Dienstag, 3. Mai 2011
Bremen: der nächste Fehler
hgp, 15:56h
Der Rechtsausschuss vertraut nicht zu 100% darauf, dass man Zeugen Jehovas einen Verfassungsbruch vorwerfen kann; ich kam zu dem Schluss, dass sie diese Furcht zurecht hegen, da sie das entsprechende Urteil des BVerfG nicht genau lasen. Im Abschlussbericht lesen wir auf Seite 34:
Allerdings ist das ja überhaupt nicht das Problem. Abgesehen von dem bereits geschilderten Problem, dass die Entscheidungskriterien anscheinend falsch angewandt wurden, liegt das nächste Problem im Wort "zumutbar". Was genau ist dem Staat zur Aufklärung zumutbar? Ich sehe da eine ganze Reihe von Punkten, die zumutbar wären, da sie einfach zu bewerkstelligen sind.
Zum ersten sollte sich ein Bundesland natürlich damit auseinandersetzen, wie man sichere Erkenntnisse zur Frage gewinnen kann. Hierzu gibt es in den einschlägigen Urteilen der Fachgerichte aus Berlin jede Menge Hinweise, die der Rechtsausschuss offensichtlich nicht beachtet hat. Die Frage, ob man den Äußerungen von "Sekten"-"Experten" der Kirchen und ehemaligen Mitgliedern unbegrenzt Glauben schenken darf, wurde von den Fachgerichten verneint, nicht etwa, weil ihnen Lüge unterstellt wird, sondern weil diese Äußerungen sehr subjektiv sind. Wie ich bereits herausfand, hat der Rechtsausschuss offensichtlich falschen Äußerungen Glauben geschenkt, da dieses Prinzip außer Acht gelassen wurde.
Das Land Bremen hat jede Menge Möglichkeiten, die Äußerungen der "Experten" unabhängig zu prüfen. Da die meisten Punkte das konkrete Verhalten einzelner Religionsmitglieder betreffen, könnte man hier die "andere Seite" des Konflikts zu Wort kommen lassen, d.h. die direkt betroffenen Zeugen Jehovas, von denen ein bestimmtes Verhalten behauptet wird. Erfahrungsgemäß würde sich hierbei regelmäßig ergeben, dass die "Experten" die Absichten und damit das Verhalten der entsprechenden Personen falsch eingeschätzt haben und damit die entsprechenden Vorwürfe entfallen müssen. Der Rechtsausschuss hat die ausdrücklich nicht tun wollen. Wir lesen auf S. 32:
Es hätte auch eine kompetente Prüfung erfolgen können, ob die angesprochenen Punkte überhaupt relevant für die zu behandelnden verfassungsrechtlichen Fragen sind. Hierbei wäre ein guter Teil der Details weggefallen, da sie sich auf Fragen bezogen, die nicht zur Debatte stehen. Anscheinend hat der Rechtsausschuss die Prüfung dieser Frag in Hände von Laien gelegt. So lesen wir z.B. auf S. 13:
Es wäre auch zu prüfen gewesen, ob die geschilderten Vorfälle Ausnahmen oder die Regel sind. Im Bericht auf S. 22 wird die Zahl der ehemaligen Zeugen Jehovas auf 40.000 geschätzt. Die Frage, ob die wenigen geschilderten Fälle nun das übliche Vorgehen der Religionsgemeinschaft widerspiegeln oder ob es sich um Ausnahmefälle handelt, ist natürlich aufwendiger ist aber machbar. Hingegen ist es natürlich nicht in Ordnung, aus dem (angeblichen!) Verhalten in Einzelfällen ohne weiteres auf das übliche Verhalten einer Gruppe zu schließen, vor allem wenn offensichtlich eine Vorauswahl besonders negativer Fallbeispiele erfolgte. Denn Kriterium der Prüfung ist das normale Verhalten, nicht die Ausnahmefälle.
So müsste z.B. die Frage gestellt werden, in wie weit das Verhalten überhaupt auf die Religionsgemeinschaft zurückgeführt werden kann und ob es nicht andere Ursachen für das geschilderte Verhalten gibt. So gibt es Ehescheidungen und Familienzerwürfnisse auch außerhalb des Kreises der Zeugen Jehovas aus ganz banalen Ursachen, die nichts mit der Religion der betroffenen zu tun haben. Anstatt zu fragen, ob derartige Gründe auch in den betrachteten Fällen zu Grunde liegen, wurden alle Probleme ohne weitere Prüfung der Religionsgemeinschaft angekreidet.
