Montag, 30. Mai 2011
Harmagedon? Das ist doch kein Weltuntergang!
Eine persönliche Perspektive
In einem Leserkommentar wurde mir kürzlich unaufrichtiges Argumentieren unterstellt, da ich sagte:
Zeugen Jehovas verstehen unter dem Ausdruck "Harmagedon" nicht einen Weltuntergang sondern die Reinigung der Erde von allem, was heute Leiden und Unglück verursacht.
Das provozierte den Kommentar:
Was verbinden andere mit Weltuntergang? Haben Sie sich einmal diese Frage gestellt? Ein weltweites Sterben aller Menschen, die Zerstörung der kompletten Infrastruktur. All das kann man ohne Zweifel als "Weltuntergang" bezeichnen. Es ist ein rhetorischer Kniff, wenn Sie behaupten die Zeugen Jehovas erwarten keinen Weltuntergang. Sicher, sie erwarten nicht, dass die Erde zerstört wird. Nicht desto trotz ist das biblische Harmageddon mit einem Weltuntergang gleichzusetzen.
Ich will hier nicht diskutieren, ob das, was Zeugen Jehovas lehren wirklich dem entspricht, was die Bibel aussagt; genauso wenig ist es Ziel dieses Artikels, die Frage zu klären, wie realistisch die Vorstllungen der Zeugen Jehovas sind; diese Fragen spielen für den o.g. Vorwurf nämlich keine Rolle. Nicht offen ausgesprochen steht dahinter nämlich der Vorwurf, dass Zeugen Jehovas den eigenen Mitgliedern und allen anderen Angst mit einem Weltuntergang machen wollen, um sie zu beherrschen oder andere finstere Ziele zu verfolgen, während sie versuchen, dies vor der Öffentlichkeit geheim zu halten. Damit würde ich mich mit meinen Ausführungen zu einem Mitspieler in einem perfiden Unterdrückungsapparat machen. Und das kann ich logischerweise nicht auf mir sitzen lassen. Ich will daher zeigen, warum meiner Überzeugung nach sich die Vorstellungen der Zeugen Jehovas nicht mit einem Weltuntergang gleichsetzen lassen. Wer wissen will, was Zeugen Jehovas zum Thema lehren, kann auf ihrer Webseite folgende Artikel zum Thema finden: 1, 2, 3, 4.

"Gleich" ist nicht unbedingt gleich

Bevor wir aber zum Kern des Themas kommen, will ich einen Denkfehler im obigen Vorwurf an mich erklären: es wird davon ausgegangen, dass Harmagedon ein Weltuntergang sei, weil die beiden in zwei Merkmalen übereinstimmen. Dabei wird aber etwas wesentliches übersehen, was ich anhand von Stauseen erläutern will:

Wenn wir uns diesen Stausee in Tadschikistan, und diesen in Sambia anschauen, welche prinzipiellen Unterschiede sehen wir? Erst einmal keine. Zwar liegen sie auf verschiedenen Kontinenten und der eine Stausee ist etwa doppelt so groß wie der andere, aber prinzipiell sehen beide gleich aus, nicht wahr? Beide haben einen Damm bzw. eine Staumauer, beide stauen einen Fluss auf und bilden einen großen See. Gibt es einen prinzipiellen Unterschied?

Ja! Der Der See in Asien ist durch ein Erdebeben mit anschließendem Bergsturz entstanden, der See in Afrika durch planende, gezielte Arbeit von Menschen. In Tadschikistan wurde vor 100 Jahren ein Dorf durch den Erdrutsch vernichtet, wobei die gesamte Einwohnerschft umkam, während in Sambia vermutlich tausende von Menschen viele Jahre arbeiteten, um die Staumauer zu bauen. Das Ergbenis ist in beiden Fällen aber gleich: ein Stausee.

Trotzdem kommt niemand auf den Gedanken, ein Staudammprojekt als "Erdrutsch" zu bezeichnen. Man muss normalerweise sogar niemanden den Unterschied erklären, da jedem normalen Menschen die Unterschiede klar sind:
  • ungeplante Gewalt - geplanter Eingriff
  • ohne Ziel - zum Nutzen der Menschen
Genau das gleiche Problem besteht bei Harmagedon. Es gibt zwar einzelne Aspekte, die einem Weltuntergang ähnlich sehen, aber es gibt so große Unterschiede, dass am Ende des Artikels jedem klar sein sollte, warum ich sie nicht miteinander vergleiche.

Was ist ein Weltuntergang?

