn Justizminister das Wort.
Justizminister Dr. Ulrich Goll: Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Frage, ob die Gemeinschaft der Zeugen Jehovas als öffentlich-rechtliche Körperschaft anerkannt werden soll, ist natürlich eine sehr komplizierte. Sie beschäftigt in der Tat im Moment auch die Landesregierung. Dazu muss ich sagen, dass in der Landesregierung noch kein endgültiges Ergebnis gefunden worden ist. Einen Beschluss des Kabinetts gibt es hierzu noch nicht. Somit ist das, was ich jetzt sage, im Grunde genommen eine Momentaufnahme der Diskussion, die eben auch noch innerhalb der Landesregierung wie auch woanders stattfindet. Da haben Sie mich völlig richtig zitiert. Dem habe ich auch gar nichts hinzuzufügen. Ich bin auch dankbar für die Gelegenheit, eines klarstellen zu können: Natürlich respektiere ich die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und anderer Verfassungsgerichte. Ich habe nur die Frage gestellt, ob man sich in den bisherigen Genehmigungsverfahren vornehmlich oder ausschließlich auf Angaben der betroffenen Organisationen gestützt hat oder ob auch einmal versucht wurde, Kontakt zu betroffenen Aussteigern aufzunehmen. Das ist der Stand der Dinge nach der letzten Kabinettssitzung. Ich halte es nach wie vor für klar, dass man sich einerseits an rechtliche Bestimmungen zu halten hat, dass man sich aber andererseits auch mit Betroffenen in Verbindung setzen sollte.
Wenn es ein bestimmtes Klagerisiko gibt – das möchte ich als Zweites sagen –, dann würde ich sicher zu denen gehören, die ein gewisses Klagerisiko auch eingehen würden, weil ich es bedenklich fände, wenn diese Anerkennung stattfinden würde. In der Tat bin ich nämlich der Meinung, dass ein solches Beispiel Schule machen könnte. Im Übrigen würde es am Schluss auch ganz übel auf die Kirchen zurückfallen – das sage ich nur einmal am Rande –, wenn dann fünf, sechs Organisationen hinterherkommen und wir dann die Rechte der Kirchen einschränken müssen, weil wir am Ende den anderen die ganzen Befugnisse nicht geben wollen. Das würde mich also dazu bringen, es selbst bei einem bestimmten Risiko zu machen. Aber vorrangig ist für mich die Frage zu klären, wie man noch weitere Informationen gewinnen kann, um dann zum Schluss im Kabinett eine sicherlich einvernehmliche Entscheidung zu treffen.
Stellv. Präsident Wolfgang Drexler: Herr Minister, bleiben Sie bitte vorn, falls es weitere Fragen gibt.
Gibt es weitere Fragen? – Frau Abg. Fohler.
Abg. Sabine Fohler SPD: Ich hätte gern schon einmal konkret gewusst, welche Schritte die Landesregierung jetzt anstellt, um z. B. mit den betroffenen Gruppen zu sprechen, weil da die Informationen herkommen können. Das hätte ich auch gern möglichst in einem gewissen Zeitfenster, und ich hätte gern konkrete Angaben.
Justizminister Dr. Ulrich Goll: Wir hatten das Thema mittlerweile, wenn ich mich richtig erinnere, zweimal im Kabinett, das letzte Mal in einer Sitzung, deren Datum ich nicht mehr weiß. Da wurde über den Stand der Dinge und der Diskussion berichtet.
Ich kann dazu nur sagen, dass ich vorgeschlagen habe, dass man in gewisser Weise das vorhandene Material, das wir von Aussteigern haben, auf jeden Fall sichtet und dass ich bei der nächsten Gelegenheit, wenn das Thema wieder auf der Tagesordnung steht, den Vorschlag machen werde, mit diesen Personen in Kontakt zu treten, um sich weitere Informationen zu verschaffen.
Mehr kann ich im Moment nicht sagen, weil das Thema nicht in der letzten Sitzung besprochen wurde. Ich weiß nicht, ob es auf die Tagesordnung der kommenden Sitzung kommt. Da Sie mich fragen, kann ich Ihnen nur sagen, was ich vorschlagen werde.
