Dienstag, 1. März 2011
Verfassungsänderung?
hgp, 13:11h
Da ich von einem Leser gefragt wurde, hier nun meine Ideen, warum es unwahrscheinlich ist, dass die Herrschenden des Landes extra das Grundgesetz anpassen, um Zeugen Jehovas den Status einer K.d.ö.R. zu entziehen; vorab natürlich die Einschränkung, dass ich kein Jurist bin und man sich daher nicht auf meine Äußerungen verlassen sollte, ohne vorher einen Rechtsanwalt zu konsultieren:
Der Justizminister von BaWü sagte bei der Debatte im Dezember 2009:
Was könnte man theoretisch machen, um Zeugen Jehovas von den Privilegien auszuschließen? Man kann entweder wie bisher erfolglos versuchen, nicht vorhandene Rechtsverstöße zu erfinden, oder man könnte normale Gesetze verabschieden, die die Glaubenspraxis der Zeugen Jehovas kriminalisieren oder man könnte das Grundgesetz ändern.
Fangen wir mit den Wahlen an: Was könnte der Gesetzgeber machen? Da er nicht direkt eine Glaubenspraxis verbieten kann, muss er eine allgemeine Regelung für alle finden, in diesem Fall wäre das die Wahlpflicht. Aber diese würde nicht weiter helfen, da Zeugen Jehovas in ihrer Glaubenspraxis kein Problem damit haben, im Wahllokal zu erscheinen und einen Wahlschein auszufüllen; dies steht auch ausdrücklich so in ihrer Literatur. Der Staat kann bei einer geheimen Wahl ja auch nicht kontrollieren, ob Zeugen Jehovas denn nun auch jemanden gewählt haben oder einen leeren Zettel in die Urne werfen. Die Gesetzesänderung würde somit ins Leere laufen aber jede Menge andere Probleme erzeugen: ca. 30% der Bevölkerung wählen regelmäßig nicht; diese Leute wären plötzlich kriminalisiert. Oder aber noch schlimmer, sie kämen dann alle zur Wahl und würden plötzlich Parteien wie http://de.wikipedia.org/wiki/Kreuzberger_Patriotische_Demokraten/Realistisches_Zentrum oder diese wählen. Mit anderen Worten: Das ganze ist nicht sinnvoll durchführbar.
Will man die Ablehnung von Bluttransfusionen verbieten, besteht das Problem, dass man damit entweder die Gewissensfreiheit des einzelnen und die Patientenrechte einschränken muss, was allen Bürgern im Land sauer aufstoßen dürfte oder aber Zeugen Jehovas müssten im Gesetz ausdrücklich genannt werden und das würde wieder gegen das Neutralitätsgebot des Staates verstoßen. Alternativ könnte man Religionsgemeinschaften verbieten, sich zu bestimmten Themen des Lebens zu äußern, z.B. zu medizinischen. Allerdings wäre dann auch sofort die katholische Kirche mit dem Verbot von Pille, Kondomen und Schwangerschaftsabbrüchen betroffen. Den Konflikt wird wohl derzeit keine Partei führen wollen.
Der Staat kann aufgrund der Grundrechte wie Schutz der Familie in die Kindererziehung nur eingreifen, wenn die Grundrechte des Kindes bedroht sind. Daher ist das Verbot von Gewalt in der Kindererziehung schon das äußerste, was der Gesetzgeber tun kann. Und hieran halten sich Zeugen Jehovas. Außerdem wäre es unrealistisch, dass sich in Deutschland alle Politiker auf verbindliche Vorgaben zur Kindererziehung einigen könnten.
Andererseits könnte man versuchen, Religionsgemeinschaften verbieten, sich zur Kindererziehung zu äußern. Aber das würde wieder an dem Grundgesetz scheitern, außerdem würden alle anderen Religionsgemeinschaften inkl. evangelische und katholische Kirche damit kaum einverstanden sein.
Was alle gerne tun würden: Äußerungen nehmen, die Zeugen Jehovas in den 60er und 70er Jahren machten und diese nach heutigem Recht beurteilen. Wenn dies allerdings bei allen Religionsgemeinschaften gemacht würde, dann würden sich alle Überlebenden von evangelischen und katholischen Kinderheimen beschweren können, deren Behandlung katastrophal war. Dagegen sind alle Beschwerden über Zeugen Jehovas (selbst wenn sie zutreffen sollten) vergleichsweise kleine Probleme. Also würde das wieder am Widerstand der Kirchen scheitern.
Was ist mit dem Ausschluss? Der Gesetzgeber könnte fordern, dass Religionsgemeinschaften ihre Mitglieder nicht hinauswerfen dürfen; aber hier würden das wahrscheinlich 90% aller Katholiken und Protestanten nutzen, indem sie aufhören, Kirchensteuer zu zahlen und trotzdem erwarten, weiter als Kirchenmitglieder zu gelten.