So weit es um Zitate aus den Schriften der Religionsgemeinschaft geht, hätte man die entsprechenden Stellen im Kontext prüfen können. Dann wäre mit Sicherheit aufgefallen, dass die Mehrzahl (wenn nicht alle) der Zitate entweder vollkommen aus dem Zusammenhang gerissen waren oder vollkommen anachronistisch auf Gesetze bezogen wurden, die erst Jahrzehnte später Gültigkeit erlangten. Weiterhin hätte die Religionsgemeinschaft sicherlich geholfen, ihre internen Abläufe zu erläutern. Statt dessen wurde aber die Meinung von ehemaligen Mitgliedern als "glaubhaft" bezeichnet, obwohl sie mit den betrachteten Vorgängen nie etwas zu tun hatten (z.B. S. 24 zur Frage des Kindesmissbrauchs).
Ich denke, dass alle diese Fragen vor Gericht dann gestellt werden und dann vollkommen anders beantwortet werden, als es der Rechtsausschuss des Landes Bremen tat.
Im Land Bremen kann die Religionsgemeinschaft keine Verfassungsklage einreichen, da die Bremer Verfassung im Artikel 61 besagt:
Anderen Religions- oder
Damit bliebe nur eine Verfassungsbeschwerde beim BVerfG übrig. Ich bin mir aber nicht sicher, ob das BVerfG nicht erst einen abgeschlossenen Verwaltungsgerichtsprozess verlangt.
Hilfsweise ist die Auffassung vertretbar, dass der Antrag auf Verleihung der besonderen öffentlich-rechtlichen Körperschaftsrechte auch dann abgelehnt werden kann, wenn die Gewähr der Rechtstreue trotz aller zumutbaren Aufklärungsversuche unklar bleibt.Dies wurde anscheinend aus der Entscheidung des Landes Baden-Württemberg abgeschrieben (siehe S.7 des Abschlussberichts). Hiermit wird für den Fall vorgebaut, dass sich herausstellt, Zeugen Jehovas können die behaupteten Rechtsbrüche nicht mit hinreichender Sicherheit nachgewiesen werden. Die Frage, was geschehen muss, wenn ein Bundesland zu dem Ergebnis kommt, dass sie nicht genau vorhersagen können, ob eine Religionsgemeinschaft sich in Zukunft rechts- und verfassungstreu verhält.
Allerdings ist das ja überhaupt nicht das Problem. Abgesehen von dem bereits geschilderten Problem, dass die Entscheidungskriterien anscheinend falsch angewandt wurden, liegt das nächste Problem im Wort "zumutbar". Was genau ist dem Staat zur Aufklärung zumutbar? Ich sehe da eine ganze Reihe von Punkten, die zumutbar wären, da sie einfach zu bewerkstelligen sind.
Zum ersten sollte sich ein Bundesland natürlich damit auseinandersetzen, wie man sichere Erkenntnisse zur Frage gewinnen kann. Hierzu gibt es in den einschlägigen Urteilen der Fachgerichte aus Berlin jede Menge Hinweise, die der Rechtsausschuss offensichtlich nicht beachtet hat. Die Frage, ob man den Äußerungen von "Sekten"-"Experten" der Kirchen und ehemaligen Mitgliedern unbegrenzt Glauben schenken darf, wurde von den Fachgerichten verneint, nicht etwa, weil ihnen Lüge unterstellt wird, sondern weil diese Äußerungen sehr subjektiv sind. Wie ich bereits herausfand, hat der Rechtsausschuss offensichtlich falschen Äußerungen Glauben geschenkt, da dieses Prinzip außer Acht gelassen wurde.
Das Land Bremen hat jede Menge Möglichkeiten, die Äußerungen der "Experten" unabhängig zu prüfen. Da die meisten Punkte das konkrete Verhalten einzelner Religionsmitglieder betreffen, könnte man hier die "andere Seite" des Konflikts zu Wort kommen lassen, d.h. die direkt betroffenen Zeugen Jehovas, von denen ein bestimmtes Verhalten behauptet wird. Erfahrungsgemäß würde sich hierbei regelmäßig ergeben, dass die "Experten" die Absichten und damit das Verhalten der entsprechenden Personen falsch eingeschätzt haben und damit die entsprechenden Vorwürfe entfallen müssen. Der Rechtsausschuss hat die ausdrücklich nicht tun wollen. Wir lesen auf S. 32:
Die an den Rechtsausschuss gerichtete Forderung, der Religionsgemeinschaft Gelegenheit zu geben, entsprechende Zeugen zu benennen und anzuhören, damit die verzerrte Darstellung der Glaubenspraxis der Religionsgemeinschaft, die durch die Anhörung vom 16. Februar 2011 entstanden sei, richtig gestellt werden könne, war aus Sicht des Rechtsausschusses nicht geboten.So wie die Prüfung lief, wurde in konkreten Konfliktfällen jeweils die Schilderung einer Seite ohne weiteres als "glaubhaft" bezeichnet, die andere Seite nicht gehört, und die subjektive Sicht einzelner zu objektiven Fakten erhoben.