Stellv. Präsident Wolfgang Drexler: Eine Zusatzfrage des Herrn Abg. Schebesta.
Abg. Volker Schebesta CDU: Herr Minister, Sie haben das Stichwort Klagerisiko angeführt. Deshalb interessiert mich ein spezieller juristischer Teilaspekt. Es gibt eine Erstanerkennung in einem anderen Bundesland. Wir müssen uns jetzt über die Frage einer Zweitanerkennung in anderen Bundesländern unterhalten. Wie schätzen Sie juristisch – als Justizminister – die Möglichkeit ein, dass in einem eventuellen Klageverfahren die Gerichte zu dem Schluss kommen könnten, die Frage nach der Zweitanerkennung in künftigen Fällen sehr rigide zu
bewerten, also keinen Handlungsspielraum, wie wir ihn jetzt zur Prüfung nutzen, wie wir ihn jetzt praktizieren, mehr anerkennen, weil sie sagen: „Die Erstanerkennung hat nahezu bindende oder bindende Wirkung für weitere Bundesländer“? Wie schätzen Sie diese Möglichkeiten in einem Klageverfahren ein? Wie fließt das in die politische Bewertung der Landesregierung ein?
Justizminister Dr. Ulrich Goll: Gut. Es ist natürlich auch genau die schwierige Frage, welchen Handlungsspielraum wir eigentlich haben. Aber das kann einen nach meiner Meinung nicht davon abbringen, zu sagen, dass wir diesen Handlungsspielraum ausloten und ihn auch ein Stück weit in Richtung der Entscheidung, die wir haben wollen, nutzen. Das dürfen wir schon. Es gibt eine entscheidende Behörde: Das ist die Landesregierung. Da fällt es aber nicht in mein Ressort, wobei ich ausdrücklich anbiete, dieser Geschichte auch persönlich nachzugehen, wenn ich den Auftrag bekomme, und mit den Betroffenen Kontakt aufzunehmen. Mir geht es im Grunde nur darum, die Spielräume, die wir haben, auszunutzen. Dass wir gar keinen Spielraum haben, würde ich so nicht sagen. Er mag gering sein, aber ich würde ihn auch im Sinne der Entscheidung nutzen, die wir haben wollen. Wenn es am Ende nicht geht, dann geht es nicht. Aber zwei Schritte, die ich vorhin genannt habe, fehlen mir zur Stunde schon noch, nämlich das komplette Bild auch aus der Sicht der Betroffenen und die Abschätzung des Klagerisikos.
Stellv. Präsident Wolfgang Drexler: Eine weitere Frage, Frau Abg. Fohler.
Abg. Sabine Fohler SPD: Herr Minister Dr. Goll, wie beurteilen Sie die Äußerung des Herrn Kollegen Dr. Rülke, der die bisherige rechtliche Prüfung als rein kursorisch bezeichnet hat?
(Zuruf des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP – Abg. Ursula Haußmann SPD: Eine klare Antwort jetzt bitte einmal!)
Stellv. Präsident Wolfgang Drexler: Bitte, Herr Justizminister.
Justizminister Dr. Ulrich Goll: Ich habe diese Äußerungen meines Fraktionsvorsitzenden nicht zu klassifizieren und nicht zu begutachten. Hier geht es um eine Regierungsbefragung.
(Heiterkeit des Abg. Dr. Stefan Scheffold CDU)
Ich teile die Befürchtung im Kern, dass man bisher im Wesentlichen von der ersten bis zur letzten Entscheidung von dem ausgegangen ist, was die Organisation selbst auf den Tisch legt. Wenn es so wäre, dann wäre mir das, ehrlich gesagt, zu wenig.
Stellv. Präsident Wolfgang Drexler: Eine Zusatzfrage des Herrn Abg. Bayer.
Abg. Christoph Bayer SPD: Herr Minister Dr. Goll, wir haben in der letzten Schulausschusssitzung von Herrn Minister Rau gehört, dass sämtliche Möglichkeiten in seinem Ressort ausgeschöpft seien und die Sache eigentlich klar sei. Er hat damit den Ball in andere Ministerien gespielt. Er liegt jetzt u. a. in Ihrem Ministerium.