Alternativ könnte der Staat den Religionsgemeinschaften vorschreiben, wie sie ehemalige Mitglieder behandeln dürfen. Bloß würde er damit wieder in die Religionsfreiheit eingreifen. Er kann nur da eingreifen, wo die Grundrechte anderer betroffen sind; und in diesem Fall handeln Zeugen Jehovas heute schon grundrechtskonform: Ehe und Familie werden entgegen anderslautenden Gerüchten eben nicht durch den Ausschluss gelöst sondern sind weiterhin gültig. Und weitergehende Vorschriften darf der Staat nicht machen.
Egal also, wie man es hält, es gibt keine Möglichkeit, Zeugen Jehovas mit Gesetzesänderungen zurückzuhalten, die nicht jede Menge unerwünschte Nebenwirkungen hätten. Daher werden derartige Punkte möglichst schnell mit Stillschweigen übergangen, so wie es der Kommentar des Justizministers zu der Frage deutlich macht:
Der Justizminister von BaWü sagte bei der Debatte im Dezember 2009:
Im Übrigen würde es am Schluss auch ganz übel auf die Kirchen zurückfallen – das sage ich nur einmal am Rande –, wenn dann fünf, sechs Organisationen hinterherkommen und wir dann die Rechte der Kirchen einschränken müssen, weil wir am Ende den anderen die ganzen Befugnisse nicht geben wollen.Damit macht er die Motivation des ganzen deutlich: die Anerkennung als K.d.ö.R. soll als Privileg für "staatstreue" Religionen dienen; das geht aber um so weniger, je mehr nicht "staatstreue" Religionen, wie z.B. Zeugen Jehovas den Status erwerben. Die Politik steht dann vor der Entscheidung, entweder Zeugen Jehovas Privilegien gewähren zu müssen (z.B. die staatlich subventionierte Indoktrination der Jugend an der Schule) , die sie ihnen nicht gewähren will, oder aber die Privilegien für alle einzuschränken. Das Grundgesetz lässt keinen anderen Weg offen, da das Bundesverfassungsgericht im "Zeugen-Jehovas-Urteil" eindeutig feststellte:
[Hervorhebung von mir]
Aus der Religionsfreiheit folgt auch der Grundsatz staatlicher Neutralität gegenüber den unterschiedlichen Religionen und BekenntnissenSolange also der Artikel 4 des Grundgesetzes gilt, kann es keine Sonderbehandlung der Zeugen jehovas geben.
Was könnte man theoretisch machen, um Zeugen Jehovas von den Privilegien auszuschließen? Man kann entweder wie bisher erfolglos versuchen, nicht vorhandene Rechtsverstöße zu erfinden, oder man könnte normale Gesetze verabschieden, die die Glaubenspraxis der Zeugen Jehovas kriminalisieren oder man könnte das Grundgesetz ändern.
Einfache Gesetzesänderungen
Welche Glaubenspraxis könnte man denn kriminalisieren? Anbieten würden sich die Weigerung zu wählen, die Weigerung, Bluttransfusionen anzunehmen bzw. ihnen zuzustimmen, die Kinder nicht so zu erziehen, wie vom Parlament gewünscht und Menschen aus der Gemeinschaft auszuschließen.Fangen wir mit den Wahlen an: Was könnte der Gesetzgeber machen? Da er nicht direkt eine Glaubenspraxis verbieten kann, muss er eine allgemeine Regelung für alle finden, in diesem Fall wäre das die Wahlpflicht. Aber diese würde nicht weiter helfen, da Zeugen Jehovas in ihrer Glaubenspraxis kein Problem damit haben, im Wahllokal zu erscheinen und einen Wahlschein auszufüllen; dies steht auch ausdrücklich so in ihrer Literatur. Der Staat kann bei einer geheimen Wahl ja auch nicht kontrollieren, ob Zeugen Jehovas denn nun auch jemanden gewählt haben oder einen leeren Zettel in die Urne werfen. Die Gesetzesänderung würde somit ins Leere laufen aber jede Menge andere Probleme erzeugen: ca. 30% der Bevölkerung wählen regelmäßig nicht; diese Leute wären plötzlich kriminalisiert. Oder aber noch schlimmer, sie kämen dann alle zur Wahl und würden plötzlich Parteien wie http://de.wikipedia.org/wiki/Kreuzberger_Patriotische_Demokraten/Realistisches_Zentrum oder diese wählen. Mit anderen Worten: Das ganze ist nicht sinnvoll durchführbar.
Will man die Ablehnung von Bluttransfusionen verbieten, besteht das Problem, dass man damit entweder die Gewissensfreiheit des einzelnen und die Patientenrechte einschränken muss, was allen Bürgern im Land sauer aufstoßen dürfte oder aber Zeugen Jehovas müssten im Gesetz ausdrücklich genannt werden und das würde wieder gegen das Neutralitätsgebot des Staates verstoßen. Alternativ könnte man Religionsgemeinschaften verbieten, sich zu bestimmten Themen des Lebens zu äußern, z.B. zu medizinischen. Allerdings wäre dann auch sofort die katholische Kirche mit dem Verbot von Pille, Kondomen und Schwangerschaftsabbrüchen betroffen. Den Konflikt wird wohl derzeit keine Partei führen wollen.