Es hätte auch eine kompetente Prüfung erfolgen können, ob die angesprochenen Punkte überhaupt relevant für die zu behandelnden verfassungsrechtlichen Fragen sind. Hierbei wäre ein guter Teil der Details weggefallen, da sie sich auf Fragen bezogen, die nicht zur Debatte stehen. Anscheinend hat der Rechtsausschuss die Prüfung dieser Frag in Hände von Laien gelegt. So lesen wir z.B. auf S. 13:
Im Ergebnis haben alle Vertreter von Aussteigerorganisationen bekundet, dass der Ausstieg bei den Zeugen Jehovas den grundgesetzlich garantierten Schutz von Ehe und Familie durch Ausgrenzung und Hinwirken auf die Trennung von Ehepartnern und Familie beeinträchtige und gefährde.Man würde erwarten, dass die verfassungsrechtliche Prüfung eines konkreten Verhaltens in Hände von Menschen gehört, die sich im Verfassungsrecht auskennen und nicht in die Hände von "Aussteigerorganisationen". Jedes Bundesland hat hierfür natürlich entsprechende Fachleute, die in der Verwaltung arbeiten.
Es wäre auch zu prüfen gewesen, ob die geschilderten Vorfälle Ausnahmen oder die Regel sind. Im Bericht auf S. 22 wird die Zahl der ehemaligen Zeugen Jehovas auf 40.000 geschätzt. Die Frage, ob die wenigen geschilderten Fälle nun das übliche Vorgehen der Religionsgemeinschaft widerspiegeln oder ob es sich um Ausnahmefälle handelt, ist natürlich aufwendiger ist aber machbar. Hingegen ist es natürlich nicht in Ordnung, aus dem (angeblichen!) Verhalten in Einzelfällen ohne weiteres auf das übliche Verhalten einer Gruppe zu schließen, vor allem wenn offensichtlich eine Vorauswahl besonders negativer Fallbeispiele erfolgte. Denn Kriterium der Prüfung ist das normale Verhalten, nicht die Ausnahmefälle.
So müsste z.B. die Frage gestellt werden, in wie weit das Verhalten überhaupt auf die Religionsgemeinschaft zurückgeführt werden kann und ob es nicht andere Ursachen für das geschilderte Verhalten gibt. So gibt es Ehescheidungen und Familienzerwürfnisse auch außerhalb des Kreises der Zeugen Jehovas aus ganz banalen Ursachen, die nichts mit der Religion der betroffenen zu tun haben. Anstatt zu fragen, ob derartige Gründe auch in den betrachteten Fällen zu Grunde liegen, wurden alle Probleme ohne weitere Prüfung der Religionsgemeinschaft angekreidet.
So weit es um Zitate aus den Schriften der Religionsgemeinschaft geht, hätte man die entsprechenden Stellen im Kontext prüfen können. Dann wäre mit Sicherheit aufgefallen, dass die Mehrzahl (wenn nicht alle) der Zitate entweder vollkommen aus dem Zusammenhang gerissen waren oder vollkommen anachronistisch auf Gesetze bezogen wurden, die erst Jahrzehnte später Gültigkeit erlangten. Weiterhin hätte die Religionsgemeinschaft sicherlich geholfen, ihre internen Abläufe zu erläutern. Statt dessen wurde aber die Meinung von ehemaligen Mitgliedern als "glaubhaft" bezeichnet, obwohl sie mit den betrachteten Vorgängen nie etwas zu tun hatten (z.B. S. 24 zur Frage des Kindesmissbrauchs).
Ich denke, dass alle diese Fragen vor Gericht dann gestellt werden und dann vollkommen anders beantwortet werden, als es der Rechtsausschuss des Landes Bremen tat.
Wer entscheidet als nächstes?
Wobei ich dann bei der nächsten interessanten Frage angekommen wäre: was passiert nach der Ablehnung des Gesetzesantrags zur Verleihung der Körperschaftsrechte an Zeugen Jehovas? Da die Religionsgemeinschaft ihren Antrag bei der Verwaltung stellte (wo sonst?), muss die Verwaltung den Antrag ablehnen. Welchen Rechtsbehelf haben Zeugen Jehovas? Gegen die Ablehnung des Antrags zu klagen hat wenig Sinn, da das Gericht aufgrund der Gesetzeslage nur entscheiden kann, dass Zeugen Jehovas nicht anerkannt sind.Im Land Bremen kann die Religionsgemeinschaft keine Verfassungsklage einreichen, da die Bremer Verfassung im Artikel 61 besagt:
Anderen Religions- oder
Weltanschauungsgemeinschaften kann durch Gesetz die gleiche Rechtsstellung verliehen werden, wenn sie durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten.Das kann man so verstehen, dass die Bremer Verfassung kein Anrecht auf Anerkennung gewährt.
Damit bliebe nur eine Verfassungsbeschwerde beim BVerfG übrig. Ich bin mir aber nicht sicher, ob das BVerfG nicht erst einen abgeschlossenen Verwaltungsgerichtsprozess verlangt.
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