Uns würde schon interessieren, wie Sie damit umgehen bzw. wo Sie tatsächlich noch Möglichkeiten sehen, regelnd einzugreifen, insbesondere was den Aspekt der Verfassungstreue angeht. Haben Sie belastbares Material, mit dem Sie dann in der Lage sind, einen möglichen Prozess zu bestehen? Das ist die erste Frage.
Die zweite Frage: Im Eröffnungsstatement wurde darauf hingewiesen, dass man sich möglicherweise auf einer „abschüssigen Piste“ befinde. Was kommt da noch in Bewegung?
Stellv. Präsident Wolfgang Drexler: Bitte, Herr Minister.
Justizminister Dr. Ulrich Goll: Ich habe von einer abschüssigen Piste geredet, weil mir – ich weiß nicht, ob man Leute zum Jagen tragen soll; das muss man aber wahrscheinlich gar nicht –
(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Manchmal schon!)
sofort die Namen von Organisationen einfallen, die es als nächste versuchen könnten. Deswegen gilt auch das berühmte Zitat „respice finem – bedenke das Ende“, das insbesondere der frühere Ministerpräsident Erwin Teufel gelegentlich zu zitieren pflegte.
(Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Können wir bestätigen!)
Mir geht es nur darum, dass man alle Möglichkeiten ausschöpft. Ich hatte bisher den Eindruck, dass mit Aussteigern, von denen wir sogar die Namen kennen, der entsprechende Kontakt noch nicht aufgenommen wurde. Da gibt es, wenn man so will, eine Art negativen Kompetenzkonflikt zwischen den Ressorts, weil zunächst jeder sagt: Sind wir eigentlich dafür zuständig? Ich biete also allen Ernstes an, wenn jemand das möchte und ich den Auftrag bekomme, es selbst zu machen.
(Abg. Claus Schmiedel SPD: Sehr gut! – Abg. Rainer Stickelberger SPD: Quasi verfassungsrichterlich!)
Stellv. Präsident Wolfgang Drexler: Vielen Dank, Herr Minister.
Gibt es weitere Fragen? – Nein. Damit sind die Regierungsbefragung und auch der Tagesordnungspunkt 5 beendet.
Hier die zweite Debatte im Landtag von Baden-Württemberg zum Thema Anerkennung der Zeugen Jehovas (Die erste Deabtte hier). Viel Spaß beim Lesen (oder auch nicht, manchmal ist es schon seltsam, was die Volksvertreter da so reden):
[Stellv. Präsident Wolfgang Drexler:] Nun eine Frage von Frau Abg. Fohler zu einem anderen Thema. – Bitte, Frau Abgeordnete.
Abg. Sabine Fohler SPD: Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte heute ein Thema ansprechen, das schon einmal im Mittelpunkt einer Regierungsbefragung stand und über das wir damals hier im Parlament auch sehr lebhaft diskutiert haben. Diese lebhafte Diskussion hat gezeigt, dass das Thema, wie ich meine, ein sehr wichtiges Thema ist und im Landtag auch einen großen Stellenwert hat. Es geht um die Anerkennung der Zeugen Jehovas als Körperschaft des öffentlichen Rechts. Bei der ersten Regierungsbefragung zu diesem Thema hatte Staatssekretär Wacker für das Kultusministerium ausgeführt, dass er keine rechtliche Handhabe sehe, um diese Anerkennung zu verhindern. Auch Minister Rau hat dies bis heute immer wieder betont und diese Meinung vertreten.
Jetzt lesen wir in der Presse, dass nicht nur die Kollegin Dr. Arnold von der FDP/DVP, sondern auch Justizminister Dr. Goll in dieser Sache völlig anderer Meinung sind. Ich zitiere:
Wenn wir diesen Verein anerkennen, begeben wir uns auf eine abschüssige Piste.