Ich will wieder einmal die allwissende Müllhalde in Gestalt von wikipedia zitieren (Hervorhebungen von mir):
Als Weltuntergang wird allgemein ein natürlich auftretendes oder künstlich herbeigeführtes Ereignis bezeichnet, das die Menschheit, den Planeten Erde oder das Universum insgesamt vernichtet oder zumindest die herrschenden oder ansonsten mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Lebens- und Begleitumstände massiv und desaströs zum Negativen verändert.
Damit das nicht nur theoretisch bleibt, ein paar Beispiele dafür, was so als "Weltuntergang" angesehen wird: Jeder, der den Film "2012", "Krieg der Welten" oder einen anderen "Weltuntergangsfilm" gesehen hat, kann sich vorstellen, wie man sich in unserer Kultur einen Weltuntergang vorstellt: jede Menge Gewalten, denen wir hilflos ausgeliefert sind und die vollkommen willkürlich eine funktionierende Gesellschaft und ihre Mitglieder zerstören. Ob es nun Außerirdische sind, Naturgewalten oder das Handeln der Menschheit, das Geschehen droht die Menschheit zu vernichten und der einzelne ist diesem Geschehen hilflos ausgeliefert. Und ich denke, dass die Mehrheit Harmagedon hier einsortiert: ein "zorniger alttestamentarischer Gott", der Menschen killt, die rein zufällig nicht in der richtigen Kirche eingeschrieben sind oder nicht wissen, welches Opfer man genau bringen muss. Auch wieder eine willkürliche Gewalt, der jeder hilflos ausgeliefert ist. Allerdings handelt es sich hierbei nicht um die Lehre der Zeugen Jehovas sondern um eine populäre Vorstellung, die sich im wesentlichen aus anderen Quellen speist und mit Zeugen Jehovas nur am Rande zu tun hat.

Und genau hier liegt auch der wesentliche Unterschied, den ich sehe: Harmagedon, wie ich es verstehe, liefert uns nicht einer willkürlichen Gewalt aus, droht nicht die Menschheit zu vernichten, sondern lässt uns eine freie Entscheidung über unsere Zukunft und rettet die Menschheit vor dem Untergang. Es handelt sich nicht um die Zerstörung der Menschheit sondern um die Rettung der Menschheit vor dem (selbst verursachten) Untergang. Und hier liegt das Problem mit dem o.g. Vorwurf: Der "Weltuntergang" und "Harmagedon" werden (gezielt?) auf genau auf das reduziert, was beide gemeinsam haben: es sterben Menschen und es wird etwas zerstört. Dabei wird aber alles wesentliche ausgeblendet, was Zeugen Jehovas unter "Harmagedon" verstehen und was diese Vorstellung von dem "Weltuntergang" unterscheidet1.

Brauchen wir Hilfe beim Weltuntergang?

Die Frage ist nicht so abwegig wie sie scheint. Wenn wir uns die Nachrichtenlage anschauen, dann scheinen immer mehr Menschen zum Schluss zu kommen, dass die globale menschliche Gesellschaft mitsamt dem ganzen Planeten in unserem Jahrhundert einem nie dagewesenen Niedergang vor sich hat. Ein paar Beispiele, ohne dass ich das altbekannte hier noch einmal im Detail erklären will:
  • Die für die Ernährung wichtigen Fischbestände der Ozeane schrumpfen immer stärker
  • Irgendwann wird das Erdöl alle sein
  • Die Getreideerzeugung ist auf Kunstdünger aus Erdöl angewiesen.
  • globale Erwärmung mit ihren Folgen ist schon wieder out, so alt ist das Problem
  • Die globale Verschuldung ist kaum noch in den Griff zu kriegen
  • Die Weltbevölkerung wächst immer weiter bei begrenzten Ressourcen
Natürlich kann es noch Jahrzehnte dauern, bis eine dieser Entwicklungen zu einer Katastrophe führen wird, aber alle wissen: wenn sich nicht entschieden etwas ändert, dann gibt es mit Sicherheit eine Katastrophe, die Frage ist nur: wann?

Unsere Wirtschaft funktioniert nur mit Wachstum, während die natürlichen Ressourcen begrenzt sind. Und bis heute hat keiner eine Idee, wie eine Weltwirtschaft ohne Wachstum funktionieren kann. Entweder also jemand hat diese geniale Idee irgendwann demnächst und sie wird dann in die Tat umgesetzt, oder wir werden zu Tode wachsen, weil wir alle erforderlichen Ressourcen zerstören. So weit weiß das jeder.