Der Staat kann aufgrund der Grundrechte wie Schutz der Familie in die Kindererziehung nur eingreifen, wenn die Grundrechte des Kindes bedroht sind. Daher ist das Verbot von Gewalt in der Kindererziehung schon das äußerste, was der Gesetzgeber tun kann. Und hieran halten sich Zeugen Jehovas. Außerdem wäre es unrealistisch, dass sich in Deutschland alle Politiker auf verbindliche Vorgaben zur Kindererziehung einigen könnten.
Andererseits könnte man versuchen, Religionsgemeinschaften verbieten, sich zur Kindererziehung zu äußern. Aber das würde wieder an dem Grundgesetz scheitern, außerdem würden alle anderen Religionsgemeinschaften inkl. evangelische und katholische Kirche damit kaum einverstanden sein.
Was alle gerne tun würden: Äußerungen nehmen, die Zeugen Jehovas in den 60er und 70er Jahren machten und diese nach heutigem Recht beurteilen. Wenn dies allerdings bei allen Religionsgemeinschaften gemacht würde, dann würden sich alle Überlebenden von evangelischen und katholischen Kinderheimen beschweren können, deren Behandlung katastrophal war. Dagegen sind alle Beschwerden über Zeugen Jehovas (selbst wenn sie zutreffen sollten) vergleichsweise kleine Probleme. Also würde das wieder am Widerstand der Kirchen scheitern.
Was ist mit dem Ausschluss? Der Gesetzgeber könnte fordern, dass Religionsgemeinschaften ihre Mitglieder nicht hinauswerfen dürfen; aber hier würden das wahrscheinlich 90% aller Katholiken und Protestanten nutzen, indem sie aufhören, Kirchensteuer zu zahlen und trotzdem erwarten, weiter als Kirchenmitglieder zu gelten.
Alternativ könnte der Staat den Religionsgemeinschaften vorschreiben, wie sie ehemalige Mitglieder behandeln dürfen. Bloß würde er damit wieder in die Religionsfreiheit eingreifen. Er kann nur da eingreifen, wo die Grundrechte anderer betroffen sind; und in diesem Fall handeln Zeugen Jehovas heute schon grundrechtskonform: Ehe und Familie werden entgegen anderslautenden Gerüchten eben nicht durch den Ausschluss gelöst sondern sind weiterhin gültig. Und weitergehende Vorschriften darf der Staat nicht machen.
Und das Grundgesetz?
Was noch bliebe, wäre der Grundsatz der staatlichen Neutralität in religiösen Fragen. Man könnte die Staatskirche wieder einführen; allerdings versucht das heute aus gutem Grund keiner: es dürfte schwer sein, dafür in den Parlamenten überhaupt eine Mehrheit zu finden in einem Land, in dem rund ein drittel der Bevölkerung bereits offiziell keine Religion hat. Es gibt bereits Bestrebungen, in einzelnen Parteien, die Rolle aller Religionen zurück zu drängen. Sobald man über eine Neuordnung des Kirchenrechts spricht, würde diese Gruppe ihre Forderungen bekannt machen und das wollen die Kirchen aus gutem Grund nicht, da ansonsten plötzlich ihre Privilegien in Gefahr wären.Egal also, wie man es hält, es gibt keine Möglichkeit, Zeugen Jehovas mit Gesetzesänderungen zurückzuhalten, die nicht jede Menge unerwünschte Nebenwirkungen hätten. Daher werden derartige Punkte möglichst schnell mit Stillschweigen übergangen, so wie es der Kommentar des Justizministers zu der Frage deutlich macht:
Der Weg einer Rechtsänderung ist natürlich sehr gewissenhaft geprüft worden, weil, wie ich gesagt habe, Herr Kollege, die wenigsten Bundesländer diesen Weg als Automatismus verstanden haben.Wie man sieht, gelingt es dem Minister, innerhalb von wenigen Sätzen zu einem ganz anderen Thema zu kommen, ohne eine konkrete Antwort zu geben; nach meiner Einschätzung, weil er genau weiß, dass es nicht funktioniert, er aber auch nicht zugeben will, dass Zeugen Jehovas sich eindeutig innerhalb der verfassungsmäßigen Ordnung bewegen; denn dann hätte er öffentlich ausgesprochen, was er nicht sagen will und kann: "wir wissen genau, dass wir gegen geltendes Recht verstoßen, wenn wir Zeugen Jehovas nicht anerkennen".
Ich sage noch einmal, dass es seit 2006 einen sehr intensiven Abstimmungsprozess zwischen allen Bundesländern gab und dass seit der Antragstellung in Baden-Württemberg im Jahr 2007 auch noch kein Freibrief erteilt wurde, sondern dass die Phase bis heute als ganz entscheidende Prüfungsphase genutzt wurde. In diesem Zusammenhang hat natürlich auch die Abwägung stattgefunden, ob es nicht neben der Anerkennung auch noch andere Möglichkeiten gibt, diese Situation zu umgehen. Ich denke, hier auch für die meisten anderen Bundesländer sprechen zu dürfen, die diesen Schritt auch nicht aus freiem Herzen und nicht aus gutem Willen gegenüber dieser Sekte unternehmen.
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