Weiter sagt er:
Man würde auch das wertvolle Gut der öffentlich-rechtlichen Körperschaft entwerten …
Minister Dr. Goll plädiert nun dafür, sich bei der Bewertung der Zeugen Jehovas nicht nur auf deren Eigendarstellung, sondern auch auf die Berichte der Aussteiger zu verlassen oder auf sie zu hören, denn diese ehemaligen Mitglieder können schildern, was intern in dieser Sekte wirklich passiert. Herr Minister Goll, ich kann nur sagen: Willkommen im Klub! Das war genau das, was wir bei der ersten Regierungsbefragung zu diesem Thema gefordert haben, nämlich erstens alle rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen, um diese Anerkennung zu verhindern, und zweitens die Berichte von Selbsthilfegruppen und Aussteigern endlich ernst zu nehmen und diese Leute überhaupt zu hören. Ich denke, das ist auch wichtig. Denn wenn wir uns weiter auf den Weg begeben und in ein Verfahren eintreten, müssen wir als Land gut gerüstet und vorbereitet sein und auch die entsprechenden Informationen haben. Dazu brauchen wir die Gespräche mit denjenigen, die aufgrund eigener Erfahrungen die internen Strukturen dieser Sekte bestens kennen. Ich sage hier ganz deutlich: Dieses Thema eignet sich nicht für ein Tauziehen zweier Minister, nämlich ein Tauziehen zwischen CDU-Minister Rau und FDP/DVP-Minister Dr. Goll. Deswegen frage ich vor dem Hintergrund der widersprüchlichen Äußerungen dieser beiden Regierungsmitglieder: Was ist nun wirklich die Haltung der Landesregierung? Will sie, wie Minister Rau es sagt, die Sache möglichst still und leise und ohne Aufsehen zu erregen im Kabinett durchwinken, oder wird sie, wie es Minister Dr. Goll angekündigt hat, alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, um die Anerkennung der Zeugen Jehovas als Körperschaft des öffentlichen Rechts zu verhindern? Ich fordere Sie auf: Nehmen Sie hier Stellung, sagen Sie uns, was die Haltung der Landesregierung ist, und informieren Sie uns über den Stand des Verfahrens.
(Beifall bei der SPD – Abg. Reinhold Gall SPD: Aber nur einer!)
Stellv. Präsident Wolfgang Drexler: Für die Landesregierung erteile ich dem Herrn Justizminister das Wort.
Justizminister Dr. Ulrich Goll: Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Frage, ob die Gemeinschaft der Zeugen Jehovas als öffentlich-rechtliche Körperschaft anerkannt werden soll, ist natürlich eine sehr komplizierte. Sie beschäftigt in der Tat im Moment auch die Landesregierung. Dazu muss ich sagen, dass in der Landesregierung noch kein endgültiges Ergebnis gefunden worden ist. Einen Beschluss des Kabinetts gibt es hierzu noch nicht. Somit ist das, was ich jetzt sage, im Grunde genommen eine Momentaufnahme der Diskussion, die eben auch noch innerhalb der Landesregierung wie auch woanders stattfindet. Da haben Sie mich völlig richtig zitiert. Dem habe ich auch gar nichts hinzuzufügen. Ich bin auch dankbar für die Gelegenheit, eines klarstellen zu können: Natürlich respektiere ich die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und anderer Verfassungsgerichte. Ich habe nur die Frage gestellt, ob man sich in den bisherigen Genehmigungsverfahren vornehmlich oder ausschließlich auf Angaben der betroffenen Organisationen gestützt hat oder ob auch einmal versucht wurde, Kontakt zu betroffenen Aussteigern aufzunehmen. Das ist der Stand der Dinge nach der letzten Kabinettssitzung. Ich halte es nach wie vor für klar, dass man sich einerseits an rechtliche Bestimmungen zu halten hat, dass man sich aber andererseits auch mit Betroffenen in Verbindung setzen sollte.
Wenn es ein bestimmtes Klagerisiko gibt – das möchte ich als Zweites sagen –, dann würde ich sicher zu denen gehören, die ein gewisses Klagerisiko auch eingehen würden, weil ich es bedenklich fände, wenn diese Anerkennung stattfinden würde. In der Tat bin ich nämlich der Meinung, dass ein solches Beispiel Schule machen könnte. Im Übrigen würde es am Schluss auch ganz übel auf die Kirchen zurückfallen – das sage ich nur einmal am Rande –, wenn dann fünf, sechs Organisationen hinterherkommen und wir dann die Rechte der Kirchen einschränken müssen, weil wir am Ende den anderen die ganzen Befugnisse nicht geben wollen. Das würde mich also dazu bringen, es selbst bei einem bestimmten Risiko zu machen. Aber vorrangig ist für mich die Frage zu klären, wie man noch weitere Informationen gewinnen kann, um dann zum Schluss im Kabinett eine sicherlich einvernehmliche Entscheidung zu treffen.