Wenn aber die Menschheit sich ohnehin selber zerstört, wo liegt dann das Problem dabei, dass Gott eingreift?

Der entscheidende Unterschied

Zeugen Jehovas meinen also, dass die Menschheit selber auf einen Untergang zusteuert (ob nun durch die genannten Beispiele oder durch andere Faktoren, sei dahingestellt, da Zeugen Jehovas sich hier nicht festlegen) und dass deswegen folgende Worte Jesu (Matthäus 24,21.22) unsere Zukunft beschreiben:
Denn es wird eine Not herrschen, wie es sie von Beginn der Welt an bis heute nicht gegeben hat und wie es sie danach auch nie mehr geben wird.
22 Würde diese Zeit nicht verkürzt, dann würde kein Mensch gerettet werden;
Was Zeugen Jehovas erwarten: eine Menschheit, die sich selber zerstört, die damit eine so große Not auslöst, dass ohne ein Eingreifen Gottes der komplette Untergang der Menschheit droht. Daher ist Harmagedon das genaue Gegenteil vom Weltuntergang, es ist die Bewahrung der Menschheit vor der selbsterzeugten Zerstörung; es ist die Abwendung eines Weltuntergangs. Gott ist so nett, uns vor den Folgen unseres Tuns zu bewahren1a, wenn wir denn mitspielen wollen. Aus den obigen Worten kann man schließen, dass die Situation, in der die Menschheit steckt zu diesem Zeitpunkt jedem im groben klar sein wird: entweder wir zerstören uns weiter selber oder wir lassen Gott machen und machen da mit und haben eine Chance zu überleben.

Damit stellt sich die Frage: was ist mit denen, die nicht mitspielen wollen, denen, die lieber die Erde vor die Hunde gehen lassen, als das sie sich von Gott etwas sagen lassen?2 Soll Gott sie weiter machen lassen? Dürfen sie die Erde weiter zerstören? Dann hätte ein Eingreifen Gottes keinen Sinn, denn das eigentliche Problem wäre nicht beseitigt und der Untergang würde weiter munter voran schreiten. Ein Eingreifen Gottes hat nur dann Sinn, wenn dafür sorgt, dass die Menschheit unseren Planeten nicht weiter zerstört. Welche Möglichkeiten hat er da?

Sollte Gott die Menschen weiter machen lassen wie bisher und dann ständig hinter ihnen her aufräumen? Damit würde sich Gott zum Komplizen eines zerstörerischen Systems machen3.

Sollte Gott jeden Menschen zwingen, ihm zu gehorchen? Das wäre dann die Hölle auf Erden: eine Diktatur, bei der jeder unter direkter Gedankenkontrolle stehen würde.

Was Gott in dieser Situation dann wirklich tut, wird in der Bibel als "Gericht" bezeichnet. Wer weiter ein selbstzerstörerisches System verteidigt, der wird die Folgen seines Tuns erhalten ohne dass andere darunter leiden müssen: Wer Selbstzerstörung verteidigt, der kriegt das was er sich selbst aussucht: nämlich Selbstzerstörung. Aber Gott sorgt dafür, dass diese Zerstörung auf diejenigen beschränkt bleibt, die dies wollen. Damit ermöglicht er dem Rest der Menschen eine Zukunft. Ein Gott der das tut ist kein willkürlich destruktiver Gott, der einen Weltuntergang durchführt. Vielmehr handelt es sich um einen gerechten Gott, der jedem genau das gibt , wofür er sich entschieden hat ohne dass jeweils die anderen die Folgen des eigenen Tuns abbekommen.

Die freie Wahl

Dazu ist es nötig, dass jeder Mensch eine Wahl hat. Er muss die Alternativen kennen und sagen können, ich will entweder das "Recht auf Selbstzerstörung" der Menschheit haben oder ich will, dass Gott die Verantwortung übernimmt. Dazu meinen Zeugen Jehovas, dass Gott sein Handeln ankündigen wird. In der Bibel ist von dem "Zeichen des Menschensohnes" (=Christi) die Rede, dass jeder sehen wird. Zeugen Jehovas behaupten nicht zu wissen, wie dieses Zeichen im Detaill aussehen wird, aber sie meinen, es wird jedem Menschen klar sein: Christus übernimmt jetzt in Gottes Auftrag die Herrschaft. Entweder ich mache jetzt mit und unterordne mich dieser Herrschaft oder ich kämpfe dagegen. In Psalm 2,11.12 ist dies als Aufforderung beschrieben:
Dient dem Herrn mit Ehrfurcht, zittert vor ihm und jubelt ihm zu! 12 Erweist Ehre seinem Sohn, damit er nicht zornig wird und ihr auf eurem falschen Weg umkommt
Damit überlässt Gott jedem einzelnen Menschen die Wahl, was er tun will, und gibt ihm die Möglichkeit sich frei zu entscheiden.