Stellv. Präsident Wolfgang Drexler: Herr Minister, bleiben Sie bitte vorn, falls es weitere Fragen gibt.
Gibt es weitere Fragen? – Frau Abg. Fohler.
Abg. Sabine Fohler SPD: Ich hätte gern schon einmal konkret gewusst, welche Schritte die Landesregierung jetzt anstellt, um z. B. mit den betroffenen Gruppen zu sprechen, weil da die Informationen herkommen können. Das hätte ich auch gern möglichst in einem gewissen Zeitfenster, und ich hätte gern konkrete Angaben.
Justizminister Dr. Ulrich Goll: Wir hatten das Thema mittlerweile, wenn ich mich richtig erinnere, zweimal im Kabinett, das letzte Mal in einer Sitzung, deren Datum ich nicht mehr weiß. Da wurde über den Stand der Dinge und der Diskussion berichtet.
Ich kann dazu nur sagen, dass ich vorgeschlagen habe, dass man in gewisser Weise das vorhandene Material, das wir von Aussteigern haben, auf jeden Fall sichtet und dass ich bei der nächsten Gelegenheit, wenn das Thema wieder auf der Tagesordnung steht, den Vorschlag machen werde, mit diesen Personen in Kontakt zu treten, um sich weitere Informationen zu verschaffen.
Mehr kann ich im Moment nicht sagen, weil das Thema nicht in der letzten Sitzung besprochen wurde. Ich weiß nicht, ob es auf die Tagesordnung der kommenden Sitzung kommt. Da Sie mich fragen, kann ich Ihnen nur sagen, was ich vorschlagen werde.
Stellv. Präsident Wolfgang Drexler: Eine Zusatzfrage des Herrn Abg. Schebesta.
Abg. Volker Schebesta CDU: Herr Minister, Sie haben das Stichwort Klagerisiko angeführt. Deshalb interessiert mich ein spezieller juristischer Teilaspekt. Es gibt eine Erstanerkennung in einem anderen Bundesland. Wir müssen uns jetzt über die Frage einer Zweitanerkennung in anderen Bundesländern unterhalten. Wie schätzen Sie juristisch – als Justizminister – die Möglichkeit ein, dass in einem eventuellen Klageverfahren die Gerichte zu dem Schluss kommen könnten, die Frage nach der Zweitanerkennung in künftigen Fällen sehr rigide zu
bewerten, also keinen Handlungsspielraum, wie wir ihn jetzt zur Prüfung nutzen, wie wir ihn jetzt praktizieren, mehr anerkennen, weil sie sagen: „Die Erstanerkennung hat nahezu bindende oder bindende Wirkung für weitere Bundesländer“? Wie schätzen Sie diese Möglichkeiten in einem Klageverfahren ein? Wie fließt das in die politische Bewertung der Landesregierung ein?
Justizminister Dr. Ulrich Goll: Gut. Es ist natürlich auch genau die schwierige Frage, welchen Handlungsspielraum wir eigentlich haben. Aber das kann einen nach meiner Meinung nicht davon abbringen, zu sagen, dass wir diesen Handlungsspielraum ausloten und ihn auch ein Stück weit in Richtung der Entscheidung, die wir haben wollen, nutzen. Das dürfen wir schon. Es gibt eine entscheidende Behörde: Das ist die Landesregierung. Da fällt es aber nicht in mein Ressort, wobei ich ausdrücklich anbiete, dieser Geschichte auch persönlich nachzugehen, wenn ich den Auftrag bekomme, und mit den Betroffenen Kontakt aufzunehmen. Mir geht es im Grunde nur darum, die Spielräume, die wir haben, auszunutzen. Dass wir gar keinen Spielraum haben, würde ich so nicht sagen. Er mag gering sein, aber ich würde ihn auch im Sinne der Entscheidung nutzen, die wir haben wollen. Wenn es am Ende nicht geht, dann geht es nicht. Aber zwei Schritte, die ich vorhin genannt habe, fehlen mir zur Stunde schon noch, nämlich das komplette Bild auch aus der Sicht der Betroffenen und die Abschätzung des Klagerisikos.