In der Frage nach dem Weltuntergang schwingt aber häufig auch der Vorwurf mit, dass Zeugen Jehovas meinten, sie würden allein durch ihre Religionszugehörigkeit gerettet, während sie alle anderen wegen ihrer anderen Religionszugehörigkeit zum Untergang verurteilt sehen. Was aber dieser Bibeltext zeigt: Jeder kann nach Vorstellung der Zeugen Jehovas gerettet werden, wenn er sich dafür entscheidet und anfängt zu tun, was Gott verlangt.

Damit gibt es einen zweiten Unterschied zum Weltuntergang: Niemand kann sich entscheiden, dass er nicht am Weltuntergang teilnehmen will. Aber man kann sich entscheiden, dass man nicht in Harmagedon sterben will4.

Fazit

Der eingangs erwähnte Vorwurf lässt die zwei entscheidenden Punkte außer Acht, die Zeugen Jehovas mit Harmagedon verbinden und wirft mir stattdessen rhetorische Kniffe vor sowie, gegen einen Strohmann zu argumentieren. Wer den Text bis hier gelesen hat, dem sollte klar sein, dass es entscheidende Unterschiede zwischen Weltuntergang und Harmagedon gibt. Harmagedon ist die Rettung der Menschheit vor der Selbstvernichtung, es werden nur Menschen vernichtet, die ohnehin gerade dabei sind die Lebensgrundlage der Menschheit zu vernichten und jeder hat die Möglichkeit, sich frei zu entscheiden, was er tun will.

Und damit beruht der Vorwurf auf einer falschen Grundannahme und "vereinfacht" seine Argumentation genau auf diesen Gedankenfehler. Damit ist klar, dass ich5 nicht unaufrichtig argumentiere.
1 Zum Vergleich: man könnte den Straßenverkehr mit einem Krieg vergleichen, da dort jährlich tausende getötet und noch mehr Menschen verwundet werden. Allerdings ist dort dann jedem klar, dass dies eine Metapher ist, da jeder aus eigener Anschauung weiß, dass alles andere Unsinn ist: niemand unterstellt Autofahrern, dass sie gezielt Fußgänger und Fahrradfahrer angreifen.

In einem ähnlich metaphorischen Sinn könnte man das Zeugen-Jehovas-Harmagedon als Weltuntergang bezeichnen, im genauen Wissen, dass es sich um einen hinkenden Vergleich handelt. Das wird aber nirgendwo gemacht. Bei der Vorstellung der Zeugen Jehovas von "Harmagedon" ist es der Mehrheit nicht möglich, diesen unterschied zu erkennen, da sie keine persönliche Erfahrung im Umgang mit der Glaubenslehre der Zeugen Jehovas haben. Die Behauptung wird dann auch nicht erläutert, sondern es wird so getan, dass man hier ein objektives Bild von den Ansichten der Zeugen Jehovas zeichnet und kritisiert.

1a Wenn ich hier "Gott" sage, dann meine ich natürlich im Detail: "Jesus als Beauftragter Gottes", der Gottes Willen umsetzt; solange dies allen klar ist, kann ich es mir sparen, den Text noch weiter zu verkomplizieren.

2 Wer das für unrealistisch hält, erinnere sich bitte an die letzten Tage des zweiten Weltkriegs in Berlin: Zehntausende Deutsche gaben ihr Leben für den "Endsieg", obwohl allen klar war, dass nichts mehr zu gewinnen ist. Die menschlichen Natur hat sich seitdem nicht so radikal geändert.

3 Darunter würden z.B. Vorshcläge fallen wie: ihnen einen anderen Planeten geben. Den würden sie nach einiger Zeit dann genau so zerstört haben und das Spiel würde wieder von vorne anfangen.

4 Das ist dann aber nicht so einfach: In der Zeit vor Harmagedon wird es einem extrem schwer gemacht, zu tun, was Gott will. Daher steigt die Wahrscheinlichkeit, dass man es dann auch tut, je länger und intensiver man es vorher versucht hat. Deswegen rennen Zeugen Jehovas bei dir an die Tür und meinen, es sei das beste, sofort anzufangen, Gottes Willen zu tun.

5 zumindest im vorliegenden Fall ;o)

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