Stellv. Präsident Wolfgang Drexler: Eine weitere Frage, Frau Abg. Fohler.
Abg. Sabine Fohler SPD: Herr Minister Dr. Goll, wie beurteilen Sie die Äußerung des Herrn Kollegen Dr. Rülke, der die bisherige rechtliche Prüfung als rein kursorisch bezeichnet hat?
(Zuruf des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP – Abg. Ursula Haußmann SPD: Eine klare Antwort jetzt bitte einmal!)
Stellv. Präsident Wolfgang Drexler: Bitte, Herr Justizminister.
Justizminister Dr. Ulrich Goll: Ich habe diese Äußerungen meines Fraktionsvorsitzenden nicht zu klassifizieren und nicht zu begutachten. Hier geht es um eine Regierungsbefragung.
(Heiterkeit des Abg. Dr. Stefan Scheffold CDU)
Ich teile die Befürchtung im Kern, dass man bisher im Wesentlichen von der ersten bis zur letzten Entscheidung von dem ausgegangen ist, was die Organisation selbst auf den Tisch legt. Wenn es so wäre, dann wäre mir das, ehrlich gesagt, zu wenig.
Stellv. Präsident Wolfgang Drexler: Eine Zusatzfrage des Herrn Abg. Bayer.
Abg. Christoph Bayer SPD: Herr Minister Dr. Goll, wir haben in der letzten Schulausschusssitzung von Herrn Minister Rau gehört, dass sämtliche Möglichkeiten in seinem Ressort ausgeschöpft seien und die Sache eigentlich klar sei. Er hat damit den Ball in andere Ministerien gespielt. Er liegt jetzt u. a. in Ihrem Ministerium.
Uns würde schon interessieren, wie Sie damit umgehen bzw. wo Sie tatsächlich noch Möglichkeiten sehen, regelnd einzugreifen, insbesondere was den Aspekt der Verfassungstreue angeht. Haben Sie belastbares Material, mit dem Sie dann in der Lage sind, einen möglichen Prozess zu bestehen? Das ist die erste Frage.
Die zweite Frage: Im Eröffnungsstatement wurde darauf hingewiesen, dass man sich möglicherweise auf einer „abschüssigen Piste“ befinde. Was kommt da noch in Bewegung?
Stellv. Präsident Wolfgang Drexler: Bitte, Herr Minister.
Justizminister Dr. Ulrich Goll: Ich habe von einer abschüssigen Piste geredet, weil mir – ich weiß nicht, ob man Leute zum Jagen tragen soll; das muss man aber wahrscheinlich gar nicht –
(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Manchmal schon!)
sofort die Namen von Organisationen einfallen, die es als nächste versuchen könnten. Deswegen gilt auch das berühmte Zitat „respice finem – bedenke das Ende“, das insbesondere der frühere Ministerpräsident Erwin Teufel gelegentlich zu zitieren pflegte.
(Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Können wir bestätigen!)
Mir geht es nur darum, dass man alle Möglichkeiten ausschöpft. Ich hatte bisher den Eindruck, dass mit Aussteigern, von denen wir sogar die Namen kennen, der entsprechende Kontakt noch nicht aufgenommen wurde. Da gibt es, wenn man so will, eine Art negativen Kompetenzkonflikt zwischen den Ressorts, weil zunächst jeder sagt: Sind wir eigentlich dafür zuständig? Ich biete also allen Ernstes an, wenn jemand das möchte und ich den Auftrag bekomme, es selbst zu machen.
(Abg. Claus Schmiedel SPD: Sehr gut! – Abg. Rainer Stickelberger SPD: Quasi verfassungsrichterlich!)
Stellv. Präsident Wolfgang Drexler: Vielen Dank, Herr Minister.
Gibt es weitere Fragen? – Nein. Damit sind die Regierungsbefragung und auch der Tagesordnungspunkt 5 beendet.
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